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Wird Wirtschaftsembargo gegen Irak bald aufgehoben?

US-Präsident schwenkt um - Hans von Sponeck: "Nie wieder ein solches Embargo!"

Seit elf Jahren leidet die Bevölkerung Iraks unter dem Sanktionsregime der Vereinten Nationen. Die Kritik am Embargo wurde in den letzten Monaten immer lauter. Im UN-Sicherheitsrat bröckelte die Front der Embargo-Befürworter sukzessive, bis am Ende nur noch die USA und Großbritannien die Fahne des Embargos hoch hielten. Verschiedene Initiativen Russlands, Chinas und Frankreichs, das Embargo zu beenden, scheiterten regelmäßig am anglo-amerikanischen Einspruch. Mitte Mai 2001 nun sickerte durch, dass Großbritannien mit Unterstützung der USA einen Resolutionsentwurf im UN-Sicherheitsrat einbringen möchte, wonach die Sanktionen gelockert werden sollen.

Vor allem soll die Liste der Waren, deren Ausfuhr nach Irak verboten beliben, kleiner werden. Alle Güter, die eindeutig der Bevölkerung zugute kommen, sollen künftig ohne Hindernisse nach Irak verbracht werden können. Erleichtert werden soll auch wieder der Flugverkehr für Personen und Fracht zwischen Irak und dem Rest der Welt. Gerade auf dem Gebiet war in den letzten zwei Jahren einiges in Bewegung gekommen. Vor allem französische und russische Verkehrsmaschinen hatten sich nicht mehr an das Embargo gehalten und landeten häufig in Bagdad. Der UN-Sanktionsausschuss soll sich nur noch auf die "Produkte" konzentrieren, die zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen gebraucht werden.

Dennoch: Die Lockerung der Sanktionen wird nur sehr bescheidene Ausmaße annehmen. Von einer völligen Aufhebung des Embargos, wie es Bagdad fordert, kann überhaupt nicht die Rede sein. Nicht gelöst ist auch das Problem der Dual-use-Güter (Güter, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke genutzt werden können). Die bisherigen Regeln waren so eng gefasst, dass - wie die Frankfurter Rundschau schreibt - der Sanktionsausschuss sogar den Export von Bleistiften mit Graphitminen und von medizinischen Kühlfahrzeugen untersagte. (FR, 18.05.2001) Auch künftig wird hier ein mehr oder weniger großer Ermessensspielraum für die Kontrolleure des Sanktionsausschusses übrig bleiben.

Über den Schwenk der US-Administration in der Irak-Sanktionspolitik kann spekuliert werden. Richtig ist sicher, dass der Druck vieler Staaten auf Washington zugenommen hatte. Fraglich ist aber, ob der Druck wirklich so stark war um die Weltmacht Nr. 1 entscheidend zu beeindrucken. In einem Kommentar der Süddeutschen Zeitung vom 19. Mai sieht Wolfgang Koydl ganz andere Beweggründe für die Haltung Bushs. Auszüge aus dem Artikel:

Der Sieg des Realismus

Bush stellt seine Bedenken gegen den „irakischen Schurken“ hintan, um der US- Wirtschaft Ölgeschäfte zu erleichtern


Von Wolfgang Koydl

... Es wird gemurrt im Lager der Republikaner, und manche Abgeordnete im Kongress sind verstört bis verstimmt über Bushs Kehrtwende in der Politik gegenüber Bagdad. Hatte er nicht einen harten Kurs versprochen? Und hatte er nicht, quasi zur Amtseinführung, gleich mal ein paar Bomben auf Bagdad werfen lassen?

Auf den ersten Blick erscheint es in der Tat seltsam, dass ausgerechnet der Sohn des Golfkriegsfeldherrn George Bush senior die vor elf Jahren gegen den Irak verhängten Sanktionen lockern will. Doch auf den zweiten Blick wird klar, dass Bush junior gar keine Wahl blieb: Außer den Briten hatte kein Verbündeter das Strafregime gegen Bagdad mehr mitgetragen. Was nun unter dem Schlagwort „kluge Sanktionen“ den Vereinten Nationen unterbreitet wird, ist nur die Anerkennung der neuen Realität.

Im Wahlkampf hatte Bush den damaligen US-Präsidenten Bill Clinton bezichtigt, untätig zugesehen zu haben, wie Europäer und Araber die Sanktionen einträchtig nach Art eines Emmentaler Käses durchlöcherten. Doch einmal selbst an der Macht, erkannte er, dass er ein neues Konzept brauchte. Sonst würden sich letztlich nur die USA blamieren und – schlimmer – im Wettrennen um irakische Aufträge gegenüber anderen Industriestaaten ins Hintertreffen geraten. Die Antwort auf diese Überlegungen waren die „intelligenten Sanktionen“, und die ersten wütenden Reaktionen aus Bagdad lassen darauf schließen, dass das neue Konzept vielleicht wirklich nicht dumm ist. ...

... Doch mit einem feineren und präziser arbeitenden Instrumentarium würde Washington dreierlei erreichen: Unter den Verbündeten von einst ließe sich zumindest der Anschein einer gemeinsamen Front wiederherstellen; die neuen Sanktionen träfen eher das Regime und seine Nutznießer, und nicht das darbende Volk; und Amerika könnte auf diese Weise das Image der kaltherzigen Supermacht abstreifen, die ungerührt Hunger, Krankheit und Elend im Irak in Kauf nimmt.

Dann gibt es freilich noch einen vierten, manche würden sagen, eigentlichen Grund für die Wende in der Irak-Politik: Bush, dem Spross einer Erdöl-Dynastie, liegen die amerikanischen Petroleumkonzerne in den Ohren. Sanktionen gegen Schurkenstaaten – schön und gut. Aber müssen denn gleich drei von ihnen – Irak, Iran und Libyen – zu den wichtigsten Ölproduzenten der Welt gehören? In Amerika wird Benzin knapp und teuer; da dürstet der Markt nach jedem Tropfen Öl. Und: Soll man das Geschäft mit den Schurken wirklich frechen Franzosen, drängelnden Deutschen oder raffgierigen Russen überlassen? Die jüngst in Washington gezielt gestreute Indiskretion über die Anbahnung eines Geschäftes der deutschen Firma Wintershall in Libyen weist in dieselbe Richtung: Amerika will wieder mitverdienen.
Aus: Süddeutsche Zeitung, 19. Mai 2001

In derselben Ausgabe veröffentlichte die SZ ein Interview mit dem UN-Diplomaten Hans von Sponeck, der seit geraumer Zeit das UN-Embargo heftig kritisiert. Hans von Sponeck war fast eineinhalb Jahre Koordinator des UN-Hilfsprogramms "Öl für Lebensmittel". Aus Protest gegen die verheerenden Auswirkungen des Embargos auf die Zivilbevölkerung trat er im März 2000 von seinem Posten zurück. Wir dokumentieren Teile des Interviews (das Interview führte Heiko Flottau):

SZ: Empfinden Sie Genugtuung über die Wende in der Sanktionspolitik gegen den Irak?

Sponeck: Ja. Im Oktober 1999 kam ich erstmals mit den USA in Konflikt. Ich trat dafür ein, die Waffenkontrolle strikt beizubehalten, das Wirtschaftsembargo aber aufzuheben. Heute fühle ich Genugtuung, dass dieses Argument in Washington und London akzeptiert ist. Doch noch ist nichts entschieden. Nach den bisherigen Vorschlägen soll die gesamte Finanzkontrolle über den Irak beim Sicherheitsrat bleiben. Auch sollen ausländische Investitionen im Irak weiter verboten sein, inklusive Investitionen in die marode Ölindustrie. Die USA werden darauf bestehen, dass viele Waren nicht in den Irak gelangen dürfen. Der Irak wird den jetzt in New York kursierenden Vorschlag ablehnen.

SZ: Werden Waffeninspektoren in den Irak zurückkehren?

Sponeck: Die USA und England wissen, dass neue Waffeninspektionen im Irak höchst unwahrscheinlich sind. Inspektionen müssen deshalb an den Grenzen stattfinden, damit keine Waffen in den Irak gelangen.

SZ: Hat Saddam Hussein in der Vergangenheit die Verteilung der Hilfsgüter durch die Vereinten Nationen behindert?

Sponeck: Politisch hat er das Hilfsprogramm bekämpft, weil es sein Ziel war, das Embargo aufzuheben. Bei der Verteilung der Lebensmittel und Medikamente haben seine Beamten in den Ministerien sauber und professionell kooperiert.

SZ: Der irakische Diktator verdient viel Geld am Schmuggel. Verwendet er die so eingenommenen ein bis zwei Milliarden Dollar pro Jahr für die irakische Bevölkerung?

Sponeck: Aus dem Programm „Öl für Lebensmittel“ erhält der Irak keinen einzigen Cent für die Verwaltung oder für die Bezahlung seiner Beamten. Die Verwaltung eines 23-Millionen-Volkes ist teuer. Die Gelder gehen wohl auch zum großen Teil in Kosten, die jeder Nation entstehen – in den diplomatischen Dienst, in die Infrastruktur.

SZ: Welches sind die schlimmsten Auswirkungen des fast elf Jahre dauernden Embargos?

Sponeck: Eine Generation ist herangewachsen, die den mentalen Herausforderungen des modernen Lebens nicht gewachsen ist. Viele junge Leute sind unterernährt, die meisten haben eine schlechte Ausbildung.

SZ: Muss der Westen beim Wiederaufbau helfen?

Sponeck: Alle müssen helfen. Es muss eine mächtige Anstrengung geben. Dabei dürfen dem Irak nicht immer nur seine großen Auslandsschulden vorgehalten werden. Der Irak braucht Kredite.

SZ: Wird die Beherrschung seines Volkes für Saddam Hussein schwieriger, falls die Sanktionen entscheidend gelockert werden? Dann könnte er nicht mehr alle Unzulänglichkeiten im Lande auf die USA und England schieben.

Sponeck: Ich habe immer gesagt: Wenn frischer Wind ins Land kommt, wird es Saddam nicht mehr so leicht haben.

SZ: Das Irak-Embargo ist eines der längsten in der langen Geschichte der Wirtschaftssanktionen. Trotzdem ist es ein Fehlschlag. Was ist daraus zu lernen?

Sponeck: Das, was eine Kommission des britischen Unterhauses schrieb: Nie wieder ein solches Embargo.

Aus: Süddeutsche Zeitung, 19. Mai 2001

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