"Demonstrationszüge werden die Europabrücke voraussichtlich überschreiten können" (Staatssekretär Altmaier)
In einer Fragestunde des Bundestags ging es u.a. um das Demonstrationsrecht zum NATO-Gipfel, den Afghanistan-Einsatz und um das Konjunkturprogramm für die Bundeswehr (Dokumentation)
Im Folgenden dokumentieren wir ein paar Auszüge aus der Fragestunde des Deutschen Bundestags vom 4. März 2009. Darin geht es um folgende Themen:
Deutscher Bundestag - 16. Wahlperiode, 207. Sitzung.
Berlin, Mittwoch, den 4. März 2009
Plenarprotokoll 16/207
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
(...) Dann können wir jetzt zu den Fragen auf Drucksache
16/12074 in der üblichen Reihenfolge kommen.
Die Fragen 1 und 2 der Kollegin Kirsten Tackmann
werden schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zur Frage 3 der Kollegin Inge
Höger:
In welchem Umfang sind Verträge für wehrtechnische Beschaffungen
im Rahmen des Konjunkturpaketes II geplant bzw. wurden bereits abgeschlossen?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekret
är Christian Schmidt zur Verfügung.
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung:
Vielen Dank, Herr Präsident. Frau Kollegin Höger,
Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Das Gesetz zur Sicherung von Beschäftigung und Stabilität in Deutschland sieht die Errichtung eines Sondervermögens "Investitions- und Tilgungsfonds" vor. Innerhalb dieses
Sondervermögens sind 2 Milliarden Euro für unmittelbare Bundesinvestitionen aller Ressorts, damit auch des Bundesministeriums der Verteidigung, vorgesehen.
Diese Gelder werden der Zweckbestimmung des hierzu erstellten Wirtschaftsplans entsprechend für Bauten, Ausrüstungen und die Ressortforschung des Bundes verwendet.
Der Anteil des BMVg für den Bereich des Investitions-
und Ausstattungsbedarfs beläuft sich auf 226 Millionen
Euro. Einen entsprechenden Überblick über die
geplanten Maßnahmen - ich sage: geplanten Maßnahmen hat Staatssekretär Wolf den Berichterstattern des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages zum Einzelplan 14 sowie den Obleuten des Verteidigungsausschusses bereits in einem Schreiben von Mitte Februar
dieses Jahres bekannt gegeben. Diese Maßnahmen dienen
der Zweckbestimmung des Gesetzes, namentlich der
schnellen Umsetzbarkeit in den Jahren 2009 und 2010
mit dem Ziel der Ankurbelung der Binnenkonjunktur
und der Sicherung heimischer Arbeitsplätze.
Darüber hinaus berücksichtigen die identifizierten
Maßnahmen auch den Auftrag der Streitkräfte. Dementsprechend
sind unter anderem die Beschaffung weiterer
geschützter Fahrzeuge, von Feldlagerkomponenten sowie
von Material für die Sanität im Einsatz vorgesehen.
Auf diese Weise werden die Lebensbedingungen unserer
Soldatinnen und Soldaten in den Einsatzgebieten verbessert
und der Schutz, wo notwendig, verstärkt. Die Beschaffung
weiterer geschützter Straßentankfahrzeuge
dient darüber hinaus der Verbesserung der Einsatzlogistik.
Ich weise allerdings darauf hin, dass diesbezügliche
Verträge noch nicht abgeschlossen sind und dass beabsichtigt
ist, nach Inkrafttreten des Gesetzes mit den erforderlichen
Ausschreibungen zu beginnen.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Kollegin Höger, Sie haben Gelegenheit zur Nachfrage.
Inge Höger (DIE LINKE):
Ich habe eine Nachfrage zu den Zahlen. Die von Ihnen
genannten 226 Millionen Euro entsprechen den Angaben,
die Herr Kossendey anlässlich meiner schriftlichen
Frage gemacht hat. Es existieren aber sehr widersprüchliche
Zahlen. Mir liegt zum Beispiel eine Liste aus dem
BMVg vor, aus der hervorgeht, dass 256 Millionen Euro
für Beschaffung geplant sind. Gestern gab es eine Veranstaltung
der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik, auf
der Staatssekretär Dr. Wichert gesagt hat, die Liste - ich
vermute, er meinte die mir vorliegende Liste, nach der es
256 Millionen Euro sind - sei noch längst nicht vollständig;
weitere Beschaffungsprojekte könnten durch das
Ministerium angemeldet werden. Der für gewöhnlich gut
informierte Behörden-Spiegel schreibt gar, dass 1 Milliarde
Euro für Beschaffung im Rüstungsbereich zur Verf
ügung stehen. Was stimmt nun?
Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister
der Verteidigung:
Frau Kollegin, ich darf erstens vorweg sagen, dass ich
mich sehr darüber freue, dass mein Kollege Parlamentarischer
Staatssekretär Kossendey, der heute seinen Geburtstag
feiert, nun auch von Ihnen ein Geburtstagsgeschenk
erhalten hat, nämlich indem Sie bestätigen, dass
beide Staatssekretäre gleiche Zahlen nennen; denn das
deutet doch auf eine gute Abstimmung im Bundesministerium
der Verteidigung hin.
(Jörg Tauss [SPD]: Das hätte ich nicht erwartet!)
Das werde ich ihm anschließend mit Ihrer Erlaubnis
auch gerne persönlich übermitteln.
Zum Zweiten will ich sagen, dass ich Ihre Frage nachvollziehen
kann. Ich habe sie nicht zu bewerten; aber es
ist verständlich, dass solche Fragen gestellt werden.
Denn bei der Aufteilung der Mittel aus diesem Konjunkturprogramm
werden sehr viele Dinge antizipiert und als
bereits entschieden angesehen. So sind wohl auch die
unterschiedlichen Zahlen zu verstehen, die aus den bekannten,
gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen - die ab
und zu feststellen müssen, dass sie so gut gar nicht unterrichtet
sind, wie sie manchmal tun - kommen. Die
1 Milliarde Euro ist mit Sicherheit nicht zutreffend. Man
muss allerdings einbeziehen, dass im Rahmen der energetischen
Gebäudesanierung auch eine Ausdehnung des
Kasernensanierungsprogramms vorgesehen ist, und zwar
in einer erheblichen Größenordnung. Das ergibt dann
immer noch nicht 1 Milliarde Euro, aber insgesamt wohl
doch 250 Millionen Euro. Ich nenne nur die Größenordnung,
konkrete Zahlen liegen mir im Augenblick nicht
vor; ich kann sie schriftlich nachliefern. Wenn solche
Vorhaben nicht einbezogen werden, kommt man auf andere
Zahlen, und dann ist es nachvollziehbar, dass es ein
unterschiedliches Verständnis gibt. Die Liste mit der
Übersicht der Vorhaben, die wir gegenwärtig in der Planung
und Bewertung haben, die also noch nicht abgeschlossen
sind, weist in der Summe in der Tat
256 Millionen Euro aus. Ich weise aber darauf hin, dass
konkrete Zahlen erst dann genannt werden können,
wenn die Verträge wirklich geschlossen sind. Dazu wird
selbstverständlich eine frühzeitige Information der betreffenden
Ausschüsse, insbesondere des Haushalts- und
des Verteidigungsausschusses, stattfinden.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Eine weitere Nachfrage?
Inge Höger (DIE LINKE):
Ich habe noch eine weitere Nachfrage. Geben Sie
mir recht, dass es sich überwiegend um bereits geplante
Beschaffungsprojekte handelt, also um Projekte, die eigentlich
nicht der Intention des Konjunkturprogramms
entsprechen, und dass darüber hinaus Beschaffungsprojekte
im Rüstungsetat in Höhe von über 25 Millionen
Euro dem Verteidigungs- und dem Haushaltsausschuss
vorgelegt werden müssen, sodass man hier den Eindruck
haben kann, dass die demokratische Willensbildung in
den Ausschüssen umgangen werden soll?
Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister
der Verteidigung:
Dem letzten Eindruck kann ich nur widersprechen. Die demokratische Willensbildung soll nicht beeinträchtigt werden. Das Haushaltsrecht ist in jedem Falle gewährleistet. Allerdings liegt der Haushaltsvollzug, der
eine Angelegenheit der Exekutive, des Ministeriums, ist,
in unserer Zuständigkeit. Bei den angedachten Vorlagen
gibt es zwei oder drei sogenannte 25-Millionen-Euro-
Vorlagen, die im Haushaltsausschuss noch einmal gesondert
beraten werden müssen.
Hierbei handelt es sich insbesondere um die Beschaffung
von Gerätschaften für die Marine sowie um die Beschaffung
von Beobachtungs- und Aufklärungsfahrzeugen.
Es sind keine völlig neuen Überlegungen, die zu
neuen Programmen und zur Entwicklung neuer Produkte
führen. Die Entwicklungszyklen im militärischen Bereich
sind derart lang, dass mit der Entwicklung neuer
Produkte die Vorgabe des Konjunkturprogramms, nämlich
schnell und sichtbar Arbeitsplätze und Investitionen
in unserem Lande zu unterstützen, nicht erfüllt werden
kann. Es handelt sich also nicht um neu zu entwickelnde,
sondern um zusätzliche Projekte und Programme, bei
denen es um die Deckung eines Mehrbedarfs oder die
Durchführung von längerfristig geplanten Vorhaben
geht.
(BT-Protokoll, S. 22 367-22368)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
(...) Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Zur Beantwortung steht zur Verfügung Herr Staatsminister
Dr. Gernot Erler.
Die Fragen 16 und 17 sollen schriftlich beantwortet
werden.
Wir kommen somit zu Frage 18 des Kollegen
Wolfgang Gehrcke, der anwesend ist:
Welche Haltung nimmt die Bundesregierung zur Forderung
des US-Präsidenten Barack Obama, die Anzahl der in Afghanistan stationierten Soldaten zu erhöhen.
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen
Amt:
Vielen Dank, Herr Präsident. Herr Kollege Gehrcke,
meine Antwort lautet wie folgt:
Die US-Regierung unter Präsident Barack Obama hat
bislang keine konkreten Forderungen an die Bundesregierung
gerichtet, die Anzahl der in Afghanistan stationierten
Soldaten zu erhöhen.
In der NATO wird derzeit über einen Truppenaufwuchs
zur Absicherung der diesjährigen Präsidentschaftswahlen
in Afghanistan diskutiert.
Die Bundesregierung hat frühzeitig gemeinsam mit
den Partnern in der Nordregion Afghanistans die Anforderungen
geprüft und entsprechende Planungen in die
Wege geleitet.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Nachfragen? Herr Gehrcke.
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):
Herr Staatsminister, wir hatten heute schon im Ausschuss
die Gelegenheit, über diese Fragen zu reden. Ich
möchte nachfragen: Der kommende NATO-Gipfel hat
nicht nur eine Riesenbedeutung, weil einer 60-jährigen
Geschichte gedacht werden soll. Ich finde, 60 Jahre sind
zu viel; aber das ist meine Auffassung. Ist die Bundesregierung
bereit, in einer Regierungserklärung vorzustellen,
welche politischen und strategischen Fragen sie
selbst auf dem NATO-Gipfel einbringen will?
Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen
Amt:
Herr Kollege Gehrcke, diese Frage führt jetzt ziemlich
weit von Afghanistan weg. Ich möchte Ihnen aber
sagen, dass wir uns natürlich sehr konkret auf diesen
NATO-Gipfel vorbereiten, nicht nur deshalb, weil er teilweise
in Deutschland stattfindet, sondern auch, weil wir
die Aufgabe, nach 60 Jahren ein neues strategisches
Konzept für die NATO zu entwickeln, angesichts der aktuellen
Herausforderungen, die es gibt, sehr ernst nehmen.
Sie können sicher sein, dass wir auch unsere inhaltlichen
Beiträge für die Formulierung dieses Mandates
rechtzeitig erarbeiten werden.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Zweite Nachfrage? Bitte.
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):
Herr Staatsminister, so weit ist das gar nicht von Afghanistan
weg; denn im Zentrum des NATO-Gipfels
werden das neue strategische Konzept und Afghanistan
stehen. Deswegen, so finde ich, muss man dezidiert
nachfragen, damit die Bundesregierung ihre Position
hier im Parlament, das ein Mitspracherecht hat, öffentlich
macht. Ich frage Sie also noch einmal: Gibt es derzeit
in der Bundesregierung eigene Überlegungen, solche
Fragen wie die Beendigung der Stationierung der
amerikanischen Atomwaffen in Deutschland, wie die
Erstschlagsdoktrin oder wie die Aufhebung des Bündnisfalles
zur Debatte zu stellen?
Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen
Amt:
Herr Kollege, noch einmal: Natürlich wird auch Afghanistan
auf der Tagesordnung des NATO-Gipfels stehen.
Aber Sie haben eben selber deutlich gemacht, dass
es sich bei dem strategischen Konzept um eine sehr viel
breitere Anlage handelt. Ich kann nur sagen: Sie sind der
Souverän, Sie sind Abgeordneter, und Sie können natürlich
jederzeit Fragen an die Bundesregierung richten,
zum Beispiel nach dem Konzept, was Sie aber in dieser
Fragestunde nicht gemacht haben. Sie können die Bundesregierung
auffordern, hier im Hohen Haus ihre Position
darzulegen. Ich bin ganz sicher, dass die Bundesregierung
dieser Aufforderung auch nachkommen wird.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Danke schön, Herr Staatsminister.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums
des Innern. Zur Beantwortung der Fragen
steht der Parlamentarische Staatssekretär Peter
Altmaier zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 19 des Kollegen Gehrcke auf:
Ist die Bundesregierung bereit, sich für das Recht von Demonstrantinnen
und Demonstranten, ihren Protest gegen die
Politik der NATO zeit- und ortsnah während der Gipfelveranstaltungen
in Baden-Baden und Straßburg zum Ausdruck zu
bringen, einzusetzen?
Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister
des Innern:
Vielen Dank, Herr Präsident. Herr Kollege Gehrcke,
wie Sie sich denken können, geht die Bundesregierung
selbstverständlich davon aus, dass die Bürgerinnen und
Bürger ihre verfassungsrechtlich verbürgten Versammlungs-
und Demonstrationsrechte wahrnehmen können.
Ich muss allerdings erläuternd das Folgende hinzufügen:
Wie Sie als Mitglied des Hohen Hauses vermutlich
selbst wissen, ist mit der Föderalismusreform vom
28. August 2006 die Gesetzgebungskompetenz für das
Versammlungsrecht auf die Länder übergegangen. Das
heißt, dass die Länder nunmehr sowohl für die Gesetzgebung
als auch für den Gesetzesvollzug zuständig sind.
Es ist somit Aufgabe der Länder, die Voraussetzungen
für eine wirksame Verwirklichung der Versammlungsund
Demonstrationsfreiheit zu schaffen. Die Entscheidung,
in welcher Weise und mit welchen Prioritäten
diese Verfassungspostulate bei den Demonstrationen im
Bundesland Baden-Württemberg zu erfüllen sind, obliegt
somit logischerweise den zuständigen Behörden
des Landes Baden-Württemberg. Ich gehe davon aus,
dass dort wie auch in allen anderen Bundesländern in
Übereinstimmung mit den grundgesetzlichen Vorgaben
und Verbürgungen verfahren wird.
Soweit Sie sich auf die Versammlungen in Straßburg
bezogen haben, ist zu sagen, dass diese natürlich nicht in
den Schutzbereich des deutschen Versammlungsrechts
fallen; vielmehr ist über die Zulässigkeit von Demonstrationen
nach französischem Recht von den französischen
Behörden zu entscheiden.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Eine Nachfrage des Kollegen Gehrcke.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Was ist auf der Brücke?
Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Demonstrieren Sie auch?)
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):
Meinen Sie mich? Ich, ja. Ich weiß nicht, ob der Herr
Staatssekretär auch demonstriert; aber das ist nicht die
Fragestellung.
Ich habe einen anderen Ausgangspunkt. Die rechtliche
Lage ist klar. Die Bundesregierung müsste doch ein
großes Interesse daran haben, mit diesem NATO-Gipfel
- auch in Kooperation mit Frankreich - zu signalisieren,
dass man offen ist und dass man möchte, dass alle Menschen,
die es wollen, sich friedlich, das heißt gewaltfrei,
versammeln können, und das nicht außerhalb der Städte,
sondern vor Ort. Eine Erklärung der Bundesregierung,
dass sie nicht nur das Recht der NATO, sich zu versammeln,
achtet, sondern auch das Recht der Demonstranten,
gegen die NATO zu demonstrieren, würde ihre
Wirksamkeit nicht verfehlen. Ich frage Sie, ob Sie bereit
sind, eine solche Erklärung in der Öffentlichkeit abzugeben.
Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister
des Innern:
Wenn Sie eine solche Frage stellen, Herr Kollege
Gehrcke, dann müssen Sie eigentlich Anhaltspunkte dafür haben, dass die Wahrnehmung des Versammlungs- und Demonstrationsrechtes nicht gewährleistet ist. Die Bundesregierung hat großes Vertrauen in die zuständigen Behörden des Landes Baden-Württemberg, die eine
jahrzehntelange Erfahrung im Umgang mit diesen wichtigen
Grundrechten haben. Deshalb haben wir weder
Weisungen noch Empfehlungen noch Erklärungen abzugeben;
vielmehr gehen wir selbstverständlich davon aus
- ich wiederhole es -, dass das Versammlungs- und Demonstrationsrecht
der Bürgerinnen und Bürger gewährleistet
ist.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Eine weitere Nachfrage. Bitte, Herr Gehrcke.
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):
Genau diese Kenntnis und diese Sorgen bringen mich
dazu, diese Fragen zu stellen. Ich habe gehört, dass in
Baden-Baden "Rote Zonen" eingerichtet werden, also
Zonen, die demonstrationsfrei bleiben sollen, dass die
Brücke von Kehl nach Straßburg gesperrt und dass in
Straßburg jeglicher Personennahverkehr für drei Tage
eingestellt werden soll. Es wird ein sehr schwieriges
Klima geschaffen. Deswegen lege ich Wert darauf, dass
Sie mit einer solchen Erklärung die Situation entspannen
und dass Sie nicht zur Eskalation, zu gegenseitigen Aggressionen
beitragen.
Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister
des Innern:
Herr Kollege Gehrcke, nach den Informationen, die
der Bundesregierung vorliegen, ist in den derzeitigen
Planungen sehr sorgfältig abgewogen zwischen dem Demonstrationsrecht
und der Notwendigkeit beispielsweise
die Brücke, die Sie angesprochen haben, für einen bestimmten,
zeitlich sehr eng begrenzten Zeitraum zu sperren,
wenn dort eine Veranstaltung stattfindet; ich komme
darauf bei der Beantwortung der Frage Ihrer Kollegin
Höger zurück. Eine solche Sperrung ist im Übrigen auch
bei früheren Anlässen geschehen, und sie geschieht laufend.
Ich kann darin keine Einschränkung des Demonstrations-
und Versammlungsrechts erkennen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Eine weitere Zusatzfrage stellt die Kollegin Dag(delen
von der Fraktion Die Linke.
Sevim Dag(delen (DIE LINKE):
Lieber Herr Altmaier, die Europäische Union und
auch die Bundesregierung betonen immer wieder den
Wert der Freizügigkeit innerhalb der Europäischen
Union. Wie hält es die Bundesregierung damit, dass das
Schengener Abkommen in diesem Fall ausgesetzt werden
soll, dass die Grenze zwischen Kehl und Straßburg
sozusagen geschlossen werden soll? Ist das das Bild der
Freizügigkeit, das die Bundesregierung, Frankreich und
damit auch die Europäische Union uns, den Bürgerinnen
und Bürgern, vermitteln möchte?
Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister
des Innern:
Frau Kollegin Dag(delen, Sie haben völlig Recht, dass
es durch das Schengener Abkommen sowie durch den
Einsatz dieser Bundesregierung und ihrer Vorgängerregierungen
gelungen ist, die Bewegungsfreiheit von Millionen
von europäischen Bürgerinnen und Bürgern ganz
erheblich auszuweiten. Die letzte Erweiterung liegt gerade
einmal etwas länger als ein Jahr zurück; damals
wurden die Kontrollen an den Grenzen zu den neuen
Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Wesentlichen
aufgehoben, mit Ausnahme von Bulgarien, Rumä-
nien und Zypern. Dies alles ist ein großer Erfolg für die
Bewegungsfreiheit in Europa.
Da Sie im Innenausschuss häufiger Gelegenheit haben,
darüber zu diskutieren, wissen Sie allerdings genauso
gut wie ich, dass im Schengener Abkommen die
Möglichkeit vorgesehen ist, eine zeitlich befristete Wiedereinf
ührung von Grenzkontrollen vorzunehmen. Davon
wird in einem sparsamen Umfang, aber durchaus
hin und wieder Gebrauch gemacht. Eine solche Situation
hatten wir beispielsweise bei der Fußballweltmeisterschaft.
Eine solche Situation hatten wir auch bei dem
G-8-Gipfel in Heiligendamm. Das hat mit dazu beigetragen,
den gewaltfreien Ablauf von Demonstrationen und
Kundgebungen wesentlich zu befördern. Inwieweit in
dem in Rede stehenden Fall von dieser Möglichkeit Gebrauch
gemacht wird, muss nach der Lage vor Ort entschieden
werden. Es ist aber keinesfalls außergewöhnlich,
und es wäre auch nicht das erste Mal.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Vielen Dank. Ich rufe die Frage 20 der Kollegin
Inge Höger auf:
Ist die Bundesregierung bereit, sich dafür einzusetzen,
dass die Europabrücke - E 52/B 28 - zwischen Kehl und
Straßburg am Samstag, dem 4. April 2009, nicht geschlossen
wird, um damit sicherzustellen, dass das Recht von aus
Deutschland anreisenden Demonstrantinnen und Demonstranten,
sich an der internationalen Großdemonstration gegen den
NATO-Gipfel in Straßburg zu beteiligen, nicht eingeschränkt
wird?
Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister
des Innern:
Das ist eine Frage, die sich nahtlos in diesen Kontext
einfügt. Deshalb muss ich auch Ihnen sagen, dass die
Streckenführung für angemeldete Demonstrationszüge
und gegebenenfalls der Erlass behördlicher Auflagen
dazu grundsätzlich dem einsatzführenden Land - damit
dem Land Baden-Württemberg - obliegen. Sofern länder-
übergreifende Demonstrationszüge stattfinden werden,
also mit Überschreiten der Grenze von Deutschland nach
Straßburg, ist zusätzlich eine Abstimmung mit der franz
ösischen Präfektur angezeigt.
Dem Bundesministerium des Innern liegen nach dem
derzeitigen Sachstand keine Anhaltspunkte dafür vor,
dass die Europabrücke aus einsatztaktischen Gründen
grundsätzlich geschlossen werden soll. Eine Ausnahme
bildet lediglich die temporär eng begrenzte Sperrung am
Morgen des 4. April 2009 aus Sicherheitsgründen.
Lassen Sie mich dazu das Folgende noch sagen: Während
des Programmhöhepunktes - das ist das Überschreiten
der gegenüber der Europabrücke liegenden Passerelle
des deux Rives über den Rhein - haben die gastgebenden
Länder Deutschland und Frankreich die Sicherheit der
internationalen Staatsgäste aus über 30 Delegationen zu
gewährleisten. Dazu ist unter anderem für einen eingeschränkten Zeitraum der Zugang zu der Europabrücke zu
kontrollieren. Nach diesem Veranstaltungspunkt, der
nach den derzeitigen Planungen etwa in der Zeit von
9 Uhr bis 10.30 Uhr stattfinden wird, werden Demonstrationszüge die Europabrücke voraussichtlich überschreiten
können, wenn auch aus den obengenannten
Gründen eben zeitversetzt.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Nachfrage?
Inge Höger (DIE LINKE):
Ja, ich habe eine Nachfrage. Am 4. April soll auch
ein Sonderzug aus Nordrhein-Westfalen nach Kehl fahren;
die Menschen wollen sich dem Demonstrationszug
über die Europabrücke anschließen. Denen, die den Zug
anmieten wollen, ist von der Bahn gesagt worden, dass
dieser Sonderzug schon vor Kehl, nämlich in Appenweier
- das ist 16 Kilometer von Kehl entfernt -, gestoppt
werden soll und nicht weiterfahren darf. Wissen
Sie etwas davon, und werden Sie sich im Sinne des Demonstrationsrechts
dafür einsetzen, dass dieser Zug bis
nach Kehl fahren darf?
Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister
des Innern:
Diese Information ist mir zugegebenermaßen neu. Ich
werde mich aber gern sachkundig machen und Ihnen gegebenenfalls
berichten.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Weitere Nachfrage, Frau Höger?
Inge Höger (DIE LINKE):
Nein. Ich danke Ihnen und hoffe, noch einmal davon
zu hören.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Danke schön. Haben Sie eine Nachfrage dazu?
Bitte, Herr Ströbele.
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Er fragt, ob er das Fahrrad mitnehmen
darf! Gegenruf von der CDU/CSU: Aber nicht klauen lassen!)
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Danke, Herr Präsident. Ich frage nicht danach, ob
ich mein Fahrrad mitnehmen darf, sondern ich frage Sie:
Wer ist nach Ihrer Auffassung für diese Brücke zuständig,
Deutschland oder Frankreich?
Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister
des Innern:
Das hängt vom genauen Verlauf der Grenze in diesem
Bereich ab.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Ja, eben!)
Herr Kollege Ströbele, da wir in diesem Abschnitt über
mehrere Hundert Kilometer Grenze verfügen, werden
Sie es mir nachsehen, dass ich Ihnen nicht für jede einzelne
Brücke sagen kann, ob die Grenze vor Beginn der
Brücke, am Ende der Brücke oder in der Mitte der Brü-
cke verläuft. Ich bin aber überzeugt, dass die örtlichen
Behörden, sowohl die in Straßburg wie auch die in Kehl,
dies sehr genau wissen.
Im Übrigen entspricht es meiner Wahrnehmung, dass
wir in den letzten Jahren eine Kultur der Zusammenarbeit
der Sicherheitsbehörden über die Grenzen hinweg
entwickelt haben, die in vielen Fällen auch über das hinausgeht,
was offiziell gefordert wird, und in deren Rahmen
man sich einfach abspricht und gegenseitig informiert.
Ich habe großes Vertrauen darin, dass dies gerade
auch in Kehl und in Straßburg funktionieren wird, weil
dieser Bereich seit vielen Jahren ein symbolischer Ort
für die deutsch-französische Freundschaft und die europäische Integration ist.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Vielleicht können Sie die
Antwort in Bezug auf die Brücke nachliefern!)
Gern.
(BT-Protokoll, S. 22379 - 22382)
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