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Beauftragter: Bundeswehr ist überlastet

Jahresbericht beklagt Unmut in der Truppe *

Auslandseinsätze, Personalmangel und schlechte Ausstattung sorgen für Unmut in der Bundeswehr. »In vielen Bereichen ist die Grenze der Belastbarkeit erreicht, vielfach sogar überschritten«, erklärte der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hellmut Königshaus, am Dienstag. Der FDP-Politiker bezeichnete 2013 als »Jahr des Umbruchs« für die Truppe. Trotz Reduzierung des Personals mussten neue Einsätze bewältigt werden. Aufgrund der Reform der Armee seien die Soldaten zunehmend verunsichert, was ihre zukünftige Position oder ihren Arbeitsort betrifft. Königshaus äußerte sich anlässlich der Vorstellung des 55. Jahresberichts.

Demnach wurden im vergangenen Jahr 64 Verdachtsfälle sexueller Belästigung bei der Bundeswehr registriert. Im Vorjahr waren es 50. Königshaus beklagt, dass sich viele Frauen nicht trauten, Übergriffe zu melden.

Mit Blick auf den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan Ende 2014 sagte er: »Dieser Einsatz kann nicht als abgeschlossen betrachtet werden.« Der Wehrbeauftragte verwies in diesem Zusammenhang auf die Zahl der getöteten Soldaten. Die Ausrüstung sei in den vergangenen Monaten zwar deutlich verbessert worden, allerdings ging dies zulasten der Stützpunkte in Deutschland.

Die Initiative der neuen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) für eine familienfreundlichere Bundeswehr begrüßte Königshaus als überfälligen Schritt. »Nun bedarf es konkreter Maßnahmen, insbesondere der Bereitstellung zusätzlicher Haushaltsmittel für diesen Zweck.«

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 29. Januar 2014


Armutszeugnis für die Truppe

Jahresbericht des Wehrbeauftragten offenbart Mißstände in der Bundeswehr

Von Michael Merz **


Die Quote der Soldaten, die sich über Mißstände beschweren, ist auf einem historischen Höchststand seit Gründung der Bundeswehr. Die Zahl der Eingaben ist 2013 auf 27,7 pro 1000 Soldaten angewachsen. Trotz Reduzierung des Personalbestandes gab es mehr Beschwerden, insgesamt 5095. Das erklärte der Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus am Dienstag in Berlin. In seinem Jahresbericht werden die Problemfelder strukturiert und Beispiele, etwa für sexuelle Übergriffe oder rechtsextreme Vorfälle, genannt.

Königshaus hält die Bundeswehr für überlastet. Dem Personalmangel und einem über Jahre angewachsenen Investitionsstau müsse schnell beigekommen werden. Die Neuausrichtung der Truppe bereite ihm Sorgen, gerade angesichts der parallel stattfindenden Auslandseinsätze. Von einem Scheitern der Bundeswehrreform will Königshaus trotzdem nicht sprechen, eine »Reform der Reform« würde nur die Unsicherheiten vergrößern. Seit den 90er Jahren habe es eine Reform nach der anderen gegeben und keine sei zu Ende gebracht worden. Die Ziele der Neuausrichtung können vielfach nicht erreicht werden, erklärte Königshaus. Es sei fraglich, ob die Bundeswehr tatsächlich einsatzfähiger, finanzierbar und attraktiver werde. Man denke sich »schicke Begriffe« wie etwa das »dynamische Verfügbarkeitsmanagement« aus, die nur Ausdruck struktureller Defizite und systematischer Mangelverwaltung seien. »Dabei werden Potemkinsche Dörfer kreiert«, so Königshaus.

Als »Anwalt der Soldaten« steht Königshaus zwischen den Stühlen. Als letzter FDP-Mann im Bundestag, der noch bis 2015 im Amt sein will, darf er nicht an politischen Entscheidungen teilhaben. Seine Aufgabe ist es aber, die Möglichkeiten der Bundeswehr realistisch zu betrachten. Verteidigungsministerin von der Leyen und er seien »keine eineiigen Zwillinge«, formulierte er übervorsichtig etwas Kritik. Angesprochen auf die Überlastung der Truppe und wie diese in Einklang zu bringen sei mit immer weniger militärischer Zurückhaltung, bekannte er, daß es ihm lieber gewesen wäre, wenn die Frage nicht gestellt worden wäre. Er wünsche sich, daß, bevor Angebote an die Weltgemeinschaft gemacht würden, das Problem intensiv erörtert würde. Als Beispiel nennt er die Spezial­pioniere der Bundeswehr – »das sind die, die da zuerst hinmüssen«. Gerade diese Truppe werde bei der Neuausrichtung verkleinert.

** Aus: junge welt, Mittwoch, 29. Januar 2014


Frustrierte Söldner

Wehrbeauftragter legt Jahresbericht vor

Von Sebastian Carlens ***


Hellmut Königshaus, Wehrbeauftragter des Bundestages, ist der Kummerkasten der Armee. Der letzte FDP-Mann im deutschen Parlament fungiert als Ombudsmann für die Sorgen und Nöte der Soldaten, bei ihm laufen Klagen aller Art ein. Arbeitslosigkeit droht ihm nicht: Um 20 Prozent stieg die Zahl der Beschwerden gegenüber dem Jahr 2012. Die Truppe ist anspruchsvoll geworden.

Da sind die Auslandseinsätze, die gewisse Strapazen mit sich bringen. In Kabul, mitten in einer Wüste gelegen, entpuppte sich die »extreme Staub- und Sandbelastung« als problematisch; im »Camp Koulikoro« in Mali fehlten die Moskitonetze. An Nachtruhe war da nicht zu denken. In die Türkei mußte ein deutscher Bauingenieur eingeflogen werden, um den Zustand der Gazi-Kasernen zu begutachten. Dort, an der Grenze zu Syrien, sind deutsche Soldaten untergebracht, und das Ergebnis des Fachmannes war ernüchternd: »Gebäude trotz Sanierung insgesamt nicht bewohnbar«. »Erhebliche Probleme traten dort auf, wo deutsche Soldatinnen und Soldaten in vom Gastland gestellten Liegenschaften und Lagern untergebracht waren«, bilanzierte der Bundestags-Wellneßbeauftragte.

Doch wenn es nach Ursula von der Leyen (CDU) geht, wird die Bundeswehr in Zukunft verstärkt international aktiv werden. »Wir können nicht zur Seite schauen«, so die neue Verteidigungsministerin. »Schon allein aus humanitären Gründen«. Solche gibt es vielerorts: in Mali, im Kongo, im Südsudan, in Afrika im allgemeinen. Auch dieser Kontinent hat seine Tücken: Tagsüber kann es dort unangenehm heiß werden, nachts empfindlich kühl. Königshaus, übernehmen Sie!

Großen Kummer bereitet von der Leyen, selbst siebenfache Mutter, die familienunfreundliche Situation beim »Arbeitgeber Bundeswehr«. Es bleibt noch viel zu tun, um den »Dienst an Deutschland« für junge Leute attraktiv zu machen. Vielleicht morgens Dienst im Schützenpanzer, danach kurz ins Spa, nachmittags den Nachwuchs aus dem Feldlager-Waldorf-Kindergarten abholen, abends Antistreß-Yoga. Ganz entspannt zur Weltherrschaft.

»Deutsche Sicherheitspolitik kann heute nicht mehr anders als global konzipiert werden«, heißt es im Papier »Neue Macht – Neue Verantwortung« des Kanzleramts-Thinktanks »Stiftung Wissenschaft und Politik«. Unser Feld ist die Welt, Töten ist Arbeit, Arbeitskraft ist eine Ware, Waren kosten Geld: 92 Euro Tagesaufschlag auf den Sold erhält ein Bundeswehrsoldat in Afghanistan, im Sudan sind es knapp 80 Euro. Die Bundeswehr von heute ist ein Söldnerheer, das Deutschlands Interessen in aller Welt durchsetzen soll. Das ostentative Gejammere dieser modernen Landsknechte sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie sämtlich freiwillig dabei sind. Kurt Tucholsky nannte sie »Mörder«. Mittlerweile sind sie krankenversichert.

*** Aus: junge welt, Mittwoch, 29. Januar 2014 (Kommentar)




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