Für einen "sehr umfassenden Sicherheitsbegriff im Außen- und Sicherheitspolitischen"
Bundeskanzler Schröder befürwortet den Entwurf für eine Europäische Sicherheitsdoktrin
Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben am 20. Juni auf einer kleinen griechischen Halbinsel den Entwurf der ersten europäischen Verfassung angenommen. Bis zu den Wahlen des Europäischen Parlaments im Juni 2004 soll die Verfassung unterzeichnet sein. "Das ist eine wahrhaftig historische Entscheidung", sagte Bundeskanzler Schröder nach dem Gipfel. Weitere Themen waren: Steuerung der legalen Einwanderung und neue sicherheitspolitische Leitlinien. Außenpolitisch stand unter anderem die Situation im Iran auf der Tagesordnung.
Zu den "neuen sicherheitspolitischen Leitlinien" heißt es in der Mitteilung der Bundesregierung vom 20. Juni 2003:
Entwicklung einer gemeinsamen Sicherheitsstrategie
Der Hohe Vertreter für die Gemeinsame Außen- und
Sicherheitspolitik der EU, Javier Solana, hat dem Europäischen
Rat einen
Bericht für eine umfassende Sicherheitsstrategie vorgestellt. Besonders die Erfahrungen im Irak-Krieg haben
gezeigt, wie wichtig es ist, die Handlungsfähigkeit der Union in
der Außen- und Sicherheitspolitik zu stärken.
Solana stellte der Strategie eine Sicherheitsanalyse voran. Darin
warnt er auch vor Massenvernichtungswaffen, vor allem wenn sie
in den Besitz von Terroristen gelangen. Als Reaktion darauf
schlägt er den Einsatz des gesamte außenpolitischen
Instrumentariums vor: Entwicklungshilfe, Diplomatie und als
letztes Mittel auch den Einsatz militärischer Gewalt.
Bundeskanzler Schröder lobte die Vorschläge Solanas als eine
Position, die die europäischen Traditionen aufnehme. Sie setze
auf Integration und beschränke sich nicht auf militärische
Gewalt.
Der Europäische Rat beauftragte Solana, die Sicherheitsstrategie
weiter voran zu bringen. Die Arbeiten werden nun im Allgemeinen Rat, dem Rat der Außenminister
und -ministerinnen, fortgeführt.
Außerdem hatten Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg auf dem so genannten Gipfel
der Vier zur Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik am 29. April vereinbart, ihre
Ergebnisse in Thessaloniki allen Mitgliedern der Europäischen Union vorzustellen. Ziel war es,
möglichst viele Partner für einzelne Projekte zu gewinnen.
(Über diesen Vierergipfel hatten wir seinerzeit informiert, siehe: "Die Erklärung zur Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Wortlaut".)
Auf der Abschluss-Pressekonferenz des Europäischer Rats in Thessaloniki am 21. Juni 2003 ging Bundeskanzler Schröder in einer kurzen Passage auch auf das Strategiepapier von Javier Solana ein:
(...) Dann haben wir uns natürlich sehr stark mit den außenpolitischen Fragen beschäftigt, die gegenwärtig anstehen. Wir haben dies, glaube ich, in einer Weise getan, die der verdienstvollen Arbeit von Solana entspricht – sowohl was die Bedrohungsanalyse angeht als auch die Reaktion darauf. Dass dieses Solana-Papier akzeptiert wurde, beweist auch, dass es auf diesem Gipfel sehr große Gemeinsamkeiten gegeben hat. (...)
In der Diskussion wurde ihm dann eine Frage dazu vorgelegt, auf die er ausführlicher antwortete:
FRAGE: Herr Bundeskanzler, Sie haben sich positiv auf das Papier von Javier Solana bezogen. Wenn sie es einordnen, qualifizieren, würden Sie dann sagen: Es ist eine Antwort auf die von den Amerikanern vorgelegte Bedrohungsanalyse in Sachen Massenvernichtungswaffen, Terrorismus? Ist es eine Ergänzung zu der Analyse und dem Konzept der Amerikaner, oder ist es in Teilen auch eine Alternative dazu?
BK SCHRÖDER: Es ist die für Europa eigenständig formulierte Position, die übrigens weiterentwickelt werden soll. Das ist keine Position, die gegend irgendjemand gerichtet wäre, sondern sie versucht, die europäischen Traditionen, auch die historischen Erfahrungen der Europäer, aufzunehmen und darauf eine Antwort zu geben. Das ist sicher noch nicht in allen Punkten ausformuliert.
Was die Außen- und Sicherheitspolitik angeht, ist es wichtig, dass ein Sicherheitsbegriff beherrschend ist, der sich nicht nur auf die militärische Komponente bezieht, sondern das ganze Spektrum einbezieht, das definiert ist durch Politik, Diplomatie und Entwicklungshilfe. Ich glaube, das ist wichtig.
Aber man sollte jetzt nicht suchen, wo man dieses Papier und seine theoretischen und praktischen Grundlagen zu Anderen abgrenzt. Das ist nicht meine Aufgabe. Ich denke, dass man sehr gut leben kann mit dem, was formuliert worden ist. Es ist wichtig, dafür auch Verbreitung zu schaffen und vor diesem Hintergrund deutlich werden zu lassen, dass es zur europäischen Identität gehört und deswegen Teil europäischer Politik werden muss. (Es muss deutlich werden), dass Europa nicht nur ein Markt ist, auf dem ökonomische Interaktion stattfindet, sondern auch ein Ort gemeinsamer Außenpolitik auf der Basis gemeinsamer Wertvorstellungen – übrigens auch ein Ort sozialer Interaktion. Das ist auch immer wieder deutlich geworden.
Insofern: Europas Identität zu definieren und an der Entwicklung weiter zu arbeiten, ist immer etwas sehr eigenes und muss stattfinden vor dem Hintergrund der europä-ischen Erfahrungen, der Vielfalt der europäischen Kulturen und der europäischen Geschichte. Am wenigsten ist dieser Prozess geeignet, wenn er als Abgrenzungsprozess vollzogen wird. Er ist ein Integrationsprozess, aber kein Abgrenzungsprozess.
Diejenigen, die ihre Identität als Nationalstaat oder als regionalen Zusammenschluss immer in Abgrenzung finden wollten, haben häufig Pech damit gehabt. Sehr viel besser ist es, ihn integrativ zu finden, indem man ein Modell dessen entwickelt, was Europa in den unterschiedlichen Politikbereichen sein soll: Teilhabe im Sozialen und Ökonomischen, ein sehr umfassender Sicherheitsbegriff im Außen- und Sicherheitspolitischen, Vielfalt in der Kultur. Das sind doch die Elemente, die Europa definieren und die Europa unterscheiden, ohne dass europäische Politiker diese Unterschiede immer betonen müssten. Sie ergeben sich von selbst, am besten übrigens.
Quelle: www.bundesregierung.de
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