Atomare Abrüstung
Zum Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima und Nagasaki: Imperiale Machtansprüche verhindern Reduzierung der Kernwaffen
Von Claus Schreer *
Frieden mit Gerechtigkeit bedeutet, nach einer Welt ohne Atomwaffen zu streben – ganz gleich, wie weit dieser Traum entfernt sein mag.« Mit diesem Satz – den man gar nicht schöner sagen kann – präsentierte sich US-Präsident Barack Obama vor wenigen Wochen in Berlin wieder einmal als glühender Verfechter der atomaren Abrüstung. In seiner Rede am 19. Juni vor dem Brandenburger Tor kündigte er neue Schritte für Verhandlungen mit Rußland an. Amerika sei bereit, sagte Obama, die Anzahl seiner strategischen Sprengköpfe um ein Drittel zu reduzieren, denn die Sicherheit Amerikas und seiner Alliierten könne auch mit deutlich weniger Kernwaffen gesichert werden. In den Medien wurde dies als »weitreichender Abrüstungsvorschlag« gefeiert.
Im Klartext aber sagt Obama: An der weltweiten militärischen Überlegenheit der USA und der NATO wird sich dadurch nichts ändern. Genau das aber ist das Problem und einer der wesentlichen Gründe für die Blockade bei allen Abrüstungsverhandlungen.
68 Jahre nach dem Abwurf der US-Atombomben auf Hiroschima am 6. August und Nagasaki am 9. August – und obwohl sich alle Kernwaffenmächte im Atomwaffensperrvertrag feierlich zur nuklearen Abrüstung verpflichtet haben – gibt es bis heute keinerlei substantielle Fortschritte.
Auch der vielgelobte NEW-START-Vertrag ändert nichts an der atomaren Überlegenheit der USA und Rußlands. Die beiden atomaren Supermächte verfügen immer noch über 90 Prozent aller weltweit existierenden Nuklearwaffen. Selbst nach der vertraglich vorgesehenen Reduzierung ihrer strategischen Atomwaffen läge das Atomwaffenarsenal Moskaus und Washingtons mit jeweils 1550 Sprengköpfen immer noch um ein Vielfaches über dem aller anderen Kernwaffenstaaten.
Um aber die weltweite atomare Abrüstung wirklich in Gang zu setzen und einer »Welt ohne Atomwaffen« einen Schritt näher zu kommen – insbesondere andere Atomwaffenstaaten in Abrüstungsverhandlungen mit einzubeziehen – müßten die USA und Rußland ihre Kernwaffenarsenale von derzeit je 8000 Atomsprengköpfen mindestens auf das Niveau Chinas, also auf etwa 200 Sprengköpfe und etwa 20 strategische Trägersysteme reduzieren.
Doch die Abschaffung aller Atomwaffen steht nicht auf der politischen Agenda der US-Regierung und der Regierungen der NATO-Staaten. Sie vor allem sind es, die alle weiteren Schritte zur atomaren Abrüstung torpedieren und verhindern. Insbesondere die USA untergraben jeden der dazu erforderlichen Schritte und rüsten weiter auf. Für die nächsten zehn Jahre hat US-Präsident Obama ein 92-Milliarden-Dollar-Programm zur Modernisierung der amerikanischen Atomsprengköpfe und der entsprechenden Trägerwaffen genehmigt.
Die US-Regierung beharrt selbstherrlich auf dem Ersteinsatz von Atomwaffen, und auch die NATO definiert sich in ihrem von der Bundesregierung mit beschlossenen Strategischen Konzept ausdrücklich als »Nukleare-Allianz«, die auch für die Zukunft den Einsatz von Atomwaffen vorsieht.
Derzeitiges Haupthindernis für weitergehende Abrüstungsschritte ist die NATO-Raketenabwehr, deren Aufbau von den USA massiv vorangetrieben wird. Laut offizieller Propaganda dient diese als Schutzschild zur Abwehr eines Angriffs. Aber: Kein Land der Welt bedroht die USA oder die NATO-Staaten, weder mit konventionellen noch mit Atomwaffen. Und zu Recht befürchtet Moskau, daß mit Hilfe der Raketenabwehr das bisher geltende Prinzip der gesicherten gegenseitigen Abschreckung außer Kraft gesetzt wird. Denn Zweck der Raketenabwehr ist der Schutz vor militärischen Gegenmaßnahmen der von den USA oder der NATO angegriffenen Staaten.
Ein funktionierender Raketenschutzschirm soll die USA und Europa unverwundbar machen. Er wäre der Freibrief zum Krieg gegen jeden denkbaren Gegner. Die Verhinderung der Raketenabwehr ist deshalb nicht nur die Voraussetzung für weitere Abrüstungsvereinbarungen mit Rußland, sie ist auch die entscheidende Voraussetzung dafür, daß sich alle anderen Staaten am Abrüstungsprozess beteiligen.
Aber nicht nur die Raketenabwehr, sondern auch die unumschränkte militärische Überlegenheit der USA und ihrer NATO-Verbündeten in der konventionellen Kriegführung, mit der sie andere Länder bedrohen, stehen der Verwirklichung einer atomaren Nulllösung im Wege. Mit ihrer »Global Strike«-Fähigkeit, ausgerüstet mit den modernsten Waffensystemen der Welt, mit Kriegsflottenverbänden auf allen Weltmeeren und mehr als 800 Militärstützpunkten rund um den Globus sind die US-Streikkräfte allen anderen Staaten um ein Vielfaches militärisch überlegen. Staaten, die sich von einem Angriff der USA und NATO existentiell bedroht sehen, werden sich – und solange sie der stärksten Militärmaschinerie der Welt hoffnungslos unterlegen sind – auf atomare Abrüstungsvereinbarungen kaum einlassen. Die Atomwaffenexpertin der friedenspolitischen Ärzteorganisation IPPNW Deutschland, Xanthe Hall, hat zu Recht betont: »Es wird keine Beseitigung aller Atomwaffen geben, solange USA und NATO ihre militärische Dominanz im konventionellen Bereich aufrechterhalten.«
Für die Friedensbewegung heißt das: Wenn die seit Jahrzehnten geforderte Abschaffung aller Atomwaffen jemals erreicht werden soll, dann reichen allgemeine Appelle nicht aus. Dann müssen die Hindernisse aus dem Weg geräumt werden, die dem im Wege stehen. Dann müssen wir die Hochrüstungsprogramme der USA und der NATO bekämpfen, mit denen die imperialistischen Staaten ihren globalen Machtanspruch durchsetzen. Einen anderen und einen kürzeren Weg gibt es nicht.
* Claus Schreer ist Mitorganisator und Sprecher des Bündnisses gegen die NATO-Sicherheitskonferenz in München
Aus: junge Welt, Dienstag, 6. August, 2013
»Nukleare Teilhabe« und U-Boote für Israel
Von Claus Schreer **
Seit Jahren beteuert die Bundesregierung, daß sie sich für eine Welt ohne Atomwaffen einsetze. Die Beschlüsse der Bundesregierung und des Bundestags, daß die in Deutschland verbliebenen US-Atomwaffen abgezogen werden sollen, sind bis heute nichts als leere Worte. Am Atomwaffenstandort Büchel in der Eifel sind weiterhin etwa 20 US-Fliegerbomben B-61 mit einer variablen Sprengkraft von jeweils mehreren Hiroshima-Bomben stationiert. Im NATO-Einsatzfall sollen sie mit Tornado-Flugzeugen der Bundeswehr und von Piloten des Jagdbombergeschwaders 33 auf Ziele des Gegners abgeworfen werden. Aber anstatt ihre Atomwaffen aus Deutschland abzuziehen, arbeiten die USA an der Modernisierung dieser B-61-Bomben.
Selbstverständlich könnte die Bundesregierung, würde sie ihre eigenen Beschlüsse ernst meinen, unverzüglich handeln. Sie könnte die »nukleare Teilhabe« im Rahmen der NATO sofort beenden. Dafür braucht sie weder die Genehmigung der USA noch die Zustimmung der anderen NATO-Verbündeten.
Die zentrale Forderung der Friedens- und Antikriegsbewegung an die Adresse der Bundesregierung muß deshalb sein,
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daß die Bereitstellung der 46 deutschen Tornado-Flugzeuge für den Einsatz der Atomwaffen beendet wird,
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daß die Ausbildung und die Übungsflüge der Bundeswehr für den Abwurf der Atomwaffen eingestellt werden,
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daß das Stationierungsabkommen für die Lagerung der US-Atomwaffen in Deutschland sofort gekündigt wird.
Mit diesen konkreten Forderungen sollten alle Parteien und alle Abgeordneten im Bundestagswahlkampf konfrontiert werden.
Ein besonderer Skandal ist, daß die Bundesregierung, die sich scheinheilig mit Bekenntnissen zur atomaren Abrüstung hervortut, gleichzeitig modernste, speziell als Atomwaffenträger gebaute U-Boote an Israel liefert. Im Mai 2012 lief auf der zum ThyssenKrupp-Konzern gehörigen Howaldts-Werft in Kiel bereits das vierte dieser U-Boote vom Stapel. Zwei weitere U-Boote sollen bis 2017 ausgeliefert werden. Einen Großteil der Finanzierung tragen die deutschen Steuerzahler. In Israel werden die U-Boote mit nuklear bestückten Marschflugkörpern ausgerüstet. Damit beteiligt sich Deutschland an der militärischen und atomaren Aufrüstung und der Verschärfung der Konflikte im Nahen Osten. Deutschland verstößt nicht nur gegen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz, das die Lieferung von Kriegswaffen in Spannungsgebiete verbietet, sondern auch gegen den Atomwaffensperrvertrag. Darin haben sich alle Nichtkernwaffenstaaten verpflichtet, Atomwaffen von niemandem anzunehmen.
Die andauernden Kriegsdrohungen gegenüber dem Iran, das israelische Atomwaffenarsenal und jedes deutsche U-Boot, das Atomwaffen abschießen kann, birgt die Gefahr, daß auch Teheran sein Heil in der nuklearen Aufrüstung suchen könnte. Sollten sich Israel und Iran eines Tages nuklear bewaffnet gegenüber stehen, wäre das auch eine Folge deutscher Politik.
Kanzlerin Angela Merkel sieht die Lieferung atomwaffenfähiger U-Boote als Erfüllung »deutscher Verantwortung für die Sicherheit Israels«, die sie 2008 zur deutschen »Staatsräson« erhoben hatte. Wirkliche Verantwortung für die Sicherheit Israels und für seine Nachbarstaaten hieße jedoch, Israel von einem Präventivkrieg gegen den Iran abzuhalten, vor selbstmörderischen Abenteuern zu bewahren. Und wirkliche Verantwortung für Frieden und Sicherheit im Nahen Osten hieße, daß alle Rüstungslieferungen in diese konfliktgeladene Region unverzüglich eingestellt werden.
** Aus: junge Welt, Dienstag, 6. August, 2013
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