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Attac Europa fordert neues Fundament für die Europäische Union

"Zehn Prinzipien für einen demokratischen EU-Vertrag" präsentiert

Anlässlich des 50. Jahrestags der Gründung der Europäischen Union haben die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union am 25. März 2007 die "Berliner Erklärung" angenommen. In dem Dokument wird an die Errungenschaften der EWG/EG/EU erinnert. Gleichzeitig werden die künftigen Ziele und Herausforderungen der EU benannt: das europäische "Lebensmodell" zu stärken und global Verantwortung zu übernehmen.
Zwei Tage davor haben 16 europäische Attac-Sektionen ein EU-kritisches Papier veröffentlicht, in dem demokratische, soziale und friedenspolitische Alternativen formuliert wurden. Das Papier kann auch als Baustein für eine alternative EU-Verfassung anstelle des bislang gescheiterten Verfassungsvertrags angesehen werden.
Im Folgenden dokumentieren wir die Presseerklärung von Attac. Die Langfassung der "10 Prinzipien" haben wir an anderer Stelle dokumentiert: "Zehn Prinzipien für einen demokratischen EU-Vertrag".



Berlin 22.03.2007 - Attac Europa fordert ein neues vertragliches Fundament für die Europäische Union. Attac-Vertreter aus Frankreich, Polen und Deutschland haben am Donnerstag in Berlin "Zehn Prinzipien für einen demokratischen EU-Vertrag" präsentiert. Das sechsseitige Papier ist von den 16 europäischen Attac-Sektionen gemeinsam verfasst worden. Damit hat erstmals eine progressive politische Organisation länderübergreifend Alternativen zum gescheiterten Verfassungsvertrag vorgelegt.

"Der derzeitige europäische Integrationsprozess ist die größte Gefährdung für Europa", sagte Sven Giegold vom Koordinierungskreis von Attac Deutschland. Die Menschen seien nicht gegen Europa oder eine gemeinsame Verfassung. "Aber sie erwarten, dass die EU ihre sozialen und ökologischen Rechte schützt, statt sie zu demontieren". Attac stehe der europäischen Integration und ihrem Gründungsversprechen von Frieden, Wohlstand und sozialer Sicherheit grundsätzlich positiv gegenüber. Dieses Versprechen sei aber nur in einer demokratisch und sozial verfassten Union einzulösen, die der Bevölkerung breite Partizipationsmöglichkeiten biete.

Die Präsidentin von Attac Frankreich, Aurélie Trouvé, betonte: "Das Non der Franzosen zum EU-Verfassungsentwurf war kein Nein gegen Europa, sondern für ein anderes Europa." Notwendig sei eine breite soziale Bewegung auf europäischer Ebene. Es gelte, deutlich zu machen, dass es sich um ein europäisches Nein handle, und Alternativen zur derzeitigen neoliberalen Ausrichtung der EU zu erarbeiten. Die von Attac vorgelegten zehn Prinzipien seien ein wichtiger Schritt in diese Richtung. "Wir brauchen eine öffentliche Debatte über die Frage, in welchem Europa wir leben wollen", sagte Aurélie Trouvé. Die Erfahrung in Frankreich zeige, dass Referenda dafür ein notwendiger Anstoß sind.

"Für uns sind die zehn Prinzipien eine großartige Möglichkeit, eine kritische soziale und demokratische Position in die polnische Debatte über die EU einzubringen", sagte Maciej Konieczny vom Attac-Vorstand Polen. Derzeit gebe es in Polen keine ernsthafte öffentliche Diskussion über die wirtschaftliche, soziale und demokratische Gestaltung der EU. Im Fokus von Regierung und Opposition stünden innenpolitische Themen. "Die Europäische Union wird hauptsächlich als Schlachtfeld nationaler Interessen betrachtet", so der polnische Globalisierungskritiker. Die Regierungskoalition stelle Westeuropa immer wieder als Gefahr für traditionelle polnische Werte dar, während die schwache liberale Opposition eine unkritische Pro-EU-Position einnehme.

Attac Europa fordert:

1) Ein neuer Konvent muss demokratisch von den EU-BürgerInnen gewählt und ein neuer Vertrag durch Referenda in allen Mitgliedsstaaten legitimiert werden.

2) Das Europäische Parlament muss das Gesetzesvorschlags- und Mitentscheidungsrecht in allen Politikfeldern erhalten sowie das Recht, die Kommissionsmitglieder einzeln zu wählen und abzuwählen.

3) Alle Sitzungen und Arbeitsgruppen des Rates und der ständigen VertreterInnen müssen öffentlich sein. LobbyistInnen, Mitglieder des Parlaments sowie der Kommission müssen ihre Finanzierung offen legen.

4) Der Bevölkerung soll nicht nur ein Vorschlagsrecht für Gesetze und das Instrument des Volksbegehrens gegeben werden, sondern auch das Instrument des Volksentscheids.

5) Die fortschrittlichsten Grundrechte müssen einklagbar verankert werden. Die EU muss der Europäischen Menschenrechtskonvention beitreten.

6) Demokratische Errungenschaften müssen geschützt und ausgebaut werden. Umwelt-, Sozial- und Arbeitsstandards müssen in Kooperation erhöht werden.

7) Ein Vertrag darf kein bestimmtes Wirtschaftsmodell festlegen und muss auf allen Ebenen alternative Entscheidungen zulassen. Der "freie" Wettbewerb darf kein allem übergeordnetes Prinzip der EU sein.

8) Ein Vertrag muss Ziele, nicht deren Mittel definieren: Ökologische Nachhaltigkeit muss den Binnenmarktfreiheiten übergeordnet werden. In der Geldpolitik ist Vollbeschäftigung wichtiger als "Preisstabilität". In der Verkehrspolitik ist nachhaltige Mobilität wichtiger als Autobahnen. In der Agrarpolitik sind kleinbäuerliche Strukturen und gesunde Lebensmittel wichtiger als "Produktivitätssteigerung".

9) Das Steuer-, Sozial-, Lohn- und Umweltdumping muss in eine Aufwärtsspirale gewendet werden - durch ehrgeizige Mindeststandards, Korridore oder das Vorausgehen von Ländergruppen.

10) Ein Vertrag muss eine Friedens- statt Aufrüstungspflicht festschreiben.

Attac lädt alle Sektoren der Gesellschaft ein, an diesem Neugründungsprozess teilzunehmen. Präsentationen der "Zehn Prinzipien" folgen in weiteren europäischen Hauptstädten, unter anderem am 24. März in Paris.

Quelle: www.attac.de

Hier geht es zur vollständigen Version der "Zehn Prinzipien für einen demokratischen EU-Vertrag"


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