"Das Nichtverbreitungsregime ist überaus erfolgreich, wenn auch nicht perfekt"
Eine halboffiziöse Analyse der Atomwaffenpolitik der USA
Im Folgenden dokumentieren wir das Kapitel "Der Beitrag der Nichtverbreitung" aus dem elektronischen Journal "Eine Welt ohne Atomwaffen", herausgegeben vom Büro für internationale Informationsprogramme im US-Außenministerium im Februar 2010. Der Text wurde auf der Website der US-Regierung veröffentlicht und vom Amerika Dienst ins Deutsche übersetzt.
Der Beitrag der Nichtverbreitung
von George Perkovich und Deepti Choubey *
Heute kann die Verbreitung von Atomwaffen mehr denn je nur durch die Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten, Russland und China sowie den aufstrebenden Schwellenländern verhindert werden. Um eine derartige Zusammenarbeit zu erreichen, müssen Maßnahmen entwickelt werden, um die Balance zwischen Abrüstung und Nichtverbreitung aufrechtzuerhalten. George Perkovich ist Vizepräsident für Studien und Leiter des Atompolitikprogramms im Carnegie Endowment for International Peace; Deepti Choubey ist stellvertretende Leiterin. Dieser Artikel ist in dem elektronischen Journal "Eine Welt ohne Atomwaffen" (Ausgabe Februar 2010) der Reihe eJournal USA erschienen.
Die große zerstörerische Kraft der ersten Atombombe überzeugte viele Politiker von der Notwendigkeit, diese Kraft zu beschränken. So entstand das Ziel der Nichtverbreitung und die Suche nach einem Nichtverbreitungsregime: eine Reihe von Normen, Regeln, Institutionen und Verfahren, um sowohl die Verbreitung von Atomwaffen zu verhindern als auch das zu ihrer Herstellung erforderliche Material und Wissen.
Der Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen (NVV) von 1968 bildete die Grundlage eines solchen Regimes, aber die heutigen Herausforderungen bedrohen seine Stabilität und Effektivität. Die Zusammenarbeit kann nur verbessert und unser aller Sicherheit kann nur erhöht werden, wenn es Maßnahmen zur Stärkung des Gleichgewichts zwischen nachweisbarer Abrüstung durch die bestehenden Atommächte und der Nichtverbreitung durch Nicht-Atomwaffenstaaten gibt.
Die Vereinigten Staaten alleine konnten die Verbreitung von Atomwaffen nicht aufhalten. Sobald die Sowjetunion 1949 über die Bombe verfügte und andere Länder sich daran machten, ihr zu folgen, war die Nichtverbreitung nur noch durch Kooperation möglich. Das war nicht leicht. Es mussten sich nicht nur geopolitische Gegner einigen, sondern Staaten, die Atomwaffen besaßen, mussten eine gemeinsame Grundlage mit der übergroßen Mehrheit der Länder finden, die keine besaßen.
Die erste Gruppe konnte nicht gezwungen werden, ihre Waffen aufzugeben, genauso wenig wie die zweite Gruppe gezwungen werden konnte, ihr Recht aufzugeben, selbst diese Waffen herzustellen. Das könnte nur ein Regime aus gemeinsam vereinbarten Nichtverbreitungsregeln schaffen. Diese Regeln mussten die Staaten zufriedenstellen, die nicht über Atomwaffen verfügten, während, zumindest vorübergehend, der Besitz durch Staaten, die bereits über sie verfügten, toleriert werden musste.
Nach einer Reihe von Fehlstarts nahmen die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion an dem multilateralen Verhandlungsprozess teil, der einen Entwurf hervorbrachten, der später zum Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen (NVV) wurde. Die zwei Supermächte hatten beide das Interesse, andere Länder vom Erwerb von Atomwaffen abzuhalten. Beide fungierten als Schutzmächte für viele Nicht-Atomwaffenstaaten. Diese Staaten konnten auf den Bau eigener Atomwaffen verzichten, wenn sie sich sicher sein konnten, dass "ihre" Supermacht sie vor der Bedrohung durch die andere schützen würde.
NVV-Vertrag
Der NVV trat am 5. März 1970 in Kraft. Er enthält eine Reihe von Abmachungen. Die Atomwaffenstaaten einigen sich darauf, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um auf atomare Abrüstung hinzuarbeiten und darauf, weder Atomwaffen noch die erforderlichen Mittel für ihren Bau an Nicht-Atomwaffenstaaten weiterzugeben sowie das "unveräußerliche Recht" der Nicht-Atomwaffenstaaten anzuerkennen, Atomenergie für friedliche Zwecke zu nutzen. Im Gegenzug versprechen Nicht-Atomwaffenstaaten, keine Atomwaffen zu erwerben oder zu bauen.
Im Rahmen des NVV sollten sich Abrüstung und Nichtverbreitung gegenseitig verstärken. Je mehr Staaten dem NVV beitreten, desto mehr sollte jedes Land darauf vertrauen können, dass sein Nachbar oder Gegner keine Atomwaffen baut, um sich so in seiner Entscheidung, keine Proliferation zu betreiben, sicherer zu fühlen. Bestehende Atomwaffenstaaten sollten sich in der Lage sehen, schrittweise ihre Arsenale zu verkleinern und sich dabei an einer vollständigen atomaren Abrüstung orientieren.
Dieses Nichtverbreitungsregime ist überaus erfolgreich, wenn auch nicht perfekt. Der NVV gehört zu den universellsten Verträgen: Alle Staaten außer Indien, Israel und Pakistan sind ihm beigetreten. Nordkorea ist beigetreten, hat sich in der Folge aber wieder zurückgezogen und einen nuklearen Sprengkörper getestet. Dadurch ist es das einzige Land, das trotz seiner Verpflichtungen im Rahmen des NVV Atomwaffen entwickelt.
Viele Staaten haben ihre heimlichen Bemühungen, Atomwaffen herzustellen, aufgegeben oder rückgängig gemacht. Während des Golfkrieges 1990 - 1991 verfolgte der Irak ein derartiges Programm. Aus Angst vor Isolation oder Druck von außen beendete Libyen 2003 seine Bemühungen und strebte stattdessen internationale Kooperation an. Taiwan und Südkorea beendeten ihre Arbeit an Atomwaffen, nachdem die Vereinigten Staaten die Länder hinter den Kulissen unter Druck gesetzt und ihnen erneute Garantien für ihre Sicherheit gegeben hatten. Weißrussland, Kasachstan und die Ukraine sind übereingekommen, dem NVV Anfang der Neunzigerjahre beizutreten, als die Vereinigten Staaten und Russland ihre atomaren Arsenale verkleinerten und ein Klima kultivieren, das die Abrüstung begünstigte. Argentinien und Brasilien beendeten ihre noch jungen Atomprogramme und Südafrika gab ein geheimes Atomarsenal auf – überwiegend aus Gründen der Innenpolitik – aber es besteht kein Zweifel daran, dass die Verkleinerung der atomaren Arsenale nach dem Kalten Krieg ein Umfeld schuf, das sie in diese Richtung lenkte.
Seit 2001 wurde das Nichtverbreitungsregime an die zuvor unvorstellbare Bedrohung durch atomaren Terrorismus angepasst. Es gibt folgende Initiativen, um atomaren Brennstoff und atomare Technologie vor Terroristen zu schützen:
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bilaterale Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten und Russland,
- multilaterale Verpflichtungen der Gruppe der acht größten Volkswirtschaften,
- eine Konvention über atomaren Terrorismus,
- die Initiative zum Schutz vor Weiterverbreitung,
- die Globale Initiative zur Bekämpfung des nuklearen Terrorismus sowie
- die Resolution 1540 des UN-Sicherheitsrats, die alle UN-Mitglieder dazu auffordert, Maßnahmen gegen die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, ihre Trägersysteme und verwandtes Material zu ergreifen und umzusetzen.
Anhaltende Risiken
Trotz dieser Erfolge bleiben tatsächliche Risiken bestehen. Eines ist eine mögliche Schwächung der sich gegenseitig verstärkenden Verbindung zwischen Abrüstung und Nichtverbreitung. Wenn Iran das Verbot des UN-Sicherheitsrates ignoriert, Atomwaffenfähigkeiten zu entwickeln, und wenn Nordkorea seine Atomwaffen behält, steigt die Wahrscheinlichkeit einer Weiterverbreitung in den Nachbarländern, da das Vertrauen in das Nichtverbreitungsregime sinkt.
Skeptiker in Atomwaffenstaaten, auch in den Vereinigten Staaten, argumentieren, dass weder eine Verringerung der Atomarsenale noch Maßnahmen wie das weltweite Verbot aller Atomtests – der Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (CTBT) – regelwidrig spielende Länder wie Iran davon abhalten werden, nach Atomwaffen zu streben. Diese Kritiker argumentieren weiter, dass sie führende Nicht-Atomwaffenstaaten wie Brasilien oder Südafrika auch nicht davon überzeugen werden, zur Durchsetzung der Nichtverbreitungsregeln zusammenzuarbeiten. Die Geschichte legt nahe, dass diese Sichtweise zu zynisch ist.
Es gibt Mittel, mit denen das Vertrauen gestärkt werden kann. Wenn alle Staaten dem Zusatzprotokoll des NVV zustimmen, hätte die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) die Mittel, wirksamere Inspektionen durchzuführen um sicherzustellen, dass atomares Material und Einrichtungen nicht für andere als friedliche Zwecke verwendet werden. Das wäre insbesondere im Falle Irans wichtig. Durch die IAEA konnten Länder auch neue Regeln zur Verhinderung einer weiteren Verbreitung von Einrichtungen zur Anreicherung von Uran und zur Verarbeitung von Plutonium aushandeln, die das Risiko der Weiterverbreitung erhöhen. Wichtige Nicht-Atommächte wie Brasilien, Südafrika und Ägypten blockieren aber jetzt die Bemühungen, das Zusatzprotokoll für allgemeingültig zu erklären und bei der Bereitstellung von atomarem Brennstoff von nationalen zu internationalen Mechanismen überzugehen. Der Grund dafür ist teilweise, dass sie nicht glauben, dass die bestehenden Atommächte genug für eine ausgeglichenere atomare Ordnung unternehmen.
Vergangene Erfolge zeigen, wie man diese Herausforderungen bewältigen kann. Diesen Erfolgen liegt die Zusammenarbeit der großen Mächte zugrunde. Wenn sich die heutigen globalen Mächte nicht darauf einigen, wie mit der Herausforderung neuer Technologien und neuen Bedrohungen umzugehen ist, wird Weiterverbreitung wahrscheinlicher.
Der Konflikt mit Iran zeigt ganz deutlich, dass die Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten, Russland und China erforderlich ist, um die rechtmäßige Autorität des UN-Sicherheitsrates zur Durchsetzung zu gewährleisten. Russland und China sind eher als die Amerikaner abgeneigt, Länder, die sich nicht an die Regeln halten, mit Sanktionen oder anderen Zwangsmaßnahmen zu belegen. Sie begründen dies teilweise damit, dass die Vereinigten Staaten ihrer Ansicht nach militärische Überlegenheit ihnen gegenüber anstrebten. Durch die Erörterung dieser Bedenken kann der amerikanisch-russische Prozess zur Verringerung der Atomarsenale und der strategische Dialog die Zusammenarbeit fördern und zu einem Konsens für eine härtere Linie gegenüber Ländern führen, die unter dem Verdacht stehen, die Weiterverbreitung zu verfolgen. Die Vereinigten Staaten und China beginnen einen ähnlichen Prozess, der zu einer Zusammenarbeit führen kann, die atomares Wettrüsten und Instabilität in Asien verhindert.
Genauso ist auch die Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten, Russland und China erforderlich, damit der CTBT in Kraft treten und ein Verbot der weiteren Produktion spaltbaren Materials für Atomwaffen ausgehandelt werden kann.
Abrüstung, Nichtverbreitung
Das Verhältnis zwischen Abrüstung und Nichtverbreitung ist weiterhin ausschlaggebend. Wenn bestehende Atomwaffenstaaten ihre Arsenale nicht verkleinern, werden sich wichtige Nicht-Atomwaffenstaaten mit großer Wahrscheinlichkeit gegen strengere Nichtverbreitungsregeln sperren. Wenn diese Waffen weiterhin die Währung von Großmächten bleiben, könnten sich aufstrebende Mächte wie Brasilien, Ägypten, Südafrika und Iran gegen weitere Beschränkungen für deren Erlangung stellen. Auch wenn die Vorteile der atomaren Weiterverbreitung für die Sicherheit umstritten sind (Ist eine Atommacht sicherer, wenn sich ihre Nachbarn bedroht fühlen und selbst atomare Arsenale aufbauen?), erweisen sich Erwägungen der empfundenen Gerechtigkeit und des Nationalstolzes eventuell als politisch verlockender.
Die Verringerung der multilateralen atomaren Arsenale erfordert möglicherweise zunächst einmal die Beendigung von Atomtests und jeglicher Produktion spaltbaren Materials für Waffen. Verträge, mit denen diese Ziele erreicht werden, werden möglicherweise am wirksamsten sein, um Indien, Pakistan und Israel in einen Abrüstungsprozess einzubinden und ihnen das Nichtverbreitungsregime näherzubringen.
Spannungen aufgrund von Kompromissen zwischen Nichtverbreitung, Abrüstung und einem dritten Faktor – dem Atomenergiehandel – verhindern Fortschritte bei den jeweiligen Schritten, die jedes dieser Ziele voranbringen würden und führend dazu, dass es weniger Sicherheit und Wohlstand auf der Welt gibt, als sonst möglich wäre. Ein oder zwei Supermächte können heute nicht länger die Regeln bestimmen. Die Zahl der Staaten, die jetzt zusammenarbeiten müssen – die mit den Vereinigten Staaten, Russland und China erst beginnt – macht es erforderlich, dass ein zufriedenstellendes Ergebnis nicht auf einer Doppelmoral basieren kann. Solange eine kleine Anzahl Staaten Vorteile hat, die sie anderen verwehrt, werden sich die anderen dagegenstellen.
Präsident Obama hat dieses Problem erkannt und daraus die Schlussfolgerung gezogen, dass der Einsatz von Atomwaffen am effektivsten durch die Beendigung ihrer Verbreitung gestoppt werden kann und dass der einzige nachhaltige Weg zur Verhinderung der Verbreitung darin besteht, alle Staaten zum Verzicht auf Atomwaffen zu motivieren, egal wie lange es auch dauern mag, bis dieses endgültige Ziel erreicht wird. Der Präsident sagte in seiner
Rede im April 2009 in Prag: "Einige argumentieren, die Verbreitung dieser Waffen könne nicht kontrolliert, nicht verhindert werden, dass es unser Schicksal sei, in einer Welt zu leben, in der immer mehr Länder und Menschen im Besitz der ultimativen Instrumente der Zerstörung sind. Ein derartiger Fatalismus ist ein tödlicher Gegner, denn wenn wir glauben, dass die Verbreitung von Atomwaffen unausweichlich ist, dann geben wir uns selbst gegenüber zu, dass der Einsatz von Atomwaffen ebenfalls unausweichlich ist."
Um diesen Schrecken zu verhindern, sagte Obama, dass "die Vereinigten Staaten entschlossen sind, sich für den Frieden und die Sicherheit einer Welt ohne Atomwaffen einzusetzen".
Die in diesem Artikel vertretene Meinung spiegelt nicht unbedingt die Ansichten oder Politik der US-Regierung wider.
* Originaltext: Nonproliferation's Contribution
Siehe: http://www.america.gov/st/peacesec-english/2010/February/20100222190554ebyessedo0.5424311.html
Herausgeber: US-Botschaft Berlin, Abteilung für öffentliche Angelegenheiten
http://amerikadienst.usembassy.de/
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