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Frau von der Leyen wird uns nicht ablenken

Zur Kritik des außen-, sicherheits- und friedenspolitischen Teils des Koalitionsvertrags

Von Bernhard Trautvetter *

Die Personalie der Besetzung des Verteidigungsministeriums mit Frau von der Leyen darf uns nicht von Inhalten ablenken: Die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag zu den Themen von Krieg und Frieden, die von beiden Seiten unterschrieben worden sind, sind Punkt für Punkt eine Tagesordnung sowohl für die Bundesregierung als auch für die Friedens-bewegung. Letztere steht vor der schwierigen Aufgabe, zu einer starken außerparlamentarischen Opposition gegen fortschreitende Militarisierung unserer Gesellschaft zu werden. Als Bezugsrahmen möchte ich eingangs Gustav Heinemann zitieren, der von 1969 bis 1974 Bundespräsident war. Heinemann sagte am 25.03.1958 im Bundestag:
Es "wird Ihnen nicht unbekannt sein, daß das Völkerrecht wenigstens zwei Grenzen in der Handhabung des Krieges setzt. Erlaubt ist keinesfalls Gewalt gegen Nichtkombattanten, und die Kriegsmittel sind begrenzt. Ich erinnere daran, daß z. B. in der Haager Landkriegs-ordnung von 1907 der Satz steht: 'Die Kriegführenden haben kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Mittel zur Schädigung des Feindes.'"

Heinemann erwies sich vor 55 Jahren, als Hiroshima noch stärker im Bewusstsein der Öffentlichkeit war, als Mahner vor der durch nichts zu verantwortenden Atomwaffe. Selbst hinter diese klare friedenspolitische Orientierung fällt der Koalitionsvertrag weit zurück.

Die Friedensbewegung war in den 50er Jahren stark geworden, da die Parole "Kampf dem Atomtod" die Massen ergriff. Ähnliches erfolgte, als die Nato mit tatkräftiger Initiative der Bundesregierung die Enthauptungsatomraketen Pershing II in Deutschland aufstellte und damit den Atomkrieg aus Versehen wahrscheinlicher machte, da die Flugzeit von ca. 5 Minuten der Gegenseite im Falle eines Fehlalarms keine Zeit einräumte, alle Faktoren zu überprüfen. Tödliche Reaktionen wurden fahrlässig in Kauf genommen.

Auch jetzt öffnet der Koalitionsvertrag (im Folgenden KV) das Tor zu einer gefährlichen Gewaltspirale, deren Eigendynamik die Kriegsgefahr erhöht.

Die von mir im Folgenden zitierten Stellen aus dem KV sind teils aus Sicht des Überlebensinteresses der Menschheit und teils aus Sicht des Völkerrechts und seines Friedensgebots inakzeptabel. Im KV heißt es: "Wir bekennen uns zur NATO und zu ihrem neuen strategischen Konzept." (S. 168) Und: "Solange Kernwaffen als Instrument der Abschreckung im strategischen Konzept der NATO eine Rolle spielen, hat Deutschland ein Interesse daran, an den strategischen Diskussionen und Planungsprozessen teilzuhaben." (170)

Dazu ist anzumerken: Die Option der Atomwaffe - auch als Erstschlagswaffe - und die nukleare Teilhabe durch die Bundeswehr sind nach Art. VI Atomwaffensperrvertrag illegal: "Jede Vertragspartei verpflichtet sich, in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle."

Otfried Nassauer (Direktor des Berliner Informationszentrum Transatlantische Sicherheit ) schrieb dazu:
"Das neue 'Strategische Konzept' wurde im November 2010 in Lissabon verabschiedet. Es hielt fest: 'Die Abschreckung auf der Grundlage einer geeigneten Mischung aus nuklearen und konventionellen Fähigkeiten bleibt ein Kernelement unserer Gesamtstrategie. Umstände, unter denen der Einsatz von Kernwaffen in Betracht gezogen werden müsste, sind höchst unwahrscheinlich. Solange es Kernwaffen gibt, wird die NATO ein nukleares Bündnis bleiben.' Die NATO werde auch künftig eine 'möglichst umfassende Beteiligung der Bündnispartner an der kollektiven Verteidigungsplanung mit Bezug auf deren nukleare Anteile, an der Stationierung von nuklearen Kräften in Friedenszeiten und an Führungs-, Kontroll- und Konsultationsverfahren gewährleisten'." (Die Nuklearwaffen der USA in Europa – Doch kein Ende in Sicht? Wissenschaft & Frieden 3/2012, S. 49–52)

Die Position Nato zur nuklearen Option steht zudem im Widerspruch einstimmigen Gutachten des Internationalen Gerichtshofes von 1996:
Es "ergibt sich, dass die Androhung und der Einsatz von Atomwaffen grundsätzlich/generell ('generally') gegen diejenigen Regeln des Völkerrechts verstoßen würden, die für bewaffnete Konflikte gelten, insbesondere gegen die Prinzipien und Regeln des humanitären Kriegsvölkerrechts." (Nummer 105(2)E Absatz 1)

Weiter heißt es im KV: "Gemeinsam mit unseren NATO-Partnern setzen wir konsequent die Beschlüsse von Chicago zur strategischen Neuausrichtung der Allianz um." (169)

Dazu ist anzumerken, dass die NATO in Chicago 2012 an der nuklearen Option festhielt: "NATO is committed to maintaining an appropriate mix of nuclear, conventional and missile defence capabilities for deterrence and defence to fulfil its commitments as set out in the Strategic Concept." Dies schließt die Modernisierung der Nuklearwaffen - auch der auf deutschem Boden lagernden - ein. Mit großem finanziellem Aufwand erneuern die USA ihre Atomwaffen, auch am deutschen Standort Büchel. Die hier gelagerten Raketen werden offenbar ab 2019 zu präzisen Lenkwaffen umgerüstet. Experten kritisieren das Vorhaben - sie sehen darin eine Gefahr.

Die USA erwägen einem Medienbericht zufolge zudem die Stationierung neuartiger Atomwaffen in Deutschland. In einem Bericht der Nationalen Nuklearen Sicherheitsbehörde an den US-Kongress behalte sich die Behörde vor, Waffen mit neuen Fähigkeiten zu bauen, wenn die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Sprengköpfe erhöht werden könne. Das berichtete der SPIEGEL. Dies dürfte dazu führen, dass die in der Bundesrepublik gelagerten frei fallenden Atombomben des Typs B61 zu präzisen Lenkwaffen umgerüstet würden, heißt es weiter. Ab dem Jahr 2019 sollen die neuen B61-12-Bomben hergestellt werden.

Die USA modernisieren derzeit mit Milliardenaufwand ihre Atomwaffen. Die Bundesregierung hatte jedoch bislang stets mitgeteilt, bei der Modernisierung gehe es nicht darum, neue Waffen oder neue militärische Fähigkeiten zu schaffen. Dies entspreche den Vorgaben von US-Präsident Barack Obama. Dem SPEGEL zufolge plant die US-Regierung einen finanziellen Aufwand von 60 Milliarden Euro innerhalb der nächsten 25 Jahre für die Modernisierung. Forscher, die das Vorhaben kritisierten, sprechen von einer weitaus höheren Summe. In dem Bericht heißt es weiter, die Experten kritisierten vor allem die Modernisierung der B61-Fliegerbomben, wie sie auch in Deutschland stationiert sind. (Siehe hierzu www.n-tv.de, 03.11.2013)

Auf Ablehnung stößt auch die folgende Stelle im KV:
"Die Bundesregierung bekennt sich zu ihren bündnispolitischen Zusagen und wird ihren Beitrag zum Aufbau der NATO-Raketenabwehr leisten, die wir für den effektiven Schutz vor der Bedrohung durch Raketen in den Händen von Risikostaaten benötigen." (169)

Dazu gilt: Die Raketenabwehr wird mit dem Iran und Nordkorea begründet, sie sei nicht gegen Russland gerichtet. Das ist beweisbar nichts anderes als Rechtfertigungspropaganda. Im SPIEGEL war zu lesen: "US-Militärstrategie: Geheimstudien stellen Raketenabwehrschirm in Frage. In wenigen Jahren schon soll ein Raketenabwehrschild Europa und Amerika gegen Angriffe aus Iran und Nordkorea absichern. Nun schüren vertrauliche Studien des US-Militärs Zweifel an dem Projekt. Demnach ist fraglich, ob der Schutz vor iranischem Beschuss überhaupt funktioniert."

Weder der Iran noch Nordkorea rechtfertigen eine solche Milliardeninvestition am Ostrand des Nato-Bündnisses in Europa. Russland sieht insofern verständlicherweise darin einen Schritt gegen sich, wodurch die Spannungen allen Beschwichtigungen zum Trotz steigen. Wenn die Begründung für diese Milliardeninvestition wieder einmal erlogen ist, dann stellt sich die Frage nach den wirklichen Motiven. Wer Angriffe mit einem Abwehrschirm abzuwehren vermag, kann sich eher als Sherif aufspielen und bei geringerer eigener Gefahr Angriffe lancieren.

Weiter heißt es im KV: "Alle im nichtstaatlichen Bereich in Deutschland gehandelten und geführten sowie für den Export vorgesehenen und vom VN-Kleinwaffenaktionsprogramm erfassten Klein- und Leichtwaffen sollten in Zukunft mit einer möglichst unauslöschlichen Markierung versehen werden, um deren Nachverfolgbarkeit zu ermöglichen." (170)

Es geht hier also nicht um die Beendigung des Geschäftes mit dem Tod; die Kleinwaffen sind aber die Massenvernichtungswaffen unserer Zeit, da ihnen weltweit die meisten Menschen zum Opfer fallen. Eine Tücke der Realität ist, dass Volker Kauder für den Gewehrproduzenten Heckler und Koch Lobby-Arbeit betreibt. (Vgl. www.aufschrei-waffenhandel.de/Volker-Kauder.363.0.html.) Und als weitere Anmerkung zitiere ich hier "Brot für die Welt":
"Kampagne gegen Waffenexport ausgezeichnet. In seiner Laudatio würdigte Thomas Gebauer von medico international, dass die vor knapp zwei Jahren gestartete Kampagne von mehr als 100 Gruppen unterstützt werde. Dazu zählen auch die kirchlichen Werke Brot für die Welt und Misereor. Gebauer sagte, dass laut Umfragen 80 Prozent der deutschen Bevölkerung den Waffenexport ablehne. Mit der Kampagne bestehe die Chance, eine Gegenmacht aufzubauen. Der Rüstungsgegner und Sprecher der kritischen Daimler-Aktionäre kritisierte als einer der Sprecher die Praxis der Waffenexporte als 'schlimm, verbrecherisch und heuchlerisch'. Als drittgrößter Waffenexporteur weltweit würden sich die verantwortlichen Politiker und die waffenproduzierenden Unternehmen 'mitschuldig an Massenmord' machen, sagte Grässlin." (Niko Wald am 23.11.2012 unter: http://info.brot-fuer-die-welt.de/blog/kampagne-waffenexport-ausgezeichnet)

Auch an den nächsten Punkt wird die Friedensbewegung die Bundesregierung sicher wiederholt erinnern: Im KV heißt es:
"Deutschland wird regionale Abmachungen zu massenvernichtungs-waffenfreien Zonen unterstützen. Mit einem gemeinsamen EU-Standpunkt wollen wir zum Gelingen der bevorstehenden Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag im Jahr 2015 beitragen." (ebd.) Und weiter heißt es im KV: "Das Konzept der Schutzverantwortung (Responsibility to Protect) bedarf der weiteren Ausgestaltung und einer völkerrechtlich legitimierten Implementierung. Dabei gilt es vor allem die präventive Säule der Schutzverantwortung international zu stärken." (171)

Hierzu ist anzumerken: In der Tat müssen alle militärischen Maßnahmen im Einklang mit dem Völkerrecht stehen. Präventiver Krieg ist keine Lösung, denn er steigert Spannungen auch genau dadurch, dass er sich eben nicht mit dem Völkerrecht in Einklang bringen lässt. Die Logik dieser Stelle im KV entspricht der des Satzes "Ich bin ein Mann, weil ich eine Frau bin."

KV: "Deutschland und Europa haben ein hohes Interesse an Frieden und Stabilität im Nahen und Mittleren Osten. Unser Ziel ist eine Zweistaaten-Lösung mit einem Staat Israel in anerkannten und dauerhaft sicheren Grenzen sowie einem unabhängigen, demokratischen und lebensfähigen palästinensischen Staat, die Seite an Seite in Frieden und Sicherheit leben." (172)

Dazu gilt: Die Siedlungspolitik Israels im annektierten Gebiet schafft Fakten, die dem entgegenstehen. Es ist kein Antisemitismus, wenn Friedensfreundinnen und –freunde weltweit, auch in Israel, kritisieren, dass die 2-Staaten-Lösung durch das Entgegenkommen der Regierung Israels gegenüber den Siedlern diese Perspektive untergräbt.

Des Weiteren heißt es im KV: "Nach über zehn Jahren wird sich unser sicherheitspolitisches Engagement in Afghanistan verändern. Mit einem ressortübergreifenden Engagement streben wir eine gefestigte Zukunft Afghanistans an." (173)

Dazu gibt es eine Vielzahl aufklärender Gegeninformationen, wie die Texte von Margot Käßmann, etwa in der aktuellen Ausgabe von Chrismon, die besagen, dass die Ziele des Afghanistan-Einsatzes gründlich verfehlt worden seien und dass stattdesssen unendliches Leid in die Bevölkerung dieses geschundenen Landes getragen worden sei, und ein Ende sei nicht wirklich in Sicht. Die Beschönigung der Situation durch den Begriff "sicherheitspolitisches Engagement", anstatt von "Krieg" zu sprechen, läuft angesichts der Fakten an der Realität vorbei: "Seit 2006 hat sich die Lage sehr verschlechtert, und wir machen uns jedes Jahr mehr Sorgen", sagte Monika Hauser von medica mondiale. "Die Weltgemeinschaft habe zu sehr auf eine militärische Lösung in Afghanistan gesetzt und sich zu wenig um die Zivilbevölkerung gekümmert. Die Bundesregierung und die anderen westlichen Staaten sollten nun massiver auf gute Regierungsführung und den Aufbau des Justizsystems zum Schutz der Frauen drängen", zitiert der wdr Die Gründerin von medica mondiale auf einer Fachtagung der ev. Akademie in Bonn am 30.11.2012).

Weiter heißt es im KV: "Die Bundeswehr ist eine Armee im Einsatz. Mit ihrer Neuausrichtung wird sie auf die veränderten sicherheitspolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts ausgerichtet. Wir werden diese Neuausrichtung konsequent fortsetzen und zum Erfolg führen." (176)

Dazu gilt: Die anfängliche und grundgesetzbasierte Ausrichtung der Bundeswehr erfolgte offiziell auf Basis von Artikel 87 a des GG und enthielt einen strikten Verteidigungsauftrag:

"(1) Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. ...
(2) Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt."


Jetzt liest man aus dem Verteidigungsinisterium: "Sicherheitspolitik u.a. mit folgender Ausrichtung: 'Risiken und Bedrohungen erwachsen aber auch aus Klima- und Umweltkatastrophen, Migrationsentwicklungen, aus der Verknappung oder den Engpässen bei der Versorgung mit natürlichen Ressourcen und Rohstoffen, durch Seuchen und Epidemien ebenso wie durch mögliche Gefährdungen kritischer Infrastrukturen.'" (BMVg, Die Neuausrichtung der Bundeswehr, 2. Aufl. 03/2013.)

Und beide Seiten haben im KV geschrieben: "Wichtig ist es, dass der Dienst in der Bundeswehr attraktiv bleibt." (ebd.)

Dazu ist anzumerken: Hier wird implizit gesagt, der Dienst sei gegenwärtig attraktiv. Demgegenüber besagt eine Studie der TU Dresden vom 26. November 2013: "Wesentlich unterschätzt ... wurde bislang das Risiko ... einsatzbezogener psychischer Störungen. Auslandseinsätze der Bundeswehr gehen mit einem hohen Belastungsausmaß – einschließlich traumatischer Ereignisse – einher, die offensichtlich massiv das Ersterkrankungsrisiko für Angststörungen sowie den Beginn einer Alkoholabhängigkeit erhöhen. Zudem haben Soldaten mit einer Vorgeschichte an affektiven Störungen ein erhöhtes Risiko, wiederum eine depressive Episode zu erleiden. Es finden sich ferner Hinweise darauf, dass nach dem Einsatz vorbelastete Soldaten häufiger multimorbid erkranken.
Einsatzbezogene psychische Störungen werden nicht hinreichend frühzeitig erkannt, selten diagnostiziert und noch seltener behandelt. Dies gilt sowohl für die Inanspruchnahme bundeswehrinterner wie auch außerhalb der Bundeswehrstrukturen aufgesuchter Dienste."


Die Position des KV zur Bundeswehrpräsenz an Schulen grenzt an die Verletzung der Kinderrechte und des Schutzes Minderjähriger vor Überwältigung: "Die Jugendoffiziere leisten eine wichtige Arbeit bei der Information über den Auftrag der Bundeswehr. Wir begrüßen es, wenn möglichst viele Bildungsinstitutionen von diesem Angebot Gebrauch machen. Der Zugang der Bundeswehr zu Schulen, Hochschulen, Ausbildungsmessen und ähnlichen Foren ist für uns selbstverständlich." (177)

Für uns ist das keineswegs selbstverständlich. Die Bundeswehr wirbt in Anzeigen mit Bücher studierenden Soldaten in der Ausbildung sowie mit Müttern, die über das Bundeswehrstudium froh sind und blendet auf diesen großformatigen Anzeigen in einflussreichen Printmedien die Kriegsrealität aus. Wenn derartiges im Schulunterricht passiert, widerspricht es dem Überwältigungsverbot des "Beutelsbacher Konsenses". Dies wird bei der Werbung für die Abenteuercamps der Bundeswehr noch offensichtlicher: "Berg- oder Beach-Typ?" - fragt die Bundeswehr junge Leser in einem Reklamevideo. Der Clip auf der Online-Seite der "Bravo" wirbt für kostenlose Abenteuercamps der Streitkräfte. Kritiker sprechen von einem Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention.

Auch das von einigen Lehrkräften und Jugendoffizieren gelobte Planspiel "Pol&IS", in dem Schulklassen Konflikt-Strategien simulieren, ist schon insofern bedenklich, als in ihm unter bestimmten Bedingungen der Einsatz von Atomwaffen in Frage kommt, wenn nämlich alle an der Konsultation beteiligten Staaten dies bejahen. Schon damit erweist es sich als richtig, Armee und Friedenserziehung klar zu trennen. Das folgt dem Friedensgebot des Völkerrechts genauso wie dem Kontroversitätsgebot der politischen Bildung.

Zusätzlich besagt der KV: "Die Regionalen Sicherungs- und Unterstützungkräfte werden für ihre Aufgaben im Bereich der zivil-militärischen Zusammenarbeit angemessen ausgestattet." (177)

Dazu ist anzumerken: In einer Kleinen Anfrage der Linkspartei an die Bundesregierung zu den Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskräften wird gefragt: "Inwiefern ist ausgeschlossen, dass beispielsweise Streiks im Transport-, Energie- oder Sanitätssektor oder bei der Müllabfuhr als Begründungen für ein Tätigwerden der ZMZ-Strukturen herangezogen werden können?"
Die Antwort der Bundesregierung darauf liest sich so: "Die Prüfung der Voraussetzungen für eine Unterstützung der Bundeswehr im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben ist dem jeweiligen konkreten Einzelfall vorbehalten." (Bundestagsdrucksache 16/13979) Mit anderen Worten: Ein Einsatz der Bundeswehr gegen Streikende wird möglich!

Im KV steht außerdem: "Die Bundeswehr wird auch in Zukunft in Auslandseinsätzen gefordert. Das setzt ein breites militärisches Fähigkeitsspektrum voraus. Wir setzen uns, so weit es sinnvoll und möglich ist, für eine gemeinsame Nutzung nationaler militärischer Kapazitäten im Rahmen der EU (pooling and sharing) ebenso ein wie für eine stärkere Aufgabenteilung. Das gilt auch für die entsprechenden Aktivitäten der NATO (smart defence)." (177) Und weiter lesen wir im KV: "Gemeinsam mit unseren Bündnispartnern wollen wir zu schwach ausgebildete Fähigkeiten stärken und die Durchhaltefähigkeit erhöhen." (ebd.)

Dazu ist festzustellen: Dies widerspricht erneut dem strikten Verteidigungsauftrag des § 87a GG (s.o.), denn es geht bei der Entscheidung über Kampfeinsätze und Krieg weit über den Verteidigungsfall hinaus.

Und weiter im KV: "Eine zunehmende Mitwirkung deutscher Soldaten in integrierten Strukturen und Stäben auf NATO- und EU-Ebene muss mit dem Parlamentsvorbehalt vereinbar sein. Deshalb wollen wir eine Kommission einsetzen, die binnen Jahresfrist prüft, wie auf dem Weg fortschreitender Bündnisintegration und trotz Auffächerung von Aufgaben die Parlamentsrechte gesichert werden können." (ebd.)

Dazu: Hier werden über den grundgesetzlichen Verteidigungsauftrag hinaus gehende Bundeswehreinsätze in schön verpackten Worten als legal dargestellt, obwohl eine solche "Mitwirkung" eine Kriegsteilnahme darstellt. Im NATO-Kontext sind weitere Kriegs-/Kampfeinsätze zu befürchten, die dann am Parlament vorbei in NATO-Gremien beschlossen werden.

Im KV wird sogar das Lobby-Interesse der Rüstungsindustrie bedient: "Deutschland hat ein elementares Interesse an einer innovativen, leistungs- und wettbewerbsfähigen nationalen Sicherheits- und Verteidigungs-industrie. Wir setzen uns für den Erhalt ausgewählter Schlüsseltechnologien und industrieller Fähigkeiten, insbesondere auch bei mittelständischen Unternehmen, ein. Wir setzen auf eine verstärkte europäische und euroatlantische Rüstungs-kooperation, die konkrete gemein-same Ausrüstungs- und Beschaffungsvorhaben nach den gleichen Standards für alle Nationen umsetzt." (178)

Zum Waffenexport wurde weiter oben schon einiges gesagt. Hinzuzufügen ist, dass Tötungsinstrumente nicht mit Wachstums- und Arbeitsplatzargumenten zu rechtfertigen sind. In den Rüstungsexportrichtlinien der Bundesregierung von 2000 heißt es übrigens noch: "Beschäftigungspolitische Gründe dürfen keine ausschlaggebende Rolle spielen." (III, Ziff. 2)

Das Arbeitsplatzargument ist zudem eine Propaganda-Nebelkerze: Aufgrund des hohen technologischen Standes der Produktivität in der Rüstungsbranche bringt hier eine Milliarden-Investition weit weniger Arbeitsplätze als irgendwo sonst in der Ökonomie unserer Gesellschaft.

Ganz aktuell ist die Planung des KV: "Vom Frühjahr 2014 an wird eine einheitliche militärische Luftfahrtbehörde aufgebaut. Unbemannte Luftfahrzeuge spielen bereits heute beim Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan bei der Aufklärung und dem Schutz unserer Soldaten eine wichtige Rolle. Auch künftig wird die Bundeswehr auf derartige Fähigkeiten angewiesen sein. Die Koalition wird eine europäische Entwicklung für unbemannte Luftfahrzeuge voran-bringen. Europa braucht schnell ein gemeinsames Regelwerk für ihre Zulassung und Teilnahme am europäischen Luftverkehr." (178)

Dieser Dammbruch schafft Fakten in Sachen Drohnen und Automatisierung bzw. Fernsteuerung des Krieges mit allen impliziten Gefahren des Kontrolleverlustes lebens-bedrohlicher Weltlagen, wenn Programme und Technik über Leben und Tod entscheiden.

Zwar erklärt der KV: "Extralegale, völkerrechtswidrige Tötungen mit bewaffneten Drohnen lehnen wir kategorisch ab. Deutschland wird für die Einbeziehung bewaffneter unbemannter Luftfahrzeuge in internationale Abrüstungs- und Rüstungskontrollregime eintreten und sich für eine völkerrechtliche Ächtung vollautomatisierter Waffensysteme einsetzen, die dem Menschen die Entscheidung über den Waffeneinsatz entziehen.
Vor einer Entscheidung über die Beschaffung qualitativ neuer Waffensysteme werden wir alle damit im Zusammenhang stehenden völker- und verfassungsrechtlichen, sicherheitspolitischen und ethischen Fragen sorgfältig prüfen."
(178)

Nun, wer über eine Beschaffung neuer Waffen(systeme) entscheiden soll, kann sich die hier dargelegten Argumente zu eigen machen und der Klarheit folgen, dass Kriege nie im Frieden enden, höchstens im Waffenstillstand. Und nach allen Erfahrungen mit dem Überreizen und Brechen von Rechtfertigungen und juristischen Grenzen durch die NATO ist klar, hier haben die Militärexperten Kreide gegessen, sie wollen uns weis machen, man fände ethische Berechtigungen für das Spiel mit dem Feuer.

Die Friedensbewegung bleibt so wichtig wie schon seit Heinemanns Zeiten in den 1950er Jahren. Jetzt an der Schwelle zur Digitalisierung der Kriegsführung trifft das auf neue Weise zu. Wir werden die Arbeit der neuen Verteidigungsministerin "im Dienste des Wohlergehens der Bevölkerung" aufmerksam begleiten.

* Bernhard Trautvetter, Essener Friedensforum.


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