EU-Beratung intransparent
Attac-Beirat fordert breite öffentliche Debatte über Begleitgesetz
Von Ines Wallrodt *
Attac nahe stehende Wissenschaftler haben das Schnellverfahren zur
Verabschiedung des EU-Begleitgesetzes kritisiert. Wie zur Bestätigung
lauteten die Meldungen des Tages, eine »weitgehende Einigung« sei
erzielt. Worin diese genau besteht, ist unbekannt. Die Öffentlichkeit
kann sich in der Deutung einzelner Statements üben.
Der Wissenschaftliche Beirat von Attac hat die Beratungen des
EU-Begleitgesetzes als »undemokratisch und intransparent« kritisiert.
Statt nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts eine breite,
öffentliche Debatte über dessen Inhalte einzuleiten, »laufen die
Verhandlungen derzeit hinter verschlossenen Türen«, bemängelte der
Kreis, dem 117 Professoren und Wissenschaftler angehören, gestern in
einer Stellungnahme.
Am Montag (17. Aug.) verhandelten die Bundestagsfraktionen sowie Bund und Länder
zum dritten Mal informell über das geforderte neue Begleitgesetz zum
Lissabon-Vertrag, das die Mitwirkungsrechte von Bundestag und Bundesrat
in der EU-Politik stärken soll. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla ging
von einem »insgesamt positiven Abschluss« aus. Der Gesetzentwurf soll
nach den Worten des parlamentarischen Geschäftsführers der
Unionsfraktion, Norbert Röttgen, von den Regierungsfraktionen sowie von
Grünen und FDP zusammen eingebracht werden.
Zentrale Ansprüche der CSU sind offenbar vom Tisch. So sei laut Röttgen
die Forderung, den Lissabon-Vertrag verbindlich nach den Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichts zu interpretieren, »nicht Stand der
Konsensbildung«. Und das Verlangen, die Regierung durch ein
Parlamentsvotum rechtlich zu binden, sei »nicht mehr vertreten worden«.
Kritiker wie Attac entnehmen dem, dass die Mehrheit der Fraktionen nicht
gewillt sei, die Mitspracherechte ernsthaft zu stärken. Für ein
künftiges Europagesetz fordert der wissenschaftliche Beirat
Volksabstimmungen, verbindliche Verhandlungsmandate für die
Bundesregierung sowie Informationsrechte des Bundestags, insbesondere
über die Diskussionen in den Ratsarbeitsgruppen sowie im Politischen und
Sicherheitspolitischen Komitee. Darüber hinaus fordert er
völkerrechtliche Vorbehalte geltend zu machen: Zur Entscheidung über
Auslandseinsätze der Bundeswehr und zum Vorrang sozialer Grundrechte vor
den Kapital-, Waren- und Dienstleistungsfreiheiten.
Wer mit dem Begleitgesetz nicht einverstanden ist, hat angesichts des
Zeitplans jedoch schlechte Karten. Am 26. August soll das abgestimmte
Gesetz in den Bundestag eingebracht werden. Dann bleiben noch zwei
Wochen bis zur planmäßigen Beschlussfassung.
* Aus: Neues Deutschland, 18. August 2009
Schweinsgalopp für EU
Von Rüdiger Göbel **
Ganz große Koalition im Bundestag: Die Regierungsfraktionen CDU/CSU und
SPD sowie FDP und Grüne wollen offensichtlich einen gemeinsamen Entwurf
zum sogenannten EU-Begleitgesetz ins Parlament einbringen. Am Montag
berieten sie über die vom Bundesverfassungsgericht geforderten
Regelungen zum Lissabon-Vertrag der Europäischen Union. Man sei sich
weitgehend einig, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der
Unionsfraktion, Norbert Röttgen (CDU), in Berlin im Anschluß. Für den
26. August ist in einer Sondersitzung des Bundestages die erste Lesung
geplant, am 8. September soll das Gesetz im Parlament durchgewinkt
werden. Der europapolitische Sprecher der Linksfraktion, Diether Dehm,
sprach von einem »Schweinsgalopp« und drohte, eine »Sponti-Aktion zur
Beeinflussung der irischen Bevölkerung kann einen neuen Gang nach
Karlsruhe bewirken«. Hintergrund: Die deutsche Ratifikationsurkunde für
den Lissabon-Vertrag soll vor dem Referendum in Irland Anfang Oktober
hinterlegt werden und zur Unterstützung der Befürworter beitragen. Im
Juni 2008 war das Vertragswerk auf der Grünen Insel in einer ersten
Volksabstimmung durchgefallen.
Die Linke und mehrere andere Kläger wie der CSU-Abgeordnete Peter
Gauweiler hatten beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde gegen den
Lissabon-Vertrag eingelegt. Die Richter erklärten diesen in ihrem Urteil
vom 30. Juni an sich zwar für verfassungsgemäß, sie verlangten aber
Änderungen am deutschen Begleitgesetz, darunter erweiterte
Mitbestimmungsrechte für Bundestag und Bundesrat. Aus den bisherigen
Verlautbarungen zeichnet sich ab, daß die Mehrheit der Fraktionen nicht
gewillt ist, eben diese ernsthaft zu stärken. So soll die
Bundesregierung nicht rechtlich an Entschließungen des Bundestages
gebunden werden. Laut Röttgen müsse die Bundesregierung in Brüssel
»uneingeschränkt verhandlungsfähig« sein. Der CSU-Politiker Hartmut
Koschyk betonte im Bayerischen Rundfunk, die »Flexibilität« der
Bundesregierung bleibe erhalten.
ATTAC forderte am Montag (17. Aug.) »eine breite öffentliche Debatte über die
Inhalte des Begleitgesetzes« und benannte zentrale Kriterien für ein
künftiges Europagesetz. Das globalisierungskritische Netzwerk
kritisierte die laufenden Blitzverhandlungen hinter verschlossenen Türen
als »undemokratisch und intransparent«. Ein künftiges Europagesetz müsse
gewährleisten, daß bei EU-Vertragsänderungen Volksabstimmungen
stattfinden können. Im Gegensatz zu den Plänen von CDU/CSU, SPD, FDP und
Grünen fordert ATTAC zudem eine »umfassende Stärkung der Rechte der
Parlamente«: »Der Bundestag muß in allen Belangen die Position der
Bundesregierung im Rat frühzeitig festlegen können.« Dies müsse auch für
die sogenannten Missionen der Europäischen Sicherheits- und
Verteidigungspolitik -- sprich EU-Polizei- und Militäreinsätze -- gelten.
Und: »Es bedarf eines völkerrechtlichen Vorbehalts durch die
Bundesregierung, in dem klargestellt wird, daß auch künftig der
Parlamentsvorbehalt für Auslandseinsätze der Bundeswehr und das Verbot
des Angriffskrieges (Artikel 26 Grundgesetz) gelten.« Leider verkennt
ATTAC dabei, daß das Gros der Bundestagsabgeordneten bisher alle
Kriegseinsätze abgenickt und damit in keinem Fall gegen die Politik von
Bundesregierung, EU und NATO opponiert hat. Spannend bleibt in jedem
Fall die Frage, ob die Abgeordneten der Linksfraktion das
EU-Begleitgesetz im Bundestag ablehnen oder sich nur der Stimme enthalten.
** Aus: junge Welt, 18. August 2009
Wissenschaftlicher Beirat von Attac:
Erklärung zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts über das
Begleitgesetz zum Lissabon-Vertrag
Es ist zu begrüßen, dass das Bundesverfassungsgericht ein grundlegend
neues Begleitgesetz zum EU-Vertrag von Lissabon fordert. Im Urteil vom
30. 06. 2009 finden sich viele Anknüpfungspunkte für eine Verbesserung
der demokratischen Partizipation nationaler und regionaler Parlamente an
den Entscheidungen auf EU-Ebene. Es wäre noch mehr zu begrüßen, wenn das
Urteil zum Anlass genommen würde, eine breite, öffentlich geführte
Debatte über die Inhalte eines Begleitgesetzes zum Lissabon-Vertrag
einzuleiten, um die Bürgerinnen und Bürger daran so intensiv wie möglich
zu beteiligen. Doch laufen die Verhandlungen zum Begleitgesetz zum
Vertrag von Lissabon derzeit hinter verschlossenen Türen. Es scheint,
als solle das Gesetz geradezu durchgepeitscht werden, um durch einen
frühzeitigen Abschluss in Bundestag und Bundesrat das Referendum in
Irland am 2. Oktober 2009 über den Vertrag von Lissabon, im Sinne der
Vertragsbefürworter, beeinflussen zu können. Wir halten ein solches
Verhalten für undemokratisch und intransparent und fordern eine
öffentliche Diskussion, die sich nicht auf das Abnicken von
Gesetzesvorlagen der Bundesregierung durch die Mitglieder des
Bundestages beschränkt.
Vor diesem Hintergrund möchten wir in der Öffentlichkeit folgende
Forderungen für ein künftiges Europagesetz in die Diskussion einbringen;
dies sind Kernpunkte, die nicht nur in Deutschland, sondern europaweit
Gültigkeit beanspruchen:
-
Es muss gewährleistet werden, dass bei EU-Vertragsänderungen dazu in
Deutschland, wie in anderen EU-Mitgliedsländern auch, Volksabstimmungen
stattfinden können.
-
Es bedarf einer umfassenden Stärkung der Rechte der Parlamente, in
Deutschland des Bundestages. Der Bundestag muss in allen Belangen die
Position der Bundesregierung im Rat frühzeitig festlegen können. In
anderen Ländern sind ähnlich Regelungen vorzusehen. Dies muss
selbstverständlich auch für alle so genannten Missionen der Europäischen
Sicherheits- und Verteidigungspolitik sprich EU-Polizei- und
Militäreinsätze gelten.
-
Es bedarf dazu auch einer umfassenden Stärkung der Informationsrechte
der Parlamente und daher auch des Bundestags, insbesondere indem Zugang
zu den Diskussionen in den Ratsarbeitsgruppen und im Politischen und
Sicherheitspolitischen Komitee gewährleistet wird. Es ist nicht
hinnehmbar, dass hinter verschlossenen Türen auf Beamtenebene Tatsachen
geschaffen werden, ohne dass die Öffentlichkeit überhaupt davon erfährt.
-
Es bedarf eines völkerrechtlichen Vorbehalts durch die Bundesregierung,
in dem klar gestellt wird, dass auch künftig der Parlamentsvorbehalt für
Auslandseinsätze der Bundeswehr und das Verbot des Angriffskrieges (Art.
26 GG) gelten.
-
Es bedarf eines völkerrechtlichen Vorbehalts durch die Bundesregierung,
in dem klar gestellt wird, dass das Sozialstaatsprinzip gilt und damit
der Vorrang sozialer Grundrechte im Rahmen des Europäischen
Sozialmodells vor den Kapital-, Waren-; und Dienstleistungsfreiheiten
gewährleistet werden kann.
Wir wissen, dass ein NEIN zum Lissabon-Vertrag auch aus
nationalistischen, europafeindlichen Motiven erfolgen kann. Wir wissen
auch, dass ein JA zum Lissabon- Vertrag sehr verschieden, ja
gegensätzlich motiviert sein kann.
Die progressive NEIN-Kampagne in Irland verdient unsere Unterstützung,
weil sie von der Absicht getragen ist, eine EU deregulierter Märkte, des
Sozialabbaus und der militärischen Interventionen zu verhindern und eine
demokratische, soziale, friedliche und ökologisch nachhaltige EU zu
errichten.
Berlin / Frankfurt/Main, den 17.08.2009
Quelle: Website von Attac Deutschland, www.attac.de
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