"Sagen Sie Nein zur Kriegsermächtigung"
Brief aus der Friedensbewegung an die Abgeordneten von SPD und Bündnis90/Die Grünen
Presseerklärungen des Bundesausschusses Friedensratschlag und der DFG-VK
Im Folgenden dokumentieren wir -
eine Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag anlässlich der Bundestagsabstimmung am 14. November über die Verlängerung von "Enduring Freedom".
-
Der hierzu gehörende Brief an die Bundestagsabgeordneten ist weiter unten ebenfalls dokumentiert.
-
Im Anschluss daran dokumentieren wir eine Presseerklärung der DFG-VK zum selben Thema.
Pressemitteilung
"Sagen Sie Nein zur Kriegsermächtigung"
b>Brief aus der Friedensbewegung fordert die Abgeordneten der
Regierungskoalition auf, im Bundestag gegen die Verlängerung des
Bundeswehreinsatzes "Enduring Freedeom" zu stimmen.
In einem Brief an alle Bundestagsabgeordneten der Regierungskoalition
hat der Bundesausschuss Friedenratschlag heute (13. November) darauf
hingewiesen, dass der von der Regierung beantragte Bundeswehreinsatz im
Rahmen des "Krieges gegen den Terror" nicht zu begründen ist. (Brief in
ganzer Länge im Anhang unten.)
-
Erstens liege keine nachvollziehbare Bilanz über die
Erfolge/Misserfolge des Bundeswehreinsatzes in den vergangenen 24
Monaten vor. Insbesondere liegt die Tätigkeit des durch den jüngsten
Rausschmiss des kommandierenden Generals Günzel ins Gerede gekommenen
Kommandos Spezialkräfte (KSK) völlig im Dunkeln.
- Zweitens sei die beantragte Personalstärke (3.100 Soldaten) völlig
unbegründet, zumal die Bundesregierung in ihrer Planung selbst davon
ausgeht, dass nicht mehr als die jetzt schon im Einsatz befindlichen 710
Soldaten benötigt werden.
- Drittens ist der Haushaltsansatz unseriös. Er bezieht sich nur auf 710
eingesetzte Soldaten. Aus welchen Haushaltstiteln die übrigen 2.390
Soldaten finanziert werden, falls sie gebraucht werden, ist unklar.
- Viertens zieht auch nicht der Hinweis darauf, dass die Truppe
jederzeit "flexibel" einsetzbar sein müsse. Kriegseinsätze - und darum
handelt es sich bei "Enduring Freedom" -, die auf Grund eines Mandats
der Vereinten Nationen, der EU oder der NATO befohlen werden, können
ohne Probleme im normalen Beschlussverfahren des Bundestags beschlossen
werden.
Aus all diesen Gründen hegt der Friedensratschlag den Verdacht, die
Bundesregierung wolle sich mit ihrem Antrag eine "allgemeine
Ermächtigung zum Krieg erschleichen". Damit würde sich das Parlament
"selbst entmachten". Die Bundesregierung solle sich endlich etwas
anderes einfallen lassen. Krieg ist das falsche Mittel im Kampf gegen
den Terror.
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski (Sprecher)
Kassel, den 13. November 2003
Brief aus der Friedensbewegung an die Abgeordneten von SPD und Bündnis90/Die Grünen
Sagen Sie Nein zur Kriegsermächtigung
Sehr geehrte Damen und Herren,
morgen steht im Bundestag der Antrag der Bundesregierung auf der
Tagesordnung, wonach der Bundeswehreinsatz im Rahmen des
Antiterrorkrieges "Enduring Freedom" um ein weiteres Jahr verlängert
werden soll. Den kriegskritischen Abgeordneten in der
Regierungskoalition und der mehrheitlich kriegsunwilligen Bevölkerung
wird die Verlängerung u.a. mit dem Argument "schmackhaft" gemacht, der
Personalumfang des eingesetzten Militärs würde sich um 800 Soldaten
verringern, da die ABC-Abwehrkräfte nicht mehr gebraucht würden.
Man kann es aber auch anders sehen. Da zur Zeit lediglich 300
Bundeswehrsoldaten im Rahmen von Enduring Freedom sowie 410 Soldaten im
Rahmen der NATO-Operation "Active Endeavor" im Mittelmeer und der Straße
von Gibraltar eingesetzt sind, liefe der Beschluss auf mehr als eine
Vervierfachtung der aktuell eingesetzten Soldaten hinaus.
Dies ist aus vier Gründen nicht nachzuvollziehen:
-
Es liegt keine aussagekräftige Bilanz der Bundesregierung über den
Erfolg/Misserfolg der bisherigen Mission vor, die immerhin zwei Jahre
dauerte. Vor allem wartet die Öffentlichkeit immer noch auf zuverlässige
Informationen über die - zwischenzeitlich eingestellte - Tätigkeit des
Kommandos Spezialkräfte (KSK) in und um Afghanistan.
-
Die Bundesregierung muss folgenden Widerspruch aufklären: Wenn statt
der ursprünglich eingesetzten 3.900 Soldaten heute offenbar nur 710
Soldaten benötigt werden, dann könnte man zu der Auffassung gelangen,
dass ein großer Teil der "Arbeit" im Kampf gegen den Terror bereits
getan ist. Auf der anderen Seite nehmen Anschläge mit terroristischem
Hintergrund weltweit und auch in der Region, wo Bundeswehr eingesetzt
war, zu. Kann man daraus nicht auch den Schluss ziehen, dass die
militärische Antwort auf den Terrorismus gescheitert ist? Falls Sie das
verneinen, müssten Sie dann die militärischen Anstrengungen nicht sogar
noch erhöhen? Dann sagen Sie das aber bitte auch offen!
- Die Bundesregierung geht bei ihrem Haushaltsansatz für die
Verlängerung von Enduring Freedom davon aus, dass "nur" 710 Soldaten
eingesetzt werden. Dafür stünden 150 Mio. EUR im nächsten Jahr bereit.
Das ist unseriös. Was ist, wenn aus irgendwelchen Gründen mehr Soldaten
eingesetzt werden - immerhin sind ja 3.100 möglich? Wo soll das Geld
dafür herkommen?
- Die Bundesregierung begründet den beantragten Personalumfang von
3.100 Soldaten damit, jederzeit "flexibel" auf unvorhergesehene
Entwicklungen reagieren zu können. In den Reden von
Verteidigungsminister Struck und Außenminister Fischer anlässlich der
Debatte am vergangenen Freitag wurde beispielhaft auf die evtl.
Notwendigkeit hingewiesen, Ärzte und Sanitäter (MedEvac) "an jedem Ort
der Erde sehr schnell" verfügbar zu machen. Vorgesehen sind aber nur 250
Soldaten dieser Einheit und nicht 2.390 (die Differenz zwischen 710 und
3.100). (Zu den dann entstehenden Mehrkosten vgl. Punkt 3). Gleichzeitig
betont die Bundesregierung bei allen sich bietenden Gelegenheiten, dass
sich ihr Einsatz auf ein Mandat der Vereinten Nationen stütze bzw.
stützen müsse. Jeder Mensch weiß aber, dass solche Beschlüsse nicht von
einer Stunde zur anderen, auch nicht von einem Tag auf den anderen
gefasst werden (gleiches gilt übrigens auch für die EU oder die NATO).
Ein entsprechender Einsatz könnte also ohne Probleme im normalen
Beschlussverfahren des Bundestags beschlossen werden.
Wir sehen in dem "Verlängerungsantrag" der Bundesregierung den Versuch,
sich auf diesem Weg eine allgemeine Ermächtigung zum Krieg zu
erschleichen. Truppenstärke, Einsatzgebiete und Zeiträume der
Militäreinsätze sind äußerst vage; die Finanzierung absolut nicht
gesichert. Was aber am wichtigsten ist: Der Einsatz ist nicht begründet.
Wir bitten Sie also, den Antrag der Bundesregierung abzulehnen. Es ist
nicht ehrenrührig, nach zwei Jahren Kriegseinsatz "Enduring Freedom" zu
sagen: "Dieser Krieg war und ist kein Mittel im Kampf gegen den Terror.
Wir müssen uns etwas anderes einfallen lassen." Ehrenrührig wäre es
aber, wenn sich das Parlament mit der beantragten Kriegsermächtigung
selbst entmachten würde - von der Beschädigung der Demokratie gar nicht
zu reden.
Denken Sie bitte auch daran, dass Sie bei den Bürgerinnen und Bürgern
auf wenig Verständnis stoßen, wenn Sie inmitten der Spar- und
Haushaltskonsolidierungsdebatten und vorgesehenen Sozalabbaumaßnahmen im
Vorbeigehen 150 Mio. Eur für einen Kriegseinsatz bereitstellen.
Mit freundlichen Grüßen
Peter Strutynski
(Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag)
Kassel, den 13. November 2003
DFG-VK PRESSEERKLÄRUNG
13. November 2003
DFG-VK fordert: Keine Generalvollmacht der Bundesregierung für
Bundeswehreinsätze in aller Welt!
Zur morgigen Bundestagsabstimmung über die Verlängerung der Mandate für
"Enduring Freedom" und "Active Endeavour" erklärt Jürgen Grässlin,
Bundessprecher der DFG-VK:
"Es ist ein Armutszeugnis für die politische Kultur in der Bundesrepublik
Deutschland, dass im Vorfeld dieser Entscheidung praktisch keine Diskussion
über Sinn und Zweck des angeblichen Antiterroreinsatzes stattgefunden hat.
Das bedeutet einen weiteren Schritt der Entdemokratisierung in Deutschland:
Die Entsendung deutscher Soldaten ins Ausland stellt zwangsläufig eine
kriegerische Maßnahme dar, die nicht an der Öffentlichkeit vorbei
beschlossen werden darf."
Nach dem Willen der Regierung sollen Diskussionen über Bundeswehreinsätze in
Zukunft offenbar vermieden werden, indem der Charakter der Bundeswehr als
Parlamentsarmee eingeschränkt wird. Im Antrag der Bundesregierung über die
Verlängerung der Auslandsmandate ist von einem Umfang von bis zu 3100
Soldaten die Rede. Derzeit sind aber nur 710 Soldaten tatsächlich im
Einsatz: Im Rahmen von "Enduring Freedom" befinden sich 300 Marinesoldaten
am Horn von Afrika, rund 400 weitere patrouillieren im Rahmen der
Nato-Operation "Active Endeavour" im Mittelmeer.
"Wieso will die Bundesregierung dann ein Mandat für über 3000 Soldaten?
fragt Grässlin. "Der Regierungsantrag lässt befürchten, dass die Regierung
an Bundeswehreinsätze über die genannten Einsatzgebiete hinaus denkt, dies
der Öffentlichkeit aber nicht mitteilen will", mutmaßt der
DFG-VK-Bundessprecher. Denn wenn der Bundestag der Vorlage zustimme, erhalte
die Regierung faktisch eine Generalvollmacht und damit freie Hand, 2400
Soldaten in weitere Kriegseinsätze zu schicken, ohne dafür auf eine
ausdrückliche Zustimmung des Parlaments angewiesen zu sein.
"Dieses Vorgehen soll offenbar vorwegnehmen, was mit dem geplanten
Entsendegesetz angestrebt ist", prognostiziert Jürgen Grässlin. Sowohl der
bereits vor drei Wochen vorgestellte Entwurf des SPD-Abgeordneten Gernot
Erler als auch der diese Woche präsentierte FDP-Entwurf ließen keinen
Zweifel daran, dass mit dem Gesetz die Entscheidungsbefugnisse des
Parlaments eingeschränkt werden sollen. Die Bundesregierung solle
Vollmachten erhalten, unter bestimmten Bedingungen deutsche Soldaten in
Einsätze zu schicken, ohne zuvor einen Bundestagsbeschluss zu erwirken.
Die DFG-VK fordert die Bundesregierung auf, offen zu legen, wohin sie die
Bundeswehr schicken will, und keine Geheimpolitik zu betreiben. "Als
Pazifistinnen und Pazifisten lehnen wir die Interventionspolitik der
Bundesregierung strikt ab!" erklärt Grässlin und fordert: "Solange diese
nicht darauf verzichtet, das Militär als Mittel der Außenpolitik zu
benutzen, erwarten wir, dass die Pläne zum Einsatz der Bundeswehr dem
Parlament und der Öffentlichkeit in vollem Umfang dargelegt werden."
Frank Brendle
Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Weitere Beiträge zum Thema
"Enduring Freedom" vor der Verlängerung
Bundesregierung will Kriegseinsatz gegen Terrorismus fortsetzen. Der Antrag im Bundestag im Wortlaut (8. November 2003)
Regierung verlangt ein Ermächtigungsgesetz zum beliebigen Truppeneinsatz
Kommentar, Pressestimmen und zwei kontroverse Bundestagsreden (im Wortlaut) zur Verlängerung von "Enduring Freedom" (9. November 2003)
Zurück zur Seite "Außenpolitik"
Zur Bundeswehr-Seite
Zur Terrorismus-Seite
Zur Seite "Friedensbewegung"
Zur Presse-Seite
Zurück zur Homepage