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"Hibakusha weltweit"

70. Jahrestag: Kriegsgegner gedenken bundesweit der Opfer des US-amerikanischen Atomschlags gegen Hiroshima und Nagasaki und fordern Abrüstung

Von Susan Bonath *

Am 6. August 1945 warf das US-Militär eine Atombombe auf die japanische Großstadt Hiroshima, drei Tage später eine auf Nagasaki. Nach dem tödlichen Inferno durch die Massenvernichtungswaffen vor 70 Jahren lagerten nach einem Bericht des schwedischen Friedensforschungsinstituts »Sipri« im Sommer 2014 rund 16.300 Atomsprengköpfe auf der Erde – mit einer Zerstörungsgewalt, die bis zu 900.000 mal so stark sei wie die Bombe auf Hiroshima. »Statt dieses Teufelszeug zu beseitigen, wird bei allen offiziellen Kernwaffenstaaten modernisiert: neue, bessere, genauere Sprengköpfe, neue Trägersysteme, Flugzeuge, U-Boote«, kritisiert das Netzwerk Friedenskooperative auf seiner Internetseite. Gemeinsam mit dem Bundesausschuss Friedensratschlag ruft es zum Gedenken an die Opfer vom Sommer 1945 auf. So wolle man zugleich die Ablehnung von Krieg und Aufrüstung in die Öffentlichkeit tragen. Über 100 Veranstaltungen sind zum 70. Jahrestag der Atomschläge in bundesdeutschen Städten geplant.

Am Fliegerhorst Büchel in Rheinland-Pfalz protestieren Kriegsgegner seit dem 31. Juli mit einem Camp, einer Fastenaktion und Mahnwachen »Für eine atomwaffenfreie Welt«. In Büchel lagern die USA noch heute geschätzt 20 Atombomben des Typs B61. Diese sollen eine maximale Sprengkraft von 340 Kilotonnen TNT besitzen. Das entspricht in etwa dem 26fachen der Bombe, die auf Hiroshima fiel. Die Aktivisten erinnern zugleich an die Opfer in Japan. Bei beiden Abwürfen kamen dort etwa 92.000 Menschen sofort zu Tode, bis Ende 1945 starben rund 130.000 weitere an den Folgen. In den Jahren darauf kamen Tausende Opfer hinzu. Wissenschaftler und Mediziner registrieren bis heute eine erhöhte Krebsrate, die sie auf die atomare Verstrahlung zurückführen.

Angesichts dieser Fakten müsse zur sofortigen Abrüstung, zum Stopp des Uranabbaus sowie zur Stillegung aller Atomkraftwerke aufgerufen werden, mahnt das Bündnis. Mit täglichen öffentlichen Kundgebungen morgens um 8.15 Uhr und abends um 20.15 Uhr gedenken sie vor dem Haupttor des Fliegerhorstes bis zum 9. August der Getöteten und verlesen deren Namen. Am letzten Protesttag soll die »Friedensradfahrt 2015« der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsgegnerinnen (DFG-VK) in Büchel eintreffen und das Militärgelände umrunden.

In Darmstadt, Frankfurt am Main und Stuttgart ist derzeit die Ausstellung »Hibakusha weltweit – die nukleare Kette« zu sehen. Hibakusha nennen die Japaner die überlebenden Opfer der Atomwaffenangriffe. Auch in Würzburg, Belzig und Hannover werden Ausstellungen zum Inferno gezeigt. In Dutzenden Städten, darunter Hamburg, Gera, Frankfurt/Oder, Dannenberg, Esslingen, Düsseldorf, Rostock und Mainz, sollte bereits am Mittwoch Abend mit der »Nacht der 70.000 Kerzen« der Bombenopfer gedacht werden. Am heutigen Abend wollen sich unter anderem Aktivisten in Altenburg, Magdeburg, Bad Hersfeld, Berlin, Bochum und Bonn mit Aktionen anschließen. In Dortmund findet ab 17 Uhr ein Mahngang durch die Innenstadt statt, der gegen 19 Uhr mit einer Kundgebung am Friedensplatz enden soll. In Dresden halten Aktivisten seit heute bis zum 9. August ganztägige Gedenkwachen vor der Kreuzkirche ab. Weitere Veranstaltungen sind am heutigen Donnerstag unter anderem in Flensburg, Bremen, Frankfurt am Main, Fürth, Freiburg, Hagen, Göttingen, Hamburg, Hannover, Kaiserslautern, Karlsruhe, Kassel, Kiel, Krefeld, Köln, Mannheim, München, Oberhausen, Offenbach, Regensburg und Suhl geplant. Aktivisten in Dutzenden Orten folgen in den nächsten Wochen bis einschließlich 23. Oktober an. An diesem Tag endet die Ausstellung »Hibakusha weltweit« nach elf Tagen Präsenz in der Hamburger Universität. Organisiert werden die einzelnen Veranstaltungen von örtlichen Friedensinitiativen.

In ihrem Aufruf vom Montag fordern der Bundesausschuss Friedensratschlag und die Kooperation für den Frieden die Bundesregierung auf, »einen aktiven Beitrag zum »Miteinanderreden« der Konfliktparteien in Osteuropa zu leisten, um damit die steigende Gefahr von Atomwaffenschlägen herabzusetzen. Sie solle ferner einen Abzug der US-Nuklearbomben aus Deutschland durchsetzen sowie einen von der österreichischen Regierung entwickelten Plan für einen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag, Atomwaffen zu verbieten, unterzeichnen. Bisher werde dieser bereits von 108 Staaten unterstützt.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 6. August 2015


Gedenken in Hiroshima

Japanische Stadt erinnert an Atombombenabwurf vor 70 Jahren. Kritik an militaristischem Kurs der Regierung in Tokio **

Mit einem Appell zum Frieden und zur Abschaffung aller Atomwaffen in der Welt hat die japanische Stadt Hiroshima am Donnerstag des Atombombenabwurfs vor 70 Jahren gedacht. Tausende von Menschen versammelten sich am Morgen zu einer Schweigeminute um 8.15 Uhr (Ortszeit), dem Zeitpunkt, als die USA 1945 die erste im Krieg eingesetzte Atombombe über der westjapanischen Stadt abwarfen.

Hiroshimas Bürgermeister Kazumi Matsui forderte in seinem Friedensappell die Abschaffung aller Atomwaffen. Die Überlebenden litten noch heute physisch und psychisch unter den Folgen der Verstrahlung. »Um zu koexistieren, müssen wir das absolut Böse und die endgültige Unmenschlichkeit abschaffen, die Atomwaffen darstellen«, forderte er und rief die Welt auf, dem Weg des Pazifismus, wie ihn die japanische Nachkriegsverfassung verkörpere, zu folgen. Die Versammelten verstanden das auch als Kritik an der Regierung von Ministerpräsident Shinzo Abe, die gerade eine weitreichende Militärreform auf den Weg gebracht hat und eine Abkehr von diesem Pazifismus betreibt.

Geschichtslügen

Es ist immer noch eine der am besten gepflegten Lügen der bürgerlichen Geschichtsschreibung, dass die Abwürfe von Atombomben auf die Städte Hiroshima und Nagasaki ein entscheidender Faktor für die kurz darauf erfolgte Kapitulation des japanischen Kaiserreiches und damit für das Ende des Zweiten Weltkrieges in Asien gewesen seien.

Es gehört leider nicht zum Allgemeinwissen – und das hat durchaus Methode –, dass sich die Sowjetunion verpflichtet hatte, als »Gegenleistung« für die Eröffnung der Zweiten Front in Europa durch die westlichen Alliierten auch in den Krieg in Asien einzugreifen, an dem sie bis dahin nicht beteiligt war. Die Kriegserklärung erfolgte dann auch in der Nacht zum 9. August 1945.

Es ist also ganz sicher kein Zufall, dass die Atombombe auf Hiroshima am 6. August abgeworfen wurde, und die auf Hiroshima am 9. August, dem Tag des Kriegsbeitritts der Sowjetunion. Der Abwurf der Atombomben hatte in erster Linie sehr langfristige Ziele. Es ging den USA darum, eindeutig klarzustellen, wer aus ihrer Sicht nach dem Ende des Krieges die Oberhand haben sollte. Nicht umsonst wurde die Atombombe von den Politikern und Militärs der USA »the big stick« genannt, »der große Knüppel«.

Dank einer Reihe wirklicher Verbündeter, darunter britische und deutsche Kommunisten, die in die technischen Arbeiten eingebunden waren, konnte die Sowjetunion den Rückstand bei der Atomtechnologie schnell aufholen und ein Gleichgewicht der atomaren Bedrohung herstellen – ein Gleichgewicht des Schreckens, das heute, 70 Jahre nach Hiroshima, noch immer besteht.

Uli Brockmeyer: Aus dem Leitartikel der »Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek« vom 6. August 2015



Abe selbst kündigte in seiner Rede in Hiroshima an, Japan werde bei der UN-Vollversammlung im September einen neuen Resolutionsentwurf zur Abschaffung von Atomwaffen einbringen. Bürgermeister Matsui rief US-Präsident Barack Obama und andere Politiker auf, nach Hiroshima zu kommen und den Schilderungen der Überlebenden zuzuhören.

An der jährlichen zentralen Gedenkveranstaltung nahmen Abgesandte aus 100 Ländern teil, so viele wie nie zuvor. Die internationale Gemeinschaft müsse jetzt handeln. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon schloss sich in einer verlesenen Grußbotschaft dem Appell der Überlebenden der Atombombenabwürfe an: »No more Hiroshimas. No more Nagasakis.«

Von den 350.000 Bewohnern der westjapanischen Stadt starben damals nach Schätzungen mehr als 70.000 Menschen sofort. Bis Ende Dezember 1945 erhöhte sich die Zahl der Toten auf 140.000. Am 9. August 1945 warfen die USA eine zweite Atombombe über Nagasaki ab. Bis Dezember starben dort weitere 70.000 Menschen. Noch heute sterben Menschen an den Spätfolgen der atomaren Strahlung.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 6. August 2015

Statement

Secretary-General's message to Peace Memorial Ceremony [as delivered by Mr. Kim Won-soo, Acting High Representative for Disarmament Affairs]

Hiroshima, Japan, 6 August 2015 *

I am honoured to send this message to all participants at the Peace Memorial Ceremony marking the solemn 70th anniversary of the bombing of Hiroshima. I am grateful to the organizers and all those who have gathered for this remembrance. Your commemoration should reverberate from this city across the world, reminding all people of the need for urgent action to eliminate nuclear weapons once and for all.

Seven decades after their first use in conflict, this sombre occasion commemorates the thousands who died that day. It honours the survivors and their descendants who have suffered severe adversity in the aftermath. The United Nations stands with them, resolved to realize their vision of a nuclear-weapon-free world.

My own commitment was reinforced during my visit to Hiroshima five years ago. I will always carry the memories of meeting the survivors, witnessing the destruction and seeing the lingering effects. The courage of those who lived through this catastrophic, man-made tragedy was deeply inspiring. The hibakusha are more than survivors – they are unparalleled champions of peace. From their searing experiences, they have forged a message of hope that someday the world will be free of these indiscriminate and destabilizing weapons.

I pay tribute to the bravery of the hibakusha and renew my resolve to advance our common cause of achieving a safer and more peaceful world, free of the nuclear shadow.

This year is also the 70th anniversary of the United Nations. The first resolution adopted by the General Assembly reflected the world’s concern about the use of atomic weapons. As you keep the memory of the bombing alive, so, too, must the international community persist until we have ensured that nuclear weapons are eliminated.

I echo your rallying cry: No more Hiroshimas. No more Nagasakis.

In the months after the bombing, it was said that Hiroshima would be uninhabitable for 70 years. Now, seven decades later, this vibrant city is proof of the resilience of its people and a monument to the indomitable spirit of humanity. You are an inspiration to the world, which has a responsibility to honour your experience by ensuring a world free of nuclear weapons.

Website der UNO; www.un.org/sg/statements/index.asp?nid=8886




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