"Bundestag betreibt seine eigene Entmündigung"
Eine Stellungnahme zum "Parlamentsbeteiligungsgesetz" (Entsendegesetz) der Bundesregierung
Am 3. Dezember befindet der Bundestag auf Antrag der Bundesregierung in zweiter und dritter Lesung über das Bundeswehr-Entsendegesetz (genannt "Parlamentsbeteiligungsgesetz"). Wir hatten vor einigen Monaten bereits darüber berichtet.
Hier geht es zum Gesetzentwurf (pdf-Datei).
Im Folgenden dokumentieren wir eine Stellungnahme, die sich aus Sicht der Friedensbewegung kritisch mit dem Gesetz auseinandersetzt.
Bundestag betreibt seine eigene Entmündigung
Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag
Zum „Parlamentsbeteiligungsgesetz“ erklären für den Bundesausschuss
Friedensratschlag dessen Sprecher Lühr Henken und Peter Strutynski:
Hamburg, Kassel, 2. Dez. 2004 - Verteidigungsminister Peter Struck will – einem Wunsch der USA und der NATO entsprechend – dafür sorgen, dass die Bundeswehr noch schneller und reibungsloser weltweit eingesetzt werden kann. Dafür wird morgen (Freitag, 3. Dezember) im Bundestag in zweiter und dritter Lesung über den von den Regierungsfraktionen eingebrachten Gesetzentwurf über ein "Entsendegesetz" für die Bundeswehr beraten. In der Friedensbewegung stößt das Gesetz auf einhellige Ablehnung.
Die Regierung gestaltet die Bundeswehr zum Zwecke der Interventions- und
Angriffsfähigkeit um wie noch nie und bietet NATO und EU besonders
schnell verfügbare Bundeswehrkontingente an:
-
6.200 Soldaten für die 21.000 Mann starke superschnelle Eingreiftruppe
der NATO (NRF),
- die Beteiligung an vier der dreizehn so genannten „battle groups“
(wörtlich „Schlachtgruppen“) der EU, die ebenfalls innerhalb weniger
Tage „vor allem in Afrika“ einsetzbar sein sollen. Das
„Battle-group“-Konzept sieht keine ausschließliche Bindung an ein
UN-Mandat vor.
Nachträgliche Genehmigung bei "Gefahr im Verzug"
Das vorliegende Parlamentsbeteiligungsgesetz sieht vor, dass „Einsätze
bei Gefahr in Verzug, die keinen Aufschub dulden“, keiner vorherigen
Zustimmung des Bundestages bedürfen. Die Zustimmung sei „unverzüglich
nachzuholen“ (§ 5). Das Parlament tritt damit seine vom
Bundesverfassungsgericht 1994 ausdrücklich bestätigte Kompetenz, über
bewaffnete Auslandseinsätze der Bundeswehr zu entscheiden
(„Parlamentsheer“), an die Regierung ab. Die Regierung kann über eine
blitzartige Zusage, die Bundeswehreinheiten an multinationalen
Eingreiftruppen teilnehmen zu lassen, Fakten schaffen. Eine Korrektur
der Entscheidung durch das Parlament ist kaum denkbar, denn die
Regierung wird darauf verweisen, dass ein deutscher Rückzug aus einem
multinationalen Verband die gesamte Operation in Frage stellen würde.
Würde das Parlament vom im Entwurf des „Entsendegesetzes“ vorgesehenen
Rückholrecht (§ 8) gegen den Willen der Regierung Gebrauch machen
wollen, käme dies faktisch einem Sturz der Regierung durch die
Regierungsfraktion gleich. Das Rückholrecht wird sich somit in der
Praxis als Scheinrecht erweisen. Da im Gesetz eine Bindung an ein Mandat
der UN unterlassen wird, ist hierdurch ein Einstieg in
Präventivkriegsabenteuer von NATO und EU programmiert.
"Vereinfachtes Zustimmungsverfahren"
Für "Einsätze von geringer Intensität und Tragweite“ (im ersten Entwurf
hieß es noch „von geringer Bedeutung") soll ein "Vereinfachtes
Zustimmungsverfahren" (§ 4) eingeführt werden. Für Erkundungskommandos,
die auch Waffen zur Selbstverteidigung tragen, aber auch für einzelne
Soldaten, die in NATO, UNO oder EU einen Auftrag erfüllen, ist kein
förmlicher Bundestagsbeschluss mehr notwendig. Er gilt als beschlossen,
wenn nicht binnen sieben Tagen eine Fraktion oder fünf Prozent aller
Abgeordneten widersprochen haben. So sind beispielsweise Einsätze von
AWACS-Flugzeugen, die eine geringe Anzahl deutscher Soldaten an Bord
haben, einer öffentlichen Debatte entzogen. Dieses Verfahren soll –
schlimmer noch – auch Anwendung finden bei der Verlängerung von
Missionen, so dass auch längere Auslandseinsätze einer öffentlichen
Debatte entzogen werden.
Bewertung
Das Gesetz beschleunigt den Einsatz der Bundeswehr. Weltweite
Interventionen der neu zu bildenden 35.000 Mann starken "Eingreifkräfte"
im Rahmen von NATO und EU drohen der parlamentarischen und damit der
öffentlichen Kontrolle zu entgleiten. Dieses Gesetz bildet zudem die
Grundlage für die Globalisierung der Bundeswehr, dessen weltweite
Ambitionen möglichst geräuschlos umgesetzt werden sollen.
Nachdem der Bundestag bisher allen Anträgen der Regierung auf
Auslandseinsätze der Bundeswehr jeweils mit überwältigenden Mehrheiten
zugestimmt hat, fragt man sich, was das Verteidigungsministerium denn
nun vorhat, dass es sich die Entsendung von Soldaten in Kriegsgebiete
nun noch leichter machen will.
Das „Parlamentsbeteiligungsgesetz“ ist in Wahrheit also ein
Parlamentsentmündigungsgesetz. Der Bundesausschuss Friedensratschlag
lehnt aus den genannten Gründen das Entsendegesetz in Gänze ab.
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Lühr Henken, Hamburg (Sprecher)
Peter Strutynski, Kassel (Sprecher)
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