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Um Moral geht es zuletzt - zumal die USA ihre Finger im Spiel haben

Ein Nachwort zu den Vorgängen um die FIFA


Es ist zumindest ungewöhnlich, dass wir uns auf diesen Seiten auch mit Fragen des Sports, des Fußballs gar beschäftigen. Doch was in den letzten Tagen und Wochen durch die Medien geisterte, war auch ein brisantes politisches Thema: Geht es doch hier - ähnlich wie 1980 - um den geschickt eingefädelten Versuch, ein sportliches Großereignis wenn nicht scheitern zu lassen, dann wenigstens in seinem Wert stark herabzumindern. Das beginnt mit der Anmaßung der US-Justizbehörden, auf Schweizer Boden südamerikanische Sportfunktionäre festnehmen zu lassen, weil sie mit einem US-Haftbefehl gesucht würden, und endet nicht erst mit dem Vorwurf, die Verhafteten seien der Korruption verdächtig (als hätte es das in der rund 100-jährigen Profisportgeschichte der USA nicht gegeben).

Erinnern wir uns: 1980 waren es die USA, die zu einem Boykott der Olympischen Spiele in Moskau aufriefen; die ursprüngliche Idee stammte freilich von dem deutschen NATO-Botschafter: Rolf Pauls hatte bei dem Brüsseler Treffen erstmals den Boykott der bevorstehenden Olympischen Spiele von Moskau erwogen. Die Lektion, die der UdSSR wegen ihres Einmarsches in Afghanistan erteilt werden sollte, war eindeutig: Niemand könne ungestraft Völkerrecht brechen und in andere Länder einfallen. Die Lektion allerdings geriet zur Farce: Nicht einmal so enge Verbündete wir Großbritannien, Frankreich oder Italien, die Benelux-Staaten, Portugal, Spanien und die Schweiz beteiligten sich an dem Boykott - dafür aber, auf Geheiß der Politik und nach mehrmaligen Rückfragen in Washington die alte Bundesrepublik Deutschland. 1980 war nicht der einzige, wohl aber spektakulärste Boykott: Neben der Bundesrepublik schlossen sich aus Europa Albanien, Liechtenstein, Monaco und Norwegen dem Boykott an. Das Ziel der USA, mindestens 100 Boykotteure zu animieren, wurde bei weitem nicht erreicht: Statt 100 waren es gerade mal 62 Staaten, die dem Treffen in Moskau fern blieben.

Die gegenwärtige Diskussion um die Austragungsorte der Fußball-WM 2018 und 2022 zielt indessen auf etwas anderes. Mit der völlig indiskutablen Entscheidung, die WM 2022 in den Wüstenstaat Katar zu vergeben, wogegen sich lautstarker Protest erhob ("Kein Fußball für Öl"), soll im selben Aufwasch Moskau getroffen werden. Hier sitzt wieder das Zentrum des Bösen mit Putin als seinem Dirigenten. Und hier sitzt zwar keine Systemalternative - dieses Kapitel ist vermutlich auf lange Zeit abgeschlossen - wohl aber eine andere Logik der Außen- und Sicherheitspolitik. Und wenn es um die Krim ginge, die Russland der Ukraine abgeluchst hat, dann müssten die USA dieses Kind jedenfalls beim Namen nennen, bevor sie zur Keule des Boykotts greifen. Medienberichten zufolge will England eine Initiative ergreifen, auf dem nächsten UEFA-Treffen die Europäischen Verbände auf einen Boykott-Beschluss einzuschwören. Und die Nachricht vom bevorstehenden Rücktritt des FIFA-Präsidenten Blatter, der die Vergabe der WM nach Russland bisher stoisch verteidigte, verheißt zumindest aus diesem Grund nicht unbedingt etwas Gutes.

Fußballweltmeisterschaften und Olympische Spiele waren noch nie eine moralische Anstalt. Moral muss - wenn überhaupt - aus dem sportlichen Kräftemessen kommen.
(pst)



Weltstrafgericht Washington

US-Ermittlungen gegen Spitzenfunktionäre der FIFA erhalten Applaus von allen Seiten. Verbandschef Blatter soll demontiert werden, weil er an der Fußball-WM in Russland festhält

Von Knut Mellenthin *


Die US-Justiz ist erfolgreich auf dem Vormarsch zum obersten Gerichtshof der ganzen Welt. Auf Anordnung von Justizministerin Loretta Lynch nahm die Schweizer Polizei am Mittwoch in Zürich sieben Funktionäre des Weltfußballverbands FIFA fest. Sie gehören alle dem kontinentalen amerikanischen Fußballverband CONCACAF an, nur einer von ihnen besitzt die Staatsbürgerschaft der USA. Insgesamt ermittelt das US-amerikanische Justizministerium nach eigenen Angaben gegen 14 FIFA-Funktionäre wegen angeblicher Schmiergeldzahlungen und Geldwäsche. Unter anderem geht es um Zahlungen, die angeblich getätigt worden sein sollen, um Katar zur Weltmeisterschaft 2022 zu verhelfen. Den jetzt Verhafteten droht bei einem Prozess in den USA eine Höchststrafe von 20 Jahren Gefängnis.

Die Entscheidung für Katar war in einer Abstimmung des Exekutivkomitees der FIFA am 2. Dezember 2010 gefallen. Das arabische Fürstentum setzte sich mit 14 zu 8 Stimmen gegen den Konkurrenten USA durch, der jetzt zu einer späten Rache auszuholen scheint. Zusammen mit Expräsident William Clinton war auch der damalige Justizminister Eric Holder, Lynchs direkter Vorgänger, zur Abstimmung nach Zürich geflogen, um – wie es offiziell hieß – »für die amerikanische Kandidatur zu werben«. Clinton hat es mit Dienstleistungen dieses Typs nach Ende seiner Amtszeit als Präsident zum vielfachen Millionär gebracht. Was ein Justizminister bei einer sportlichen Entscheidung zu tun hatte, ist unklar. Im Licht der aktuellen Ereignisse scheint nicht ausgeschlossen, dass Holder damals schon »unter vier Augen« Drohungen gegen einzelne FIFA-Funktionäre ausgesprochen hat, falls die Abstimmung nicht zugunsten der USA verlaufen würde.

Die Ermittlungen der US-Justiz in Sachen FIFA wurden jedenfalls schon im Jahr 2010 aufgenommen. Geleitet wurden sie von einer für den Bezirk East New York zuständigen Staatsanwältin: genau jener Loretta Lynch, die seit April Justizministerin der USA ist. Presseberichten zufolge hatte Lynch die Anklage, die am Mittwoch zu den Verhaftungen in Zürich führte, schon seit Monaten abgeschlossen. Das Timing war offensichtlich auf die Tatsache abgestimmt, dass in der Schweizer Stadt am nächsten Tag der Jahreskongress der FIFA begann, auf dem es unter anderem um die Wiederwahl von Verbandspräsident Joseph Blatter geht. Er hat sich den Hass der Regierung in Washington und maßgeblicher politischer Kreise der USA zugezogen, weil er allen Einschüchterungsversuchen zum Trotz die Durchführung der nächsten Fußballweltmeisterschaft in Russland verteidigt. Bei der Abstimmung, die am Freitag nach Redaktionsschluss stattfand, wollten die USA und ihre Verbündeten im europäischen Fußballverband UEFA für Blatters einzigen Gegenkandidaten, den jordanischen Prinzen Ali Bin Hussein, stimmen. Er ist ein Sohn des früheren Königs Hussein und ein Halbbruder des regierenden Monarchen Abdullah II, dessen Leibwache er neun Jahre lang leitete. Der heute 39jährige ist seit 15 Jahren Präsident des jordanischen Fußballverbands.

Korruptionsvorwürfe gegen hohe Funktionäre der FIFA werden seit vielen Jahren erhoben. Es fehlt ihnen grundsätzlich nicht an Plausibilität, vor allem, was die Vergabe von Fußballweltmeisterschaften angeht. Gerade darum sind sorgfältig geführte, auf Vorrat angelegte Ermittlungsakten, die zum passenden Zeitpunkt in Haftbefehle und Skandale umgewandelt werden, ein gutes Instrument zur Förderung politischer Interessen und Ziele.

Im Vordergrund des gegenwärtigen Angriffs der US-Justiz auf die FIFA-Spitze steht anscheinend die Fußballweltmeisterschaft in Russland, die vom 14. Juni bis zum 15. Juli 2018 stattfinden soll. Am Dienstag, also einen Tag vor den Verhaftungen in Zürich, richteten zwei führende Hardliner im US-Senat, der Demokrat Robert Menendez und der Republikaner John McCain, einen offenen Brief an den bevorstehenden FIFA-Kongress. Darin riefen sie dazu auf, an Stelle Blatters einen neuen Verbandspräsidenten zu wählen, »der darauf hinarbeitet, dem Putin-Regime das Privileg zu entziehen, Gastgeber des World-Cup zu sein«.

Nach Bekanntwerden der Korruptionsanschuldigungen des US-Justizministeriums erklärte Menendez am Mittwoch, dass dadurch seine Bedenken gegen die Durchführung der WM in Russland noch verstärkt worden seien. Die Logik dieser Aussage erschließt sich nicht, da die Entscheidung der FIFA für Russland, die unter anderem auch vom Deutschen Fußballverband (DFB) mitgetragen wurde, bisher nicht unter Bestechungsverdacht steht. Das heftige moralische Engagement von Menendez, der vermutlich der rechteste Politiker der Demokraten im ganzen Kongress ist, hat einen ironischen Reiz: Anfang April wurde gegen ihn selbst Anklage wegen Korruption erhoben. Ihm wird vorgeworfen, sein Senatsamt missbraucht zu haben, um einem guten Freund gefällig zu sein, und dafür Belohnungen entgegengenommen zu haben.

In deutschen Medien, vor allem in Bild und bei Spiegel online, hat der Vorstoß der US-Justiz, ihre Zuständigkeit auf die ganze Welt auszuweiten, große Begeisterung hervorgerufen. Spiegel-Korrespondent Marc Pitzke lobte am Freitag, dass »die Amerikaner für so etwas die besten Gesetze, die beste Erfahrung und den längsten Atem« hätten. Nebenbei behauptete der Autor, dass das FBI und die US-amerikanische Steuerfahndung dem FIFA-Präsidenten Blatter schon 2011 ein »Ultimatum« gestellt hätten, »das ihm keine Wahl ließ«: »Wir können Sie in Handschellen abführen – oder Sie können kooperieren.« Das habe Blatter tatsächlich getan und sei 2013 sogar »zum V-Mann der US-Staatsanwaltschaft« geworden, »der die FIFA-Kollegen mit einem Minimikrophon im Schlüsselanhänger bespitzelte«. Blatters »Insiderwissen« sei eine wesentliche Grundlage der jetzt öffentlich gewordenen Anklageschrift. Aus allgemein zugänglichen, nachprüfbaren Quellen stammen Pitzkes Behauptungen wahrscheinlich nicht. Daher ist nicht auszuschließen, dass sie Teil der Kampagne zur Demontage von Blatter sind.

FIFA hat mit Blatter keine Zukunft

»Joseph Blatter ist als oberster FIFA-Saubermann, zu dem er sich selbst zu stilisieren versucht, denkbar ungeeignet. Die FIFA hat mit Blatter an der Spitze keine Zukunft. Die Korruption ist im Weltfußballverband unter seiner Präsidentschaft regelrecht aufgeblüht. Er trägt die Verantwortung für den massiven Glaubwürdigkeitsverlust durch eine lange Reihe von Skandalen. Das muss Konsequenzen haben«, forderte am Freitag der stellvertretende Vorsitzende der Fraktion Die Linke im Bundestag, Dietmar Bartsch, anlässlich des FIFA-Kongresses in Zürich.

Bartsch weiter: »Da Blatter nicht selbst gewillt ist, Konsequenzen zu ziehen, muss der europäische und der deutsche Fußball dies tun. Ziel muss es sein, die FIFA-Strukturen so zu verändern, dass der Fußball und nicht die hemmungslose Geschäftemacherei wieder in den Mittelpunkt rückt. Dafür ist eine rückhaltlose Aufklärung aller Korruptionsfälle die entscheidende Voraussetzung. Der DFB sollte sich für eine unabhängige Kommission stark machen. Eine Spaltung des Weltfußballs sollte vermieden werden – schon weil ja auch im Frauenfußball und im Nachwuchs das weltweite Kräftemessen organisiert werden muss und die Fußballerinnen und Fußballer nicht zu Leidtragenden der FIFA-Machenschaften werden dürfen. Eine Zusammenarbeit mit Blatter kann es allerdings nicht geben. Blatter sollte dem Weltfußball einen Dienst erweisen und seinen Stuhl freimachen für einen wirklichen Neuanfang.«

* Aus: junge Welt, Samstag, 30. Mai 2015

Putin über Snowden, Assange und Blatter

Die Webseite des Kreml veröffentlichte am Donnerstag ein Interview des russischen Präsidenten Wladimir Putin zur Situation des Fußballweltverbands FIFA:

(…) Wie wir alle wissen, wird die FIFA am Freitag ihren Präsidenten wählen, und Herr Blatter hat große Chancen, wiedergewählt zu werden. Wir wissen, welcher Druck auf ihn ausgeübt wurde, die Weltmeisterschaft 2018 in Russland zu verhindern. Wir kennen diese Ansichten, die nichts mit irgendwelchen besonderen Beziehungen zwischen der FIFA und Russland zu tun haben. Dies ist seine prinzipielle Position dazu: Es ist nicht richtig, Sport und Politik zu vermischen. Darüber hinaus glaubt er, dass Sport einen positiven Einfluss auf die Politik haben und als Plattform für Dialog, Versöhnung und die Suche nach Lösungen dienen sollte. Ich glaube, dies ist die richtige Position.

Was die Verhaftungen betrifft, scheint es doch zumindest sehr ungewöhnlich zu sein, dass sie von der US-amerikanischen Seite auf der Grundlage von Korruptionsvorwürfen veranlasst wurden. Wen beschuldigen die USA? Internationale Funktionäre. Es kann möglich sein, dass einige von ihnen etwas falsch gemacht haben, das weiß ich nicht, aber die USA haben definitiv nichts damit zu tun. Diese FIFA-Funktionäre sind weder Bürger der Vereinigten Staaten noch hat sich das, was ihnen vorgeworfen wird, auf dem Territorium der Vereinigten Staaten ereignet, die USA haben also nichts damit zu tun. Dies ist ein weiterer offensichtlicher Versuch, ihre Rechtsprechung auf andere Staaten auszudehnen. Ich habe keinen Zweifel, dass dies offensichtlich ein Versuch ist, die Wiederwahl von Herrn Blatter in das Amt des FIFA-Präsidenten zu verhindern, was eine schwere Verletzung der Prinzipien darstellt, auf deren Grundlage internationale Organisationen funktionieren.

Nach Berichten unserer Medien hat die Justizministerin der USA inzwischen erklärt, dass diese Funktionäre des FIFA-Exekutivkomitees ein Verbrechen begangen haben, als ob sie sich als Staatsanwältin nicht des Prinzips der Unschuldsvermutung bewusst wäre. Nur ein Gericht kann eine Person schuldig oder nicht schuldig sprechen, und erst dann kann man sich dazu äußern, selbst wenn wir davon ausgehen, dass die Vereinigten Staaten einen Grund haben werden, die Auslieferung dieser Menschen zu verlangen, denn sie wurden schließlich auf dem fremden Territorium einer dritten Partei verhaftet.

Wir sind uns der Position der Vereinigten Staaten in bezug auf den ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter, Herrn Snowden, bewusst, der ein Mitarbeiter der »National Security Agency« war und der praktisch der ganzen Welt gegenüber die illegalen Praktiken der Vereinigten Staaten offenlegte, einschließlich des Abhörens von Telefonen ausländischer Regierungschefs. Das hat überall zu Diskussionen geführt, auch in Europa, aber niemand will ihm Asyl gewähren und seine Sicherheit garantieren, weil niemand einen Streit mit seinen Partnern und Seniorpartnern riskieren will.

Auf Herrn Snowden bezogen mag das noch verständlich sein, weil er ein ehemaliger Geheimdienstmitarbeiter und ein Bürger der Vereinigten Staaten ist. Was ist aber mit Herrn Assange, der seit mehreren Jahren gezwungen wird, sich in einer ausländischen Botschaft zu verbergen? Das kommt fast einer Inhaftierung gleich. Weshalb wird er verfolgt? Wegen Sexualverbrechen? Niemand glaubt das, auch Sie glauben das nicht. Er wird für die Verbreitung von Informationen verfolgt, die er vom US-Militär über die Aktionen der USA im Nahen Osten, einschließlich Irak, erhalten hat.

Warum erwähne ich das jetzt? Weil unsere US-amerikanischen Partner diese Methoden für ihre eigenen verborgenen Zwecke nutzen. Sie verfolgen Menschen zu Unrecht. Und ich kann nicht ausschließen, dass das Gleiche nun auch für die Vorgänge um die FIFA gilt. Auch wenn ich nicht weiß, worauf das am Ende hinausläuft, drängt sich angesichts der Tatsache, dass dies am Vorabend der Wahl des FIFA-Präsidenten geschieht, der Gedanke einfach auf.

[Übersetzung aus dem Englischen: Jürgen Heiser]



Linkspartei will neue Untersuchung über WM-Vergabe 2006

Riexinger: »nicht ausschließlich an Blatter, Russland und Katar abarbeiten« / Korruption auch vor dem »Sommermärchen« wahrscheinlich / US-Steuerfahndung geht von weiteren Festnahmen aus **

Berlin. In der Debatte um Korruption und Nepotismus beim Fußballweltverband FIF will die Linkspartei nun den Blick auf die Vergabe der Fußballweltmeisterschaft 2006 nach Deutschland richten. Auch im Vorfeld des so genannten »Sommermärchens« habe es Verdachtsmomente gegeben, diese müssten jetzt wieder auf den Tisch, verlangte Linkspartei-Chef Bernd Riexinger.

»Wer den Fifa-Sumpf trocken legen will, der muss alles auf den Tisch packen und darf sich nicht ausschließlich an Blatter, Russland und Katar abarbeiten«, sagte er der »Rheinischen Post«. Der DFB solle selber aktiv werden und nicht auf die amerikanischen Justizbehörden warten. »Wer glaubt, die in der Fifa-DNA angelegte Korruption hätte ausgerechnet um die WM 2006 einen Bogen gemacht, der will den Fifa-Sumpf nicht austrocknen, sondern mit dem Finger auf andere zeigen«, sagte Riexinger.

Im Zuge von US-Ermittlungen waren am Mittwoch sieben ranghohe Fifa-Funktionäre von der Schweizer Polizei festgenommen worden. Die Schweizer Bundesanwaltschaft ermittelt zudem wegen Unregelmäßigkeiten bei den WM-Vergaben an Russland für das Jahr 2018 und Katar für 2022. Bei einer Pressekonferenz von Vertretern von US-Regierung, Justiz und Bundespolizei war die Austragung der WM 2006 in Deutschland nicht zur Sprache gekommen.

»Die deutsche Politik verkaufte Waffen, die deutsche Wirtschaft investierte in asiatische Firmen«, hieß es einmal in der »Süddeutschen Zeitung«. Und weiter: »Dem Mehrheitsvotum für Deutschland bei der WM-Vergabe 2006 gingen zahlreiche Merkwürdigkeiten voraus.« Und es war der umstrittene wiedergewählte FIFA-Boss Joseph Blatter selbst, der vor einigen Jahren auf mögliche Korruption bei der Vergabe hinwies - damals hielten Beobachter das für eine Art Retourkutsche für die deutsche Kritik am korrupten FIFA-System.

In einem Interview mit der Schweizer Zeitung »Sonntags-Blick« hatte Blatter erklärt: »Gekaufte WM … Da erinnere ich mich an die WM-Vergabe für 2006, wo im letzten Moment jemand den Raum verließ. Und man so statt 10 zu 10 bei der Abstimmung ein 10 zu 9 für Deutschland hatte.« Tatsächlich hatte es in dem Gremium zwölf zu zwölf gestanden, als der Neuseeländer Charles Dempsey unter bis heute nicht vollständig geklärten Umständen den Raum verließ. Danach standen elf Stimmen für Südafrika auf dem Zettel - und zwölf Stimmen für Deutschland, das die WM erhielt. Blatter 2012 dazu im Interview: »Nein, ich vermute nichts. Ich stelle fest. Ich bin froh, musste ich keinen Stichentscheid fällen. Aber, na ja, es steht plötzlich einer auf und geht. Vielleicht war ich da auch zu gutmütig und zu naiv.«

Angesichts der schwerwiegenden Korruptionsvorwürfe gegen leitende Fifa-Funktionäre geht der Chef der US-Steuerfahndung von weiteren Anklagen aus. Nach einem Bericht der »New York Times« sagte Richard Weber: »Ich bin ziemlich sicher, dass wir eine weitere Runde von Anklagen haben werden.« Weber wollte nach Angaben der Zeitung die übrigen Ziele der US-Ermittlungen nicht nennen. Er wollte auch nicht sagen, ob darunter auch der soeben wiedergewählte FIFA-Präsident Sepp Blatter sei. Die US-Behörden gingen aber davon aus, dass weitere Personen in kriminelle Handlungen verwickelt seien.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) rief den Weltfußballverbands inzwischen zur restlosen Aufklärung auf. »Es kann in dieser Situation nur einen Weg geben«, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag in Berlin. »Und der Weg heißt Aufklärung und zwar bis auf den Grund der Vorwürfe.« Und dann müssten die entsprechenden rechtlichen Konsequenzen gezogen werden.»Dabei sollten die Verbände die ermittelnden Justizbehörden aus der Schweiz und aus den USA rückhaltlos, bestmöglich unterstützen«, forderte Seibert. Das sei im eigenen Interesse. »Und im Interesse des Fußballs, der sehr vielen Menschen sehr viel bedeutet.«

** Aus: neues deutschland, Samstag, 30. Mai 2015


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