Friedensbewegung: Viel Worte um nichts!
Kritik am außen- und sicherheitspolitischen Teil der Regierungserklärung des Bundeskanzlers. Stellungnahme des Bundesausschusses Friedensratschlag
Im Folgenden dokumentieren wir die Presseerklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag, die dieser im Anschluss an die Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 29. Oktober 2002 veröffentlichte.
Presseerklärung
Allgemeines:
Selten war der außenpolitische Teil einer Regierungserklärung so
umfangreich wie diesmal. Darin spiegelt sich die größere Aufmerksamkeit,
welche die Bundesregierung der Gestaltung der internationalen
Beziehungen widmet. Festzustellen ist allerdings, dass der Gehalt dieses
Teils längst nicht seiner Länge entspricht. Auffällig ist insbesondere
die Häufung von vagen Andeutungen, allgemeinen Floskeln und von
Auslassungen.
Bundeskanzler Schröder geht in Abschnitt IX seiner Regierungserklärung
von einem "erweiterten Sicherheitsbegriff" aus, der schon seit Jahren
(auch unter Kanzler Kohl) eine Art Schlüsselbegriff für die Begründung
einer neuen Außenpolitik darstellt. Indessen wird an keiner Stelle
erklärt, was der Begriff bedeutet. Stattdessen betont Schröder die
Zugehörigkeit Deutschlands zum Atlantischen Bündnis und zur
"Wertegemeinschaft für Freiheit, Menschenrechte, Demokratie und
Gerechtigkeit".
Anbiederung an die US-Administration:
Eine erste Anbiederung an den Bündnispartner USA meinen wir in der
Feststellung Schröders zu sehen, Deutschland sei heute "mit fast 10.000
Soldatinnen und Soldaten nach den USA der größte Truppensteller in
internationalen Einsätzen". Die zweite Anbiederung folgt auf dem Fuß:
Schröder betont, dass der "Kampf gegen den internationalen Terrorismus"
der Bundesregierung "substantielles Engagement" abfordern werde. Der
ausdrückliche Dank an die Soldatinnen und Soldaten bezieht sich auf
deren Einsätze, die von den Vereinten Nationen bzw. von den betroffenen
Regierungen ausdrücklich erlaubt wurden. Es ist interessant, dass
Schröder die Kampfeinsätze der Bundeswehr im Rahmen des US-Krieges
"Enduring Freedom" an dieser Stelle unerwähnt lässt ("Enduring Freedom"
taucht weiter hinten in seiner Rede auf). Steht der Kanzler nicht mehr
zu diesen Einsätzen? Oder meint er, die "Leistung" der Soldaten, z.B.
des Kommandos Spezialkräfte, nicht erwähnen zu dürfen, weil diese
Soldaten in einer völkerrechtlichen Grauzone operieren und die
Öffentlichkeit nicht daran erinnert werden soll? Warum wird nicht auf
die Spürpanzer in Kuwait hingewiesen oder auf die Marineverbände in der
Golfregion? Wenn sich der Kanzler der Berechtigung dieser Einsätze nicht
mehr sicher ist (seinerzeit am 16. November 2001 hatte er diesen Einsatz
den Abgeordneten noch mit der Vertrauensfrage abgepresst), dann wäre es
doch an der Zeit, diese Verbände zurückzurufen. Dazu hätte der Kanzler
die uneingeschränkte Zustimmung der Friedensbewegung - und sicher auch
der Mehrheit der besorgten deutschen Bevölkerung.
Sicherheit nicht mit militärischen Mitteln?
Zustimmung hat der Kanzler für seine Feststellung verdient, "Sicherheit"
sei "heute weniger denn je mit militärischen Mitteln - geschweige denn,
mit militärischen Mitteln allein - herzustellen." Wenn daraus die
Schlussfolgerung gezogen würde, dass zivile "präventive
Konfliktregelung" Priorität vor allen anderen Maßnahmen erhielte, ließe
sich daraus ein respektables Friedensprogramm entwickeln. Leider bleiben
die inhaltlichen Festlegungen hierzu allzu schwammig und floskelhaft.
Was heißt etwa, den Prozess der Globalisierung "aktiv politisch zu
gestalten"? Was heißt es, wenn "internationale Allianzen gegen
Terrorismus und Unfreiheit" angestrebt werden? Sind das militärische
Allianzen, wie sie auch US-Präsident Bush - von Fall zu Fall -
schmiedet? Und was heißt es, wenn der Bundeskanzler für "die Stärkung
von Gewaltmonopolen durch starke, legitimierte internationale
Institutionen, allen voran die Vereinten Nationen" eintritt? Nimmt man
nämlich die UN-Charta beim Wort und das Völkerrecht ernst, dann kann es
nur ein Gewaltmonopol geben, und das liegt bei den Vereinten Nationen.
Andere internationale Institutionen wie NATO oder EU haben kein
"Gewaltmonopol"; das einzige was ihnen zusteht, ist das
Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 der UN-Charta. Ansonsten kann
militärische Gewalt nur der UN-Sicherheitsrat verfügen.
Keine direkte Beteiligung am Irak-Krieg:
Zustimmung verdient auch der Satz: "An einem etwaigen Militärschlag
gegen den Irak werden wir uns nicht beteiligen." Wir teilen auch die
Auffassung Schröders, dass die Vereinten Nationen auf dem Weg zu
neuerlichen Waffeninspektionen im Irak ein gutes Stück vorangekommen
sind. Daraus folgt aber auch: Dieser Fortschritt darf durch die
Kriegspolitik der US-Regierung nicht gefährdet werden. Dies sagt
Schröder aber nicht, wohl aus Rücksicht auf die deutsch-amerikanischen
Beziehungen. Wer aber möchte, dass "eine militärische Konfrontation am
Golf doch noch vermieden werden kann", muss auch bereit sein, die USA an
einem Irak-Krieg zu hindern. Dazu gehört auch, ihnen, soweit das in der
Verantwortung der Bundesregierung liegt, die Mittel für diesen Krieg zu
entziehen. Also: Keine Überflugrechte für US-Militärmaschinen über
deutsches Hoheitsgebiet, keine Nutzung der US-Stützpunkte in Deutschland
für diesen Krieg. Keine militärischen Entlastungsmaßnahmen etwa in
Afghanistan oder auf dem Balkan, die die USA in die Lage versetzen,
ihrerseits Truppen von dort abzuziehen und an den Kriegsschauplatz Irak
zu verlegen.
Europa ohne Armee?
Vage und unvollständig sind die Äußerungen Schröders zum Thema Europa.
"Die Europäische Union ist die Antwort der Völker Europas auf Krieg und
Zerstörung", sagt er, geht aber mit keinem Wort darauf ein, dass die EU
dabei ist, sich einen eigenen militärischen Arm, die "Einsatzkräfte" in
einem Umfang von 60.000 Soldaten, zu schaffen. Sich auf Interventionen,
auf Krieg vorzubereiten, ist nämlich die falsche Antwort auf "Krieg".
Fazit:
Der außenpolitische Teil der Regierungserklärung kann eigentlich
niemanden so recht zufrieden stellen, weil vieles floskelhaft und vage,
mancher "Knackpunkt" überhaupt unerwähnt bleibt. Wer friedenspolitische
Visionen erwartet hat, wird maßlos enttäuscht sein. Wer wenigstens ein
paar Hinweise auf konkrete Schritte zu mehr ziviler Konfliktbearbeitung
und zu weniger militärischem Engagement erwartet hat, wird ebenfalls
enttäuscht. So gesehen, hätte Schröder auf den außenpolitischen Teil
seiner Rede gut und gern ganz verzichten können.
Kassel, den 30.10.2002
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Dr. Peter Strutynski (Sprecher)
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