Werkzeuge gegen "Unruhestifter"
Die EU-Kommission will in einem Forschungsprojekt neue Polizeitaktiken für Massenproteste entwickeln
Von Matthias Monroy *
EU-Polizeien erforschen, wie linke Aktivisten auf ihre Strategien reagieren. Die ersten beiden Feldstudien werten die letztjährigen Erfahrungen beim Castor-Transport im Wendland und beim NATO-Gipfel in Lissabon aus.
Die Gipfeltreffen der mächtigen Staaten der Welt mobilisieren Tausende von internationalen Demonstranten. Nicht nur die Aktivisten lernen, wie man solche Großveranstaltungen organisiert, auch die Polizei beschäftigt seit Jahren, wie man sie in den Griff bekommt. Für die Feinabstimmung soll ein neues Forschungsvorhaben namens GODIAC sorgen: Polizeien, Innenministerien, Gendarmerien und Hochschulen aus elf europäischen Ländern wollen in zehn Feldstudien Massenproteste analysieren. Die Internationalisierung der Proteste sei eine »große Herausforderung für Polizeibehörden in ganz Europa«. Um neue Taktiken zu entwickeln, soll GODIAC nun das polizeiliche Wissen über »Demonstranten und Aktivisten, ihre Ideologie, Mobilität und Strategien gegenüber der Polizei« ebenfalls internationalisieren. 70 Prozent des Projekts finanziert die EU-Kommission, den Rest spendiert die schwedische Polizei.
Bereits mit einem früheren Programm wollten Projektpartner aus 22 EU-Mitgliedstaaten Standards für polizeiliche Großlagen wie Gipfeltreffen oder Fußballmeisterschaften entwickeln. EU-SEC ist im Rahmen der Europäischen Sicherheitsforschung angesiedelt und läuft 2011 aus. Die Forschungsergebnisse schlagen sich in einem Leitfaden zur »Zusammenarbeit bei Großveranstaltungen mit internationaler Dimension« nieder: EU-Polizeien wird geraten, Daten über erwartete Demonstranten auszutauschen, Reisesperren zu verhängen und möglichst früh gute Beziehungen zur Presse aufzubauen, um die Informationshoheit zu behalten. Angaben über Reisebewegungen »bekannter potenzieller Demonstranten« sollen nicht nur an das austragende Land, sondern auch an Transit- bzw. Nachbarländer übermittelt werden.
Das deutsche Bundeskriminalamt (BKA) führt hierzu die politische Datensammlung »International agierende gewaltbereite Störer« (IgaST). Die Bundesregierung setzt sich seit 2007 mit Nachdruck dafür ein, IgaST auf EU-Ebene anzusiedeln. Der bislang erfolglose Versuch mündet jetzt in einer Machbarkeitsstudie der EU-Kommission, ob eine Datensammlung zu »Unruhestiftern« in einem ebenfalls geplanten EU-Strafregister (EPRIS) aufgehen könnte.
Das hindert die deutsche Polizei freilich nicht daran, entsprechende Daten schon jetzt emsig mit Ländern zu tauschen, in denen politische Großereignisse stattfinden. Wie im Polizei-Leitfaden niedergelegt, werden Demonstranten dann an der Grenze zurückgewiesen. Beim NATO-Gipfel 2009 hatten deutsche Gerichte diese Willkür-Praxis gerügt und festgestellt, dass ein bloßer Eintrag in der Polizei-Datenbank nicht zur Versagung politischer Betätigung führen dürfe.
Der Start des neuen GODIAC-Programms wurde nicht wie üblich bekannt gegeben. Erfahren hat die deutsche Öffentlichkeit davon durch eine parlamentarische Anfrage zur Anwesenheit ausländischer Polizisten beim Castor-Transport im Wendland. Laut Ansgar Burchard von der Hochschule für Polizei sind bisher drei Feldstudien konkret verabredet worden. Nach dem Castor-Transport im November reisten die Projektbeteiligten zum NATO-Gipfel in Lissabon, wo Aktivisten der Friedensbewegung von portugiesischen Grenzbeamten an der Teilnahme an Demonstrationen gehindert wurden. »Dies ist das Ende der Demokratie«, kommentierte ein Organisator eines Anti-NATO-Kongresses. Mindestens 150 Demonstranten wurden an der Grenze zurückgeschickt. Grundlage hierfür waren unter anderem Daten des BKA.
Als nächstes haben sich die polizeilichen Protestforscher den »Korporationsball« Ende Januar in der Wiener Hofburg ausgeguckt. Gegen das jährliche Großereignis von Rechtsextremen und Burschenschaften gibt es regelmäßig heftigen Widerstand. Auch für dieses Jahr bereitet ein Bündnis Proteste vor.
Über die Zusammenarbeit europäischer Sicherheitskräfte referiert der Autor dieses Wochenende in Berlin beim Kongress »Europa entsichern«.
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* Aus: Neues Deutschland, 26. Januar 2011
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