Vom Ersatz her gedacht
Bundeswehr-Reform: Sparen heißt die Devise – doch das gilt nicht für Großmachtsucht
Von René Heilig *
Rüsten, was der Haushält hält, damit die Kassen der Konzerne überquellen. Daran hat noch keine
der vielen Bundeswehr-Reformen etwas geändert.
Brigitte Janus aus Nürnberg verlangt Gewissensfreiheit! Sie will nicht dass ihre Steuern für
militärische Zwecke verwendet werden. Dafür ging die Ärztin vors Finanzgericht. Das lehnte ihr
Ansinnen bereits 1993 ab: Das Recht des Staates auf allgemeine Steuern überwiege das
Grundrecht auf Gewissensfreiheit. 2009 reichte sie mit anderen eine Verfassungsbeschwerde ein.
Bislang haben die obersten Richter sich diesem Fall nicht zugewandt. Einerlei, die Katholikin ist
konsequent – und wird deshalb alle drei Monate vom Finanzamt gepfändet.
Solch Widerstand gegen Rüstung und Militär im globalen Einsatz ist gewiss die Ausnahme. Doch
selbst wenn man in der Logik unseres gesellschaftlichen Systems bleibt, sollte »Otto
Normalsteuerzahler« spätestens beim Thema Beschaffung der Kragen platzen. Manfred Wörner,
CDU-Mann und Verteidigungsminister zwischen 1982 und 1988, brachte es auf den Punkt, als er
sinngemäß sagte, dass Rüstungsprojekte im Vergleich zu den Verträgen doppelt so lange dauern,
doppelt so teuer sind und nur die Hälfte der vereinbarten Leistung bringen.
Seitdem die Bundeswehr nicht mehr Landesverteidiger sondern globaler Akteur in kriegerischen und
kriegsnahen Einsätzen ist, gilt bei Führung, Ausbildung und Beschaffung der Befehl: Vom Einsatz
her denken! Wie realitätsfern – in der Truppe kann man maximal vom Ersatz her denken. Das macht
die Sache doppelt teuer.
Das Heer kann sich in Afghanistan schon seit langem nicht mehr ohne geschützte Fahrzeuge
bewegen. Also verpasste man den Soldaten »Mungos« als »einsatzbedingten Sofortbedarf«. Dumm
nur, dass das Fahrzeug – dessen Vorfahre der DDR-Multikar ist – keinen ausreichenden Schutz
bietet. Zudem ist es so eng, dass die Soldaten ihre Ausrüstung außenbords anhängen müssen. Für
den Sofortbedarf kaufte man daher Jahre später »umgehend« Eagle-IV-Geländefahrzeuge. Doch
die »Schweizer Keksdosen« sind bei den Insassen nicht beliebter. Fragt man Afghanistan-
Heimkehrer nach ihrer persönlichen Ausrüstung, hört man Klagen über das System »Infanterist der
Zukunft«. Es wiegt rund 23 Kilogramm. Damit ist schlecht kämpfen. Und schon gar nicht gut fliegen.
Jedenfalls nicht mit dem Hightech-Transporthubschrauber NH-90. Wiegt ein Soldat samt Waffen,
Ausrüstung und anderem »Gerödel« 120 Kilogramm, dann Lufttransport ade. Allein – er fliegt ja gar
nicht richtig, der NH-90. Ist zwar vertragswidrig, doch dafür motzt man auszumusternde CH-53 noch
einmal auf.
Jahre nach dem geplanten Einführungstermin kommt auch der Kampfhubschrauber »Tiger« nicht
richtig hoch. Nur die Kosten steigen, obwohl die drohenden sowjetischen Panzerheere, die er
ursprünglich stoppen sollte, längst vom Rost zerfressen sind. Überflüssig sind auch die meisten
Eurofighter-Geschwader, da keine himmlischen Heerscharen aus Richtung Osten mehr zu erwarten
sind. Bestellt ist bestellt, also rüstet man die Jets, die schon vom bewussten Minister Wörner bestellt
wurden, nun in großer Stückzahl zum Erdkämpfer um. Den europäischen Luft-, Raumfahrt- und
Rüstungskonzern EADS, der auch den lange flugunfähigen Transporter A400M herstellt, freut's. Von
dem übrigens wird Deutschland statt geplanter 60 »nur« 53 Stück abnehmen. 40 davon bekommt
die Luftwaffe, 13 Maschinen sollen an Drittkunden verscherbelt werden. Der Bund als Dealer ...
Das Luftabwehrsystem MEADS wurde vor sechs Jahren von den Bundestags-Haushältern der
Union, der SPD und der Grünen abgenickt. Die USA tragen 55 Prozent der Entwicklungskosten,
Italien 16 Prozent. Deutschland hat bislang 886 Millionen Euro zugesagt und einen Großteil der
Summe schon bezahlt. Pro Million wird ein Arbeitsplatz gesichert – in ganz Europa. Das kann man
wohl beschäftigungspolitisch als Ulk verbuchen.
Die USA haben inzwischen ihr Interesse an dem Projekt verloren. Sie verfolgen eigene Ziele und
haben ein politisches Interesse daran, mit einem bilateralen Raketenabwehrsystem die Beziehungen
zu Russland günstiger zu gestalten. Dazu taugt MEADS ebenso wenig wie zum Abfangen
ballistischer Raketen, die es zwar nicht gibt, vor denen wir aber geschützt werden sollen. Ein
sofortiger Ausstieg würde zumindest 250 Millionen Euro sparen, sagen Grüne und die LINKE.
Die Teilstreitkraft, die wohl am weitesten vorangekommen ist auf dem Reformweg zur modernen
Einsatzarmee, ist die Deutsche Marine. Im Vergleich hat die kleinste Bundeswehr-Truppe die
meisten Soldaten in die Welt geschickt und allerlei Effektivierungskonzepte entwickelt, die derzeit
getestet werden.
Sie nutzen nur nicht viel, wenn man – siehe Korvette K-130 – zu viel zu teuren Schrott bestellt. Die
fünf der zu »Meilensteinen des Schiffbaus« erklärten K-130 wurden für 1,2 Milliarden Euro von
einem Firmenkonsortium aus ThyssenKrupp-MarineSystems und der Bremer Lürssen Werft gebaut.
Um ohne Einsatz stillgelegt, umgebaut und nachgerüstet zu werden. Fast zehn Jahre nach
Vertragsunterzeichnung ist eines der Schiffe, die »Braunschweig«, wieder in Fahrt. Zur
(abermaligen) Erprobung.
Drei Tage bevor Minister de Maizière sein »Sparkonzept« vorgelegt hat, verabschiedeten die
Regierungsfraktionen von CDU, CSU und FDP einen Antrag zur »Zukunftsfähigkeit der maritimen
Wirtschaft als nationale Aufgabe«. Natürlich geht es da um deutsche Interessen auf den sieben
Meeren und an deren Küsten, also auch um die Kriegsmarine. Denn als weltweit agierende
Handelsnation sei Deutschland besonders auf sichere Schifffahrtswege angewiesen. Daher wird die
Bundesregierung von den Abgeordneten der Regierungsparteien aufgefordert, »bei der
anstehenden Bundeswehrreform der besonderen Bedeutung der Deutschen Marine für die Außenund
Sicherheitspolitik strukturell und finanziell Rechnung zu tragen«.
So viel Lobbyarbeit sollte das »Netzwerk Friedenssteuer« beflügeln. Der Verein hat zum Ziel, ein
Zivilsteuergesetz auf den Weg zu bringen. Ein Entwurf – 22 Seiten stark – ist abrufbereit. Der
Bundestag könnte ihn debattieren und ein Gesetzgebungsverfahren anstoßen, das den Namen
Reform wirklich verdient.
* Aus: Neues Deutschland, 19. Mai 2011
Zurück zur Bundeswehr-Seite
Zur Friedensbewegungs-Seite
Zurück zur Homepage