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Heimwehr tritt an

Aufstellung militärischer Reservisteneinheiten für Inlandseinsätze wird abgeschlossen. Bündnis "No War" kritisiert Militarisierung der Gesellschaft

Von Frank Brendle *

In Berlin wird am Freitag die Aufstellung der neuen »Heimatschutzverbände« der Bundeswehr abgeschlossen: In der Julius-Leber-Kaserne wird das 30. und vorerst letzte Bataillon aufgestellt. Die bundesweit mehr als 3000 Reservisten umfassenden Bataillone sollen vor allem bei Inlandseinsätzen die Truppe unterstützen. Antimilitaristische Gruppen haben Proteste vor der Kaserne angekündigt.

Der auch in der Bundeswehr umgangssprachlich verwendete Begriff »Heimatschutz« täuscht: Vorrangig geht es für die offiziell »Regionale Sicherungs- und Unterstützungskräfte« (RSU-Kräfte) genannten Einheiten um das Erlernen militärischer Fähigkeiten für alle denkbaren Szenarien im Inland. In der Reservistenzeitschrift Loyal wird das so ausgedrückt: Statt Katastrophenhilfe stehe »für die RSU-Kräfte wieder der klassisch-militärische Auftrag im Mittelpunkt. Erst in zweiter Linie spielen die unterstützenden Hilfeleistungen im Rahmen der Katastrophenhilfe eine Rolle.«

Von den Reservisten wird außerdem erwartet, sowohl die Öffentlichkeitsarbeit als auch die Rekrutierungsbemühungen der Bundeswehr zu unterstützen. Die neue Berliner Einheit soll nach den Worten ihres Kompaniechefs in zwei bis drei Jahren »erste Wachübungen und Einsätze, beispielsweise an der Berliner Fan-Meile zur Fußball-WM, hinter sich« gebracht haben.

Die neuen, jeweils rund 100 Mann bzw. Frau starken Bataillone können aber auch anders: Sie sind prinzipiell für jede Art des Inlandseinsatzes gedacht. Das betrifft zum einen den Schutz von Kasernen und militärischen Anlagen, wo die Reservisten den Wachdienst übernehmen, wenn die Stammbelegschaft durch einen Auslandseinsatz reduziert ist.

Zwei Wochen pro Jahr sollen die Reservisten üben, vorrangig an Waffen wie der Pistole P 8, dem Sturmgewehr G 36, bisweilen aber auch an schwererem Gerät. Auf dem Truppenübungsplatz im bayerischen Grafenwöhr fand Ende Oktober eine Übung statt, bei der Reservisten auch den Einsatz von Maschinengewehren und Panzerfäusten übten. Das Szenario geschildert in den Worten der Mittelbayerischen Zeitung vom 28. Oktober: Deutschland ist »durch Unwetter und Überschwemmungen verwüstet«, »Plünderungen und Übergriffe häuften sich. Die Bundeswehr mußte her.«

Das verweist auf eine weitere, in der Reservistenkonzeption aufgeführte Einsatzoption: den Einsatz bei »innerem Notstand« sowie zum Schutz »kritischer Infrastruktur«, also zentraler Wirtschafts- und Verkehrsanlagen. Vor allem dieser Aspekt stößt bei Antimilitaristen auf scharfe Kritik. Denn das könnte im Zweifelsfalle bedeuten, daß auch die Lahmlegung von Kraftwerken oder Bahntrassen durch streikende Arbeiter als Anlaß herhalten muß, die neuen Bataillone in Marsch zu setzen.

Die Reservisteneinheiten wurden seit Juni vergangenen Jahres sukzessive aufgestellt. Die im Ernstfall benötigten Gerätschaften bzw. Waffen sollen sie von ihrer jeweiligen »Pateneinheit« beziehen, für die Berliner Reservisteneinheit ist dies das Wachbataillon. Unterstellt sind die RSU-Kräfte dem Kommando Territoriale Aufgaben, das ebenfalls in Berlin residiert und sämtliche Inlandsaktivitäten der Truppe koordiniert. Der Rückgriff auf Reservisten zeigt an, daß die Bundeswehr angesichts von Sparzwang und Personalabbau verstärkt auf zivil-militärische Zusammenarbeit setzt.

Das Bündnis »No War« ruft zu einer Demonstration auf, die vom Westberliner Stadtzentrum zur Kaserne führen soll. »Wir lehnen organisierte ›Heimatschützer‹ und die Militarisierung der Gesellschaft ab und rufen deshalb dazu auf, auch in Berlin gegen die Aufstellung der RSU auf die Straße zu gehen«, heißt es im Aufruf.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 21. November 2013


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