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Ordnungsanspruch global

Deutschland soll Weltmacht werden: CDU, CSU und SPD wollen Bundeswehr attraktiver machen und Rüstungsindustrie stärken. Zehn Thesen zum Koalitionsvertrag

Von Sevim Dagdelen *

Nach dem für heute anvisierten Abschluß der Koalitionsverhandlungen wollen die drei Parteichefs Angela Merkel (CDU), Sigmar Gabriel (SPD) und Horst Seehofer (CSU) den Koalitionsvertrag vorstellen. Sevim Dagdelen, Sprecherin für internationale Beziehungen der Fraktion Die Linke, bewertet die Vereinbarungen im Bereich »Internationale Politik«.

1. Weltordnungsmacht

Unmißverständlich wird im Koalitionsvertrag für Deutschland der Anspruch erhoben, Weltordnungsmacht zu werden. Dabei werden insbesondere die »Bündnistreue« innerhalb der NATO und die Bedeutung der »transatlantischen Partnerschaft« betont. Es ist der erste Koalitionsvertrag, der auf jedem Gebiet der internationalen Politik – von der Außen- bis zur Außenwirtschaftspolitik – den Anspruch, globale Hegemonialmacht zu werden, derart offen formuliert. Dabei sollen von diplomatischen bis hin zu militärischen Mitteln alle Instrumente zum Einsatz kommen, die dem Ziel einer Stärkung der machtpolitischen Position dienlich sein könnten. Beim anvisierten Aufstieg zur Weltmacht wird die transatlantische Zusammenarbeit als von »grundlegender Bedeutung« angesehen. Auch deshalb setzt die kommende große Koalition von CDU, CSU und SPD ganz stark auf eine Intensivierung der Beziehungen zu den USA, im militärischen Bereich innerhalb der NATO, wie auch im ökonomischen Bereich durch den Abschluß eines Freihandelsabkommens EU-USA.

2. Afghanistan

Die zehnjährige deutsche Beteiligung am Krieg in Afghanistan wird positiv gewertet. Während erneut betont wird, daß die Kampftruppen 2014 abgezogen werden sollen, wird zugleich unmißverständlich klargestellt, daß die Koalition »zu einer angemessenen Beteiligung Deutschlands im Rahmen der Beratungsmission unter NATO-Führung, für den Fall, daß die völkerrechtlichen Voraussetzungen und die Beteiligung unserer Partner sichergestellt sind«, steht. Das heißt nichts anderes, als daß CDU/CSU und SPD bereit sind, auch nach 2014 den Krieg in Afghanistan an der Seite der USA unter Beteiligung der Bundeswehr fortzuführen. Der angebliche Abzug der Bundeswehr bis Ende 2014 erweist sich als schlichter Betrug der Öffentlichkeit.

3. Zivil-militärische Zusammenarbeit

Kernstück der künftigen Außen- und Sicherheitspolitik ist die »ressortübergreifende Zusammenarbeit«, wie auch der Ausbau der zivil-militärischen Kooperation, bei der sich »zivile und militärische Instrumente ergänzen«. In diesem Sinne geht es auch um eine stärkere Verzahnung der »bestehenden deutschen Institutionen der Friedensförderung und Friedensforschung wie das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF), der Zivile Friedensdienst, die Bundesakademie für Sicherheitspolitik und die Deutsche Stiftung Friedensforschung«. Gerade auch die deutsche Beteiligung an internationalen Polizeimissionen soll durch eine Verbesserung der »rechtlichen, organisatorischen und finanziellen Voraussetzungen für den Einsatz von Polizistinnen und Polizisten« gefördert werden. Hierzu sind auch Vereinbarungen mit den Bundesländern geplant. Dieser Ansatz der vernetzten Sicherheit setzt dann auf die Zusammenarbeit von »Soldaten, Polizisten, Diplomaten, Entwicklungs- und Aufbauhelfern« bei künftigen Auslandseinsätzen.

4. Militarismus

Spiegel der imperialen Weltmachtorientierung nach außen ist Militarismus nach innen. Die Rede ist von einer »Attraktivitätsoffensive«, um mehr Rekruten für die Bundeswehr zu gewinnen. Um eine stärkere Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft zu erzielen, wird auf »feierliche Gelöbnisse« im öffentlichen Raum gesetzt, wie auch auf den verstärkten Einsatz von Jugendoffizieren an Schulen. Reservisten sollen entsprechend aktiviert werden. Die große Koalition »erkennt den Wert der Reserve für die Auftragserfüllung der Bundeswehr und als Bindeglied und Mittler zwischen Bundeswehr und Gesellschaft an«, heißt es entsprechend im gemeinsamen Papier. Der Zugang der Bundeswehr zu »Schulen, Hochschulen, Ausbildungsmessen und ähnlichen Foren« soll zu einer Selbstverständlichkeit werden. Ziel ist es, auf eine höhere Akzeptanz für Auslandseinsätze der Bundeswehr und deutsche Kriegsbeteiligungen in der Gesellschaft hinzuarbeiten.

5. Außenwirtschaftspolitik

Offen werden imperialistische Zielsetzungen angesprochen. Im Zentrum steht das Modell eines aggressiven Wettbewerbsstaats, der die Interessen einzelner Kapitalgruppen und Unternehmen weltweit befördert. So wird denn auch die »überragende Bedeutung der Außenwirtschaft für die deutsche Volkswirtschaft« hingewiesen. Um dies weiter zu befördern, sollen weltweit Freihandelsabkommen wie mit den USA abgeschlossen werden. Neben dem Abbau von »Handelshemmnissen« wird auf eine Politik der Rohstoffsicherung gesetzt. Dazu gehört auch, daß die »Deutsche Rohstoffagentur« beauftragt werden soll, »ein Monitoring kritischer Rohstoffe durchzuführen und regelmäßig über die Verfügbarkeit der für die deutsche Wirtschaft kritischen Rohstoffe zu berichten«. Deutsche Außenpolitik soll in Zukunft in den Dienst einer expansiven Außenwirtschaftspolitik genommen werden. Auch hierbei wird die Wahl möglicher Durchsetzungsmittel bewußt offen gelassen bzw. werden militärische Mittel nicht ausgeschlossen.

6. Rüstungspolitik

Die Stärkung der deutschen Rüstungsindustrie ist erklärtes Ziel der großen Koalition. Dazu wird postuliert, daß Deutschland »ein elementares Interesse an einer innovativen, leistungs- und wettbewerbsfähigen nationalen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie« hat. Rüstungsexporte sollen wie bisher auch zur geopolitischen Einflußnahme genutzt werden. Auch hierbei wird auf eine stärkere europäische und transatlantische Kooperation gesetzt. Eine Schlüsselrolle wird dabei der Europäischen Rüstungsagentur zugewiesen. Mit der großen Koalition steht eine noch expansivere Rüstungsexportpolitik bevor.

7. NATO

Die große Koalition setzt auf eine Stärkung der Rolle Deutschlands, gerade auch, was die militärischen Strukturen angeht. So wollen CDU/CSU und SPD die NATO-Kooperation auf der »Smart Defence«-Initiative entsprechend fördern. Für die Zukunft geht es darum, »militärische Fähigkeiten gemeinsam zu planen, zu beschaffen und bereit zu stellen und die Interoperabilität der Streitkräfte im Bündnis zu erhalten«. Deshalb wird auch die Bereitschaft betont, »als Rahmennation dazu beizutragen, zusammen mit anderen NATO-Partnern Fähigkeiten für das Bündnis zu erbringen«. Dies bedeutet nichts anderes, als daß eine militärische Führerschaft in der NATO mit angestrebt wird. Hierzu sollen Synergieeffekte genutzt werden und die sicherheitspolitische EU-NATO-Zusammenarbeit intensiviert werden. Selbst in punkto atomare Aufrüstung setzen SPD und Union auf eine Aufrüstung und befürworten die Aufstellung eines NATO-Raketenschilds. Trotz manch salbungsvoller Worte scheint Rußland als der künftige Gegner einer aggressiven Geopolitik der kommenden deutschen Bundesregierung auf.

8. Syrien

Im Syrien-Konflikt ist man auf die politische Linie der USA eingeschwenkt. Nunmehr wird betont, daß Deutschland sich gemeinsam mit seinen Partnern aktiv an der Suche nach einer politischen Lösung beteiligen wird. Obwohl man den »Druck auf das Regime in Damaskus« aufrecht erhalten will, ist von der Forderung nach einem Rücktritt der Regierung von Präsident Baschar Al-Assad als Vorbedingung für Verhandlungen keine Rede mehr. Mit Krokodilstränen wird dagegen der wachsende Einfluß »islamistischer Kräfte« in Syrien beklagt, die die Bundesregierung u.a. auch über eine parteiische Vergabe humanitärer Hilfe in den letzten Jahren weidlich gefördert hatte. Ein kritischer Blick auf die deutsche Unterstützung islamistischer Kräfte im Nahen und Mitteleren Osten, mit dem Ziel, den arabischen Frühling zu ersticken, findet sich denn auch nicht im gemeinsamem Papier und war auch nicht zu erwarten.

9. Golf-Kooperationsrat

Gerade auch die außen- und sicherheitspolitische Kooperation mit Diktaturen und autoritären Regimen wird von der großen Koalition befürwortet. So setzt man auf einen Ausbau der Zusammenarbeit mit dem Golf-Kooperationsrat, in dem sich die Diktaturen der Region um Saudi-Arabien zusammengeschlossen haben. In diesem Sinne will man die Verständigung mit Regimen wie in Bahrain, die jede Opposition gewaltsam unterdrücken, aber als Partner von NATO-Staaten in der Region eine hohe geopolitische Bedeutung haben. Vor diesem Hintergrund muß darauf hingewiesen werden, daß Menschenrechte eine rein instrumentelle Bedeutung für die Legitimation »humanitärer Interventionen« haben.

10. NSA-Affäre

Eine Neuordnung der Beziehungen zu den USA als Konsequenz aus der NSA-Affäre ist nicht vorgesehen. Geradezu hilflos wird formuliert: »Wir drängen auf weitere Aufklärung, wie und in welchem Umfang ausländische Nachrichtendienste die Bürgerinnen und Bürger und die deutsche Regierung ausspähen.« Beabsichtigt ist der Abschluß eines Abkommens zum Schutz vor Spionage, um »Vertrauen wiederherzustellen« und »die Bürgerinnen und Bürger, die Regierung und die Wirtschaft vor schrankenloser (!) Ausspähung« zu schützen. Ansonsten werden die US-Militärstützpunkte, die neben völkerrechtswidrigen Kriegen und CIA-Folterflügen auch für NSA-Aktionen dienen, nicht einmal erwähnt. Die große Koalition ist nicht bereit Grundgesetz, Grundrechte und demokratische Souveränität wirklich zu schützen.

* Sevim Dagdelen ist Bundestagsabgeordnete der Fraktion Die Linke.

Aus: junge welt, Mittwoch, 27. November 2013


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Dokumentiert:

Pressemitteilung der Kooperation für den Frieden, 28.11.2013

"Nein zur großen Koalition des Militarismus; Frieden ist out – jedenfalls im Koalitionsvertrag"

Das Wort Frieden taucht erstmals seit mindestens 15 Jahren nicht mehr in den Überschriften des Koalitionsvertrages auf. Dies ist ein Synonym für einen aufrüstungs- und kriegsoffenen Koalitionsvertrag. Die Sprecher der Kooperation für den Frieden – einem Zusammenschluss von 59 Organisationen aus der Friedensbewegung – bewerten den Koalitionsvertrag als verantwortungslos unfriedlich.

„Der Koalitionsvertrag fällt in der Sicherheits- und Außenpolitik selbst hinter Alt-Bekanntem zurück. Die gilt besonders für die Fortexistenz von Atomwaffen in Deutschland. Wir prophezeien: In den kommenden vier Jahren werden von Deutschland keine fundamentale Abrüstungsinitiativen ausgehen. Vielmehr drohen erhebliche Rückschritte auf dem Weg zu einer friedlicheren Welt“, so Jens-Peter Steffen von der IPPNW. Der Kurs stehe auf Aufrüstung, nicht nur durch eine europäische Drohne.

Philipp Ingenleuf vom Netzwerk Friedenskooperative bewertet den Koalitionsvertrag ebenfalls kritisch: „Eine Entscheidung über den Abzug der Atomwaffen aus Büchel wird abhängig gemacht von Abrüstungsverhandlungen zwischen den USA und Russland; des Weiteren ordnet sich Deutschland in dieser Frage vollkommen der NATO, sprich den USA unter. Dies ist ein großer Rückschritt im Vergleich zum Koalitionsvertrag von 2009. Der Abzug der Atomwaffen aus Deutschland wird aufgegeben. Im Bereich Menschenrechte werden Macht- und Wirtschaftsinteressen auch weiterhin strategischen Partnerschaften, wie zum Beispiel zu Saudi Arabien, untergeordnet. Weiterhin wird Deutschland gewissenlos Waffen an menschenrechtsverachtende Regime verkaufen.“

Lucas Wirl, Geschäftsführer der Naturwissenschaftlerinitiative, verurteilt die Fortsetzung der Rüstungsexports-Politik: „Es geht nicht um Ankündigungen oder einen weiteren Report, es geht um das Ende dieses Handels des Krieges und des Tötens. Davon ist im Koalitionsvertrag nirgends die Rede.“

„Wer deutsche Interessen an Ressourcen und Handelswege in den Mittelpunkt stellt, wie der Koalitionsvertrag, wer so ungeniert von der deutschen Hegemonierolle in Europa als Teil einer aggressiven europäischen Politik in der Welt spricht, der kalkuliert auch immer den Einsatz der Bundeswehr und der NATO in Interventionkriegen ein - sei es weiterhin in Afghanistan oder in Afrika. Friedenspolitik sieht anders aus“, so Reiner Braun, Geschäftsführer der IALANA. „Friedenspolitik verlangt nach präventiver Rüstungskontrolle besonders bei den technologischen Rüstungsforschungen der Automatisierung und der Robotisierung des Krieges und zivile Konfliktbearbeitung als Alternative zu Krieg und Interventionen.“

Die Friedensbewegung ist gefordert, mit mehr Aktionen Frieden und Abrüstung wieder gesellschaftlich auf die Tagesordnung zu setzen und der „großen Koalition des Militarismus“ in den Arm zu fallen.

Die SprecherInnen der Kooperation für den Frieden:
Reiner Braun (IALANA)
Philipp Ingenleuf (Netzwerk Friedenskooperative)
Jens-Peter Steffen (IPPNW)
Renate Wanie (Werkstatt für gewaltfreie Aktion)
Lucas Wirl (NaturwissenschaftlerInnen Initiative)



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