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Anforderungen an deutsche Friedenspolitik

Thesen zum Gesellschaftspolitischen Forum der Rosa-Luxemburg-Stiftung Wiesbaden, 11. und 12. Juni 2010

1. Während der vergangenen zwanzig Jahre erfolgte eine schrittweise Neuorientierung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Die vergrößerte Bundesrepublik Deutschland als die stärkste Wirtschaftsmacht Europas spielt auch eine zentrale Rolle als Militärmacht, innerhalb der EU und im Rahmen der NATO. Die Bundeswehr wurde zielstrebig zu einer Armee umgebaut, deren Hauptaufgabe militärische Interventionen sind. Dabei werden militärische Alleingänge vermieden. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat das Land seine Rüstungen zielstrebig effektiviert und auf die Herstellung einer umfassenden Interventionsfähigkeit umgestellt. Im weltweiten Rüstungsexport belegt Deutschland einen dritten Platz, hinter den USA und Russland. Die offizielle Friedens- und Sicherheitspolitik wurde immer mehr zur Militärpolitik. Es ist zwar nach wie vor von internationaler Verantwortung für den Frieden, von notwendiger Abrüstung und Rüstungskontrolle, von ziviler Krisenprävention und vom Schutz der Menschenrechte sowie von Entwicklungszusammenarbeit als Instrument zur Beseitigung von Armut und zur Regelung von Konflikten die Rede, in der Praxis jedoch wurde dem Einsatz von Streitkräften immer offensichtlicher Priorität eingeräumt. Nach dem Ende des kalten Krieges wurde Krieg zur Durchsetzung geostrategischer Interessen des Westens wieder zu einem „normalen Mittel“ der Politik gemacht. Derzeit ist die Bundeswehr in zwölf Einsätzen an mehr oder weniger gewaltsamen Konflikten beteiligt. Hinzu kommen abgeschlossene Einsätze, wie z. B. Somalia oder die beiden Kongo-Einsätze, oder die Einsätze von Militärbeobachtern etwa in Georgien oder Aceh. In Afghanistan beteiligt sich die Bundesrepublik an einem Krieg, der immer mehr Opfer kostet und von der Bevölkerung in Deutschland mit wachsender Mehrheit abgelehnt wird. Die Bundesregierung zeigt sich dennoch nicht bereit, die Truppen abzuziehen, und will Deutschland als globalen Akteur weiter etablieren; durch Übernahme militärisch definierter „Verantwortung“ soll nicht zuletzt der deutsche Anspruch auf einen Sitz im UNO-Sicherheitsrat untermauert werden.

Die Hauptforderung an deutsche Außen- und Sicherheitspolitik kann deshalb nur die nach radikaler Umkehr sein, nach einer konsequenten Absage an die militärischen Grundentscheidungen der letzten zwanzig Jahre. Die Bundesrepublik Deutschland braucht keine „militärpolitische Emanzipation“, sondern muss zu einer wahrhaften Friedensmacht werden und ihr gewachsenes internationales Gewicht für eine Friedenspolitik einsetzen, die diesen Namen wirklich verdient.

2. Der Kapitalismus hat als erste Wirtschaftsordnung einen globalen Rahmen hergestellt. Es entstand ein Weltsystem, das seinem Wesen nach kapitalistisch ist und in dem der Reichtum der Länder des Zentrums und die Armut der Länder der Peripherie sich gegenseitig bedingen. Nach dem Scheitern des osteuropäischen Realsozialismus konnten weitere Länder direkt in dieses Gefüge eingeordnet werden. Der Zusammenbruch des imperialistischen Kolonialsystems hat nicht dazu geführt, dass die Mehrheit der Länder des globalen Südens einen eigenständigen Entwicklungsweg beschreiten konnte. Die neoliberale Strategie hat nicht nur die Arbeits- und Lebensbedingungen vieler Menschen in den Ländern des Westens verschlechtert, sondern ist mit einem gnadenlosen Raubbau an unserem Planeten verbunden: Staatszerfall und absichtsvolle Zerstörung früherer sozialer Sicherungssysteme auch in den Ländern des Südens, Klimawandel, Flüchtlingsbewegungen als Folge von Umweltzerstörung, Dürre, Abholzung, Wassermangel und Elend sind die Folgen.

Anstatt die kapitalistischen Ursachen dieser Katastrophen zu beseitigen, „versicherheitlichen“ die imperialistischen Mächte diese Probleme. Sie wollen dafür sorgen, dass ihre Unternehmen weltweit Zugriff auf alle Ressourcen haben, dass sie ihr Kapital weltweit investieren und verwerten sowie auf allen Märkten ihre Produkte absetzen können. Der Aufstieg der neuen Wirtschaftsmächte in Asien, insbesondere Chinas und Indiens, hat die Auseinandersetzungen um die knapper werdenden Ressourcen zusätzlich verschärft. Die Zahl der gewaltsamen Konflikte in den Ländern des Südens ist angestiegen. Die USA, die NATO und die EU entwickeln dazu „Sicherheitsstrategien“, nachlesbar in „Weißbüchern“, „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ und anderen Strategiepapieren. Bereits 1999 formulierte die NATO ihre neuen weltpolitischen Ziele, darunter sich Ressourcen zu sichern und Migrationsströme zu verhindern. Die atomare Erstschlagsstrategie der NATO wurde nach dem Ende der Bipolarität bekräftigt. Die NATO-Osterweiterung hat die Sicherheitslage in Europa nach dem Ende des kalten Krieges nicht verbessert, sondern zu neuen Spannungen geführt. Der Georgienkrieg 2008 zeigte, dass die NATO nicht die Lösung, sondern ein Risiko für die Sicherheit in Europa ist. Zur Zeit wird innerhalb der NATO an einer neuen Strategie gearbeitet, die die Interventionsfähigkeit der NATO weiter stärken soll.

Die deutsche Außenpolitik muss mit dieser Linie brechen. Das bedeutet: Eintreten für verantwortungsvollen und solidarischen Umgang der Menschen und Staaten miteinander, im Sinne der UNO-Charta und auf der Basis des Völkerrechts; Stärkung des Friedens durch kollektive und gegenseitige Sicherheit, durch Abrüstung und strukturelle Nichtangriffsfähigkeit, durch die Beseitigung der Atomwaffen und ein weltweites Verbot aller Massenvernichtungswaffen. Es bedeutet auch, für eine solidarische Politik zur Überwindung von Armut, Unterentwicklung und Umweltzerstörung einzutreten, für strikt zivile Konfliktlösungen, für eine internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit, die nicht die deutschen bzw. westlichen Unternehmen bereichert, sondern die Wirtschaft der armen Länder nachhaltig stärkt, für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung.

3. Der Lissabon-Vertrag von 2009 fasst die bisherigen Vertragsgrundlagen der Europäischen Union zusammen und akzentuiert sie teilweise neu. Er trägt nicht dazu bei, dass die EU zu einer demokratischen, sozialen, gerechten und Friedensunion wird, die diesen Namen tatsächlich verdient. In den Mittelpunkt sind die Durchsetzung der neoliberalen Grundfreiheiten des Marktes und der Unternehmen gestellt. Die Militarisierung der EU wird zielstrebig weiter vorangetrieben. Die deutsche Bundesregierung ist eine treibende Kraft in dieser Entwicklung. Der Aufbau einer EU-eigenen Interventionsarmee einschließlich schneller Eingreiftruppen wurde wesentlich von ihr durchgesetzt. Die Bundeswehr stellt das größte Kontingent dieser Truppen, wesentliche Kommandoposten liegen in deutscher Hand. Die Militärstrategie der EU wurde spiegelbildlich zu der der NATO festgeschrieben; der Vertrag von Lissabon verpflichtet alle Mitgliedsländer zur permanenten Aufrüstung. Der militärisch-industrielle Komplex nimmt, bei aktiver Beteiligung der deutschen Rüstungskonzerne, europäische Dimensionen an. Bei aller Nähe zur und Verschränkung mit der NATO soll die Option selbständigen und weltweiten militärischen Eingreifens gewahrt und ausgebaut werden. Der im Aufbau befindliche Europäische Auswärtige Dienst erhält eine starke militärische Komponente. Deshalb kann man getrost von einem „Militärischen Europäischen Auswärtigen Dienst“ sprechen. Es wird ein bürokratischer Apparat der EU geschaffen, der die Trennung von Diplomatie und Militär aufhebt. Auch die Entwicklungspolitik soll im EAD künftig einer militärischen Sicherheitspolitik untergeordnet werden. Die Öffentlichkeit wurde über die zu erwartenden Mehrkosten für die 8.000 Brüsseler Beamten schlicht im Unklaren gelassen, trotz Finanz- und Wirtschaftskrise. Ohne öffentliche Diskussion wurde ein Projekt auf den Weg gebracht, bei dem weder demokratische Kontrolle noch ordentliche Haushaltskontrolle gewährleistet sind.

Auch dieses Gebiet der Politik erfordert eine grundsätzliche Umkehr. Die EU sollte ihr politisches und wirtschaftliches Potential ausschließlich für eine friedliche und gerechte Entwicklung der internationalen Beziehungen einsetzen und bei der Lösung der globalen Probleme wie Armut, Klimawandel etc. beispielhaft vorangehen.

4. Artikel 26 des Grundgesetzes verbietet – in Anlehnung an Art. 2.4 der UNO-Charta – den Angriffskrieg und stellt seine Vorbereitung unter Strafe. Dennoch nahm die Bundesrepublik Deutschland an dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Rest-Jugoslawien/Serbien teil. Hat das (kritisch zu betrachtende) Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 1994 das Tor zu jedweder Intervention der NATO geöffnet, indem es die NATO zu einem „Bündnis Kollektiver Sicherheit“ umdefinierte? Der Begriff System gegenseitiger kollektiver Sicherheit (Sicherheitskollektiv) beschreibt ein Bündnissystem, das aus zwei oder mehreren Staaten u. U. sogar allen Staaten der Welt besteht. Umfasst es nur zwei oder mehrere Staaten, so spricht man von einem regionalen Bündnis. Umfasst es die Mehrheit der Staatenwelt, so bezeichnet man es als globales bzw. universelles Bündnis. Die UNO, wie auch zuvor der Völkerbund, verkörpern die Vorstellung eines globalen Sicherheitskollektivs – zumindest normativ und idealtypisch. Die Prämisse für ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit ist, dass Krieg als gemeinsame Gefahr für alle aufgefasst werden muss. Die eigene Sicherheit beruht zugleich auf der Sicherheit des potenziellen Gegners. Dass setzt die Empathie voraus, dass der potenzielle Gegner ebenfalls einer (legitimen) Bedrohungswahrnehmung unterliegt und somit ein ebenso legitimes Sicherheitsinteresse besitzt. Ziel eines Sicherheitskollektivs ist es nicht, die Sicherheit einzelner Staaten auf Kosten anderer Staaten, sondern die Sicherheit aller (regional oder global) Staaten zu organisieren. Sicherheit wird durch gemeinsame vertrauensbildende Maßnahmen, wie beispielsweise Abrüstung befördert. Essentiell hierzu ist die Schaffung eines institutionalisierten Interaktionsforums, d.h. Leitungs- und Konferenzgremiums, für alle Mitgliedsstaaten, um anstehende Fragen zu diskutieren und aufbrechende Konflikte noch im politischen Stadium diplomatisch zu lösen. Kommt es dennoch zu einem zwischenstaatlichen Konflikt mit militärischer Dimension innerhalb des Sicherheitskollektivs, so sind die übrigen Mitglieder nach Sinn und Zweck des Sicherheitskollektivs verpflichtet, auf den Friedensbrecher kollektiv, d.h. gemeinsam, einzuwirken, ggf. unter Einsatz militärischer Mittel als ultima ratio, um so den Frieden wiederherzustellen.

Ein Verteidigungskollektiv hingegen ist ein Zusammenschluss von zwei oder mehreren Staaten, dessen Ziel darin besteht, Verteidigung kollektiv, also gemeinsam, gegen einen potentiellen oder manifesten äußeren Aggressor zu organisieren. Es bedarf stets eines spezifischen Feindbildes, gegen das es sich zu richten gilt. Ein Verteidigungsbündnis kann dementsprechend nur einen regionalen bzw. auch überregionalen, jedoch keinen globalen Charakter haben, da es sich ja gegen einen äußeren, dem Kollektiv nicht zugehörigen, Akteur richtet. Tendieren ein Verteidigungskollektiv bzw. dessen Mitgliedsstaaten sogar dazu, den Verteidigungsbegriff neu zu interpretieren, d. h. den territorialgebundenen Verteidigungsbegriff (Verteidigung des eigenen Territoriums) zu entterritorialisieren (Präventivkrieg und „Verteidigung Deutschlands am Hindukusch“) bzw. zu einem Werte- und Interessenverteidigungsbegriff zu pervertieren (globale Verteidigung westlicher Werte und Interessen, wie Rohstoffsicherung), so stellt diese Entwicklung eine signifikante Gefahr für die internationale Stabilität und das Völkerrecht dar, da es sich dann realiter um ein Interventions- und offensives Kriegsbündnis handelt, wie es die konkrete Entwicklung der NATO eindrücklich dokumentiert.

Kollektive Sicherheitssysteme und kollektive Verteidigungssysteme unterscheiden sich nicht nur substantiell in Ziel und Methode, sie schließen sich einander vielmehr aufgrund der unterschiedlichen Sicherheitskonzeptionen aus: Die einem funktionierenden Sicherheitskollektiv notwendigerweise zu Grunde liegende Empathie, dass man selbst als Bedrohung wahrgenommen werden könnte, wird in einem Verteidigungsbündnis mit Gleichgesinnten, welches mit einem außenstehenden, potentiell als feindlich angesehenen Akteur interagiert, empirisch belegbar (siehe Marginalisierung der UNO und OSZE) eher weniger entstehen als in einem umfassenden sicherheitskollektivem Rahmen, in dem alle Einzelstaaten individuell vertreten sind. In Folge dessen führt eine fortgesetzte verteidigungspolitische Blockexistenz innerhalb des Raumes/Rahmens des Sicherheitskollektivs nicht zu gemeinsamer Sicherheit; sie untergräbt sie vielmehr. Dies führt zu der Schlussfolgerung: solange eine institutionelle Parallelität zwischen Verteidigungskollektiv und regionalem oder globalem Sicherheitskollektiv existiert, ist letzteres faktisch zum Scheitern verurteilt. Loyalität, Gruppendruck und Ausgrenzung eines Verteidigungskollektivs obsiegen über die notwendige Empathie und das Vertrauen gegenüber den Partnern eines Sicherheitskollektivs. Kurzum, solange die NATO existiert, garantiert sie die Dysfunktionalität eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit und hat internationale Instabilitäten zur Folge.

Umgekehrt ausgedrückt: die Auflösung der NATO bildet die Voraussetzung für ein funktionierendes Sicherheitskollektiv – sowohl global (UNO) als auch regional (wie OSZE). Um der Parallelitätsfalle von Verteidigungs- und Sicherheitskollektiv zu entgehen, muss die Forderung nach Auflösung der NATO von Innen, aus den Gesellschaften der NATO-Mitgliedsstaaten, der Bundesrepublik Deutschland heraus, erhoben werden. Linke Friedenspolitik ist gefordert, die sicherheitskollektive Konzeption als echte friedenspolitische Alternative aufzugreifen, Beiträge zur Weiterentwicklung zu leisten und sie der deutschen Öffentlichkeit als trag- und zukunftsfähigen Gegenentwurf zur kriegerischen NATO anzubieten.

5. Die einseitige Reduzierung der offiziellen Friedens- und Sicherheitspolitik auf Militärpolitik wird ideologisch verschleiert, um sie der Bevölkerung schmackhaft zu machen. So ging es im Jugoslawien-Krieg angeblich um eine „humanitäre Aktion“ und im Kongo um die „Sicherung demokratischer Wahlen“. Der wahre Grund der Piraterie am Horn von Afrika – Zerstörung der somalischen Staatlichkeit im Gefolge von IWF-verordneten „Sparmaßnahmen“, Bürgerkrieg und Staatszerfall und parallel dazu Raubbau der großen Fangflotten an den maritimen Ernährungsgrundlagen der somalischen Bevölkerung – wird vor der Öffentlichkeit nicht thematisiert. Zunehmend wird von „humanitärer Intervention“ gesprochen, von „Responsibility to Protect“, um in „innerstaatliche gewaltsame Konflikte“ militärisch einzugreifen, die von äußeren Mächten oft bewusst provoziert oder organisiert werden sowie direkt und indirekt mit Waffen beliefert werden. Unter dem moralischen Vorwand, „Menschenleben zu retten“ wird unter Verletzung des Völkerrechts ein Recht auf Intervention eingefordert und praktiziert. Der Irak wurde von den USA und ihren Hilfstruppen besetzt, weil Saddam Hussein angeblich insgeheim chemische und atomare Waffen bunkerte. Der damalige Außenminister der USA trat mit dieser Lüge vor die UNO, um ihre Zustimmung für diesen Krieg zu erhalten. In der propagandistischen Eskalation des „iranischen Atomproblems“ bei gleichzeitigem Ignorieren konstruktiver Vermittlungsvorschläge und Verhandlungssignale droht eine ähnliche Entwicklung. Die Intervention der USA und ihrer Verbündeten in Afghanistan begann als „Krieg gegen den Terror“, wurde dann als „Aufbauhilfe“ deklariert und soll nun, da nicht mehr zu leugnen ist, dass die Kampfhandlungen an Umfang und Schärfe von Jahr zu Jahr zunehmen, durch Rekrutierung einheimischer Hilfstruppen „afghanisiert“ werden, zeitgleich mit der Verstärkung der ausländischen Interventionsarmeen. Da die Mehrheit der deutschen Bevölkerung die Teilnahme an diesem Krieg ablehnt, verkauft die Bundesregierung neuerdings die Aufstockung der deutschen Truppen als „Beginn eines planmäßigen Rückzugs“. Dabei wird kalt darüber hinweggegangen, dass zunehmend mehr deutsche Soldaten in Afghanistan als Kanonenfutter ihr Leben lassen müssen, und dass sich eine wachsende Mehrheit der deutschen Bevölkerung gegen die Beteiligung der Bundeswehr an diesem Krieg ausspricht.

Die Antwort in unserem Lande kann nur lauten, die militärisch orientierte Demagogie zu entlarven und weitere Kriegseinsätze der Bundesrepublik zu verhindern. Für die durch den neoliberalen Kapitalismus verursachten Krisen und Konflikte gibt es keine militärischen Lösungen. Jede Militäraktion gegen ein anderes Land und jede bewaffnete Einmischung in „innerstaatliche“ bewaffnete Auseinandersetzungen provoziert die Ausweitung dieser Konflikte, in brisanten Regionen der Erde wie z.B. dem Nahen und Mittleren Osten bis zu einem Flächenbrand, der auch Europa erreichen kann. Die Schlussfolgerung aus diesem tödlichen Kreislauf von Aggression und Vergeltung lautet: Deutsche Sicherheitspolitik ist nur als Friedenspolitik zukunftsfähig. Europa und die Welt brauchen Systeme und Mechanismen gemeinsamer Sicherheit, die sich an den bewährten Normen des Völkerrechts orientieren.

6. Zugleich wurde eine schleichende Militarisierung unserer Gesellschaft in Gang gesetzt. Zentral ist die zunehmende „Zivil-Militärische Zusammenarbeit“ im Inneren und nach außen. Im Inneren geht es um eine militärische Durchdringung von Politik, Wirtschaft, Bildung und Kultur. Offensichtlich ist das Zusammenwirken von Zivilem und Militärischem in der Rüstungsindustrie. Zunehmend gibt es Beispiele für eine Forschungskooperation mit Hochschulen. In Arbeitsagenturen und in Schulen wird offen für die Bundeswehr geworben. Länderregierungen schließen Kooperationsverträge mit der Bundeswehr und geben ihren Vertretern Einfluss auf die Referendarausbildung und Lehrerfortbildung. Im Auftrag der Bundeswehr erstellte Unterrichtseinheiten stellen den Schülern und Schülerinnen die auswärtigen Kriege als alternativlosen Sachzwang dar und empfehlen die Bundeswehr als die Sachautorität in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Aber auch Filme, Computerspiele und Bücher, die den Krieg verherrlichen, sind Bestandteil der versuchten Manipulation der Köpfe der Bundesbürger, bei denen mehrheitlich noch immer die Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg nachwirken und die Krieg nicht wollen.

Zur ZMZ im Inneren zählt die „Amtshilfe“ der Bundeswehr gegenüber der Polizei, allein 44 Mal im Jahre 2009. Neben dem zahlenmäßigen Zuwachs vollzieht sich hier auch eine qualitative Veränderung: Kein Großereignis – seien es große Sportveranstaltungen, Staatsbesuche oder Gipfeltreffen inklusive Gegendemonstrationen – geht heute ohne die Bundeswehr über die Bühne. Nicht zufällig sitzen seit 2006 bundesweit in Rathäusern und Regierungspräsidien Beauftragte der Bundeswehr, die den Kommunen „Hilfsangebote“ der Bundeswehr vermitteln sollen – die ursprünglich nur für Krisensituationen gedacht waren. Einbezogen werden bei solchen Einsätzen auch Reservisten. Dies folgt einer politischen Strategie: Soldaten sollen als „Freund und Helfer“ im Inland etabliert und die Bevölkerung psychologisch auf Inlandseinsätze der Bundeswehr vorbereitet werden. Das beschwört die Gefahr herauf, dass die deutschen Streitkräfte erneut zu einem innenpolitischen Machtfaktor werden.

Die ZMZ nach außen wird z.B. durch den Einsatz deutscher Polizisten in Konfliktregionen praktiziert, entweder zur Unterstützung der Bundeswehr wie in Afghanistan oder dort, wo sie aus politischen Rücksichten nicht präsent ist, wie im Irak. In der Sache geht es meist um die Ausbildung örtlicher Polizeikräfte oder die Absicherung von Wahlen. Aber auch das Zusammenwirken verschiedener deutscher Geheimdienste mit der Bundeswehr bzw. bewaffneten Formationen anderer Staaten zählt zur ZMZ außerhalb Deutschlands. Die Bundeswehr versucht immer stärker, auch die Entwicklungshilfe in Krisenregionen in ihre Strategien einzubeziehen. Der deutsche Entwicklungshilfeminister Niebel drohte gar damit, dass sich Nichtregierungsorganisationen, die auf „Bundeswehrferne“ bestehen, andere Geldgeber suchen müssten. Durch die Instrumentalisierung der zivilen Hilfe werden Hilfe und Helfer gefährdet sowie zivile Alternativen diskreditiert,

Angesichts dieser Entwicklungen lautet eine Kernforderung deutscher Friedenspolitik, die „Zivil-Militärische Zusammenarbeit“ von Bundeswehr und zivilen Sicherheitskräften sowohl im Inneren – außer bei Naturkatastrophen – als auch außerhalb Deutschlands vollständig einzustellen und deren Tätigkeit strikter demokratischer ziviler Kontrolle zu unterwerfen. Die Fähigkeiten ziviler Einrichtungen zur eigenständigen Bewältigung von Naturkatastrophen dürfen nicht abgebaut, sondern müssen deutlich gestärkt werden.

7. Teil der „militärpolitischen Emanzipation“ der Bundesrepublik war lange Zeit das Streben nach Verfügungsgewalt über Atomwaffen. Der 1990 zwischen den vier Siegermächten des Zweiten Weltkriegs und den damals noch bestehenden zwei deutschen Staaten geschlossene „2+4-Vertrag“ legte fest, dass das vereinigte Deutschland auf die Verfügung über solche Waffen verzichtet. Dennoch setzen die Bundesregierungen die seit Jahrzehnten verfolgte Politik der „atomaren Teilhabe“ fort. Darunter wird verstanden, dass deutsche Piloten unter dem Schirm der NATO den Abwurf US-amerikanischer Atomraketen von Jagdbombern der Bundeswehr aus trainieren, und sie im „Ernstfall“ auf Befehl des USA-Präsidenten auch abfeuern dürfen.

Vor einem Jahr, am 5. April 2009, hielt Barack Obama in Prag eine Rede, in der er sich in einer Weise, wie kein Präsident der USA vor ihm, für eine „Welt ohne Atomwaffen“ aussprach und betonte, die USA „als einzige Nuklearmacht, die eine Atomwaffe eingesetzt hat“, hätten „eine moralische Verpflichtung“ so zu handeln. Das ist in Erinnerung zu rufen, wenn die Friedensbewegung heute verstärkt auf der Forderung nach der Ächtung der Atomwaffe, dem Abbau der strategischen und taktischen Nuklearpotentiale und der Erneuerung des Regimes der Nichtweiterverbreitung besteht. Die konservativen Reaktionen in Deutschland waren negativ: Der Traum von einer atomwaffenfreien Welt sei fast so alt wie die Atomwaffe selbst und schon aus technischen Gründen nicht umsetzbar. Nun hat allerdings die schwarz-gelbe Bundesregierung im Koalitionsvertrag – eher auf Betreiben der FDP – den Willen bekundet, die letzten in Deutschland verbliebenen US-Atomwaffen abziehen zu lassen. Die Rede von Obama in Prag und die Koalitionsaussage der Bundesregierung zeigen, dass die Position, die atomwaffenfreie Welt gäbe es nur in der Utopie, bröckelt. Die Perspektive sollte sein, die Regierenden beim Wort zu nehmen und sie zu veranlassen, den Worten Taten folgen zu lassen.

Ein atomwaffenfreies Deutschland ohne atomare Teilhabe kann ein wirksamer Beitrag zu einer Welt frei von Atomwaffen sein. Die Forderungen der Friedensbewegung gehen darüber hinaus: Beseitigung aller Atomwaffen weltweit. Die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone und Abbau der Systeme zur Raketenabwehr in Europa wären ein erster Schritt, der ein unmittelbares Vorbild für eine Atomwaffenfreie Zone auch im Nahen und Mittleren Osten sein kann.

8. Zusammenfassend gilt: Friedensorientierte deutsche Politik muss auf die Beseitigung der Ursachen von Gewalt und Krieg, nicht auf eine militärische Bekämpfung der Folgen gerichtet sein. Das erfordert:
  • die sofortige Beendigung der deutschen Beteiligung an sämtlichen Militärinterventionen;
  • im Inneren der Bundesrepublik nicht Abbau von sozialen Standards, demokratischen Rechten und Kultur, sondern deren Ausbau;
  • Auflösung der NATO und Stopp der Militarisierung der EU; drastische Reduzierung der militärischen Potentiale Deutschlands und der EU in Richtung einer strukturellen Nichtangriffs- und Nichtinterventionsfähigkeit;
  • Engagement bei der zivilen Konfliktvorbeugung und -bearbeitung; Friedensforschung statt „Zivil-Militärischer Zusammenarbeit“ im Bereich der Kriegsforschung;
  • Verzicht auf die Produktion und Beschaffung von Angriffswaffen;
  • Verbot des Exports von Kriegs- und Rüstungsgütern, einschließlich -komponenten und -lizenzen; sowie des zugehörigen Technologietransfers und des Exports von Rüstungsdienstleistungen;
  • Errichtung einer gerechten Weltwirtschaftsordnung; Kontrolle und Regulierung der internationalen Finanzmärkte; Stopp von Privatisierungen der öffentlichen Daseinsvorsorge; Überführung wichtiger Naturressourcen in Staatseigentum; umfassende Entschuldung armer Länder; Anhebung der Entwicklungshilfe reicher Länder und Änderung der Vergabebedingungen;
  • Umwandlung der EU von einer Wirtschafts- und Währungsunion in eine europäische Beschäftigungs-, Sozial-, Umwelt und Friedensunion, die auch eine humane, demokratische Asyl- und Flüchtlingspolitik hat.
(Erarbeitet von der Vorbereitungsgruppe für das Gesellschaftspolitische Forum. Verantwortlich: Dr. Erhard Crome.)


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