Niebels lebensgefährdender Kurs
Hilfswerke beharren in Afghanistan auf Trennung zwischen Militär und humanitärer Hilfe
Von Martin Ling *
Die Forderung von Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) nach
einer Kooperation von Hilfsorganisationen und Bundeswehr in Afghanistan
stößt auf entschiedenen Widerstand.
Nach fünfjähriger Pause ist Ärzte ohne Grenzen dieses Jahr wieder nach
Afghanistan zurückgekehrt. Im Juni 2004 verließ die Hilfsorganisation
das Land, nachdem fünf Mitarbeiter in der Provinz Badghis brutal
ermordet wurden. Wer aus der Rückkehr auf eine verbesserte
Sicherheitslage schließt, ist schief gewickelt. Die schlichte
Notwendigkeit sei das Motiv gewesen, so Claudia Evers gegenüber dem ND.
Zunehmend gebe es Hinweise darauf, dass sich die allgemeine Situation
für die Afghanen eher verschlechtert. Die Unsicherheit im Land steigt,
und der Zugang zu medizinischer Hilfe ist für viele Afghanen
problematisch. Deswegen habe sich Ärzte ohne Grenzen nach Abwägung der
Sicherheitsrisiken entschlossen, sowohl in der Hauptstadt Kabul als auch
in Lashkargah, der Hauptstadt der Provinz Helmand im Herzen des
Konflikts, ein Krankenhaus zu betreiben. Jedoch mit strikten Prinzipien,
so Evers. Die Krankenhäuser arbeiten ohne bewaffnete Wächter, es gelte
das Prinzip der strikten Neutralität und der klaren Trennung der
humanitären Hilfe von jeglichem Militär. Zudem gebe es für alle
Hilfsbedürftigen freien Zugang.
Die jüngste Kampfansage von Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP),
»wenn einige Nichtregierungsorganisationen eine besondere
Bundeswehrferne pflegen wollen, müssen sie sich andere Geldgeber
suchen«, geht derweil an Ärzte ohne Grenzen vorbei: »Wir verzichten
bewusst auf institutionelle Gelder. Die Aktivitäten werden
ausschließlich aus privaten Spenden finanziert, um die Unabhängigkeit
der humanitären Hilfe zu gewährleisten«, erläutert Evers die Praxis bei
Ärzte ohne Grenzen.
Die Staatsferne ist freilich nicht allen Nichtregierungsorganisationen
heilig. Und so verwundert die scharfe Reaktion des Vorsitzenden des
Verbands Entwicklungspolitik (VENRO), Ulrich Post, auf Niebels Vorstoß
nicht. »Es ist lebensgefährlich, was er da fordert«, sagte Post, der 118
kirchliche und private Entwicklungsorganisationen vertritt, am Dienstag
in einem epd-Gespräch. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen seien in der
Vergangenheit in Afghanistan getötet worden, weil ihre Unabhängigkeit
vom Militär möglicherweise nicht klar genug gewesen sei. Seröse
Hilfswerke werden sich Post zufolge nicht darauf einlassen, mit dem
Militär zusammenzuarbeiten. Zumindest für die deutschen Organisationen
könne er dies garantieren. »Die Bundeswehr ist weiter als Herr Niebel«,
betonte Post. Die Militärs wüssten um die Wichtigkeit unabhängiger
Hilfe. Es gebe bereits einen intensiven Dialog zwischen der Bundeswehr
und den Entwicklungsorganisationen.
Zuvor hatten schon der Generalsekretär der Deutschen Welthungerhilfe,
Wolfgang Jamann, und der Gründer der Hilfsorganisation »Grünhelme«,
Rupert Neudeck, scharfe Kritik an Niebels Forderung nach Kooperation
zwischen Militär und Nichtregierungsorganisationen geübt.
Entwicklungshilfe dürfe kein militärisches Instrument werden, sagte
Jamann gegenüber der »Berliner Zeitung«. Neudeck wies darauf hin, dass
die Trennung zwischen humanitärem Engagement und bewaffneten Einsätzen
schon in den vergangenen Jahren schleichend aufgegeben worden sei. Er
halte diese Tendenz für fatal, sagte Neudeck. Sie widerspreche der
Genfer Konvention. Die Regierung wolle lediglich ihre »an die Wand
gefahrene Afghanistan-Politik« schönfärben, kritisierte der
Friedensaktivist.
* Aus: Neues Deutschland, 30. Dezember 2009
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