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Die Jungen empören sich zu Recht!

Globalisierungskritikerin Susan George über Sozialproteste und die Schuldenkrise in Europa


Susan George, Vorstandspräsidentin des Transnational Institutes in Amsterdam und Ehrenpräsidentin von Attac-Frankreich, kritisiert die fehlende Solidarität Deutschlands mit den Krisenländern in der EU. Die europaweite Empörung von unten kann die Politikwissenschaftlerin (geb. 1934) gut verstehen. Susanne Götze sprach für das "Neue Deutschland" (ND) mit der wohl bedeutendsten Globalisierungskritikerin auf der Europäischen Netzwerkakademie (ENA) in Freiburg.

ND: Überall in Europa gehen junge Leute angesichts von Sozialabbau auf die Straße, um zu protestieren. Haben die europäischen Regierungen ihr Vertrauen verspielt?

George: Das ist ganz klar: Die europäischen Politiker schaffen permanente Arbeitslosigkeit. Es sind nur wenige junge Leute – vor allem aus bürgerlichen Kreisen –, die es wirklich schaffen, ins System zu kommen. Ansonsten leiden die meisten darunter, aus Geldmangel nicht weiter studieren zu können oder keinen Job zu finden. In Spanien sind das über 20 Prozent, in Frankreich in Gegenden, in denen viele Immigranten leben, bis zu 45 Prozent. Es gibt viele dramatische Probleme in diesen Staaten wie eine mangelnde Bildungspolitik für Zugezogene oder ein schlechtes Schul- und Ausbildungssystem. Diese jungen Leute haben deshalb das Recht, sich gebührend zu empören!

Sie stehen also auf der Seite der neuen Bewegung der »Empörten«?

Aber sicher! Stéphane Hessel, ein guter Freund von mir, hat mit seinem Buch »Empört euch!« diese Bewegung ja mit angeregt, die nun in verschiedenen EU-Ländern Plätze besetzt und sich organisiert. Das Wort »Empörung« ist gut gewählt, denn es braucht immer zuerst die Wut, um sich zu engagieren. Außerdem kann jeder mit diesem Wort etwas anfangen, da jeder sich über irgendetwas ärgert. Das ist also ein gutes Mittel, Allianzen zu schmieden – denn in diesem Kontext macht es einfach keinen Sinn zu betonen, dass man Trotzkist, Maoist ist oder einer sonstigen Strömung angehört. Man muss sich nicht mit einer Ideologie identifizieren, um sich zu empören.

Die »Empörten« fordern vor allem eine »wirkliche Demokratie« in der EU.

Eine Demokratisierung der EU ist eine sehr große Herausforderung. Deshalb müssen wir mit den Mitteln anfangen, die wir haben – und diese gibt es meist auf nationaler Ebene. Auf europäischer Ebene ist das viel komplizierter – das haben wir ja beim letzten Versuch der Abstimmung der EU-Verfassung erleben müssen. Die Gefahr der sehr jungen Bewegung ist, dass viele davon ausgehen, alle Politiker seien gleich, sie hätten uns verraten oder bestohlen. Dieses Denken hilft aber nicht weiter, sondern nährt nur die rechten Kräfte. Wir müssen also weiterhin gewaltfrei demonstrieren, die Medien nutzen, um so an die Menschen heranzukommen.

Welche Mitbestimmung wollen Sie denn?

Die Beteiligung der Menschen muss über Referenden und Wahlen hinausgehen. Sie müssen auch das Recht haben, über die Verwendung ihrer Steuergelder zu entscheiden. Deshalb muss weiterhin gestreikt und vor den Parlamenten demonstriert werden – man braucht einen langen Atem. Dagegen hat es keinen Sinn, Molotowcocktails zu schmeißen oder zu randalieren wie in London. Damit bringt man nur die Bevölkerung gegen sich auf und schafft nichts dauerhaft Tragfähiges.

Die Politik rennt derweil nur den Ereignissen auf den Finanzmärkten hinterher ...

Ja, und alles, was sie gerade tun, wird die Krise nur verschlimmern. Hier und da versucht man die Waldbrände mit Wassereimern zu löschen – was wir brauchen, sind aber Millionen Liter. Die ganze Sache gerät völlig außer Kontrolle.

Deutschland geht es allerdings derzeit noch sehr gut – wie ist das zu erklären?

Deutschland glaubt, dass dies so ist. Wir brauchen aber eine ehrliche Diskussion mit unseren deutschen Freunden. Denn Deutschland hat Griechenland lange auf Hilfe warten lassen und das hat das Problem enorm verschärft. Finanzminister Schäuble hat es gewusst und aus politischen Gründen gezögert. Es ist sehr einfach zu sagen, dass Deutsche arbeiten und die Griechen nur tanzen und feiern. Aber es gibt wirkliche Gründe für die griechischen Staatsschulden. Einer davon ist, dass die reichen Griechen und die Kirche so gut wie keine Steuern zahlen.

Die deutsche Regierung hat sich nicht sehr beliebt gemacht ...

Verständlicherweise, denn dieses Verhalten ist schlicht dumm. Im Euroraum hängen alle voneinander ab. Und vor allem Deutschland profitiert mit seiner Exportwirtschaft extrem vom schwachen Euro. Hätte Deutschland die Griechen nicht unterstützt, dann hätte das den Euro gefährdet und der deutschen Wirtschaft massiv geschadet. Würde Deutschland zur D-Mark zurückkehren, dann wäre eine solche Exportwirtschaft nicht mehr möglich, da eine hoch bewertete Währung die Exporte verteuert.

Sollte man den Euro denn aus dieser Krise retten?

Wir müssen den Euro retten, sonst vereinfachen wir nur das Spiel der Spekulanten. Eine Währung in die Pleite zu treiben, war ja ihr größter »Sport« in den 1990er Jahren. Aber wenn wir den Euro retten, dann müssen wir das Währungssystem besser machen und Spekulationen zukünftig verhindern. Churchill hat einst gesagt: Die Amerikaner machen immer dann das Richtige, wenn alle anderen Möglichkeiten fehlgeschlagen sind. Ich finde, das trifft mittlerweile auch auf die EU zu. Ich hoffe nur, dass es nicht zu spät sein wird.

Wenn es schon auf politischer EU-Ebene keine Solidarität gibt – wie schätzen Sie das in der Zivilgesellschaft ein?

In den linken Kreisen, in denen ich mich bewege, gibt es Solidarität und vor allem eine Bewegung, die sich immer besser europäisch vernetzt – die Attac-Akademie ist nur ein Beispiel. Es gibt schon einige Netzwerke, die europaweit funktionieren. Aber wir sind die Pioniere und fangen erst an.

* Aus: Neues Deutschland, 13. August 2011


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