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Besser als Krieg

Ein internationaler Hilfsfonds, der wie eine Streikkasse funktioniert, könnte ein Embargo effektiv und erträglich machen

Von Ulrich Cremer

Sofern es in Deutschland zur Zeit überhaupt eine Embargo-Debatte gibt, rankt sie sich um zwei Fälle: Irak und Jugoslawien. Hier werden vor allem humanitäre Gründe dafür geltend gemacht, das Embargo zu beenden. Außerdem seien die Maßnahmen ohnehin nicht erfolgreich.

Geht man vom Grundgedanken aus, dass Embargos eine nicht-militärische Alternative zu Kriegen sind, erweisen sich beide Fälle als schlechte Beispiele, weil die Sanktionsregimes jeweils im Zusammenhang mit Kriegshandlungen etabliert wurden. Wer blutige "Wüstenstürme" oder NATO-Bombenangriffe erlitten hat und als Paria in der internationalen Politik gebrandmarkt ist, sieht natürlich keinen Grund, sich von Sanktionen beeindrucken zu lassen.

So richtig es ist, die Embargos gegen Bagdad und Belgrad endlich aufzuheben, so falsch wäre es, damit die Debatte über Sanktionen zu beenden und dieses Instrument ad acta zu legen. Denn in anderen Fällen können Sanktionen durchaus ihre Berechtigung haben. Ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit war das von 1992-95 gegen Jugoslawien verhängte Embargo, dessen Ziel darin bestand, die von Belgrad unterstützte bosnisch-serbische Kriegsmaschinerie zu schwächen. Damals hatte selbst die FAZ erkannt: "Fachleute schätzen, Serbien werde bei einer lückenlosen Ölsperre nach zehn Tagen zusammenbrechen." (FAZ, 16.1.93).

Auch im Vorfeld des NATO-Krieges gegen Jugoslawien wäre ein konsequentes Öl-Embargo eine sinnvolle nicht-militärische Alternative gewesen, es war jedoch nicht gefragt. Erst drei Wochen nach Beginn der Bombardements griff die EU (ohne Konsultation des UN-Sicherheitsrats) zu diesem Instrument. Eine eher symbolische Maßnahme, da die Energielieferungen an Jugoslawien fast ausschließlich aus Russland und der Ukraine erfolgten. Doch immerhin hatte die EU bereits im April 1998 ein Embargo für diverse wirtschaftliche Güter gegen Jugoslawien beschlossen? Wie wenig man in Deutschland davon hielt, bewies die Bundeswehr, deren Kampfuniformen auch eine ganze Weile nach Verhängung der Wirtschaftssanktionen noch in Jugoslawien geschneidert wurden. Während des Krieges trat dann die absurde Situation ein, dass die Hardthöhe ihre eigene Kleiderfabrik bombardierten ließ.

Insgesamt zeigen die neunziger Jahre zweierlei: Zum einen sind nicht-militärische Konfliktlösungen bei den NATO-Ländern offensichtlich nicht gefragt, und auch die rot-grüne Bundesregierung macht da trotz vollmundiger Ankündigungen im Koalitionsvertrag keine Ausnahme. Zum andern kann ein Embargo nur dann effizient sein, wenn sich alle wesentlichen Akteure daran halten. Das aber setzt einen politischen Konsens voraus, an dem beispielsweise die NATO 1998/99 nicht interessiert war. Gibt es den Konsens nicht, wird jedes Sanktionsregime unterlaufen, wie zahlreiche Beispiele einseitiger US-Embargos lehren. So konnte beispielsweise alle juristische Kreativität beim Helms-Burton-Gesetz nicht verhindern, dass andere westliche Staaten ihre Handelsbeziehungen zu Kuba ausbauten.

Während man fürs Kriegführen - technisch gesehen - keine Koalition der Staatengemeinschaft braucht, hat ein Wirtschaftsembargo nur unter solchen Bedingungen überhaupt Sinn. Der verbreitete Einwand, Embargos würden sowieso nicht funktionieren, weil sie schlicht nicht eingehalten werden, übersieht genau diesen Punkt. Hans von Sponecks Einschätzung, dass sich die Akteure "über kurz oder lang in jeder Embargosituation" nicht an ihre Beschlüsse halten (s. Freitag 24. 3. 2000) führt zur argumentativen Lähmung und lässt Kritiker von Militärinterventionen mit leeren Händen dastehen, weil sie dann keine praktischen Alternativen mehr vorzuschlagen haben. Warum ein zentrales nicht-militärisches Instrument ohne Not aus der Hand geben? Zumal ausgearbeitete Vorschläge für effektivere Embargos seit Jahren auf dem Tisch liegen.

Ein Vorschlag sind die sogenannten Smart Sanctions (s. Freitag 31. 3. 2000), mit denen zielgerichtet die Herrschaftselite oder auch der militärische Apparat eines Landes getroffen werden kann. Ein anderer Vorschlag ist die Einrichtung eines internationalen Sanktionshilfefonds.

Lehrreich ist in diesem Zusammenhang das Embargo gegen Jugoslawien von 1992 bis 1995. Es blieb von Anfang an eines mit großen Lücken. Als Grund wird üblicherweise die unzureichende Überwachung ausgemacht, für die man - so eine Schlussfolgerung - ganze Armeen bräuchte. Untersucht man die Mechanismen eines Embargos allerdings genauer, zeigt sich, dass es vor allem handfeste ökonomische Ursachen sind, die ein wirkungsvolles Embargo verhindern. Die Frage der Überwachung wird damit sekundär. Ein Wirtschaftsembargo zerschneidet immer Handelsbeziehungen und eingespielte Wirtschaftswege. Schaden nehmen nicht nur die boykottierten, sondern auch die boykottierenden Staaten. Das mag bei ökonomisch starken Ländern nicht so ins Gewicht fallen, andere aber kann ein solches Embargo in den Ruin führen.

Rumänien beispielsweise bezifferte seine direkten und indirekten Schäden 1993 nach zwei Embargojahren auf zehn Milliarden Dollar. Entsprechende Rechnungen ließen sich für die anderen Nachbarstaaten Jugoslawiens aufmachen. Bei konsequenter Einhaltung des Embargos hätten die Verluste natürlich noch höher gelegen. Aber warum sollten die Staaten das in Kauf nehmen? An genau dieser Stelle setzt der Vorschlag zur Einrichtung eines internationalen Sanktionshilfefonds* an. Grundidee ist eine Art "Streikkasse", ein System wirtschaftlicher Anreize zur Einhaltung der Sanktionen. Hält sich ein boykottierender Staat an das Embargo, kann er mit Entschädigung durch die internationale Staatengemeinschaft rechnen. Andernfalls sind Strafen fällig, im schlimmsten Fall die Ausweitung des Embargos auf ihn selbst. Natürlich müsste solch ein Sanktionshilfefonds finanzielle Größenordnungen erreichen, wie sie üblicherweise nur dem Militär zur Verfügung gestellt werden. Zum Nulltarif sind effektive, nicht-militärische Konfliktlösungen nicht zu haben.

Ist der politische Wille gegeben, funktioniert im Großen und Ganzen auch die Embargo-Überwachung. Kriminelle Einzelpersonen oder Unternehmen wird es natürlich immer geben. Die Frage bleibt, wie relevant Embargobrüche sind. Wenn beispielsweise die Lieferung von Öl in Tanklastzügen unterbunden werden kann, funktioniert ein Ölembargo hinreichend genug. Hans von Sponecks Verweis auf Artikel 50 der UN-Charta (s. Freitag, 24. 3. 2000), wonach sich Staaten, die durch Einhaltung eines Embargos vor wirtschaftliche Probleme gestellt werden, an den Sicherheitsrat wenden können, greift zu kurz. Solange es keinen entwickelten Mechanismus zur Entschädigung gibt, müssen die Hilfen ad hoc organisiert werden. Die Folge ist, sie fließen gar nicht oder nur mit erheblichen Zeitverzug. Deswegen ist auch hier "Prävention" angebracht: Der Sanktionshilfefonds muss parallel zum Sanktionsregime installiert werden.

Auch den unerwünschten humanitären Folgen eines effektiven Wirtschaftsembargos kann konstruktiv begegnet werden. Zum Beispiel durch einen von der internationalen Staatengemeinschaft erarbeiteten Sanktionskodex, der Embargos humanisieren hilft. Lebensmittellieferungen und medizinische Hilfe müssen von der UNO bereit gestellt, Hilfsorganisationen mit der Logistik betraut werden. Natürlich würde eine solche Versorgung nie vollständig funktionieren, auch weil ein sanktioniertes Land von außen verursachten Hunger als politisches Instrument zur Herrschaftssicherung einsetzen kann. Aber, um Hans von Sponeck zu zitieren: "Kurzfristig darf man im höheren Interesse auch Unschuldige treffen, (nur) über einen längeren Zeitraum jedoch ist das unerträglich und verstößt auch gegen die Menschenrechtsdeklarationen." (Freitag 24. 3. 2000).

Obwohl die Einrichtung eines Sanktionshilfefonds seit Jahren gefordert wird und sogar Eingang in den rotgrünen Koalitionsvertrag gefunden hat, ist eine Umsetzung bisher nicht in Sicht. Kein Wunder. Wer eine europäische Interventionsarmee aufbauen und Militärsatelliten anschaffen will, kann bei begrenzten Haushaltsmitteln nicht auch noch Milliarden für einen Sanktionshilfefonds bereitstellen. Aufrüstung oder nicht-militärische Konfliktlösung - nur eines geht.

* Der Sanktionshilfefonds ist detailliert beschrieben in: U. Cremer: Neue NATO - neue Kriege? Zivile Alternativen zur Bundeswehr, Hamburg 1998, S.110ff.

Literaturhinweise:
Geoff Simons: Imposing Economic Sanctions - Legal Remedy or Genocidal Tool? London 1999.
Daniel W. Drezner: The Sanctions Paradox, Cambridge 1999.
Ernest H. Preeg: Feeling good or doing good with Sanctions, Washington D.C. 1999.
George Lopez / David Cortright: Financial Sanctions: The Key to a "Smart" Sanction Strategy, in: Die Friedens-Warte Bd.72, Heft 4, 1997.

Aus: Freitag, Nr. 15, 7. April 2000

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