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EU-Gipfel: Nur so viel Europa, wie Deutschland will

Die Gefahr lauert weniger in Brüssel, sondern in Berlin, Paris und London

Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag
  • Merkel beschleunigt EU-Militarisierung
  • Merkel-Doktrin jetzt EU-Doktrin
  • Flüchtlinge werden militärisch bekämpft
  • Kampfdrohnen über die europäische Hintertür
Berlin/Kassel, 20. Dezember 2013 - Anlässlich des EU-Gipfels zur Verteidigungs-und Sicherheitspolitik in Brüssel am 19./20.12. 13 erklären die Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag in einer ersten Stellungnahme:

Die Beschlüsse des EU-Gipfels zur Militärpolitik bekräftigen die Militarisierungsabsichten der Friedensnobelpreisträgerin von 2012 insbesondere durch vier wesentliche Entscheidungen:

Erstens: Bundeskanzlerin Merkel reklamierte schon in ihrer Regierungserklärung vom vergangenen Mittwoch das Copyright auf ihre sog. Ertüchtigungsinitiative, die sie beim EU-Gipfel „eingebracht“ habe. Demnach sollen Länder und Regionalorganisationen außerhalb Europas durch Ausbildungshilfe und Waffenexport „ertüchtigt“ werden, im deutschen bzw. europäischen Interesse in militärischen Konflikten in ihrer Umgebung einzugreifen. Diese „Merkel-Doktrin“ hat sich der EU-Gipfel nun zu Eigen gemacht. In Ziffer 7 der beschlossenen Schlussfolgerungen“ heißt es: „Partnerländer und regionale Organisationen“ sollten durch die Bereitstellung von „Schulungen, Beratung, Ausrüstung“ in die Lage versetzt werden, „Krisen vorzubeugen oder sie zu bewältigen“. Mit anderen Worten: Tausche Waffen gegen Rohstoffe und Einfluss. Wir liefern die Waffen und ihr führt unsere Kriege.

Zweitens: Der Gipfel betont, dass die EU ihre militärische Krisenreaktionsfähigkeit verbessern muss. Dies meint die flexibel einsetzbaren EU-Battle-Groups. Die EU verfügt derzeit über je zwei etwa 1.500 Soldaten starke Kampfverbände, die als Speerspitze binnen einer Woche in den Krieg geschickt werden können. Zudem haben die Mitgliedstaaten der EU Kontingente aus Heer, Luftwaffe und Marine zur Verfügung gestellt, die eine bis zu 80.000 Soldaten starke Schnelle Eingreiftruppe bilden können. Als Kriegsmaterial stehen rund 100 Schiffe, darunter vier Flugzeugträger, fünf U-Boote, mindestens 17 Fregatten und zwei Korvetten sowie mindestens 400 Kampfflugzeuge bereit. Dass dieses Potenzial bisher noch keinem realen Einsatztest unterzogen wurde, liegt an der Unentschlossenheit der führenden EU-Staaten, die europäische Integration auch auf militärischem Gebiet voranzutreiben.

Drittens: Die Europäische Union wird ungeachtet der skandalösen Zustände im Mittelmeerraum ihre Flüchtlingsabwehrmaßnahmen weiter verstärken. Im Beschluss des Gipfels heißt es dazu, es sollten „Synergien zwischen den Akteuren der GSVP und des Bereichs Freiheit, Sicherheit und Recht“ hergestellt werden, um „Querschnittsfragen wie illegale Migration, organisierte Kriminalität und Terrorismus anzugehen“ (Ziffer 9). Außerdem werden „Drittstaaten und Regionen“ unterstützt, „um ihnen bei der Verbesserung des Grenzmanagements zu helfen“ – also auch hier eine Verlagerung der globalen Migrationsprobleme auf Drittstaaten.

Viertens: Im schwarz-roten Koalitionsvertrag legten die Union und SPD fest, dass sie „eine europäische Entwicklung für unbemannte Luftfahrzeuge voranbringen“ werden. Dass diese bewaffnet werden sollen, ist nicht ausgeschlossen. Die Tinte unter dem Vertrag war noch nicht trocken, da meldete schon der EU-Gipfel Vollzug: In den Jahren 2020 bis 2025 soll die Entwicklung abgeschlossen sein, die von der EU finanziert wird. Deutschland gehört der Eigentümer- und Nutzergemeinschaft an. Diese Kampfdrohnen der nächsten Generation sollen sich auch im zivilen Luftraum Europas bewegen können. Womit de Maizière bisher innenpolitisch scheiterte, soll nun also über die europäische Hintertür verwirklicht werden. So hält man der neuen Verteidigungsministerin frühen Ärger vom Leib.

Ansonsten erging sich der Europäische Rat in Kompromissformeln und Absichtserklärungen. Gemeinschaftsinitiativen bei der Rüstungsforschung und Rüstungsbeschaffung (Ausnahme: Drohnen) im Sinne des 2010 gefassten Beschlusses des „pooling and sharing“ werden weiterhin rar sein; eine EU-Armee ist ebenfalls nicht in Sicht. Aus friedenspolitischer Sicht wäre das eine gute Botschaft, wenn dem nicht die gefährliche Realität zunehmender Rüstung, Waffenexporte und Interventionsertüchtigung durch die führenden EU-Staaten entgegenstünde.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski (Kassel)
Lühr Henken (Berlin)


Dokumentiert:

Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik: Schlussfolgerungen des Europäischen Rates
Tagung vom 19./20. Dezember 2013. (Nummern 1-22 der Schlussfolgerungen) (pdf-Datei)




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