Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Wir hätten sehr viel schärfer rangehen müssen"

Wahlkampf der Linkspartei war nicht offensiv genug. Europa-Themen waren ungenügend präsent. Ein Gespräch mit Tobias Pflüger

Tobias Pflüger ist Europaabgeordneter der Linkspartei. Noch: bei der Europawahl am Wochenende bekam er nicht genügend Stimmen für den Wiedereinzug ins Parlament.



Sie haben als linker Linkspartei-Kandidat den Wiedereinzug ins EU-Parlament verpaßt - sollen wir Ihnen jetzt unsere Anteilnahme aussprechen? Oder vielleicht sogar gratulieren?

Politisch ist das Ergebnis der Linken sicher eine Katastrophe. In politischer Hinsicht dürfen Sie mir also ruhig kondolieren.

Und in privater Hinsicht?

Naja, es gibt schönere Dinge als in einem Parlament zu arbeiten, es macht durchaus Spaß, im Leben immer mal etwas anderes zu machen.

Und was?

(lacht) Ich weiß es noch nicht ...

Wie beurteilen Sie die Zusammensetzung der neuen Linksparteitruppe?

Es sind jetzt acht Abgeordnete gewählt, einer mehr als bei der letzten Wahl im Jahre 2004. Sie stehen vor der Aufgabe, daß das recht ordentliche Programm, das die Partei zur Europawahl hatte, auch umgesetzt wird. Und ich hoffe, daß unsere künftigen Abgeordneten ein klares Signal gegen den Rechtstrend setzen. Außerdem stehen demnächst eine Reihe wichtiger Fragen auf der Tagesordnung des Parlaments - da geht es um Außen-, Friedens- und Flüchtlingspolitik.

Nach meiner Rechnung gibt es unter den acht neuen Abgeordneten nur zwei, die klare linke Positionen haben: Sabine Wils und Sabine Lösing. Es ist sehr gut, daß diese beiden Frauen gewählt wurden, ich erwarte von ihnen eine Reihe von guten politischen Initiativen.

Von Europaabgeordneten der Linkspartei ist man ja so einiges gewohnt. Da wurde mal einer kubafeindlichen Resolution zugestimmt, mal mit einer CIA-gesponserten Terrorgruppe gekungelt - um nur einige bizarre Beispiele zu erwähnen. Müssen wir mit solchen Überraschungen auch künftig rechnen?

Das glaube ich nicht. Im Verhältnis zur vorherigen Linkspartei-Delegation ist das jetzt doch ein enormer Qualitätssprung nach oben. Vor allem weil solche Abgeordneten wie André Brie und Sylvia-Yvonne Kaufmann nicht mehr dabei sind.

Beide haben ja kurz vor der Wahl noch einmal alles getan, um gegen Die Linke zu agieren: Die eine tritt zur SPD über, der andere polemisiert im Spiegel gegen unseren Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine. Bei der jetzt gewählten Delegation bin ich mir ziemlich sicher, daß uns solche Ausreißer erspart bleiben.

Das Wahlziel »10 + x« war wohl nix. Es kann doch nicht nur an der geringen Wahlbeteiligung gelegen haben, daß Ihre Partei nur 7,5 Prozent bekommen hat.

Im Wahlkampf ist es leider nicht deutlich geworden, wie sich die Politik der EU im Sozialbereich für jeden einzelnen Bürger auswirkt. Es ist auch nicht gelungen, herauszustellen, daß die Umsetzung des Lissabon-Vertrages die EU als Institution grundlegend verändern würde. Auch das Thema »Krieg und Frieden« ist nach meinem Geschmack zu unterbelichtet geblieben.

Also falsche Wahlkampfführung? Die Plakate der Linkspartei machten ja durchweg einen recht biederen Eindruck.

Die Plakate waren ganz in Ordnung - sie waren jedenfalls nicht kontraproduktiv. Ihnen hätte aber mehr Offensivpotential wohlgetan. Europapolitische Themen hätten eine viel größere Rolle spielen müssen.

Natürlich darf man auch nicht den Einfluß der bürgerlichen Medien geringschätzen. Journalisten wollten von mir immer wieder wissen, ob wir für oder gegen Europa sind - was einfach eine schwachsinnige Frage ist. Wir müssen mehr klarmachen, daß wir nicht gegen Europa, wohl aber gegen die Politik sind, die gegenwärtig in der EU gemacht wird.

Welchen Rat geben Sie Ihrer Partei für den Bundestagswahlkampf?

Wir müssen schärfer in die Kontroverse gegen die neoliberalen Parteien gehen. Ein Schmusewahlkampf bringt überhaupt nichts, denn wir müssen klar machen, daß sich die Linkspartei in den Kernfragen grundsätzlich von allen anderen Parteien unterscheidet.

Es war also Ihrer Ansicht nach ein »Schmusewahlkampf«, den die Linkspartei geführt hat?

An der Basis haben viele Genossinnen und Genossen intensiv und einfallsreich gekämpft, was mich persönlich sehr beeindruckt hat. Wir hätten aber wesentlich schärfer 'rangehen müssen - am Thema »Lissabonvertrag« hätte man das Lügengebäude wunderbar auseinandernehmen können, das die anderen Parteien aufgebaut haben.

Interview: Peter Wolter

* Aus: junge Welt, 9. Juni 2009


Zurück zur EU-Europa-Seite

Zur Seite "Friedensbewegung"

Zurück zur Homepage