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Die Öffnung der Bundeswehr: Ein Sieg des Feminismus, eine Niederlage des Pazifismus?

Von Sibylle Raasch

Unter dem Titel "Abschied vom Klischee der friedfertigen und schwachen Frau" veröffentlichte die Frankfurter Rundschau auf ihrer Dokumentationsseite am 14.06.2000 einen längeren Beitrag der Hamburger Rechtswissenschaftlerin Sibylle Raasch (Hochschule für Wirtschaft und Politik). Der Beitrag war in voller Länge zuvor in der Zeitschrift "Kritischen Justiz" (Heft 2/2000, S. 249-262) abgedruckt. Wir dokumentieren diesen Beitrag, obwohl er nicht der Ansicht des "Friedensratschlags" entspricht (vgl. hierzu die Stellungnahme des Bundesausschusses Friedensratschlag). Dennoch geben einige Argumente zu denken - gute Argumente z.B. gegen die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht. Gerade aber auch hier ist der Beitrag inkonsequent, da er für eine Gleichbehandlung der Frauen beim Zugang zur Bundeswehr und in der Bundeswehr eintritt, bei einer Beibehaltung der Wehrpflicht die Frauen aber wieder ausnehmen möchte.

Das eigentliche politische Argument, weshalb Raasch meint, den Zugang der Frauen zum Waffendienst auch als Pazifistin (wofür sie sich wohl auch hält) befürworten zu müssen, kommt ziemlich am Ende und lautet:
"Frauen war ihr "Pazifismus", verstanden als militärische Enthaltsamkeit, bisher allerdings wegen ihres Geschlechts grundgesetzlich verordnet. Erst jetzt wird Pazifismus und Absehen vom Kriegsdienst dem politisch-ethischen Beurteilungsvermögen jeder einzelnen Frau überantwortet. Dadurch wird ihre persönliche Entscheidung vielfach überhaupt erst gesellschaftlich sichtbar und ernst zu nehmen. Dieser Schritt zu mehr staatsbürgerlicher Autonomie und Verantwortung der Frauen ist begrüßenswert sowohl aus feministischer als auch aus pazifistischer Perspektive."
Nur: Diesen hehren Gedanken weitergedacht, müsste Raasch doch wieder die allgemeine Wehrpflicht auch für Frauen fordern. Denn auch und gerade in der dann nötigen aktiven Verweigerung zeigt sich eine militärkritische bis pazifistische Haltung.

Daneben gibt es sicher noch andere Punkte, die kritische Reaktionen bei dem einen oder der anderen Pazifistin aus der Friedensbewegung hervorrufen. Auch dazu soll die Dokumentation dieses Beitrags dienen. Wir weisen ausdrücklich auch auf einen Beitrag von Anne Rieger hin, der sich ebenfalls mit der Frage beschäftigt, aber zu ganz anderen Ergebnissen kommt als Sibylle Raasch.


Abschied vom Klischee der friedfertigen und schwachen Frau

Die Öffnung der Bundeswehr: Ein Sieg des Feminismus, eine Niederlage des Pazifismus?
Von Sibylle Raasch


Das Jahr 1999 begann damit, dass deutsche Männer zum ersten Mal nach 1945 mit der Waffe in der Hand im Ausland Krieg geführt haben; vielleicht als humanitäre Intervention gerechtfertigt, aber auf jeden Fall: Krieg. Das Jahr 2000 beginnt ebenfalls mit einer militärischen Neuorientierung: Mit Urteil vom 11. Januar 2000 entschied der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft (EuGH) im Fall Kreil, Frauen dürften in Deutschland nicht länger vollständig vom Dienst mit der Waffe ausgeschlossen werden. Ein derartiger Ausschluss sei unverhältnismäßig und verstoße gegen die Richtlinie 76/207/EWG (Gleichbehandlungsrichtlinie).

Damit sind nicht nur die entsprechenden Vorschriften des Soldatengesetzes und der Soldatenlaufbahnverordnung, sondern auch Art. 12 a Abs. 4 Satz 2 Grundgesetz (GG) in Frage gestellt. Die Bewerbung der Elektronikerin Tanja Kreil für den freiwilligen Dienst bei der deutschen Bundeswehr, Verwendungswunsch Instandsetzung (Elektronik), hat wieder Erfolgsaussichten. Allerdings muss zuerst das vorlegende Verwaltungsgericht Hannover unter Berücksichtigung der Antworten des EuGH seine abschließende Entscheidung fällen. Eingestellt ist Frau Kreil auch danach noch längst nicht. Seit Mitte Februar 2000 nimmt die Bundeswehr zwar allgemein Bewerbungen von Frauen für den Dienst in bewaffneten Einheiten an. Eine Entscheidung wird aber zurückgestellt, solange die notwendigen gesetzlichen Änderungen nicht vollzogen sind. Im Verteidigungsministerium wird deswegen erst ab dem Jahr 2001 mit einer tatsächlichen Öffnung der Streitkräfte für Frauen gerechnet. Wie weit diese Öffnung dann im Einzelnen gehen wird, ist derzeit noch nicht abzusehen.

Mit diesem Urteil hat der EuGH gleich mit zwei bundesrepublikanischen Traditionen gebrochen: einer tief verwurzelten gesellschaftspolitischen um die Männerdomäne Krieg und einer ängstlich gehüteten rechtspolitischen um die Rangfrage zwischen Grundgesetz und Recht der Europäischen Union.

1. Öffnung der Bundeswehr durch den Europäischen Gerichtshof

Die gesellschaftspolitische Tradition bestand bisher darin, Krieg als eine Angelegenheit zu betrachten, die bewaffnete Männer als Soldaten unter sich ausmachen. So wurden Waffendienst und Soldatentum jahrhundertelang geradezu als die wahre Betätigung und Bestätigung des so genannten Mannestums im Sinne aggressiver, durchsetzungsstarker Männlichkeit öffentlich verherrlicht. Den Frauen kam es nach diesem traditionellen Geschlechterrollenverständnis lediglich zu, den siegreichen Kriegern Blumenkränzchen zu binden, den weniger siegreichen die Wunden zu verbinden (am Besten unter Aufsicht eines männlichen Arztes), die Gefallenen zu betrauern (in der Regel unter Anleitung eines ebenfalls männlichen Priesters) und als Gebärerin von Söhnen die Kriegsverluste in der nächsten Generation wieder auszugleichen. Im Deutschland des 19. Jahrhunderts wurde die angebliche Unfähigkeit der Frauen, als Soldatin ihren Staat zu schützen, darüber hinaus zu dem Hauptargument konservativer Juristen und Politiker wie Robert Mohl und Heinrich von Treitschke, Frauen auch das Wahlrecht weiter vorzuenthalten.

Das Wahlrecht erhielten die Frauen 1919 dann doch. Bezüglich des Waffendienstes blieb selbst unter Geltung des Grundgesetzes alles beim Alten. Als 1956 die allgemeine Wehrpflicht für Männer wieder eingeführt wurde, schloss man Frauen über Art. 12 Abs. 3 S. 1 GG ausdrücklich von einer Dienstverpflichtung im Verband der Streitkräfte aus und verfügte zusätzlich in Satz 2: "Zu einem Dienst mit der Waffe dürfen sie in keinem Fall verwendet werden." 1968 wurde dann im Rahmen der Notstandsgesetze über Art. 12 a Abs. 4 S. 1 GG eine Möglichkeit geschaffen, im Verteidigungsfall Frauen zumindest zum Dienst im Sanitäts- und Heilwesen zu verpflichten. Danach folgte erneut der bis heute geltende Satz 2: "Sie dürfen auf keinen Fall Dienst mit der Waffe leisten"; gemeint als eine rein sprachlich bedingte Neuformulierung des bisherigen Ausschlusses.

Die Gründe hierfür wurden im Aus-schuss für Rechtswesen und Verfassungsrecht damals nur vage umrissen: Da war vom "Wesen als Frau" die Rede, dem ihr Status entsprechen müsse, oder von den funktionalen Unterschieden zwischen den Geschlechtern, die Männern die Waffen und Frauen die Babys zuordneten. Es wurde an die jungen Flakhelferinnen der NS-Zeit erinnert, wie sie bei Fliegerangriffen getötet oder im Fall von Ängstlichkeit (so genannte Feigheit vor dem Feind) auch kriegsgerichtlich verurteilt worden seien. Im Bundestagsplenum wurde neben "Natur und Bestimmung der Frau" auch noch an die militärischen Dienste erinnert, in die Frauen "jetzt noch jenseits der Zonengrenze hineingezwungen" würden. Es gab also eine assoziative Verbindung zwischen Frauen an der Waffe und faschistischen beziehungsweise kommunistisch-diktatorischen Regierungssystemen. Als Hauptlinie ist jedoch erkennbar, dass der deutsche Gesetzgeber 1956/1968 einem traditionellen und polarisierenden Geschlechterideal für Männer und Frauen gefolgt ist, das Frauen im Gegensatz zu Männern für den Kriegseinsatz mit der Waffe für ungeeignet hielt und sie darüber hinaus patriarchal schützend, aber auch bevormundend vor den Gefahren eines Kampfeinsatzes bewahren wollte.

Dabei wird ausgeblendet, dass Frauen auch als Zivilistinnen von kriegerischen Auseinandersetzungen betroffen waren und sind. Die Opfer unter der Zivilbevölkerung, derzeit begrifflich oft leichtfertig als "Kollateralschaden" abgetan, waren und sind in den meisten Kriegen immens hoch. Der moderne Krieg spart keine Bevölkerungsgruppe aus, mag man auch rechtlich den Kampf auf bestimmte Personen beschränken wollen. Die Vorstellung, dass Krieg nur an der Front stattfindet, ist längst überholt. Gerade heutigen Massenvernichtungsmitteln sind Zivilisten oft sogar schutzloser ausgesetzt als gut ausgerüstete Soldaten. Und Vergewaltigung der Frauen wird in manchen Kriegen sogar systematisch als "Waffe" zur Demoralisierung der gegnerischen Soldaten oder zur Vernichtung der reproduktiven Grundlagen eines Volkes eingesetzt. Insofern ist auch das Völkerrecht etwas unrealistisch und veraltet, wenn es sorgfältig nach unbeteiligter Zivilbevölkerung und Krieg führenden Soldaten, den so genannten Kombattanten, unterscheidet. Die Zivilbevölkerung wollen die Genfer Rotkreuz-Abkommen von 1949 vor militärischen Angriffen schützen. Die Kombattanten jedoch sind militärischen Angriffen voll ausgesetzt; wobei das Völkerrecht hier lediglich noch eine Art Fair Play des Tötens abzusichern sucht. Frauen dürfen nicht Kombattanten sein, weder aktiv noch passiv in kriegerische Auseinandersetzungen einbezogen werden, lautet bisher das herrschende Credo in deutscher Rechtsprechung und Lehre.

Soldatengesetz und Soldatenlaufbahnverordnung ließen Frauen dementsprechend bisher nur als Freiwillige zum Sanitäts- und Militärmusikdienst zu. Unter den zirka 190 000 Berufs- und Zeitsoldaten der Bundeswehr befinden sich derzeit deshalb nur 4512 Frauen, die meistens im Sanitätsdienst und 59 im Musikdienst, wobei im Kriegsfall auch hier Sanitätsdienst zu leisten wäre. Damit sind diese Soldatinnen bisher sämtlich keine Kombattanten im Sinne des Völkerkriegsrechts. An der Waffe werden sie zwar ausgebildet, aber nur zur Selbstverteidigung. Zusätzlich verrichten in der Bundeswehr allerdings noch knapp 50 000 Zivilistinnen Verwaltungsarbeit, die in Staaten ohne Frauenausschluss von Soldatinnen erledigt wird. Dieser Schutz vor dem Tötenmüssen und, zumindest der Idee nach, auch dem Getötetwerden durch Ausschluss vom Kombattantenstatus verschließt Frauen zugleich auch qualifizierte Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten sowie eine im Anschluss an den Militärdienst mögliche privilegierte Übernahme in den öffentlichen Dienst. Wenn man den Ausschlussgrund konsequent zu Ende denkt, ist Frauen damit auch der Zugang zum Amt eines Bundesministers für Verteidigung, seinem beamteten Staatssekretär und sogar die Wahl zum Bundeskanzler verwehrt. Denn diese Amtsinhaber können schon im Frieden Wachvorgesetzte bzw. nach Art. 115 b GG im Verteidigungsfall oberster Befehlshaber von Soldaten und damit Kombattanten werden. Jetzt muss der Zugang zu den Streitkräften europarechtskonform umgestaltet werden. Die anders lautende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1999, welche den Ausschluss der Frauen vom Dienst mit der Waffe für nicht nur grundgesetzkonform, sondern auch EU-rechtskonform hielt, ist damit schon wieder Makulatur. Frauen werden in Zukunft auch Zugang zu bewaffneten Einheiten erhalten müssen. In den meisten Nato-Staaten werden Frauen heute bereits mit nur geringen Einschränkungen zum Waffendienst zugelassen, zuletzt 1999 auch in Italien. Polen hat dieselben Restriktionen wie Deutschland. Nur Luxemburg schließt Frauen noch vollständig vom Militär aus. Selbst in Österreich und der ansonsten als konservativ geltenden Schweiz können Frauen freiwillig Waffen-dienst leisten.

2. Wie weit soll die Öffnung gehen?

Diese Frage bleibt auch nach dem jüngsten Urteil des EuGH offen. Denn erscheint das Geschlecht "Mann" als unerlässliche Voraussetzung einer bestimmten militärischen Tätigkeit, dürfen Frauen auch nach der EU-Gleichbehandlungsrichtlinie weiterhin ausgeschlossen bleiben. Allerdings sind militärische Funktionen, in denen Frauen qua Geschlecht völlig undenkbar sind, bei strenger Betrachtung nicht begründbar. Der EuGH hielt diese Frage für heikel, denn immerhin war bis zuletzt umstritten, ob das Militär überhaupt den Vorgaben der wirtschaftspolitisch ausgerichteten EU-Verträge unterliegt. Er hat deswegen Flexibilitäten eingebaut, die nationale Besonderheiten berücksichtigen und damit Widerstände abfedern können. Sein Urteil wendet sich ausdrücklich nur gegen einen "unverhältnismäßigen" Ausschluss der Frauen aus dem Militär und belässt dem nationalen Gesetzgeber ein Ermessen bei der Bestimmung der ausgeschlossenen Militärbereiche. Die Staaten sind nach dem EuGH lediglich verpflichtet, die Ausnahmevorschrift der Gleichbehandlungsrichtlinie eng auszulegen sowie in regelmäßigen Abständen zu überprüfen, ob der Ausschluss von Frauen angesichts der weiteren sozialen Entwicklung noch gerechtfertigt ist oder aber beendet werden muss.

In zwei älteren Entscheidungen hat der EuGH bereits illustriert, wann Waffendienst vorerst auf Männer beschränkt bleiben kann: Im Fall Johnston stellte er 1986 als Ausgangspunkt klar: Männer und Frauen seien vom Gesetzgeber vor gleichen Gefahren gleich zu schützen. Ein bevormundender Sonderschutz der Frauen diskriminiere diese. Im Ergebnis allerdings billigte der EuGH damals angesichts der besonderen Umstände der dortigen Bürgerkriegssituation dennoch den Ausschluss der Frauen aus den Polizeieinheiten Nordirlands, die entgegen sonstiger britischer Tradition bewaffnet worden waren. Im Fall Sirdar ging es 1999 um eine britische Köchin und ihre Aufnahme in die Royal Marines. Diese Spezialeinheit der britischen Marineinfanterie dient als Eingreiftruppe an vorderster Front. Zur Gewährleitung ihrer "Kampfkraft" wurde die Regel der so genannten "allseitigen Verwendbarkeit" aufgestellt und Frauen von diesem Truppenteil vollständig ausgeschlossen. Nach Ansicht des EuGH unterscheidet sich diese Einheit zu Recht grundlegend von den übrigen Einheiten der britischen Streitkräfte, deren "Speerspitze" sie bilde. Es handele sich um eine Truppe von geringer Personalstärke, von der fest stehe, dass auch die Köche tatsächlich mitkämpfen müssten. Eine Köchin mochte sich der EuGH hier prinzipiell nicht vorstellen. Auch in anderen Nato-Staaten werden Kampfschwimmer oder ähnliche Nahkampftrupps, Besatzungen von U-Booten oder Jagdflugzeug-Piloten bisher als eine letzte Insel kriegerischer Männlichkeit bewahrt.

Warum eigentlich? Wieso gefährdet eine schießende, immer einsatzbereite Köchin die Kampfpotenz einer kleinen männlichen "Speerspitze"? Geht es hier um eine letzte Bastion hegemonialer Männlichkeit, die eben nur schrittweise aufgegeben werden kann? Neuerdings wird in juristischen Fachzeitschriften zur Rechtfertigung verwiesen auf staatliche Schutzpflichten "gegenüber einem noch unerkannten nasciturus, der mit seiner Mutter im befohlenen Kampfeinsatz einer Todes- oder Verletzungsgefahr ausgesetzt würde", eindeutig eine Überdehnung des Schutzpflichtkonzepts des BVerfG (Bundesverfassungsgericht), welches bereits beim erkannten nasciturus eine höchst problematische verfassungsrechtliche Konstruktion darstellt. Der EuGH selber bleibt jede weitere Begründung schuldig. Aufschlussreicher sind die Ausführungen des Generalanwalts Antonio La Pergola in den Verfahren Sirdar und Kreil. Dieser mochte nämlich nicht ausschließen, "dass sich die Zulassung von Frauen negativ auf die Moral und den Zusammenhalt der Soldaten in den Kommandoeinheiten auswirken und so die Kampfkraft dieser Einheiten und damit letztlich die Verteidigung ( . . . ) beeinträchtigen könnte".

Wie ist das zu verstehen? Mischt eine schieß- und kochbereite Frau allzu leicht eine kleine Männertruppe auf? Wohl kaum. Kann man Männer nicht in einer Kleingruppe allein mit einer Frau lassen, ohne dass die männliche "Speerspitze" abirrt, es Aggressionen gegen die Frau oder Spannungen zwischen den Männern gibt? Schon eher denkbar. Dieses Problem ist als Mobbing der Frauen in Polizei und Militär sowohl aus den USA als auch aus Deutschland hinlänglich bekannt, aber kein Problem nur bestimmter Kampftruppen. Es muss also auch nicht durch einen partiellen Ausschluss der Frauen, sondern durch eine Umstrukturierung der Armee und Veränderung männlicher Verhaltensweisen gelöst werden.

Letztlich geht es bei "Moral" und "Zusammenhalt" im Sinne Pergolas um den Erhalt eines spezifisch männerbündischen Moments, einen in reinen Männerkulturen auftretenden Gruppenzusammenhalt, der ein besonderes Machtpotenzial erzeugt. Dieses organisationssoziologisch und nicht etwa durch natürliche männliche Aggressivität zu erzeugende besondere Potenzial soll militärisch genutzt werden. Es ist als extrem hohes Aggressionspotenzial auch außerhalb des Militärs alltäglich zu beobachten, so bei Sportmannschaften, vor allem aber Fußball-fan-Gruppen, Rockern, Skins und Rechtsradikalen. Das sind die "Waffen", deren Einsatz zumindest in vorderster Front weiter gesichert werden soll. Eben die Klimaentspannung, die durch den Eintritt von Frauen in Männerdomänen im sonstigen Berufsleben so oft registriert wird, ist bei den besonderen Kampfeinheiten nicht gewünscht. Der General der französischen Fremdenlegion, Christian Piquemal, bringt diesen Sachverhalt noch deutlicher als La Pergola auf den Punkt: "Frauen sind mit der Natur der Legion nicht zu vereinbaren ( . . . ) Die Legion beruht auf dem Prinzip des Zusammenhalts und der Kameradschaft zwischen Männern. Frauen wären das Ende der Legion." Und gerade deshalb sollten Frauen, meiner Ansicht nach, auch hier zugelassen werden. Der Einsatz maskuliner Gruppenaggressivität bildet ein besonders barbarisches Relikt moderner Kriegsführung, welches die Grenzen des Kriegsvölkerrechts erfahrungsgemäß immer wieder zu sprengen droht.

3. Allgemeine Wehrpflicht auch für Frauen?

Im Zusammenhang mit der Einführung des freiwilligen Waffendienstes für Frauen dürfte von interessierter Seite sofort problematisiert werden, ob Frauen dann nicht auch in die allgemeine Wehrpflicht ebenso wie Männer einzubeziehen seien. Wenn ein Ausschluss der Frauen vom freiwilligen Dienst mit der Waffe geschlechtsdiskriminierend war, könnte dasselbe nicht auch für Männer gegenüber einer reinen Männer-Wehrpflicht gelten? Nachwuchsmangel bei der Bundeswehr, vor allem aber Lücken beim Ersatzdienst, wenn der Wehrdienst weiter verkürzt wird, lassen hier neue, ganz praktisch motivierte Begehrlichkeiten in Richtung der Frauen wachsen. Ausweichen könnte man dieser Diskussion nur, wenn in Deutschland wie schon in vielen anderen Nato-Staaten zu einer reinen Berufsarmee übergegangen würde. Hierfür scheinen derzeit jedoch die politischen Mehrheiten zu fehlen.

Das BVerfG hat 1960 allerdings Zweifel daran geäußert, ob die Wehrpflicht überhaupt eine Benachteiligung darstellen könne. Das ist befremdlich. Wehrpflicht bedeutet für Männer eine Einschränkung ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG), ihrer Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und, wegen der Gefahr, bei einem tatsächlichen Kriegseinsatz verletzt oder getötet zu werden, auch ihres Rechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG). Wer nicht zum Militär muss, kann seine persönliche und insbesondere seine berufliche Entwicklung zügiger in eine anderweitig gewünschte Richtung vorantreiben als jemand, der eingezogen wird. Frauen unterliegen diesen Einschränkungen und Belastungen nicht. Damit normiert Art. 12 a Abs. 1 GG in Abweichung von den grundgesetzlichen Gleichbehandlungsgeboten tatsächlich eine Ungleichbehandlung von Männern und Frauen, die an das Geschlecht anknüpft und Männer benachteiligt.

Aber meiner Ansicht nach lässt sich die Herausnahme der Frauen aus der Wehrpflicht derzeit noch rechtfertigen, allerdings nicht mit der Friedfertigkeit oder Schutzlosigkeit oder einer sonstigen angeblichen "Natur" der Frau. Unverkennbar ist jedoch, dass die Frau, auch ohne dass es ihrer "Natur" entspräche, heute noch den Löwenanteil aller unbezahlten Reproduktionsarbeit leistet. So sind Hausarbeit und Kinderbetreuung noch immer Frauendomänen. Insbesondere der Anteil der Väter am Erziehungsurlaub stagniert seit dessen Einführung vor 25 Jahren bei unter zwei Prozent. Wenn Frauen mit Kleinkindern erwerbstätig sind, betreuen in der Regel nicht die Väter, sondern die Großmütter deren Kinder. Und ein Umschwung auf Seiten der Männer als Gruppe ist noch lange nicht in Sicht. Auch mehr als zwei Drittel aller Pflegearbeit in deutschen Privathaushalten wird von Frauen erbracht. Von gleichen Lebens- chancen sind Frauen und Männer also trotz aller Gleichberechtigungs- und Partnerschaftsrhetorik im privaten Lebensbereich noch weit entfernt.

Angesichts dieser gesellschaftlichen Ungleichheit hat der Kompensationsansatz noch immer Berechtigung, den das BVerfG 1987 im Zusammenhang mit dem vorgezogenen Altersruhegeld zu Gunsten der Frauen entwickelt hat. Der Gesetzgeber ist gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG befugt, zum Ausgleich nicht nur biologisch bedingter, sondern auch struktureller Frauendiskriminierung bei passender Gelegenheit einen sozialstaatlich motivierten typisierenden Ausgleich von Nachteilen anzuordnen. Durch ihre private Pflege-, Sorge- und Betreuungsarbeit verlieren die Frauen im Laufe ihres Lebens viel Zeit, die ihnen für eigene berufliche Entwicklung, aber auch politische Betätigung oder künstlerisches Schaffen nicht zur Verfügung steht. Die Freistellung von der Wehrpflicht ist ein geeigneter Weg, ihnen etwas von dieser Zeit durch die Gesellschaft zurückzugeben. Der lebensbiografische Zeitpunkt, in dem diese Begünstigung einsetzt, ist besonders günstig gewählt. Denn ohne Wehrpflicht können Frauen ihre berufliche Entwicklung im Anschluss an die Schul- und Ausbildungszeit zumindest dann bruchlos beginnen, wenn sie die Geburt eines ersten Kindes noch aufschieben.

Angesichts der wenigen Kompensationsmöglichkeiten, die es zu Gunsten von Frauen überhaupt gibt, und angesichts der zentralen Bedeutung, die ein zügiger Berufseinstieg für die künftige Erwerbsbiografie von Frauen wegen der gesellschaftlich bisher unzureichend gelösten Frage der Betreuungs- und Sorge-Arbeit hat, sollte der Gesetzgeber derzeit Frauen weiterhin von der Wehrpflicht freistellen und auch verfassungsrechtlich freistellen dürfen. Hier sollte wie schon bei der vorgezogegen Altersrente gelten, dass zum Ausgleich von geschlechtsrollenbedingten Nachteilen die Einräumung eines den Frauen gewährten, nicht allzu erheblichen Vorteils verfassungsrechtlich unbedenklich ist. Nicht allzu erheblich ist eine Freistellung vom Wehrdienst nicht nur, weil der Wehrdienst laufend verkürzt wurde und wird, sondern auch, weil die Männer es trotz Wehrdienst und schlechterer Schulabschlüsse derzeit noch immer schaffen, Frauen binnen kurzem im Beruf nach Einkommen und Status zu überflügeln.

4. Sieg des Feminismus - Niederlage des Pazifismus?

Wie auch immer die Veränderung von Wehrgesetzen und Verfassung im Einzelnen ausfallen wird, hat damit der Feminismus gesiegt und zugleich der Pazifismus eine Niederlage erlitten? Die Antwort sollte differenzierter ausfallen.

Frauen ist durch das Urteil des EuGH ein neues, zumindest in Teilen auch attraktives Berufsfeld geöffnet worden. Das alte Klischee von der friedfertigen und schwachen Frau wurde in einem weiteren gesellschaftlichen Bereich abgebaut und eine letzte Bastion hegemonialer Männlichkeit geschleift. Jetzt sind es in Deutschland nur noch Religionsgemeinschaften wie die katholische Kirche (und der Islam), die sich den Frauen weitestgehend verschließen. Insofern muss von einem Fortschritt die Rede sein. Die Öffnung der Bundeswehr ist allerdings mit einer Veränderung der Rechtslage erst begonnen, aber noch keineswegs vollzogen. Man wird deshalb angesichts ausländischer Erfahrungen sogleich auch über die Einführung von Strukturen nachdenken müssen, die eine interne Benachteiligung, insbesondere die sexuelle Belästigung von Frauen in der Bundeswehr, verhindern.

Dieser Fortschritt in Sachen Gleichstellung der Geschlechter würde allerdings wieder geschmälert, wenn der Preis dafür die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht auch für Frauen hier und jetzt wäre. Langfristig wird diese Konsequenz zwar unausweichlich, solange es keine Berufsarmee gibt. Kurzfristig allerdings wäre diese Entwicklung für Frauen fatal, da die sonstigen gesellschaftlichen Benachteiligungen für Frauen im Berufsleben andauern und jetzt noch eine neue Belastung hinzukäme.

Andererseits ist der bewaffnete Militärdienst kein Beruf wie jeder andere. Er ist mit der Berechtigung verbunden, im Ernstfall ohne Notwehr auf Befehl zu töten. Frauen werden jetzt in diesen Bereich einsteigen, wie sie es in den meisten Nato-Staaten schon länger tun, nicht in Massen, aber doch erkennbar. Auch bei dem insoweit fortgeschrittensten Nato-Mitglied, den USA, liegt der Frauenanteil in den Streitkräften heute noch bei nur 14 Prozent. In Süditalien allerdings, wo derzeit große Arbeitslosigkeit herrscht, machen Bewerbungen von Frauen ein halbes Jahr nach ihrer Zulassung zum Militär bereits 60 Prozent aller Bewerbungen bei der Militärakademie der Marine aus. In Norditalien sind es bei besserer Arbeitsmarktlage nur zehn Prozent. Die weitere Entwicklung im Militärbereich ist also auch abhängig von der allgemeinen Arbeitsmarktentwicklung. Die derzeitigen Nachwuchsprobleme der Bundeswehr wird der zukünftige Fraueneinsatz jedenfalls abmildern. Insofern mag aus der Sicht derjenigen, die für eine völlige Abschaffung der Bundeswehr eintreten, von einem Rückschlag gesprochen werden.

Frauen war ihr "Pazifismus", verstanden als militärische Enthaltsamkeit, bisher allerdings wegen ihres Geschlechts grundgesetzlich verordnet. Erst jetzt wird Pazifismus und Absehen vom Kriegsdienst dem politisch-ethischen Beurteilungsvermögen jeder einzelnen Frau überantwortet. Dadurch wird ihre persönliche Entscheidung vielfach überhaupt erst gesellschaftlich sichtbar und ernst zu nehmen. Dieser Schritt zu mehr staatsbürgerlicher Autonomie und Verantwortung der Frauen ist begrüßenswert sowohl aus feministischer als auch aus pazifistischer Perspektive.

Darüber hinaus dürfte die Integration der Frauen in die Bundeswehr, ob nun als Freiwillige oder sogar als Dienstverpflichtete, auf jeden Fall dazu führen, dass die Bundeswehr die Pluralität der heutigen Gesellschaft besser widerspiegelt als bisher. Damit hat sich die Chance für ihre demokratische Öffnung und gesellschaftliche Integration in den Rest der Gesellschaft verbessert. Auch das bedeutet einen uneingeschränkten gesellschaftlichen Fortschritt.

Aus: Frankfurter Rundschau, 14.06.2000

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