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"Jetzt erst recht!" oder: "Jeder Tote ist ein Toter zuviel"

Reaktionen auf den Tod eines Bundeswehrsoldaten in Afghanistan: Von Durchhalteparolen bis zur Abzugsforderung

Am 14. November 2005 wurde in Afghanistan bei einem Sprengstoffattentat ein Bundeswehrsoldat tödlich verletzt. Es war nicht der erste deutsche Soldate, der in Afghanistan ums Leben kam. Im Juni 2003 waren bei einem Selbstmordanschlag auf einen Bus der Bundeswehr in Kabul vier deutsche Soldaten getötet und 29 weitere verletzt worden. Insgesamt sind bisher 18 deutsche Soldaten beim Afghanistan-Einsatz ums Leben gekommen. Ob der Tote vom 14. November der letzte war, hängt weitgehend von der Politik ab.
Im Folgenden dokumentieren wir Meldungen und Stellungnahmen


Das berichtete das Verteidigungsministerium in Berlin am 14. November 2005:

Explosion in Kabul

Kabul / Berlin, 14.11.2005.

Am 14. November gegen 14:50 Uhr Ortszeit (11:20 Uhr Mitteleuropäischer Zeit), wurde in der afghanischen Hauptstadt Kabul ein Anschlag auf ein deutsches Fahrzeug der internationalen Unterstützungstruppe ISAF verübt.
Durch die Sprengstoffexplosion wurde ein Bundeswehrsoldat tödlich verletzt. Zwei weitere deutsche Soldaten erlitten Verletzungen. Afghanische Zivilisten wurden von dem Anschlag ebenfalls getroffen. Die Bundeswehr-Soldaten waren im Rahmen einer Routinefahrt in Kabul unterwegs. Bei dem Fahrzeug, das durch die Explosion getroffen wurde, handelt es sich um einen Geländewagen vom Typ Wolf der neuesten Variante, der über eine spezielle Schutzausstattung verfügt.
Die Hintergründe des Anschlages sind unklar und werden derzeit untersucht. Die verletzten deutschen Soldaten werden mit einem als "fliegende Intensivstation" umgerüsteten Airbus der Luftwaffe nach Deutschland gebracht.


Die Bundesregierung erklärte darauf hin:

Deutscher Soldat in Kabul getötet

Mo, 14.11.2005

Bei einem Selbstmordanschlag auf ein Bundeswehrfahrzeug in Kabul starb ein Soldat, ein weiterer wurde schwer, ein dritter leicht verletzt. Dies hat Bundesverteidigungsminister Peter Struck am Rande des SPD-Parteitags in Karlsruhe mitgeteilt. Die Bundesregierung verurteilt die Anschläge auf das Schärfste.
Die zwei schweren Anschläge in der afghanischen Hauptstadt wurden innerhalb von 90 Minuten auf derselben Straße verübt. Auch afghanische Zivilisten wurden getötet und verletzt. Die Hintergründe des Anschlages sind unklar und werden derzeit untersucht.
Die Bundeswehr-Soldaten waren auf einer Routinefahrt in Kabul unterwegs. Die verletzten Soldaten werden mit einem als "fliegendes Lazarett" umgerüsteten Airbus der Luftwaffe nach Deutschland gebracht.
Die Selbstmord-Attentate zeigen, dass der Kampf um Stabilität und Sicherheit in Afghanistan noch nicht gewonnen ist. Ziel der Terroristen ist es, den Prozess des Wiederaufbaus und der Demokratisierung zu sabotieren. Dieser Prozess ist mit dem Abschluss der ersten freien Parlamentswahlen einen weiteren ganz wichtigen Schritt voran gekommen.
"Dieses Kalkül darf und wird nicht aufgehen. Afghanistan kann auch in Zukunft auf die Unterstützung der Bundesregierung zählen", so Außenminister Joschka Fischer.


Von Bundesaußenminister Fischer gab es folgende Stellungnahme:

Bundesminister Fischer verurteilt Anschlag in Afghanistan

Angesichts des Anschlags in Kabul erklärte Bundesaußenminister Joschka Fischer heute (14.11.):
"Ich bin entsetzt und tief erschüttert über den heutigen Anschlag in Kabul, bei dem ein deutscher Soldat und mehrere Afghanen getötet und weitere Menschen zum Teil schwer verletzt worden sind.
Die Bundesregierung verurteilt diesen Anschlag auf das Schärfste. Unsere Gedanken sind bei den Opfern und ihren Angehörigen. Ihnen gilt unser tiefes Mitgefühl, den Verletzten wünschen wir baldige und vollständige Genesung.
Der heutige Anschlag macht deutlich, dass der Kampf um Stabilität und Sicherheit in Afghanistan noch nicht gewonnen ist. Ziel der Terroristen, die dieses Attentat verübt haben, ist es, den Wiederaufbau- und Demokratisierungsprozess zu sabotieren, der mit dem Abschluss der ersten freien Parlamentswahlen einen weiteren ganz wichtigen Schritt vorangebracht wurde. Dieses Kalkül darf und wird nicht aufgehen. Afghanistan kann auch in Zukunft auf die Unterstützung der Bundesregierung zählen."


Trauerfeier in Kabul: Bundeswehr will "Attentätern nicht weichen"

Kabul (dpa) - Mit einer Trauerfeier und einem klaren Bekenntnis zum Afghanistan-Einsatz haben am Dienstag rund 1600 Soldaten der Internationalen Schutztruppe ISAF Abschied von ihrem am Vortag getöten deutschen Kameraden genommen. «Wir werden den Attentätern, Mördern und Hasspredigern nicht weichen.»

Das sagte der Kommandeur des deutschen ISAF-Einsatzkontingents, Brigadegeneral Hans-Christoph Ammon, bei der Zeremonie in Kabul. «Wir bieten den hasserfüllten Eiferern trotzig die Stirn und lassen sie wissen: Jetzt erst recht.» Bei zwei Selbstmordanschlägen in Kabul waren am Montag ein deutscher Soldat und mindestens fünf weitere Menschen ums Leben gekommen.

Zu beiden Selbstmordanschlägen hatten sich die radikalislamischen Taliban bekannt. Bei dem Anschlag auf ein Bundeswehrfahrzeug waren auch ein deutscher Soldat schwer und ein weiterer leicht verletzt worden. Die Luftwaffe wollte sie mit einem Lazarettflugzeug nach Deutschland zurückbringen. Unklar war am Dienstag, ob die Verletzten und die Leiche des getöteten Soldaten noch am selben Tag aus Kabul zunächst zum deutschen Luftwaffenstützpunkt Termes in Usbekistan und dann weiter in die Bundesrepublik ausgeflogen werden würden.

General Ammon betonte bei der Trauerfeier in der afghanischen Hauptstadt: «Die ISAF steht für Hoffnung und Zuversicht für dieses geschundene Land. Lassen Sie uns das erzwungene Opfer als Aufgabe und Verpflichtung für jeden einzelnen von uns ansehen und unsere Anstrengungen noch weiter erhöhen.» Der Kommandeur der ISAF, der italienische General Mauro Del Vecchio, sagte: «Einem gestorbenen Kameraden die letzte Ehre zu erweisen ist eine furchtbar traurige Handlung.» Im Namen der NATO und aller ISAF-Staaten sprach Del Vecchio den deutschen Soldaten sein «tiefstes Mitgefühl» aus.

Die Anschläge waren international scharf verurteilt worden. UN- Generalsekretär Kofi Annan zeigte sich «tief besorgt über die zunehmende Gewalt in Afghanistan». Annan sprach der Bundesregierung und der Regierung von Afghanistan sein Beileid aus. An die afghanische Regierung und die internationalen Truppen im Land appellierte er, alles zu tun, um die Sicherheitslage zu verbessern. (...)

Quelle: dpa, 15. November 2005



Reaktionen von Parteien

14. November 2005

CDU/CSU: Anschlag in Kabul verurteilen

Zur Meldung über den Tod eines Bundeswehrsoldaten durch eine Autobombe in der afghanischen Hauptstadt Kabul, erklärt der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Christian Schmidt MdB:

Mit großer Betroffenheit habe ich vom Tod eines Bundeswehrsoldaten und weiteren afghanischen Zivilisten in Kabul erfahren. Meine Anteilnahme gilt den Angehörigen und Freunden der Verstorbenen. Den verletzten Soldaten und Zivilisten wünsche ich baldige Genesung. Derartige Anschläge sind aufs Schärfste zu verurteilen. Das Ereignis führt uns in drastischer Weise vor Augen, wie gefährlich die Situation in Afghanistan nach wie vor ist und welche Risiken die Soldaten, die dort Dienst tun, ausgesetzt sind. Die Taliban und ihre Helfershelfer stellen nach wie vor eine Gefahr für Afghanistan und die Sicherheit der Welt dar. Nur eine weltweit abgestimmte Handlungsweise kann diesbezüglich den Erfolg zeigen, den wir angesichts dieser Ereignisse nötig haben.


14. November 2005 Fraktion DIE LINKE: Pressemitteilung

Entscheidung für Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes noch einmal überdenken Zu dem Selbstmordanschlag in Afghanistan, bei dem ein deutscher Soldat getötet wurde und mehrere Soldaten verletzt wurden, erklärt Fraktionsvorsitzender Oskar Lafontaine:

Der tragische Tod des deutschen Soldaten sollte für die Parlamentsmehrheit Anlass sein, ihre Entscheidung zur Verlängerung des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan zu überdenken. Militäreinsätze sind kein angemessener Beitrag zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Sie bewirken eher das Gegenteil: Die Spirale militärischer Gewalt führt, wie wir insbesondere im Irak täglich beobachten, zu immer neuen terroristischen Anschlägen. Sie vergrößert die Gefahr, dass deutsche Soldaten bei ihrem Einsatz in Afghanistan ums Leben kommen und dass terroristische Angriffe demnächst auch auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland stattfinden.


FDP: Bundeswehrsoldaten bei Auslandseinsätzen besser schützen

Pressemitteilung vom 14.11.2005

BERLIN. Zum Tod eines Bundeswehrsoldaten bei einem Selbstmordanschlag, der sich in der afghanischen Hauptstadt Kabul ereignet hat, erklärt der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Jörg VAN ESSEN:

Der Tod eines deutschen Soldaten in Afghanistan zeigt, welches hohe Risiko Angehörige der Bundeswehr für unser Land auf sich nehmen.
Trotz eines gepanzerten Fahrzeuges war die Wucht der Sprengladung so dimensioniert, dass der Bundeswehrsoldat keine Chance hatte. Dieser Vorfall zeigt, dass wir alle Anstrengungen fortsetzen müssen, um durch technische Verbesserungen unsere Soldaten noch mehr zu schützen.
Dass Deutschland hier beispielhafte Lösungen beisteuern kann, zeigt ein anderer Vorfall aus diesem Jahr, wo ein ‚Mungo’ der Bundeswehr nach der Detonation einer Mine durch technische Gestaltung die Insassen vor dem Tod bewahrt hatte.
Das Mitgefühl und die Anteilnahme der FDP-Bundestagsfraktion gelten den Angehörigen und Kameraden des getöteten Soldaten. Wir denken an die beiden verletzen Soldaten und hoffen, dass sie schnellstmöglich wieder genesen werden.


Bundeswehrverband

BundeswehrVerband tief erschüttert über den Anschlag in Kabul

Nach dem Anschlag auf ein Bundeswehrfahrzeug in der afghanischen Hauptstadt Kabul spricht der Deutsche BundeswehrVerband den Angehörigen des getöteten Soldaten sowie den Verletzten und ihren Familien Beileid und Mitgefühl aus. Es handele sich um einen feigen Anschlag auf Menschen, die in Afghanistan hervorragende Arbeit und einen großen Beitrag für Frieden und Freiheit leisten, sagte der stellvertretende DBwV-Vorsitzende, Oberstabsfeldwebel a.D. Wolfgang Ostermeier.

Dass sich die radikalen Taliban zum Angriff auf das Bundeswehr-Fahrzeug bekannt haben, zeige, dass die Verteidigung des Demokratisierungsprozesses etwa gegen religiöse Eiferer nach wie vor notwendig sei. In diesem Einsatz müssten die Soldaten jederzeit mit der Gefahr von Anschlägen und Selbstmordangriffen rechnen. Derartiges lasse sich leider nie ausschließen. "Damit müssen wir auch in Zukunft rechnen." Ostermeier verteidigte den ISAF-Einsatz der Bundeswehr: "Wer jetzt den Abzug der deutschen Truppen fordert, überlässt die Menschen in Afghanistan den Taliban und zerstört die bisherigen Erfolge." Deutsche hälfen in den Schulen und in den Krankenhäusern. "Wir dürfen jetzt nicht vor den Terroristen kapitulieren, auch wenn der Kampf Opfer fordert." Das sei leider der Preis, der für die Freiheit gezahlt werden müsse.

Stand: 15. November 2005


Friedensbewegung

Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag

Jeder Tote ist ein Toter zuviel
Afghanistan-Militäreinsatz beenden!


Zum Anschlag auf Bundeswehrsoldaten in Kabul sagte der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, Peter Strutynski:

Das Schlimmste, was jetzt passieren kann, wird sein, dass der noch amtierende und der designierte Verteidigungsminister in ein trotziges "Jetzt erst recht! Wir dürfen dem Terror nicht weichen!" verfallen.

Das ist die einfachste Reaktion auf das Attentat. Verantwortungsvoller und fürsorglicher für die deutschen Soldaten wäre es, wenn die Bundesregierung ihren Einsatz in Afghanistan überdenkt. Wenn sie über die Ursachen des andauernden Terrors in diesem Land, in dem deutsche Soldaten nichts zu suchen haben, nachdenken würde. Wenn sie sich fragen würde, wie mit nicht-militärischen Mitteln Terroristen verfolgt und bekämpft und - vor allem - die Ursachen von Terror und Krieg bekämpft werden könnten.

Kosovo 1999, Afghanistan seit 2001, Irak seit 2003 (aus gutem Grund ohne direkte deutsche Beteiligung), aber auch Somalia, Sudan, Kongo u.v.a. Bürgerkriegsschauplätze zeigen: Militärkampfeinsätze von Außen sind nicht geeignet, Vertrauen in der einheimischen Bevölkerung zu schaffen und zivile Strukturen aufzubauen. Krieg ist selbst eine terroristische Antwort auf Terror.

Die Bundeswehr aus einer Region abzuziehen, der mit militärischen Mitteln nicht zu helfen ist, hat nichts mit Feigheit zu tun, sondern mit Klugheit. Jeder tote Soldat ist ein Toter zuviel. Auch aus diesem Grund erneuert die Friedensbewegung ihre Forderung nach einem Abzug der Truppen aus Afghanistan.

Kassel, 14. November 2005


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