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Nicht mehr zeitgemäß? Der kritische Arbeitskreis Darmstädter Signal ohne Resonanz bei aktiven Bundeswehrsoldaten

Ein Beitrag von Jerry Sommer in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderator):
Die Sicherheitspolitik kritisch zu begleiten und zu hinterfragen. Diese Aufgabe hat sich der Arbeitskreis Darmstädter Signal gestellt. Der Arbeitskreis ist ein Zusammenschluss von ehemaligen und aktiven Soldaten. Ihn gibt es seit 30 Jahren. Ins Leben gerufen wurde er 1983 während der Nachrüstung, also in der Zeit der umstrittenen Stationierung amerikanischer Pershing 2-Raketen und Marschflugkörper in Europa. Heute jedoch findet die Vereinigung bei aktiven Soldaten immer weniger Resonanz. Ist der Arbeitskreis Darmstädter Signal also nicht mehr zeitgemäß? Hat er sich überlebt? Jerry Sommer ist diesen Fragen nachgegangen:


Manuskript Jerry Sommer

Dem „Darmstädter Signal“ gehörten 1983 17 Soldaten und drei weitere Angehörige der Bundeswehr an. Sie unterstützten die Friedensbewegung. Die Angst vor einem alles vernichtenden Atomkrieg war auch in Teilen der Bundeswehr verbreitet. Und weil das Darmstädter Signal die einzige Soldaten-Organisation war, die sich gegen die vorherrschende Sicherheitspolitik aussprach, schloss sich der damalige Offizier Karl Demmer dem Arbeitskreis an. Heute aber sei die Lage ganz anders, sagt er.

O-Ton Demmer
„Es ist nicht mehr wie damals in den 80er Jahren eine Frage von Leben und Tod, sondern es ist eine Frage einer differenzierten Betrachtung, von dem, was sich militärisch abspielt. Da gibt es viele Kreise heute, Friedensinstitute und alle möglichen Stimmen, die nicht unbedingt zum Darmstädter Signal gehören. Damals waren wir solitär.“

Von 1997 bis 2003 war Generalstabsarzt Demmer Chef des Sanitätsdienstes der Bundeswehr. Am vergangenen Wochenende wurde der inzwischen pensionierte Offizier zum Vorsitzenden des Förderkreises des „Darmstädter Signals“ gewählt. Wie vor dreißig Jahren engagieren sich heute nur rund ein Dutzend aktive Soldaten beim Darmstädter Signal. Mehr als 100 ehemalige Bundeswehr-Angehörige unterstützen allerdings seine Arbeit.

Die geringe Resonanz des Darmstädter Signals bei aktiven Soldaten heute hat verschiedene Gründe. Christian Neumann, der bisherige Sprecher des Arbeitskreises, glaubt, dass nur rund 20 Prozent der Soldaten diese Organisation überhaupt kennen. Und auch von diesen hätten die meisten eine negative Meinung über das Darmstädter Signal. Der 31-jährige Leutnant:

O-Ton Neumann:
„Man kann sagen, dass uns der Ruf der Spinnertruppe verfolgt. Wir werden zumindest als linke Rebellen abgestempelt, oder als außerparlamentarische Opposition, in die sich ein Soldat ja niemals begeben darf.“

Solch ein soldatisches Selbstverständnis mag zwar den Ansprüchen der Inneren Führung und dem Leitbild des Staatsbürgers in Uniform nicht entsprechen. Es dürfte allerdings in der Bundeswehr weit verbreitet sein. Die weitgehende Ablehnung des Darmstädter Signals durch aktive Soldaten, hat für Generalstabsarzt a. D. Karl Demmer einen weiteren Grund:

O-Ton Demmer:
„…weil sie selber Angst haben, - und das bestätigt sich gelegentlich -, dass sie davon Nachteile haben könnten. Deswegen sind diejenigen, die als aktive Soldaten hier zum Darmstädter Signal kommen, wirklich bewundernswert und man möchte fast sagen: Vorbilder.“

In den Medien werden zwar hin und wieder Stellungnahmen des Darmstädter Signals, zum Beispiel gegen rechtsradikale Tendenzen in der Bundeswehr, erwähnt. Aber sowohl in der Bundeswehrführung wie auch im politischen Betrieb in Berlin findet der Arbeitskreis kein Gehör, so die Erfahrung des ehemaligen verteidigungspolitischen Sprechers der Grünen, Winfried Nachtwei:

O-Ton Nachtwei:
„In Berlin ist das Darmstädter Signal nicht vertreten. Das lässt sich auch wegen der Kapazitäten gar nicht machen. Dadurch fällt man aus vielen Diskussionszusammenhängen heraus. Auf dem Papierwege allein erreicht man in Berlin sehr wenig.“

Das Hauptanliegen der Gründungsväter des Darmstädter Signals war die atomare Abrüstung. Diese hat stattgefunden – heute lagern in Deutschland nur noch etwa 20 US-Atomwaffen im Stützpunkt Büchel in der Eifel. Das Darmstädter Signal fordert ihren Abzug und kritisiert, dass die Bundesregierung nicht entsprechenden Druck in der NATO ausübt. Denn die Atomwaffen in Büchel seien völlig überflüssig, so der in der vergangenen Woche neugewählte Sprecher des Darmstädter Signals, der 26-jährige Oberleutnant Florian Kling:

O-Ton Kling:
„Atombewaffnung war im Ost-West-Konflikt eine Möglichkeit durch die Abschreckung. Heute ist sie überhaupt nicht mehr gegeben - in der Welt umringt von Freunden und Bündnispartnern. Die Amerikaner stehen auch so zu uns und haben noch Atombewaffnung, da müssen sie nicht in Deutschland stehen.“

Seit dem Ende des Kalten Krieges forderte das Darmstädter Signal eine Abschaffung der Wehrpflicht. Der Arbeitskreis hat sich außerdem für eine radikale Reduzierung der Bundeswehr eingesetzt. Die gegenwärtigen finanziellen und politischen Entwicklungen bestätigten die Positionen der kritischen Soldaten, sagt Christian Neumann:

O-Ton Neumann:
„Wir haben als erste Forderung die Verkleinerung auf 120.000 Mann. Wir sind ja schon in der Richtung auf 185.000 unterwegs. Im Februar ist auch im Ministerium die Zahl 140.000 durchgerechnet worden.“

Dass solche Forderungen in der Bundeswehr nicht populär sind, das weiß natürlich auch Christian Neumann. Schon jetzt gebe es wegen der Verkleinerung Engpässe.

O-Ton Neumann:
„Letztendlich leiden die aktiven Offiziere auch unter der gegenwärtigen Lage, weil bei ihnen auch Mehrarbeit anfällt.“

In der Bundeswehr ist auch eine weitere Position des Darmstädter Signals unpopulär: Die Kritik an den internationalen Einsätzen der Bundeswehr. Die Beteiligung am Kosovo-Krieg 1999, die ohne UN-Mandat stattfand, verurteilte das Darmstädter Signal als „völkerrechtswidrig“. Auch der Kampfeinsatz in Afghanistan wird scharf kritisiert. Doch über andere mögliche Einsätze gehen die Meinungen auseinander. Der neue Sprecher, Florian Kling:

O-Ton Kling:
„Da gibt es aber auch Positionen im Darmstädter Signal, die sind viel weiter pazifistisch ausgerichtet und sagen: Einsätze der Bundeswehr außerhalb deutscher Grenzen darf nicht stattfinden. Das sehe ich nicht so.“

Andere Mitglieder halten beispielsweise den Einsatz der Bundeswehr bei schweren Menschenrechtsverletzungen für angebracht. Unabdingbare Voraussetzung solcher Einsätze müssten aber ein Mandat des UN-Sicherheitsrates und ein entsprechender Beschluss des Bundestages sein - darin sind sich die Mitglieder des Darmstädter Signals einig.

Sorge bereitet den kritischen Soldaten die aktuelle Diskussion um eine Lockerung des Parlamentsvorbehalts, der auch bei den laufenden Koalitionsverhandlungen in Berlin eine Rolle spielt. Die Befürchtung des Darmstädter Signals: Damit wäre nicht mehr jeder Einsatz von Bundeswehrsoldaten von einem vorherigen konkreten Beschluss des Bundestages abhängig, wenn zum Beispiel innerhalb der NATO Aufgaben und Fähigkeiten zusammengelegt worden sind. Florian Kling verweist auf den Kosovo-Krieg, den Libyen-Krieg sowie die US-Angriffsdrohungen gegen Syrien, die nicht im Einklang mit dem Völkerrecht standen bzw. stehen:

O-Ton Kling:
„Da muss man aufpassen, dass die Bundeswehr und die Regierung nicht Verpflichtungen eingehen, die man nicht zurückdrehen kann, und wir dann verpflichtet sind, auch in unrechtmäßigen Einsätzen mitzumachen.“

Der Einfluss der sehr kleinen Organisation auf die politischen Entscheidungsträger in Berlin ist äußerst gering. Deshalb gibt es immer wieder interne Diskussionen, ob das Darmstädter Signal noch in die heutige Zeit passt. Der bisherige Sprecher Christian Neumann hält den Arbeitskreis durchaus für ersetzbar:

O-Ton Neumann:
„Denn wir haben ja Denkfabriken, die wesentlich effizienter als das Signal arbeiten. Bei uns spielt sich wenig im Internet ab, der Schwerpunkt sind zwei Arbeitstreffen mit circa 40 bis 50 Teilnehmern im Jahr.“

Zum Arbeitstreffen des Darmstädter Signals am vergangenen Wochenende [26./27. Oktober] kamen etwas mehr als 40 Personen. Man beschloss weiterzumachen, um sowohl rüstungskritischen Soldaten einen Diskussionskreis als auch Medienvertretern einen Ansprechpartner anbieten zu können. Eine richtige Entscheidung, findet der Grünen-Politiker Winfried Nachtwei, der selbst Mitglied im Förderkreis des Darmstädter Signals ist, obwohl er wegen der Unterstützung des Kosovokrieges und des Afghanistaneinsatzes der Bundeswehr von Mitgliedern des Arbeitskreises kritisiert wurde. Zwar werde inzwischen in vielen militärnahen Organisationen und Vereinen kritisch diskutiert. Doch:

O-Ton Nachtwei:
„Es gibt noch viel zu wenig Soldaten und Offiziere, die ihre kritische, abweichende Haltung auch in der Öffentlichkeit zum Ausdruck bringen. In diese Richtung ist auch der Sinn des Darmstädter Signals weiterhin gegeben.“

Ein Weg zu mehr politischem Einfluss ist für das Darmstädter Signal jedoch nicht in Sicht.

* Aus: NDR Info: Das Forum STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 2. November 2013; www.ndr.de/info


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