Verwaltungsgericht Potsdam: "Bombodrom" bleibt weiter bombenfrei - Niederlage des Verteidigungsministeriums
Inspekteur der Luftwaffe: Die heutigen Auslandseinsätze der Bundeswehr machen das Übungsgelände "dringend erforderlich"
Vor dem Urteil ...
Bundeswehr manipuliert Zahlen
Falsche Meßwerte im Streit um die militärische Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide
Von Gerd Bedszent *
Am Dienstag (31. Juli) begann am Verwaltungsgericht Potsdam ein Musterprozeß zur militärischen Nutzung des sogenannten Bombodroms in der Kyritz-Ruppiner Heide. Kläger waren die Gemeinde Lärz aus Mecklenburg-Vorpommern sowie ein Hotelunternehmen und eine Brutfarm aus der Region. Die Klage beruhte hauptsächlich auf wirtschaftlichen Argumenten der Kläger, politisch wurde nicht argumentiert. Der militärische Fluglärm schädige die betreffenden Unternehmen irreparabel und ein von der Anrainergemeinde geplantes Freizeit- und Erholungsgebiet könne nicht genutzt werden, waren Begründungen für die Ablehnung der Bundeswehrpräsenz. Als Beklagte erschienen Beamte des Verteidigungsministeriums sowie höhere Offiziere der Bundeswehr. Etwa 150 Demonstranten der Bürgerinitiativen Freie Heide und Freie Luft begleiteten den Prozeß. Ihnen gegenüber standen nur wenige Vertreter einer Initiative Pro Bundeswehr.
Das Gericht erklärte die Klage gleich zu Beginn für zulässig. Bei einem Verwaltungsakt der Bundeswehr aus dem Jahre 2003 sei der Lärmschutz Dritter nicht hinreichend berücksichtigt worden. In Bescheiden war den Klägern mitgeteilt worden, daß die militärischen Flüge keine unzumutbare Lärmbelästigung darstellten. Im Prozeß entzündete sich der Streit hauptsächlich an den sehr unterschiedlichen Werten über den zu erwartenden Lärm, den die Gutachter beider Seiten vorgelegt hatten. Schließlich stellte sich heraus, daß das Gutachten der Bundeswehr auf manipulierten Zahlen beruhte. Die Höchstgeschwindigkeit für militärische Flüge war zu niedrig angesetzt.
Auch die veranschlagte Anzahl von Tiefflügen erwies sich als komplett unglaubwürdig. Die von der Bundeswehr vorgelegten Meßergebnisse über die Lärmbelastung eines vergleichbaren Übungsgeländes waren nicht nachprüfbar. Angesichts der drohenden Prozeßniederlage legten die Anwälte der Bundeswehr dann doch noch Ergebnisse über angeblich erfolgte Lärmmessungen auf dem Gebiet der Kyritz-Ruppiner Heide vor. Die Vertreter der Klägerseite wiesen diesen Versuch einer Prozeßverzögerung umgehend zurück. Die Urteilsverkündung stand bei Redaktionsschluß noch aus.
* Aus: junge Welt, 1. August 2007
... Nach dem Urteil
Bundeswehr darf Bombodrom-Gelände weiter nicht nutzen
Bürgerinitiativen dürfen weiter hoffen **
Die Bundeswehr darf das so genannte Bombodrom in der Kyritz-Ruppiner-Heide im Nordwesten Brandenburgs auch weiterhin nicht militärisch nutzen: Das Verwaltungsgericht Potsdam folgte bei der Verhandlung dreier Musterklagen am 31. Juli 2007 den entsprechenden Anträgen der Kläger gegen den Bombenabwurfplatz. Das Gericht verwies in seinem Urteil vor allem auf die zumutbare Lärmbelastung für die Anwohner durch den militärischen Flugbetrieb. Diese sei in der vom Bundesverteidigunsgministerium 2003 erteilten Betriebserlaubnis fehlerhaft ermittelt worden.
Das Gericht bemängelte, dass die zumutbare Lärmbelastung fehlerhaft ermittelt worden sei. Außerdem seien die Auswirkungen von Formationsflügen auf die Spitzenwerte der Lärmentwicklung ebenso wenig berücksichtigt worden wie die Auswirkungen von eventuell höherenFluggeschwindigkeitenn sowie von Steigflügen außerhalb des Übungsgeländes.
Das erstinstanzliche Urteil kann vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg angefochten werden.
Insgesamt hatten 20 Gemeinden und Unternehmen gegen die Bundeswehr geklagt. Die Bundeswehr hatte den ehemaligen Luft-Boden-Schießplatz von der abziehenden sowjetischen Westgruppe übernommen und versucht seither vergeblich, einen militärischen Übungsflugbetrieb zu starten. Das strittige Gebiet liegt im Viereck der Städte Wittstock, Rheinsberg, Neuruppin und Kyritz.
Zum Prozess fanden sich auch Vertreter der Bürgerinitiativen "Freie Heide" und "Pro Heide" ein. Sie protestierten gegen die Neuaufage des Bombenabwurfplatzes, der zu Zeiten des Kalten Krieges jahrzehntelang von der Roten Armee genutzt worden war. Seit der deutschen Einigung wurde die Region mit Millionensubventionen für den naturnahen Tourismus ausgebaut. Die Bundeswehr plant jedes Jahr bis zu 1.700 Übungen mit 8.500 Tiefflügen über dem Gebiet. Sie will damit Übungsgebiete in Bayern und Niedersachsen entlasten.
Das Gericht hatte die Klagen eines Geflügelzüchters, eines Hotelbetreibers sowie der Gemeinde Lärz als musterhaft für die weiteren Kläger ausgewählt und verhandelt. Die Gemeinde sieht ihrer kommunale Planungshoheit beeinträchtigt, da die Bundeswehr mit in die Bauplanungen für Tourismusgebiete eingreift. Die Unternehmen befürchten wirtschaftliche Einbußen durch den Lärm der Militärflugzeuge.
Das Bundesverwaltungsgericht hatte die Bundeswehr vor sieben Jahren zu einer Anhörung der Anliegergemeinden sowie der Anwohner verpflichtet. Im Jahr 2003 ordnete der damalige Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) die Inbetriebnahme des Bombodroms durch die Bundeswehr an. Seither gingen alle einstweiligen Verfügungen und Klagen zu Ungunsten der Luftwaffe aus. In den vergangenen zehn Jahren untersagten Gerichte nach Angaben der Kläger in insgesamt 22 Entscheidungen die militärische Nutzung des Geländes.
Die Rechtsstreitigkeiten um den 142 Quadratkilometer großen Luft-Bodenschießplatz dauern inzwischen schon 14 Jahre. Mögliche Folgeinstanzen ändern an der Grundrichtung des Urteils voraussichtlich nichts mehr. Der Anwalt der Bundeswehr-Gegner, Reiner Geulen, äußerte unter Berufung auf einen Briefwechsel von Verteidigungsminister Franz Josef Jung mit den betroffenen Landesregierungen von Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern vom Januar die Einschätzung, dass das Militär nach dieser erneuten Niederlage den Streit um die Nutzung des größten Bombenabwurfplatzes in Westeuropa aufgeben werde. Dem steht die Einlassung des Inspekteurs der Luftwaffe, Klaus-Peter Stieglitz, entgegen, der vor Gericht erklärte, die heutigen Auslandseinsätze der Bundeswehr machten das Übungsgelände "dringend erforderlich", um das Kampfniveau der Luftwaffe aufrechtzuerhalten.
** Quelle: Verschiedene Agenturmeldungen (AFP, AP)
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