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Ursula von der Leyen: "Unser Kernauftrag ist die Verteidigung, aber wir interpretieren diesen Auftrag inzwischen global" / Christine Buchholz: "Die Soldatinnen und Soldaten werden verheizt für Interessen, die nicht ihre sind"

Im Wortlaut: Bundestagsdebatte über den Bericht des Wehrbeauftragten


Am 16. Januar 2014 debattierte der Deutsche Bundestag über den Jahresbericht 2012 des Wehrbeauftragten. Es ist der 54. derartige Bericht und kann hier als Drucksache heruntergeladen werden: Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten. Jahresbericht 2012 (54. Bericht) [Externer Link].

Mit Spannung erwartet worden war der Auftritt der neuen Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die zum ersten Mal in dieser Funktion im Bundestag sprach und denn auch grundsätzlich zum Auftrag der Bundeswehr Stellung bezog.

Im Folgenden dokumentieren wir die Debatte des Bundestags im Wortlaut.
Es sprachen in dieser Reihenfolge:

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Wir kommen damit zum Tagesordnungspunkt 4:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses (12. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten

Jahresbericht 2012 (54. Bericht)

Drucksachen 17/12050, 18/297

(...) Interfraktionell vereinbart ist eine Aussprachezeit von 60 Minuten. - Dazu kann ich Einvernehmen feststellen. Dann verfahren wir so.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus das Wort.

Hellmut Königshaus, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages:

Herzlichen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Die Wähler haben Sie - viele von Ihnen erneut - in den Deutschen Bundestag entsandt. Hierzu möchte ich Ihnen als Ihr Wehrbeauftragter zunächst einmal sehr herzlich gratulieren. Ich hoffe, dass meine Mitarbeiter im Amt und ich auch mit diesem Deutschen Bundestag auf eine ebenso enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit bauen können, wie es in der vergangenen Legislaturperiode der Fall war.

Mit der heutigen Debatte schließt der Deutsche Bundestag die Beratung des Jahresberichts für das Jahr 2012 ab. Ich bin dankbar dafür, dass der 18. Deutsche Bundestag nahtlos an die Arbeit des 17. Deutschen Bundestages anknüpft und die Beratung des Jahresberichts 2012 damit zeitnah zum Abschluss bringt.

Nach der Bundestagswahl hat inzwischen eine neue Bundesregierung ihre Arbeit aufgenommen. An der Spitze des Verteidigungsministeriums gab es dabei einen Wechsel. Ich möchte dies zum Anlass nehmen, zunächst einmal dem früheren Verteidigungsminister und jetzigen Innenminister - er ist jetzt nicht da; aber vielleicht kann man ihm das ausrichten -, Herrn Dr. de Maizière, für die Unterstützung meiner Arbeit und die meist auch gute Zusammenarbeit Dank zu sagen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD))

In diesen Dank möchte ich seine Frau ausdrücklich einschließen, die sich sehr für die Belange der Familien der Verwundeten und die Hinterbliebenen eingesetzt hat und dies, worüber ich mich sehr freue, auch weiterhin tun will. Weil ich gerade Dr. Jung sehe, möchte ich sagen: Auch Frau Jung engagiert sich weiterhin auf diesem Gebiet. Ich finde, das ist ein gutes Beispiel für bürgerschaftliches Engagement.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Ihnen, Frau Dr. von der Leyen, als Nachfolgerin in diesem Amt möchte ich an dieser Stelle noch einmal zur Übernahme dieses fordernden und auch verantwortungsvollen Amtes gratulieren. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg für die vor Ihnen liegenden Aufgaben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Sie können auf meine Unterstützung bauen, und ich hoffe auch auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit.

Meine Damen und Herren, das Jahr 2012 war, wie in dem Bericht ausgeführt ist, außer von den Einsätzen vor allem von der Neuausrichtung der Streitkräfte geprägt. Die Neuausrichtung betraf nicht nur die Streitkräfte, auch der zivile Teil der Bundeswehr war davon nachdrücklich betroffen; aber wir unterhalten uns hier jetzt über die Streitkräfte. Zu der Neuausrichtung gehörte insbesondere die Herauslösung der Inspekteure der Teilstreitkräfte und der Organisationsbereiche aus dem Ministerium und ihre truppendienstliche Unterstellung unter den Generalinspekteur. Diese Neuordnung ist inzwischen abgeschlossen. - Ich möchte, weil ich sehe, dass er da ist, diesen Punkt nutzen, um auch dem Generalinspekteur herzlich für die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit zu danken.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Daneben wurden die einschneidenden Folgen der Stationierungsentscheidungen für einige der Soldatinnen und Soldaten bereits spürbar. Für den Großteil der betroffenen Soldatinnen und Soldaten aber war das Jahr 2012 noch geprägt durch ein schier endloses Warten auf die Entscheidung über ihre ganz persönliche weitere Verwendung und Perspektive in der Bundeswehr. Dies hat die Stimmung in der Truppe erheblich getrübt, und das wurde übrigens auch im Folgejahr nicht besser; in dem Bericht für das Jahr 2013, den ich in Kürze vorlegen werde, wird darauf noch einmal ausführlich eingegangen werden. Eines sei an dieser Stelle schon gesagt: Nachhaltig sind die derzeitigen Strukturen, insbesondere die Strukturen für die internationalen Aufgaben und Verpflichtungen, aus meiner Sicht immer noch nicht.

Damit komme ich zu den Einsätzen. Vielleicht etwas Positives vorab: Bei der über viele Jahre auch von mir gerügten Ausstattung der Einsatzkontingente und der persönlichen Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten im Einsatz hat es in den vergangenen Jahren deutliche Verbesserungen gegeben; sie ist inzwischen auf einem guten Niveau. Ungeachtet dessen gilt es - gerade in der im vergangenen Jahr eingeleiteten Phase der deutlichen Reduzierung der deutschen ISAF-Kräfte -, dem Schutz und der Sicherheit höchste Aufmerksamkeit zu widmen. Die Entwicklung der Sicherheitslage gibt dazu, wie Sie wissen, auch Anlass.

Die Reduzierung des deutschen Engagements im Rahmen von ISAF wird der Truppe hoffentlich eine kleinere Atempause verschaffen. Doch sind der Bundeswehr insbesondere im vergangenen Jahr wieder neue Aufgaben zugewachsen; ich nenne nur die Einsatzorte Dakar, Koulikoro, Kahramanmaras und Trabzon. Mögliche weitere Einsätze, insbesondere in Afrika, zeichnen sich bereits ab. Jeder dieser Einsätze stellt ganz besondere Anforderungen an die Truppe und verlangt den Transport von Material und Personal über weite Distanzen in unterschiedlichste Klimazonen. Eine nachhaltige Entlastung der Truppe im Bereich der Einsätze ist damit also nicht zu erwarten. Im Gegenteil, die Bundeswehr wird ihre Struktur nach meiner Einschätzung zumindest im Bereich von Spezialverwendungen den Anforderungen der Einsätze noch einmal anpassen müssen - oder aber es werden Art und Umfang der Einsätze begrenzt werden müssen.

Frau Ministerin, ich würde mir auch wünschen, dass bei unseren Angeboten an die internationale Gemeinschaft ein wenig mehr Aufmerksamkeit als bisher auf die Begrenztheit unserer Mittel gelenkt werden könnte. Bei dem geradezu routinemäßig gegebenen Angebot von Lufttransportkapazitäten wird nach meinem Eindruck nicht berücksichtigt, wie gering unsere Reserven in diesem Bereich bereits für den Regelbetrieb sind. Das belastet das Personal wirklich sehr.

Meine Damen und Herren, die größte Herausforderung für die Zukunft der Bundeswehr ist die Frage nach der Attraktivität des Dienstes in den Streitkräften. Ein wichtiger Faktor dabei ist immer die Bezahlung des Dienstes - das ist klar -; aber zumindest gleichrangig daneben stehen die Fürsorge des Dienstherren für unsere Soldatinnen und Soldaten und die Vereinbarkeit von Familie und Dienst. Sie sind der Schlüssel zur Attraktivität des Dienstes in den Streitkräften. Ich bin fest davon überzeugt: Das ist auch die Schlüsselfrage für die Zukunftsfähigkeit unserer Streitkräfte; denn wenn man keinen Nachwuchs gewinnen kann, weil man nicht attraktiv ist, wird man irgendwann keine Streitkräfte mehr haben.

Ich freue mich sehr, dass Sie, Frau Ministerin, die Verbesserung der Vereinbarkeit von Dienst und Familie so nachdrücklich zu einem Schwerpunkt Ihrer Arbeit machen wollen. Die bisherigen Bemühungen in diesem Bereich - das weist auch der Jahresbericht 2012 aus - waren von dem Bemühen geprägt, die vorhandenen Instrumentarien auszuschöpfen und zu optimieren. Das reicht aber für die Bewältigung zum Beispiel der Pendlerproblematik, für eine bessere Kinderbetreuung oder für die Reduzierung von Versetzungen und Kommandierungen nicht aus.

Der Deutsche Bundestag, insbesondere der Verteidigungs- und auch der Haushaltsausschuss - dafür bin ich sehr dankbar -, hat in der Vergangenheit die notwendigen Maßnahmen zur Verbesserung des Schutzes der Soldatinnen und Soldaten im Einsatz, aber auch die gebotene Fürsorge immer unterstützt und gefördert. Ich bin sicher, dass auch Sie, die Abgeordneten des 18. Deutschen Bundestages, so verfahren werden, auch und gerade auf dem Gebiet der Fürsorge und der Vereinbarkeit von Familie und Dienst.

Das wird sicher Geld kosten. Ob das auf Dauer wirklich aus dem laufenden Budget zu stemmen ist, da habe ich meine Zweifel. Vorhin ist Herr Kampeter ganz besorgt herbeigeeilt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Der will sich das anhören!)

Ich muss sagen: Ja, es ist in der Tat so, dass wir nicht umhinkommen werden, anzuerkennen: Das ist eine soziale Aufgabe. - Ich möchte an dieser Stelle anmerken: Im Jahr 1990 betrug das Verhältnis zwischen Verteidigungsetat und Sozialetat 1 zu 1,3. Heute beträgt das Verhältnis etwa 1 zu 3. Das bedeutet, dass wir die gesellschaftliche Entwicklung im Bereich des Sozialen, die ich sehr begrüße, in der Bundeswehr nachholen müssen. Aus diesem Grunde werde ich Vorschläge machen, was konkret in diesem Bereich getan werden kann. Das wird im Bericht für das Jahr 2013 nachzulesen sein.

Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir an dieser Stelle, dass ich abschließend allen unseren Soldatinnen und Soldaten, natürlich insbesondere denjenigen im Einsatz, und ihren Familien danke,

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

dass sie im Auftrag dieses Hohen Hauses so vielfältige Belastungen für unser Land auf sich nehmen.

Dank und Anerkennung - ich glaube, das gehört rückblickend noch angemerkt - verdienen auch die vielen Tausend Soldatinnen und Soldaten, die während der Hochwasserkatastrophe des vergangenen Jahres in so vorbildlicher Weise und unter Zurückstellung auch persönlicher Belange Hilfe geleistet haben.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Natürlich danke ich auch all meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die gerade im vergangenen Jahr und derzeit eine besonders hohe Arbeitsbelastung hinnehmen müssen, und all denen, die im Ministerium an Aufgaben zum Wohle der Soldatinnen und Soldaten arbeiten.

Ihnen danke ich für Ihre Aufmerksamkeit. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Vielen Dank, Herr Kollege Königshaus. Das Hohe Haus dankt Ihnen für Ihre Arbeit und wünscht Ihnen ein gutes neues Jahr. Ich glaube, das kann man Mitte Januar noch tun.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt gebe ich das Wort unserer Ministerin Frau Dr. Ursula von der Leyen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der Verteidigung:

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Königshaus! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Königshaus, auch ich möchte Ihnen und vor allen Dingen auch Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zunächst einmal von Herzen danken: für das großes Engagement, die Kraft und die Entschlossenheit, mit der Sie sich immer wieder für unsere Bundeswehr und ihre Soldatinnen und Soldaten einsetzen - und das jetzt schon seit vier Jahren. Vielen Dank von dieser Stelle aus.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Katja Kipping (DIE LINKE) und Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE))

Wir haben in der vergangenen Woche im Rahmen Ihres Antrittsbesuches miteinander gesprochen. Es war Ihr dritter Antrittsbesuch bei einem Minister - in diesem Falle bei einer Ministerin. Ich will es einmal so sagen: Ebenso viel Erfahrung wie mit unterschiedlichen Ministern haben Sie inzwischen auch mit der Bundeswehr und mit den Sorgen und Nöten der Soldatinnen und Soldaten.

In Ihrem Bericht ist mir aufgefallen, dass Sie ganz klar sind: Wenn es etwas zu kritisieren gibt, dann kritisieren Sie konsequent, aber Sie haben nicht nur Verbesserungsvorschläge, für die ich danke, sondern Sie erkennen auch Bemühungen an, wenn sich etwas verbessert hat - in diesem Falle in dem Ministerium -; denn in Ihrem Jahresbericht 2012 zeigen Sie zwar einerseits Mängel auf, verschweigen aber andererseits eben auch nicht, dass es zum Beispiel bei der Versorgung unserer Verwundeten auch Verbesserungen gegeben hat.

(Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU): Richtig!)

Diese klare Haltung, diesen konstruktiven Ansatz begrüße ich ausdrücklich. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit, Herr Königshaus, gerade zum Wohle der Bundeswehr und der Soldatinnen und Soldaten.

Meine Damen und Herren, ich möchte da ansetzen, wo wir heute stehen, und nach vorne schauen. In der Tat: Alleine im vergangenen Jahr hat sich die Situation der Bundeswehr massiv verändert. Die Neuausrichtung ist weiter vorangeschritten. Wir sind nicht mehr am Beginn der Neuausrichtung, sondern mittendrin.

Mein Vorgänger im Amt, Thomas de Maizière, hat der Neuausrichtung Ordnung und Struktur gegeben. Er hat das mit einer enormen Bravour, mit Präzision und mit ganz viel Herz getan. Ich möchte an dieser Stelle auch dafür danken; denn ich weiß, dass ich auf dieser fantastischen Arbeit aufbauen kann. Danke an Thomas de Maizière für das, was er in Bezug auf die Neuausrichtung geleistet hat.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass ich an den grundlegenden Entscheidungen festhalte. Es wird keine Reform der Reform geben. Die Reform ist gut. Die Angehörigen der Bundeswehr und ihre Familien müssen Planbarkeit und Verlässlichkeit haben, sodass sie wissen, in welchen Strukturen sie arbeiten.

Selbstverständlich wollen wir eine lernende Organisation bleiben. Das muss ein selbstverständlicher Anspruch sein, auch weil sich die Lage um uns herum immer wieder verändert. Es verändert sich die Lage der Bundeswehr innerhalb der NATO und der EU. Nach der Finanzkrise und inmitten der Euro-Krise, die ein wenig abklingt, aber noch lange nicht durchschritten ist, erleben wir jetzt eine europäische Haushaltskonsolidierung, und wir müssen uns ehrlich machen - Sie haben es angesprochen, Herr Königshaus -, wenn es darum geht, wie wir unsere Fähigkeiten bei sinkenden Verteidigungsbudgets erhalten können.

Deutschland hat zum Beispiel als Vorschlag das Konzept der „Rahmennationen“ in die Diskussion eingebracht, um den Anspruch von Pooling, Sharing und Smart Defence, also verschiedener Konzepte, die diese Thematik aufgreifen, auf die tatsächlich vorhandenen Fähigkeiten - es geht auch darum, wie wir das dann in der Praxis und in der Realität machen - abstimmen zu können. Auf der Münchener Sicherheitskonferenz und bei den NATO- und den EU-Treffen im Laufe des Jahres werden wir sicherlich darüber diskutieren und dem auch stärker Form geben.

Die internationale Lage hat sich im letzten Jahr verändert. Wie unter dem Brennglas kann man sich hier vor allem Afghanistan ansehen. Wir werden die Frage beantworten müssen: Wie geht es nach dem Abzug der ISAF-Truppen aus Afghanistan weiter? Der Kampfeinsatz endet 2014. Das ist ganz klar; das weiß auch die afghanische Bevölkerung. Aber wird es danach zu einer Ausbildungs- und Trainingsmission kommen können? Ich persönlich bin davon überzeugt, dass der ISAF-Einsatz in Afghanistan im Rückblick auch daran gemessen und bewertet wird, wie wir aus dem Land herausgehen und ob es gelingt, das Erreichte nachhaltig zu stabilisieren und die Verantwortung tatsächlich so in die Hände der Afghanen zu übergeben, dass sie das dann auch weiterführen können.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Unser Kernauftrag ist die Verteidigung, aber dass wir diesen Auftrag inzwischen global interpretieren, bedarf gerade vor dem Hintergrund unserer Geschichte immer wieder der Begründung. Die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen - das wollen wir -, bedarf der Begründung. Auch diesen Fragen möchte ich mich stellen. Die Antwort auf diese Sinnfragen ist für einen Soldaten oder eine Soldatin mindestens ebenso wichtig wie optimale Ausrüstung oder wie eine gute Vereinbarkeit von Dienst und Familie. Dazwischen besteht kein Widerspruch, sondern alles drei ist meines Erachtens wichtig.

Es verändert sich auch die Lage im Inland. Das Stichwort „demografischer Wandel“ fiel bereits: Das ist der Treiber der Veränderung. Mir ist völlig klar: Soldat oder Soldatin zu sein, ist kein Beruf wie jeder andere. Aber im Grundbetrieb oder bei der Nachwuchsfrage stellen sich diesem Beruf genau dieselben Fragen und Probleme wie allen anderen Berufen in Deutschland auch. Gerade weil wir viel verlangen, weil wir einen besonderen Auftrag haben, müssen die Rahmenbedingungen besser sein.

Mein Ziel ist es, dass die Bundeswehr zu einem der attraktivsten Arbeitgeber in Deutschland wird. Wir müssen besser werden. Dazu müssen wir eine bessere Vereinbarkeit von Dienst und Familie haben. Da gibt es Unterpunkte, wie zum Beispiel eine passgenaue Kinderbetreuung. Wir haben den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz - Gott sei Dank. Aber Fragen der Randzeiten und der Passgenauigkeit vor Ort müssen angesprochen werden. Wir brauchen eine moderne Arbeitszeitregelung. Das muss nicht unbedingt mit mehr Kosten verbunden sein. Präsenz zu erwarten, wenn Arbeit gerade nicht anfällt, ist nicht sinnvoll. Arbeitszeit flexibel einzuteilen, wenn Arbeit anfällt, aber dann auch die notwendigen Regenerationsphasen einzuplanen, ist einfach intelligenter und sinnvoller.

Wir müssen die häufigen Versetzungen, insbesondere wenn keine steile Karriere dahintersteht, ebenfalls noch einmal auf ihre Sinnhaftigkeit überprüfen. Ich bin über die sehr verlässliche Karriereplanung bei den Laufbahnen in der Bundeswehr beeindruckt. Ich stelle mir nur die Fragen: Was ist mit der Laufbahnentwicklung, wenn man nicht immer Vollzeit arbeitet und nicht immer präsent ist? Wie ist dann die Förderung der Karriere? Diese Fragen stellen sich uns. Das sind Fragen ganz moderner Unternehmensführung.

Ja, die Bundeswehr hat einen besonderen Auftrag. Aber sie ist auch ein global agierender Konzern. Sie hat round about im Zielbetrieb 250 000 Beschäftigte an 400 Standorten im In- und Ausland. Sie hat ein Luftfahrtunternehmen. Sie hat eine Reederei. Sie hat einen Krankenhausverbund par excellence; das kann ich als Ärztin beurteilen, das ist vom Feinsten. Sie hat ein Logistikunternehmen, das seinesgleichen sucht. Sie hat eine Qualifizierungssparte mit Schulen, mit Ausbildungsbetrieben, mit Akademien und Hochschulen. All das erfordert eine hervorragende Verwaltung. Wir verlangen viel. Deshalb brauchen wir den fähigsten Nachwuchs, und wir brauchen die besten Bedingungen für die, die schon heute bei uns sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Die Probleme sind bekannt; das zeigen die Berichte des Wehrbeauftragten und des Bundeswehrverbandes. Der Koalitionsvertrag - dafür danke ich, weil ich diesen Teil nicht mitverhandelt habe, aber Sie, die Sie dort sitzen, haben ihn mitverhandelt - gibt uns einen klaren Auftrag. Das zeigt auch schon, dass es deutliche Vorarbeiten gibt, sowohl in der Bundeswehr als auch im Parlament, im Ministerium und in den Standorten, auf denen wir aufbauen können. In dieser Woche beginnt eine systematische Bestandsanalyse: Was gibt es schon? Wo ist der Bedarf am größten? Aber wir werden sicherlich gemeinsam Neuland betreten müssen, zum Beispiel in der Frage nach Lebensarbeitszeitkonten.

Die Finanzierung dafür werden wir innerhalb des Einzelplans 14 sicherstellen müssen. Ich hatte vorhin schon darüber gesprochen, dass nicht alles Geld kostet. Man wird Geld in die Hand nehmen müssen, zum Beispiel bei der Kinderbetreuung. Aber die Praxis der fast schon automatischen Versetzungen bringt vor allem Kosten mit sich. Wenn man sie auf ihre Sinnhaftigkeit reduziert, dann ist das nicht eine Frage von mehr Geld. Ich will nicht sagen: von weniger Geld, aber eine Frage von mehr Geld ist es nicht von vornherein.

Es geht um eine zukunftsfähige Bundeswehr im umfassenden Sinne. Heute ging es vorwiegend um die Fragen und die Probleme aus dem Bericht des Wehrbeauftragten. Auch von mir ein Dank an unsere Soldatinnen und Soldaten und ihre Familien für den Dienst, den sie leisten. Es ist gut, lieber Herr Königshaus, Sie auf diesem Weg an unserer Seite zu wissen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Vielen Dank, Dr. Ursula von der Leyen. Wären Sie Abgeordnete, würde ich Ihnen zur ersten Rede hier gratulieren. Ich gratuliere Ihnen als Ministerin in diesem Amt dazu und wünsche Ihnen allzeit gute Arbeit.

Jetzt kommt Christine Buchholz für die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Christine Buchholz (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ehrlich gesagt: Ich bin enttäuscht, Frau von der Leyen. Denn Sie haben nicht über die Probleme der Soldatinnen und Soldaten und über den Bericht des Wehrbeauftragten geredet, sondern Sie haben wieder Überschriften produziert.

(Beifall bei der LINKEN - Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Haben Sie nicht zugehört?)

2012 war der Frust unter den einfachen Soldaten groß. 2013 war er noch größer, wenn man den Vorabmeldungen zu dem neuen Bericht des Wehrbeauftragten glauben darf, der Ende dieses Monats erscheinen wird. Das ist auch kein Wunder. Herr de Maizière hat es zum Abschied noch einmal deutlich gemacht, als er sagte: „Ziel der Neuausrichtung war es nicht und konnte es nicht sein, die Zufriedenheit der Soldaten und Mitarbeiter zu erhöhen.“ Ziel sei es, den Auftrag der Bundeswehr zu erfüllen. Dieser Auftrag heißt, einsatzbereit zu sein - jederzeit, weltweit. Sie haben das auch noch einmal gesagt, Frau von der Leyen: Kernaufgabe ist es, global handlungsfähig zu sein.

Frau von der Leyen will die Bundeswehr jetzt zum attraktivsten Arbeitgeber machen und stellt die Familienfreundlichkeit ins Zentrum. Dabei macht sie einen Widerspruch auf, der unlösbar ist. Die Bundeswehr war noch nie besonders familienfreundlich. Ihre Wandlung zu einer Armee im Einsatz hat das Problem jedoch massiv verschärft. Eine Armee im Einsatz und Familienfreundlichkeit sind unvereinbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich bitte Sie, genau hinzugucken, statt nur Überschriften zu produzieren und Losungen zu verbreiten. Denn wenn Sie den Bericht lesen, merken Sie, dass Ihre Voraussetzungen falsch sind. Im Bild-Interview haben Sie am Wochenende gesagt, dass bei einem Einsatz wie in Afghanistan der Dienst unbestritten immer Vorrang hat. Ich zitiere Frau von der Leyen: „Doch in der Regel folgen auf vier Monate im Auslandseinsatz 20 Monate daheim.“

Frau Ministerin, im Bericht des Wehrbeauftragten steht das Gegenteil. Sechs Monate oder mehr sind auch beim Heer „eher die Regel als die Ausnahme“, heißt es da. Herr Königshaus hat gestern im Ausschuss ergänzt: 20 Monate Zwischenzeit zwischen den Einsätzen werden durchgängig nicht eingehalten. In manchen Fällen, so der Bericht, werden nicht einmal neun Monate eingehalten. In dem Bericht ist infolgedessen von zerbrochenen Beziehungen und Familien und entwurzelten Soldaten die Rede.

In einzelnen Einheiten liegt die Scheidungsrate laut des vorherigen Jahresberichtes bei bis zu 80 Prozent. Die Armee im Einsatz zerstört Familien in Einsatzgebieten wie in Afghanistan, aber auch hier in Deutschland. Das ist die Realität, Frau von der Leyen.

(Beifall bei der LINKEN)

Verschiedentlich war in den letzten Tagen zu hören, die familiären Belastungen hätten mit den Auslandseinsätzen wenig zu tun. Schließlich befänden sich nur 2,5 Prozent der Soldaten im Einsatz. Herr Königshaus sagte dazu gestern im Ausschuss: Wenn behauptet wird, dass nur eine Minderheit von der Ausrichtung auf Einsätze betroffen ist, dann ist das falsch. - Ich gebe ihm darin recht. Schließlich werden Soldaten im Rotationsverfahren entsandt. Insgesamt waren bereits 300 000 Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz.

Eine andere unmittelbare Quelle der Unzufriedenheit sind die zahlreichen Standortversetzungen und die dadurch entstehende Pendelei. Tun Sie doch nicht so, als habe das nichts mit dem Umbau der Bundeswehr zur Einsatzarmee zu tun! Die Versetzungswelle war das Ergebnis der Reform, die unter dem offiziellen Motto stand: „Vom Einsatz her denken“. Alle Entscheidungen wurden dem untergeordnet.

Frau von der Leyen macht immer wieder deutlich, dass sie diese Prämisse teilt. Das hat sie auch heute in ihrer Rede getan. Aber auch sonst sagt sie bei jeder Gelegenheit deutlich: Es wird keine Reform der Reform geben. Das sei eine gute Nachricht für die Bundeswehr; das sei der Erfolg von Herrn de Maizière.

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Genau!)

Ministerin von der Leyen hat nun viele Erwartungen geweckt, sie würde an diesem Zustand etwas grundlegend ändern. Aber leider ist das reine Propaganda.

Das Bild, dass die Soldaten sich nach ihrem Einsatz 20 Monate in Deutschland regenerieren könnten, ist aus einem weiteren Grund völlig verfehlt. Es ist doch nicht so, dass die Soldatinnen und Soldaten die Einsatzerfahrung einfach abschütteln.

(Beifall bei der LINKEN - Ingo Gädechens (CDU/CSU): Machen Sie sich doch hier nicht zum Anwalt der Soldatinnen und Soldaten! Sie wollen die Bundeswehr abschaffen!)

Je mehr Einsätze die Bundeswehr durchführt, desto mehr junge Menschen kommen seelisch versehrt zurück. Und auch darüber müssen wir sprechen, Frau von der Leyen.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Bericht des Wehrbeauftragten greift das auf und spricht von Posttraumatischen Belastungsstörungen, kurz PTBS. Er verlangt, dass die Bundeswehr als Dienstherr auch dann zur Fürsorge verpflichtet ist, wenn die Erkrankung - wie so häufig - erst nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst erkannt wird. Das unterstützen wir. Doch zugleich wird im Bericht der Umgang der Bundeswehr mit dem Problem zu positiv betrachtet. Die Bundeswehr führt Maßnahmen in einem - ich zitiere jetzt den Titel - „Rahmenkonzept zum Erhalt und zur Steigerung der psychischen Fitness von Soldatinnen und Soldaten“ durch. Es geht hier nicht um den Menschen, sondern um seine psychische Fitness für den Einsatz, und das ist zynisch.

(Beifall bei der LINKEN)

Es funktioniert auch nicht; denn das Risiko, zu erkranken, steigt mit jedem Einsatz um das Vierfache. Die Soldatinnen und Soldaten werden verheizt für Interessen, die nicht ihre sind.

Der Afghanistan-Veteran aus Leipzig Enrico H. hat mir erzählt, dass er 2009 gerade einmal drei Tage Nachbereitung nach der bis dato intensivsten Kampfperiode in Deutschland erhielt. Er sagte mir: Erst hat man uns den Krieg schmackhaft gemacht, und jetzt vergisst man uns. - Auch das ist Realität.

(Ingo Gädechens (CDU/CSU): Wann war das?)

Der Afghanistan-Veteran Daniel Lücking sagte - ich zitiere aus seinem Blog -:

Derzeit drückt sich die Bundeswehr um die Verantwortung und profitiert massiv davon, dass sich Traumata und Probleme erst im Zivilleben herausstellen. Die Kosten dafür tragen die Sozialkassen, nicht aber der Verteidigungsetat.

Dem kann ich nur beipflichten. Um die Diskussion von eben aufzugreifen: Ich hielte es für völlig verfehlt, jetzt den Verteidigungsetat weiter aufzublähen. Vielmehr müssen wir dafür sorgen, dass die vielen sinnlosen Großprojekte und Einsätze, die unglaublich viel Geld kosten, zurückgefahren werden, damit die wirklichen, wichtigen Sozialkosten gedeckt werden können.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte noch eine Sache betonen. Im Bericht wird hervorgehoben, dass die Zahl der verwundeten Soldatinnen und Soldaten zurückgegangen ist und dass seit August 2011 kein deutscher Soldat gefallen ist. Darüber sind auch wir erleichtert. Aber das Bild, Herr Königshaus, das Sie zeichnen, ist falsch. Im Bericht wird von der verbesserten Sicherheitslage in Afghanistan gesprochen. Gerade gestern kam heraus, dass dieser Eindruck lediglich dem Zurückhalten der wahren Zahlen durch das Einsatzführungskommando geschuldet ist. Der Einsatz in Afghanistan fordert immer mehr Tote, unter Zivilisten, unter den afghanischen Sicherheitskräften und unter den Aufständischen. Wenn NATO-Drohnen Frauen, Kinder und Greise zerfetzen, wenn US-Soldaten - wie erst vor einer Woche - einen Fünfjährigen erschießen, dann wird diese NATO als eine verbrecherische Fremdmacht angesehen, und dazu gehört auch die Bundeswehr.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!)

Herr Königshaus streut in seinem Bericht Illusionen, wenn er sagt, dass die Anschaffung von noch mehr Großgerät eine Lösung für mehr Sicherheit bedeutet. Aber gerade Afghanistan hat in der Vergangenheit gezeigt, dass durch Aufrüstung eine Aufrüstungsspirale auf allen Seiten angeheizt wird. Das lehnen wir ab und können deswegen in letzter Konsequenz dem Bericht nicht zustimmen.

Der Vorsitzende des Bundeswehr-Verbandes, Herr Wüstner, hat das Stichwort bereits aufgegriffen und gleich die Einführung von Kampfdrohnen gefordert, die angeblich die Soldaten schützen. Frau von der Leyen und die Bundesregierung drücken sich da um eine klare Aussage herum. Ich will in diesem Zusammenhang klar sagen: Der Einsatz von Spionagedrohnen ist vom Einsatz von Kampfdrohnen im Krieg gegen den Terror nicht zu trennen. Ich sage: Stoppen Sie jegliche Beteiligung am Drohnenkrieg in Afghanistan, Pakistan, Afrika und anderswo!

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Christine Buchholz (DIE LINKE):

Ich komme zum Schluss.

Wenn Sie etwas für die Familienfreundlichkeit der Bundeswehr und der Gesellschaft tun wollen, dann setzen Sie sich in der Regierung endlich dafür ein, dass die Kommunen mehr Geld bekommen. Eine Unterstützung des Ausbaus einer umfassenden Kinderbetreuung nutzt nicht nur den Soldatinnen und Soldaten, sondern auch allen anderen Berufstätigen, die auf eine zuverlässige und flexible Betreuung ihrer Kinder angewiesen sind. Letztendlich ist die einzige Antwort für mehr Familienfreundlichkeit und Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten: Holen Sie die Frauen und Männer endlich zurück! Wir brauchen keine Armee im Einsatz.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Danke, Frau Kollegin Buchholz. - Als Nächster hat das Wort der Kollege Rainer Arnold von der SPD.

(Beifall bei der SPD)

Rainer Arnold (SPD):

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der Jahresbericht des Wehrbeauftragten ist mehr als eine Auflistung der Probleme bei den Streitkräften. Der Bericht zeigt auch, dass Herrn Königshaus und alle seine Mitarbeiter die Alltagssorgen der Soldaten wirklich bewegen. Wie hartnäckig er Lösungen anmahnt, erleben wir gelegentlich; das haben wir auch heute in seiner Rede wieder gehört. Dafür gebührt Ihnen, Herr Königshaus, und Ihrem ganzen Team unser recht herzlicher Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Allerdings müssen wir auch aufpassen. Wer den Bericht liest oder gar die Berichte in den Medien über den Bericht liest, könnte leicht den Eindruck gewinnen: Bei der Bundeswehr geht alles drunter und drüber, es läuft alles schief, und es ist die Regel, dass achtlos mit der Ressource Mensch umgegangen wird. - Das ist nicht so. Viele Vorgesetzte, die meisten Vorgesetzten, nehmen die persönliche Situation ihrer Untergebenen ernst, suchen Lösungen, wenn Alltagssorgen da sind. Auch dies muss immer wieder in Erinnerung gerufen werden. Die meisten arbeiten gut. Ich denke, allen Soldaten, aber ganz besonders den engagierten, die die Prinzipien der Inneren Führung vorleben, gilt unser herzlicher Dank für das Engagement.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Der Wehrbeauftragte ist der Sensor des Parlaments, und natürlich nehmen wir das ernst, was er uns schreibt; in Klammern möchte ich anfügen: Es ist seine Aufgabe, Sensor zu sein, nicht so sehr, Hinweise zu geben, welche Waffensysteme der Bundestag beschaffen sollte. Aber die Hinweise zum sozialen Gefüge nehmen wir sehr ernst.

Wir sind sehr froh, dass etwas Neues geschehen ist, nämlich dass eine neue Ministerin nicht anfängt, das, was er aufschreibt, zu relativieren, sondern tatsächlich die Themen aufnimmt. Sie, Frau Ministerin, haben unsere Unterstützung dabei. Sie haben schon gesagt: Es gab Vorarbeiten. - Sie haben in der Tat sofort in die richtige Schublade gegriffen. Dort liegen nämlich 82 Vorschläge zur Steigerung der Attraktivität der Bundeswehr.

Dort lag eine Untersuchung über die Arbeitszeitsituation, die Ihr Vorgänger uns noch nicht zur Verfügung gestellt hat. Dort liegt der Koalitionsvertrag, den Sie ja erwähnt haben. Und es gibt bereits seit dem Jahr 2010 ein Handbuch zur Vereinbarkeit von Familie und Dienst. Dort heißt es sinngemäß: Die Auftragserfüllung muss natürlich Vorrang haben, aber nicht immer sind dies konkurrierende Ziele. Am Ende würden beide Ziele, Auftragserfüllung und die Vereinbarkeit von Familie und Dienst, profitieren, wenn es gelingt, für die dienstlichen Erfordernisse und die privaten Interessen Lösungen zu finden, die dann tatsächlich den Belangen der Soldaten Rechnung tragen. Das ist alles schon aufgeschrieben und wird eigentlich von den Soldaten erwartet.

Damit wird klar: Die Vereinbarkeit von Familie und Dienst ist kein Selbstzweck. Es geht auch nicht nur um Nachwuchswerbung. Es geht um das innere Gefüge bei den Streitkräften. Nur wenn Soldaten in ihrem sozialen Umfeld, in der Familie, aber auch beim bürgerschaftlichen Engagement in ihrer Heimat - im Elternbeirat, in den Vereinen und bei vielen anderen Gelegenheiten mehr - die Zeit finden und Ressourcen haben, die planbar sind, können sie am Ende auch unsere Erwartung erfüllen, Staatsbürger in Uniform zu sein. Deshalb ist dieses Thema ein ganz zentrales für das Gefüge und für das Leben innerhalb und außerhalb der Streitkräfte.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie, Frau Ministerin, haben schon darauf hingewiesen: Es ist in der Tat nicht die einzige Herausforderung. Sie haben einige Themen benannt. Wir sind froh, dass wir in der nächsten Sitzungswoche dies alles auch einmal in der Breite diskutieren können. Aber ein Thema führt unmittelbar zur Frage der Vereinbarkeit von Familie und Dienst, nämlich das Thema Reform.

Sie als neue Ministerin sind unbefangen - so habe ich das empfunden - an die Themen herangegangen. Wir wünschen uns sehr, dass Sie das ebenso mit dem Koalitionsauftrag machen, nämlich diese Reform jetzt auch zügig zu evaluieren. Dass Soldaten viel zu häufig sechs Monate im Einsatz sind - und nicht vier Monate -, hat natürlich etwas mit Mängeln dieser Reform zu tun; dass gerade für Schlüsselverwendungen - auch der Wehrbeauftragte hat das angemahnt - zu wenig Personal vorhanden ist, dass viele Soldaten versetzt werden und die Bundeswehr eine wirkliche Pendlerarmee geworden ist, wurde durch die Reform eher verstärkt. Wir haben an der einen oder anderen Stelle auch Standortschließungen in der Planung, von denen wir inzwischen merken, dass sie kein Geld sparen werden. Dadurch werden Menschen durch die Republik geschickt, und am Ende wird das Ganze noch mehr kosten. Auch das ist ein Ausfluss dieser Reform. Deshalb sage ich, Frau Ministerin: Wenn es neue Erkenntnisse gibt, sollten wir alle miteinander die Kraft haben, bei der Reform nachzusteuern.

(Beifall bei der SPD)

Beantwortet werden muss die Frage, wie die Mittel zur Deckung der Mehrkosten, die die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf verursacht, erwirtschaftet werden können. Deshalb muss man bei der Bundeswehrreform noch stärker auf Effizienz achten.

Auch sollten regionale Personalplanungsmodelle endlich zum Tragen gebracht werden. Man muss bereits bei der Einplanung der Soldaten, möglichst schon bei den Einstellungsgesprächen, viel mehr Gehirnschmalz - das kostet nichts, nur Anstrengung - einsetzen, um den beruflichen Weg, zumindest den von Mannschaftsangehörigen und Unteroffizieren, präziser und verlässlicher zu planen. Dazu gehört auch, dass man eher die interne Werbung um Personal stärkt. Dort ist nämlich viel Kompetenz vorhanden; man kennt diejenigen, die als freiwillig Wehrdienstleistende ins Haus gekommen sind. Ich glaube, das ist ein Ansatz, der uns weiterbringt und durch den Geld gespart wird.

Es wird immer wieder gesagt: Soldat ist ein besonderer Beruf. Das stimmt sehr wohl. Die Ministerin hat aber zu Recht darauf hingewiesen: Das gilt nicht im Alltagsbetrieb. Am Schreibtisch, in der Instandsetzung, auf dem Flughafen, beim Betrieb des Truppenübungsplatzes, auch wenn Schichtbetrieb notwendig ist, läuft es ähnlich ab wie bei den Berufsfeldern Polizei und Feuerwehr. Dort ist die Auftragserfüllung das Wichtigste. Das entscheidende Merkmal dafür, dass Soldat kein Beruf wie jeder andere ist, ist doch, dass man in deutschem Interesse zum Einsatz ins Ausland abkommandiert werden kann und dass man dort mit seinem eigenen Leben für unser Land eintritt; das ist das eigentlich Besondere. Insofern kann man den beruflichen Alltag im Inland durchaus an Regularien in anderen Berufsgruppen orientieren. Da aber die Besonderheit, lange von zu Hause weg zu sein, nicht gefragt zu werden, wenn man versetzt wird, womöglich ins Ausland, und sein Leben einsetzen muss, eine hohe persönliche Verantwortung voraussetzt, ist es gut und richtig, wenn immer wieder deutlich gesagt wird: Die Qualität der Streitkräfte hängt in erster Linie nicht von neuen und teuren Waffensystemen, von Strukturen, von Finanzen ab, sondern davon, ob wir die klugen, die guten jungen Menschen für diesen Beruf interessieren können und sie am Ende zu uns kommen. In allen Berufen hat man die Erfahrung gemacht: Die guten jungen Menschen suchen sich gute Arbeitgeber. Nur wenn es uns gelingt, auch in Zukunft gute junge Menschen für die Bundeswehr zu finden und sie zu halten - auch an dieser Stelle gibt es Probleme -, wird die Bundeswehr so sein, wie wir sie uns vorstellen.

Recht herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Vielen Dank, Herr Kollege. - Als nächste Rednerin spricht Agnieszka Brugger für Bündnis 90/Die Grünen.

Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Frau Ministerin von der Leyen! Herr Wehrbeauftragter! Meine Damen und Herren! Auch im Namen meiner Fraktion möchte ich mich bei Ihnen, Herr Wehrbeauftragter Königshaus, und ebenso bei Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für den Bericht aus dem Jahr 2012 bedanken. Unser Dank gilt auch den vielen Soldaten und Soldatinnen, die sich mit ihren Eingaben an den Wehrbeauftragten gewandt haben. Diese liefern vor allem ein ehrliches und sehr detailliertes Feedback zur Umsetzung der Bundeswehrreform. Das Feedback ist aber nicht wirklich gut. Die Unzufriedenheit bei den Soldatinnen und Soldaten ist groß, und es hapert gewaltig.

Meine Damen und Herren, der Jahresbericht 2012 zeigt: Die Vereinbarkeit von Familie und Dienst ist nach wie vor eine sehr große Baustelle bei der Bundeswehr. Die Hauptkritikpunkte sind die unzureichenden Möglichkeiten für eine Elternzeit, das häufige und belastende Pendeln zwischen Standort und Heimat, aber ebenso das fehlende Betreuungsangebot für Kinder. Zu lange wurde dieses Thema belächelt. Es ist jenseits von Lippenbekenntnissen viel zu wenig passiert, und das ist ein Versäumnis.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Immer wieder haben wir Grüne in den letzten Jahren schnelle und echte Verbesserungen angemahnt und Maßnahmen für eine familienfreundlichere Bundeswehr gefordert. Angesichts des demografischen Wandels und der Herausforderungen bei der Nachwuchsgewinnung müssen wir genau darauf achten, wer sich mit welcher Qualifikation und vor allem mit welcher Motivation für eine Tätigkeit bei der Bundeswehr entscheidet.

Die Umfragen und auch meine zahlreichen Gespräche mit den jungen Männern und Frauen, vor allem mit den freiwillig Wehrdienstleistenden, zeigen mir: Bei der Entscheidung für oder gegen eine Karriere in der Bundeswehr ist die Frage, ob sie mit einer Familie vereinbar ist, ein sehr wichtiges Kriterium. Deshalb begrüßen wir es ausdrücklich, Frau Ministerin von der Leyen, dass Sie die Bedeutung dieses Themas erkannt und es prominent auf die Tagesordnung gesetzt haben. Vonseiten der Opposition sagen wir Ihnen gern zu, Sie tatkräftig dabei zu unterstützen, hier Verbesserungen in Angriff zu nehmen.

(Jürgen Hardt (CDU/CSU): Sehr gut!)

Mit dem Anstoß einer Debatte ist es aber natürlich noch lange nicht getan. Jetzt kommt es darauf an, dass Ihren Ankündigungen auch Taten folgen; denn die Vereinbarkeit von Familie und Dienst ist eben nicht umsonst zu haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Michael Brand (CDU/CSU))

Zu der Frage, wie Sie Ihre Vorschläge konkret finanzieren wollen, haben wir bisher allerdings nur nebulöse Versprechen gehört, auch heute an dieser Stelle.

(Ingo Gädechens (CDU/CSU): Da kommt noch was!)

Frau Ministerin, Sie müssen nicht nur schnell einen Zeitplan für Ihre Ideen vorlegen, sondern auch konkret aufzeigen, an welchen anderen Stellen dafür im Verteidigungsetat gespart werden soll.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind sehr gespannt auf Ihre Initiativen hierzu und wollen diese, wie ich schon gesagt habe, unterstützen und konstruktiv begleiten; aber wir werden auch sehr kritisch hinschauen. Wir werden sehr genau beobachten, welche Realität den schönen Interviewüberschriften folgen wird; denn in der letzten Koalition haben Sie als Arbeitsministerin mit vielversprechenden Ankündigungen immer wieder Erwartungen geweckt, die dann schneller, als man schauen konnte, wieder einkassiert wurden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte in diesem Zusammenhang an die Frauenquote oder an die Lebensleistungsrente erinnern, die am Ende mehr Schein als Sein waren.

So wichtig das Thema der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist, war ich doch sehr überrascht, dass das bisher der einzige Punkt ist, den Sie als Verteidigungsministerin offensiv angesprochen haben. In der Sicherheitspolitik gibt es darüber hinaus viele andere unbeantwortete, aber umso drängendere Fragen. Auch da müssen Sie liefern. Was Sie im Interview vom Wochenende dazu gesagt haben, war enttäuschend. Ich finde, auch in Ihrer heutigen Rede, Frau Ministerin, haben Sie mehr Fragen gestellt als Antworten präsentiert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Das haben Sie doch aufgeschrieben, ohne dass Sie die Rede kannten!)

Wie stellen Sie sich die zukünftigen Aufgaben und Einsätze der Bundeswehr vor? Wie geht es weiter in Afghanistan? Was ist die Reaktion auf die Gewalteskalation in der Zentralafrikanischen Republik oder im Südsudan? Was sind Ihre Vorschläge für die Reform der desaströsen Beschaffungspolitik? Das Euro-Hawk-Fiasko haben wir alle noch lebhaft in Erinnerung, und die Liste der problembehafteten Beschaffungen ist noch lang.

Frau Ministerin, all das sind Baustellen, die Sie jetzt schnell anpacken müssen, genauso wie die Umsetzung Ihrer Ankündigung zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Dienst.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Danke schön, Frau Kollegin. - Als Nächster gebe ich das Wort Anita Schäfer für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU):

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter, namens meiner Fraktion möchte ich Ihnen und Ihren Mitarbeitern noch einmal ganz herzlich für die Arbeit an dem Jahresbericht 2012, den wir heute behandeln, danken. Wir schließen die Befassung noch ab, bevor der aktuelle Bericht in der übernächsten Woche vorgestellt wird. Angesichts der Bedeutung hoffe ich, dass wir es in dieser Wahlperiode schaffen, die künftigen Jahresberichte zügig zu behandeln.

Die vorherige Bundesregierung hat die größten Veränderungen seit Bestehen der Bundeswehr vorgenommen. Das war auch eine Reaktion darauf, dass die Truppe noch nie so großen Herausforderungen wie in den Einsätzen des letzten Jahrzehnts - nicht nur in Afghanistan, sondern auch in vielen weiteren, die wir hier im Deutschen Bundestag als deutschen Beitrag zur Konfliktregulierung im Rahmen der internationalen Gemeinschaft beschlossen haben - gegenübergestanden hat.

Mit der Strukturreform haben wir endlich eine grundlegende, tragfähige Antwort auf den Wandel der sicherheitspolitischen Aufgaben gefunden. Die Veränderungen haben allerdings auch Belastungen für die Soldatinnen und Soldaten mit sich gebracht. Deren Unsicherheit über die eigene Zukunft, die bei großen Reformvorhaben leider häufig auftritt, hat sich nicht zuletzt in den letzten Jahresberichten des Wehrbeauftragten niedergeschlagen und wird sich wohl auch im kommenden Jahresbericht wiederfinden. Keine Bundesregierung zuvor hat allerdings auch so schnell so viele Verbesserungen für die Truppe vorgenommen, von der Ausrüstung über die Versorgung einsatzgeschädigter Soldaten bis hin zur Vereinbarkeit von Familie und Dienst. Dafür möchte ich bei dieser Gelegenheit dem bisherigen Verteidigungsminister Thomas de Maizière und dem ausgeschiedenen Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung ganz herzlich danken.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die neue Bundesregierung wird hier mit Kraft und Engagement weitermachen müssen, und ich bin sicher, dass sie das auch tun wird. Der Koalitionsvertrag steht da für Kontinuität, was gerade hinsichtlich der Planbarkeit für die Soldatinnen und Soldaten wichtig ist. Ich begrüße ganz besonders das Bekenntnis der Koalitionspartner zur Verankerung der Bundeswehr und den Rückhalt in der Gesellschaft, wie sich das beispielsweise in der Unterstützung der Arbeit der Jugendoffiziere ausdrückt, für die ich mich selbst schon lange einsetze. Ich halte es für selbstverständlich, dass die Jugendoffiziere auch weiterhin einen Beitrag zur sicherheitspolitischen Bildung an Schulen und Universitäten leisten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Bundeswehr ist kein Fremdkörper, vor dem man junge Menschen schützen muss, sondern eine Organisation mit Verfassungsrang in unserem demokratischen System. Sie ist gerade kein Staat im Staate, sondern besteht aus Staatsbürgern in Uniform.

Zur Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft gehört aber auch die Festlegung auf eine fortgesetzte Präsenz in der Fläche, verbunden mit der Beibehaltung der Truppenstärke von 185 000 Mann. Das ist wichtig für die Attraktivität des Dienstes, zu der nicht zuletzt die Sicherheit von Standorten gehört, damit Soldaten heimatnah eingesetzt werden und ihre Familien ihr Leben planbar organisieren können. Zu Recht hat das Thema Attraktivität einen eigenen Unterabschnitt im Koalitionsvertrag erhalten.

Liebe Frau Ministerin von der Leyen, in Ihrem neuen Amt werden Sie sich sehr rasch mit dieser wie auch mit anderen Dauerbaustellen befassen müssen. Dabei baue ich auf die Fachkompetenz, die Sie aus Ihren vorherigen Ämtern mitbringen, gerade im Hinblick auf die zahlreichen sozialen Aspekte der Attraktivität des Dienstes. Es geht darum, die Sicherstellung der Einsatzbereitschaft mit der Vereinbarkeit von Familie und Dienst unter einen Hut zu bringen.

Die vorherige Bundesregierung hat mit dem Attraktivitätsprogramm einen guten Anfang gemacht; das muss nun konsequent weitergeführt werden. Zu den bereits eingeleiteten Maßnahmen gehören die Möglichkeit von Teilzeitbeschäftigung und Telearbeit, die Ausweitung der Familienbetreuung auf den Inlandsdienst der Streitkräfte und die Schaffung von Kinderbetreuungsmöglichkeiten an den Standorten, entweder in Kooperation mit den Kommunen oder, wenn nötig, auch in eigener Verantwortung.

Frau Ministerin, Sie haben am Wochenende bereits einen begrüßenswerten Schwerpunkt auf diesen Bereich gelegt und dabei viele Punkte erwähnt, die an dieser Stelle immer wieder angesprochen worden sind. Ich habe es bereits in meiner ersten Rede zum aktuellen Jahresbericht gesagt: Wir werden den Widerspruch zwischen einem normalen Familienleben und den besonderen Anforderungen des Soldatenbetriebs niemals vollständig lösen können. Die militärische Auftragserfüllung steht auch in Zukunft an erster Stelle.

Wenn wir die Bundeswehr in der Fläche und in der Gesellschaft präsent halten wollen, dürfen wir sie nicht auf wenige Großstandorte konzentrieren, was zumindest die Zahl der Versetzungen reduzieren würde. Ich bin aber außerordentlich dankbar, Frau Ministerin, dass sie mit unbefangenem Blick das System der automatischen Versetzung in seiner bisherigen Form infrage gestellt haben. Da haben Sie uns von der Arbeitsgruppe Verteidigung der Unionsfraktion voll auf Ihrer Seite. Dieses Problem haben wir schon vor drei Jahren in unserer Unterarbeitsgruppe zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr erörtert. In einem Antragsentwurf haben wir den Vorschlag gemacht, dass Soldaten im Regelfall ihre gesamte Dienstzeit, mit Ausnahme von Aus- und Fortbildungskommandierungen sowie Einsätzen, an einem Standort verbringen können, sofern sie auf eine Beförderungsmöglichkeit verzichten, die eine Versetzung erforderlich machen würde.

Ich würde mich freuen, wenn noch weitere Ideen aufgegriffen würden, die während der damaligen intensiven Befassung entstanden sind. Zu nennen ist etwa das Pilotprojekt „Zu Hause in der Bundeswehr“, welches neben attraktiven Wohnmöglichkeiten für die ganze Familie ein umfassendes Familienbetreuungsprogramm nebst Kindertageseinrichtungen bieten würde.

Meine Damen und Herren, ein besonders wesentlicher Punkt, der sich regelmäßig in den Berichten des Wehrbeauftragten wiederfindet, ist die Planbarkeit von Auslandseinsätzen. Unsere Soldaten wissen um die Risiken und Belastungen, die damit verbunden sind, und sie stellen sich darauf ein, wenn bei einem Einsatz alles vorher klar ist, auch wenn der vorgesehene Zyklus von Stand- und Ruhezeiten nicht immer eingehalten wird, weil der Bedarf an besonderen Fähigkeiten es erfordert. Viel belastender ist es, erst kurzfristig von einem Einsatz zu erfahren, weil sich irgendwo eine Lücke aufgetan hat. Über die Feiertage habe ich wieder von dem einen oder anderen Fall erfahren müssen. Wenn wir es schaffen würden, die Eventualitäten lang dauernder Einsätze weitgehend mit vorausschauender Personalplanung abzudecken, wäre nach meiner Ansicht schon viel gewonnen. Dazu zählt übrigens auch die Besetzung von Leerstellen im Inlandsdienst, die durch Auslandseinsatz, aber auch familienbedingte Abwesenheit entstehen, um Mehrbelastungen des übrigen Personals zu vermeiden, gerade in Truppengattungen mit regelmäßigen Aufgaben im Inland wie im Sanitätsdienst und bei den Feldjägern. Auch dazu liegen Vorschläge auf dem Tisch, einschließlich des Vorschlags einer effektiveren Heranziehung der Reservisten.

Darüber hinaus gibt es weitere Punkte, die im weitesten Sinne zur Attraktivität des Dienstes gehören. So wollen wir die Nachversicherung für ausgeschiedene Zeitsoldaten neu regeln und endlich die Hinzuverdienstgrenze bei Anschlusstätigkeiten von Versorgungsempfängern aufheben.

Meine Damen und Herren, Attraktivität und Vereinbarkeit von Familie und Dienst sind wichtig für die Zukunft der Bundeswehr, aber kein Selbstzweck. Auftrag der Bundeswehr ist die Gewährleistung der Sicherheit unseres Landes im Bündnis. Die Sicherheit der Kinderbetreuung für Soldatenfamilien ist nur ein Beitrag, um die Auftragserfüllung durch motivierte Soldaten zu gewährleisten.

Auch bei anderen Aspekten muss in dieser Wahlperiode dringend ein tragfähiges Ergebnis erreicht werden. Wir haben im Koalitionsvertrag unter anderem vereinbart, die politischen, ethischen und juristischen Fragen um die Beschaffung und den Einsatz bewaffneter Drohnen zu klären. Diese Debatte muss dann aber auch zu einer klaren Entscheidung führen. Eine der ethischen Fragen ist zum Beispiel: Dürfen wir unseren Soldaten das Mehr an Sicherheit vorenthalten, das diese Systeme bedeuten können? Das wird eine notwendigerweise kontroverse, sicherlich auch emotionale Debatte werden. Aber wir dürfen uns nicht davor drücken, erst recht nicht vor den Antworten, die am Ende stehen können. Egal ob Attraktivität oder Ausrüstung: Ein Mehr wird auch mehr Geld kosten.

(Beifall des Abg. Bernd Siebert (CDU/CSU))

Wie wir alle wissen, werden die entscheidenden Schlachten letztlich bei den Haushaltsverhandlungen geschlagen. Frau Ministerin, ich wünsche Ihnen für die Bewältigung der mit Ihrem neuen Amt verbundenen Aufgabe viel Kraft. Wir im Verteidigungsausschuss - das kann ich sagen - werden Sie dabei bestmöglich unterstützen. Unser gemeinsames Interesse muss das Wohl unserer Soldatinnen und Soldaten sein, und dafür - da bin ich sicher - werden wir uns in den nächsten vier Jahren auch gemeinsam engagieren.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Vielen Dank, liebe Kollegin Schäfer. - Nächste Rednerin für Bündnis 90 ist Doris Wagner.

Doris Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Herr Wehrbeauftragter! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass auch ich heute das erste Mal das Wort an Sie richten darf.

Liebe Kollegen, stellen Sie sich einmal Folgendes vor: Sie und Ihre Partnerin erwarten ein Kind. Sie freuen sich. Das Kinderzimmer ist eingerichtet, und dann steht die Geburt unmittelbar bevor. Ausgerechnet an dem Tag sollen Sie die Abschlussprüfung für einen zuvor absolvierten Lehrgang ablegen. „Gut“, denken Sie, „ich fahre mit dem Auto zur Prüfung, gleich anschließend ins Krankenhaus, und dann kann ich hoffentlich rechtzeitig bei der Geburt dabei sein.“ Sie bitten Ihren Vorgesetzten, ausnahmsweise nicht gemeinsam mit den anderen Prüfungsteilnehmern mit dem Bus zu fahren, und die Antwort lautet: Seien Sie froh, wenn das Kind von Ihnen ist. Sie fahren mit dem Bus. - Die Beschwerde des betroffenen Soldaten ist nur eine von zahlreichen aus dem Jahr 2012, doch sie zeigt exemplarisch, wie viel in Sachen Familienfreundlichkeit bei der Bundeswehr noch im Argen liegt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir den Vorabberichten der Presse glauben dürfen, wird uns Herr Königshaus Ende Januar berichten, dass die Zahl der Beschwerden, insbesondere beim Thema Familie, in 2013 noch erheblich gestiegen ist.

Inzwischen entscheiden sich immer mehr Soldatenfamilien dafür, nicht mit jedem Standortwechsel auch den Familienwohnort zu ändern. Das heißt, dass etwa 70 Prozent der Soldatinnen und Soldaten zwischen Dienst- und Wohnort pendeln, oft über mehrere Hundert Kilometer. Das hat gesundheitliche Folgen und führt häufig zur Entfremdung gegenüber den Kindern oder auch der Partnerin oder dem Partner. Nicht umsonst liegt - das haben wir gerade schon gehört - die Scheidungsrate bei Bundeswehrangehörigen bei bis zu 75 Prozent.

Noch immer fehlt es an vielen Standorten an Kinderbetreuungseinrichtungen. Soldatinnen und Soldaten, die Elternzeit beantragen oder in Teilzeit arbeiten möchten, werden mit dem Hinweis auf die allzu dünne Personaldecke abgewiesen. Schließlich - ein wirkliches Unding in meinen Augen - sehen sich Bundeswehrfamilien manchmal gezwungen, Darlehen aufzunehmen, weil ihre Anträge auf Beihilfe zur Begleichung von Arztrechnungen über Monate nicht bearbeitet werden können. Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Wer möchte in einer solchen Armee dienen?

Herr Königshaus verweist in seinem Bericht mehrfach auf konkrete Verbesserungsvorschläge, die er dem Bundesverteidigungsministerium unterbreitet hat. Das unter Rot-Grün schon 2004 verabschiedete Gesetz zur Gleichstellung von Soldatinnen und Soldaten verpflichtet die Bundeswehr dazu, familiengerechte Arbeitszeiten und sonstige Rahmenbedingungen anzubieten, um die Vereinbarkeit von Familie und Dienst zu erleichtern. Leider belegt der Bericht des Wehrbeauftragten einmal mehr, dass die Umsetzung des Gesetzes im Alltag sehr zu wünschen übrig lässt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was ist eigentlich so schwierig daran, die Vorgaben und Vorschläge für eine familienfreundlichere Bundeswehr in die Tat umzusetzen? Ich frage mich: Hat Herr de Maizière in den vergangenen Jahren wirklich die nötige Initiative gezeigt, um an den bekannten Missständen etwas zu ändern? Was ist so schwierig daran, einer Soldatin oder einem Soldaten verbindlich zu erklären, welche Verwendungen und Versetzungen sie oder ihn in den kommenden Jahren erwarten, damit die Familie auch in Bezug auf die Karriere der Ehepartner und die Schullaufbahn der Kinder vernünftige Entscheidungen treffen kann? In Ihren ersten Medienauftritten, Frau Ministerin, haben Sie erklärt, alle diese Versäumnisse schnell aufholen zu wollen. Meine Kollegin sagte es schon: Dieses Vorhaben begrüßen wir ausdrücklich.

Sie selbst haben zuletzt immer wieder den quantitativen Aspekt des mangelnden Nachwuchses thematisiert. Als Freiwilligenarmee muss die Bundeswehr um die besten Arbeitnehmer konkurrieren, wobei aufgrund der demografischen Entwicklung der Anteil von Soldatinnen deutlich erhöht werden muss. Angesichts der dokumentierten Familienunfreundlichkeit verwundert es allerdings nicht, dass die Zahl der Frauen insbesondere in Führungsfunktionen bisher noch weit unter der selbstgesetzten Marke von 15 Prozent liegt.

Herr Königshaus hat wiederholt den qualitativen Aspekt des sozialen Rückhalts für die Soldatinnen und Soldaten betont, ganz besonders, wenn belastende Erfahrungen aus Auslandseinsätzen verarbeitet werden müssen. Eine Armee, die die privaten Strukturen von Familie und Freunden zerstört, riskiert, irgendwann als Gruppe von seelisch verletzten Menschen ohne Bindung zu enden. Die Zeit drängt; denn die Frage, ob es der Bundeswehr auf absehbare Zeit gelingen wird, familienfreundlichere Strukturen zu schaffen, wird mit über die zentrale Frage entscheiden, ob Deutschland in Zukunft überhaupt noch eine funktionsfähige Armee hat.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Vielen Dank, liebe Kollegin. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich Ihnen zu Ihrer ersten Rede.

(Beifall)

Alle freuen sich auch auf Ihre nächste Rede.

Jetzt hat der Kollege Dr. Karl-Heinz Brunner für die SPD das Wort.

(Beifall bei der SPD)

Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD):

Verehrte Frau Präsidentin! Lassen Sie mich in meiner ersten Rede vor dem Hohen Hause zunächst meinen Dank und Respekt ausdrücken gegenüber den Frauen und Männern, den Soldatinnen und Soldaten, die sich für uns, für Deutschland und für dieses Parlament, für Frieden und Freiheit einsetzen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Sie halten das Unternehmen Bundeswehr am Laufen. Sie halten ihren Kopf für uns hin. Sie werden deshalb mein Antrieb für die nächsten vier Jahre sein.

Sehr verehrter Herr Wehrbeauftragter Königshaus, vielen Dank für Ihren Bericht, der mir als neuem Mitglied dieses Hauses gezeigt hat, dass nicht leichte Kost in sehr leicht lesbarer Form gestaltet werden kann. Texte müssen nicht unbedingt schwer verständlich sein. Dies sollte unser aller Antrieb sein.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Frauen und Männer der Bundeswehr sind der Grund, warum wir heute hier sind. Über 5 000 Beschwerden sind in den noch nicht veröffentlichten, aber bereits bekanntgewordenen Bericht eingegangen. Das sind 700 mehr als im Vorjahr. Stellt man dies einmal in Relation zur Personalstärke der Bundeswehr, dann wird klar, dass uns das aufhorchen lassen muss. Über entsprechende Konsequenzen für unsere Sicherheitspolitik haben wir heute viel Gutes und Richtiges gehört.

Mit Verlaub, Frau Ministerin von der Leyen: Dass die Presseabteilung des Verteidigungsministeriums hervorragend funktioniert, ist schon einmal ein Anfang. Wir wissen aber beide: Die Diagnose ist nur der Anfang. Die anschließende Behandlung des Themas wird noch mehr umfassen. Sonst stehen wir alle nur mit hehren Zielen und letztendlich mit Enttäuschungen da.

Ich sage ganz unumwunden: Die Aufgabe dieses Hauses wird es sein, genau hinzuschauen, ob sich etwas ändert. Frau Bundesministerin, wir werden Sie in Ihrem Plan, der nicht nur Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden hat, sondern aus vollster Überzeugung angegangen wird, nämlich die Bundeswehr zeitgerecht effektiv umzugestalten, unterstützen. Unsere Aufgabe wird es aber auch sein, ein bisschen da und dort nachzubessern. Dass es notwendig ist, das Arbeitsumfeld der Soldatinnen und Soldaten zu verbessern, steht, glaube ich, außer Frage.

(Beifall bei der SPD)

Der Jahresbericht macht eines klar: Wir brauchen keine Reform der Reformen; wir brauchen vielmehr Ergebnisse. Die Umsetzung der laufenden Reform schlägt unvermeidbar Wunden; das wissen wir. Da müssen die Soldatinnen und Soldaten durch; da müssen auch wir durch. Wissen wir aber schon, dass auch wir da durch müssen? Solange unsere Spezialkräfte nicht einmal ihren eigenen Hubschrauber haben, solange Soldaten nach nur wenigen Monaten Heimataufenthalt wieder direkt in den Auslandseinsatz gehen, ohne dass man sich ernsthaft um sie gekümmert hat, solange psychische Belastungsstörungen nicht rechtzeitig erkannt werden und solange Arztrechnungen nicht bezahlt werden, ist noch viel zu tun. Wir beschäftigen uns viel zu viel mit dem Klein-Klein. Solange wir nur reden, bleiben nur Ziele. Wir wollen aber nicht nur Ziele und Belehrungen, wir wollen handeln. Die Soldatinnen und Soldaten wollen Verantwortung übernehmen. Wir wollen Verantwortung übernehmen.

Der Jahresbericht des Wehrbeauftragten wird bei all den Mängeln und Defiziten, die er aufzeigt, sicherlich keine Wunder bewirken. Das gilt ebenfalls für den noch nicht vorgelegten Jahresbericht 2013. Aber der Bericht geht in die richtige Richtung.

Für meine Person gebe ich zu: Ich habe meine Heimat nicht bei der Bundeswehr; ich habe nicht gedient. Meine Heimat war über viele Jahre als Führungskraft das Rote Kreuz. Vielleicht ist mir deshalb der Konflikt bekannt, Familie, Beruf und Pflichterfüllung unter einen Hut zu bringen. Dafür, hier die Balance zu finden, tragen wir die Verantwortung; denn wir sind es, die die Soldatinnen und Soldaten entsenden. Wir sind es, die das Mandat erteilen, und wir müssen es sein, die ihnen den Rücken freihalten.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Vielen herzlichen Dank, lieber Herr Kollege Dr. Brunner. Auch Ihnen im Namen des ganzen Hauses Gratulation zu Ihrer ersten Rede.

(Beifall)

Da Sie von Heimat geredet haben: Ich freue mich persönlich sehr, dass endlich einmal ein Illertissener hier im Bundestag ist. Ich komme aus Babenhausen. Das muss Ihnen nichts sagen; aber uns verbindet das.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Wir sind ja Nachbarn!)

Jetzt kommt als nächster Redner Dr. Reinhard Brandl für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich gleich zu Beginn dem Wehrbeauftragten und seiner Mannschaft, die hier in großer Zahl versammelt ist, für die geleistete Arbeit danken. Ich habe mir gerade überlegt: Welchen zusätzlichen Aspekt könnte man als achter Redner in dieser Debatte beim Dank anbringen? Ich habe mir einmal angeschaut, was hinter der Arbeit des Wehrbeauftragten steht. Da steht für 2012: 38 Truppenbesuche, 103 Gesprächstermine, 133 Tagungen und größere Gesprächsrunden, an denen der Wehrbeauftragte persönlich teilgenommen hat, plus 101 Besuchergruppen im Amt. Das zeigt in Summe das hohe Engagement von Ihnen allen, und dafür möchte ich Ihnen im Namen meiner Fraktion und, ich glaube, im Namen des Hohen Hauses ganz herzlich danken.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben gemerkt: Wir - der Bundestag, aber auch die Gesellschaft - haben hohe Ansprüche an das Verhalten unserer Soldatinnen und Soldaten im Dienst. Aber unsere Soldaten sind auch nur Menschen. Bei knapp 200 000 Menschen, die zum Teil unter einer hohen psychischen und physischen Belastung stehen, kommt es zwangsläufig zu Fehlverhalten. Das ist natürlich; alles andere wäre eine Illusion. Aber wenn es zu Fehlverhalten kommt, muss man dem konsequent nachgehen. Ein wichtiges Instrument dafür, vor allem für die Bundeswehr selbst, ist der Wehrbeauftragte und der Bericht des Wehrbeauftragen, den wir heute hier debattieren.

Gerade in einer Organisation wie der Bundeswehr, die auf Befehl und Gehorsam fußt, in der strenge Hierarchien gelten, ist es wichtig, offen und transparent mit Fehlentwicklungen umzugehen, auch wenn so manchmal - Herr Kollege Arnold, da haben Sie recht - ein verzerrtes Bild entsteht. Man kann festhalten, dass das Führungsverhalten und das Verhalten unserer Soldaten in der Bundeswehr zum allergrößten Teil tadellos sind; das darf dadurch nicht in Vergessenheit geraten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Gang zum Wehrbeauftragten ist ein wichtiges Privileg unserer Soldaten. Es ist aber ein Instrument, das vor allem dann greifen soll, wenn in den Augen der Betroffenen der Dienstweg versagt oder nicht geeignet ist. Herr Brunner, Sie haben es gerade gesagt: Die Eingaben nehmen im Moment prozentual eher zu. Ich möchte einen Aspekt hinzufügen: Das könnte auch daran liegen, dass das Vertrauen auf den Dienstweg schwindet. Ich sage Ihnen offen: Das wäre für mich noch besorgniserregender als die reine Erkenntnis, dass es bei dieser Anzahl an Menschen Fehlverhalten oder Unzufriedenheit gibt. Wenn sich dieser Trend tatsächlich fortsetzen sollte, würde ich anregen, auch den Aspekt, warum sich die Soldaten an den Wehrbeauftragten wenden und wie die Historie der Eingaben parallel zum Dienstweg ist, mit zu untersuchen.

Unabhängig davon enthält der Bericht viele Ansatzpunkte, denen sich der Verteidigungsausschuss und unsere neue Ministerin in den nächsten Monaten und Jahren widmen werden. Der Personalmangel im Sanitätsdienst wurde noch nicht angesprochen, aber er ist insbesondere im Bereich der Offiziere ein großes Problem. Die Erhöhung der Attraktivität insbesondere für Familien wurde schon mehrfach angesprochen. Die Unsicherheiten, die mit der Neuausrichtung verbunden sind, die Verbesserung der Einsatzbedingungen, viele Punkte werden vom Wehrbeauftragten sehr detailliert angesprochen. Ich sage: Die Schilderungen im Bericht machen es irgendwie greifbarer als viele andere Lektüre, die man sonst aus dem Bereich der Verwaltung bekommt. Dafür herzlichen Dank.

Es gibt aber auch positive Entwicklungen - ich zitiere -:

Insbesondere in Afghanistan haben weitere Verbesserungen bei Ausbildung, Ausrüstung und Ausstattung zu einem starken Rückgang der Zahl der Verwundeten, insbesondere der Schwerstverwundeten, geführt.

Das ist insoweit bemerkenswert, als genau diese Frage der Ausstattung, der Ausrüstung in den Einsatzländern in den vergangenen Berichten immer wieder Gegenstand von Kritik war und auch hier, in diesem Saal, immer zu großen Diskussionen geführt hat.

Ich darf festhalten: Es bewegt sich also etwas in der Bundeswehr; es gibt Fortschritte. Ich darf auch festhalten: Wenn es um die Sicherheit der Soldaten im Einsatz geht, dann steht der Wehrbeauftragte zur Truppe, selbst wenn die öffentliche Diskussion, insbesondere bei Fragen der Rüstung und Ausrüstung, auch manchmal schwierig ist. Lieber Herr Königshaus, das wird sowohl von den Soldatinnen und Soldaten als auch von uns sehr hoch geschätzt.

Ich nenne als weiteres Beispiel die Verbesserung der Betreuungskommunikation. Das war uns im Parlament und im Verteidigungsausschuss fraktionsübergreifend ein großes Anliegen. Hier ist einiges getan worden. Ich hoffe, dass nun endlich auch die Bearbeitungszeiten bei der Beihilfe wieder auf ein ordentliches Maß zurückgeführt werden. Das ist zwar nicht mehr Aufgabe der Bundeswehr und, eng gefasst, auch nicht mehr Aufgabe des Wehrbeauftragten, nichtsdestotrotz berührt das viele unserer Soldatinnen und Soldaten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich hoffe, dass die Neuausrichtung jetzt in eine Phase tritt, in der die Soldatinnen und Soldaten und die zivilen Mitarbeiter den Nutzen und den Sinn der neuen Strukturen in ihrer täglichen Arbeit erspüren und die Unsicherheit abnimmt.

Zum Schluss möchte ich der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass die Bundeswehr jetzt wieder ruhigeren Zeiten entgegengeht. Die letzten vier Jahre waren turbulent; viele von uns haben das in diesem Haus erlebt. Die hohe Einsatzbelastung, insbesondere in Afghanistan, die gleichzeitig vorgenommene Neuausrichtung der Bundeswehr und die Aussetzung der Wehrpflicht haben den Betroffenen viel abverlangt. Ich hoffe, dass wir diese schwierige Zeit jetzt hinter uns haben. Ich bin mir aber auch sicher, dass für uns und den Wehrbeauftragten einiges zu tun bleibt. Ich freue mich darauf und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Danke schön, Herr Kollege Dr. Brandl. - Zum Abschluss dieses Tagesordnungspunkts gebe ich das Wort Frau Heidtrud Henn für die SPD.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Heidtrud Henn (SPD):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin froh, dass ich meine erste Rede zum 54. Bericht des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages halten darf. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, allen Angehörigen der Bundeswehr zu danken; denn sie sorgen für unsere Sicherheit und bekommen zu selten die Anerkennung, die sie verdienen.

Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter Königshaus, der Bericht des Wehrbeauftragten ist für uns Abgeordnete ein Aufgabenbuch. Ich finde es gut, dass Soldatinnen und Soldaten den Mut aufbringen, sich an Sie zu wenden, um Mängel anzuzeigen. Dass die Reform der Bundeswehr und die damit verbundenen Veränderungen in Ihrem Bericht großen Raum einnehmen, überrascht nicht. Die Umstrukturierung und die Belastungen, die von den Streitkräften zu tragen sind, haben sich auf Soldatinnen und Soldaten und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im zivilen Bereich ebenso ausgewirkt wie auf deren Angehörige.

In unserem Koalitionsvertrag haben wir Vereinbarungen getroffen, die wesentliche Kritikpunkte Ihres Berichts aufgreifen und zu Verbesserungen beitragen werden. Die Bundeswehr ist ein Teil unserer Gesellschaft. Darum ist der von der Großen Koalition versprochene Dialog in und mit der Gesellschaft so wichtig.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ingo Gädechens (CDU/CSU))

Wie in allen Bereichen des Arbeitslebens brauchen wir auch bei der Bundeswehr gute Arbeitsbedingungen. Kommandierungen, unregelmäßige Dienstzeiten und die Notwendigkeit, zu pendeln, stellen für die betroffenen Familien große Belastungen dar. Die Evaluierung der Bundeswehrreform, die wir in diesem Jahr erwarten, wird genauer zeigen, wo wir anpacken müssen. So muss beispielsweise die betriebliche Kinderbetreuung weiter ausgebaut werden. Ich habe mir erst kürzlich von einem Eltern-Kind-Zimmer am Standort Idar-Oberstein berichten lassen. Das ist eine gute Idee, die hier umgesetzt worden ist.

(Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)

Auch auf kommunaler Ebene müssen gemeinsam Lösungen gefunden werden. Wir brauchen besondere Angebote für zeitlich begrenzte und meist kurze Betreuung von Kindern, wenn Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen wahrgenommen werden, die nicht in der Nähe des Wohnortes stattfinden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Hier reicht es nicht aus, nur die Kosten zu erstatten.

Ich sehe hier einige Kolleginnen und Kollegen mit Handys und Tablets. Gerade wir wollen oder sollen ständig erreichbar sein. Für Soldatinnen und Soldaten in Krisengebieten und auf Booten oder Schiffen ist das Telefonieren nach Hause nicht selbstverständlich und unter Umständen sogar mit hohen Kosten verbunden. Auch eine Internetnutzung ist oftmals nicht möglich. Es hat hier Verbesserungen gegeben, aber nicht genug. Wir müssen eine gute Betreuungskommunikation schon anbieten, wenn die Bundeswehr ein attraktiver Arbeitgeber sein will, der seiner Fürsorgepflicht nachkommt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die große Belastung durch dienstlich bedingte Abwesenheit müssen alle Beteiligten tragen. Eine heimatnahe Verwendung ist für Familien besonders wichtig. Dies ist nicht immer möglich, und aufgrund der Berufstätigkeit der Ehe- und Lebenspartner ist das Pendeln für viele Bundeswehrangehörige unumgänglich. Die angesprochene räumliche Stabilität, die für Familien erforderlich ist, braucht Planbarkeit und Transparenz. Es ist verheerend, wenn Soldatinnen und Soldaten sich von ihrer Familie ausgeschlossen fühlen, wie es in Ihrem Bericht zu lesen ist.

Auf die Fürsorge der Bundeswehr, wie sie zwischen Vorgesetzten und Untergebenen in § 10 Abs. 3 des Soldatengesetzes geregelt ist, müssen sich alle verlassen können. Ich habe große Achtung vor Soldatinnen und Soldaten, die offen über ihre psychischen Probleme reden und sich professionelle Hilfe holen. Es wäre gut, wenn die Familien noch mehr in die Therapie eingebunden würden.

(Beifall bei der SPD)

Für mich steht der Mensch, der sein Berufsleben in den Dienst für uns alle gestellt hat, im Mittelpunkt der Streitkräfte. Eine familienfreundliche Bundeswehr braucht eine bundeswehrfreundliche Gesellschaft. Wir alle sind dazu aufgefordert, denen, die dienen, entgegenzukommen. Dazu leistet der Bericht des Wehrbeauftragten einen wichtigen Beitrag. Wir haben viel zu tun. Ich freue mich auf eine gemeinsame Arbeit mit allen Beteiligten.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Gottes Segen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Vielen Dank, Frau Heidtrud Henn. Liebe Kollegin, Sie sehen, dass Ihnen das ganze Haus zu Ihrer ersten Rede gratuliert.

Es stimmt, hier sind viele Handys zu sehen, aber die Erreichbarkeit wird hier im Saal nicht auf das Telefonieren ausgeweitet. Das wissen Sie, und das sollten die neuen Abgeordneten auch gleich erfahren.

Damit komme ich jetzt zur Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses zum Jahresbericht des Wehrbeauftragten, Drucksachen 17/12050 und 18/297. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Ich frage Sie nun: Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit der Zustimmung von CDU/CSU, von SPD, von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Linkspartei angenommen.

Vielen Dank und gute Zusammenarbeit im neu zusammengesetzten Verteidigungsausschuss.

* Quelle: Vorläufiges Tagesprotokoll des Bundestags, 16. Januar 2014; www.bundestag.de/dokumente/protokolle/


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