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Neue Studie belegt: Politischer Wille für Abzug der US-Atomwaffen bei der NATO

Kampagne "unsere zukunft – atomwaffenfrei" schreibt an Bundestagsabgeordnete

Eine große Mehrheit der NATO-Mitglieder würde einen Abzug der taktischen US-Atomwaffen befürworten. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie der niederländischen Sektion von pax christi, die heute veröffentlicht wurde. In einer Umfrage bei den ständigen Vertretungen der Staaten in Brüssel haben ForscherInnen entdeckt, dass nur drei der 28 Mitglieder die Atomwaffen beibehalten wollen: Frankreich, Ungarn und Litauen.

Dazu erklärt Xanthe Hall, Sprecherin der Kampagne „unsere zukunft – atomwaffenfrei“: „Diese Studie zeigt uns, dass die vom Bundestag vor einem Jahr beschlossene Position keine Außenseitermeinung darstellt. Sie spiegelt vielmehr die gängige Meinung innerhalb der NATO wider.“ Die Kampagne hat alle Bundestagsabgeordneten zum Jahrestag des interfraktionell verabschiedeten Antrags vom 26. März in einem Brief daran erinnert, ihren Beschluss für den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland und eine reduzierte Rolle der Nuklearwaffen innerhalb der NATO umzusetzen. Von einigen Abgeordneten liegen erste Reaktionen vor.

Laut der Studie verfolgen 14 NATO-Mitglieder aktiv den Abzug der taktischen Atomwaffen aus Europa. Zehn Länder würden einen Konsens darüber nicht blockieren. Die Hälfte der Angefragten hielten diese Atomwaffen für überflüssig und wollten die Lastenteilung in der NATO anders regeln.

Als Voraussetzungen für den Abzug wurden drei Punkte genannt. Sie wurden allerdings nicht als unabdingbar vorausgesetzt:
  1. sichtbare Bündnissolidarität bzw. andere Lastenteilung
  2. Verhandlungen mit Russland über ihre taktischen Atomwaffen und
  3. eine Beendigung der Blockade durch Frankreich.
Die AutorInnen sind daher der Meinung, dass der Abzug der Atomwaffen ein Zwischenschritt sein könnte, um den Stillstand in den Abrüstungsverhandlungen zu überwinden. Sie schlagen vor, dass die „Nukleare Planungsgruppe“ der NATO die USA mandatiert, mit Russland Gespräche über einen Abzug aufzunehmen. Das Ziel der Gespräche wäre, die Russen durch den Abzug zu baldigen Verhandlungen über ihr Arsenal an taktischen Atomwaffen zu bewegen.

Eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Studie ist hier zu lesen: http://bit.ly/fKxfgq

Die vollständige Studie ist in englischer Sprache hier zu lesen: Withdrawal Issues [externer Link, pdf-Datei]


Abzugschancen

Was die NATO-Länder über die Zukunft der taktischen Atomwaffen in Europa sagen

Ergebnisse und Empfehlungen

Eine Zusammenfassung der Ergebnisse und Empfehlungen, die sich aus Gesprächen mit sämtlichen Landesvertretungen bei der NATO sowie mit Angestellten des NATO-Hauptquartiers ergeben haben.

Ergebnisse:
  1. Der politische Wille innerhalb der NATO, die Stationierung taktischer Atomwaffen der US-Regierung in Zukunft zu beendigen, ist hinreichend groß.
    a. Vierzehn (sprich: Die Hälfte) der NATO-Staaten unterstützt das Ende der Stationierung taktischer Atomwaffen aktiv.
    b. Zehn weitere Staaten haben erklärt, ein Konsensentscheidung nicht zu blockieren.
    c. Lediglich drei NATO-Staaten haben sich klar gegen eine Beendigung der Stationierung geäußert.
  2. Es gibt keine einfachen Formeln, mit denen sich die Positionen der einzelnen Staaten akkurat beschreiben lassen.
    a. Es gibt keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen der bisherigen Dauer der jeweiligen Mitgliedschaft bei der NATO und der jeweiligen Position zur Frage der taktischen Atomwaffen.
    b. Ebenso ist offenbar die geographische Nähe zu Russland kein entscheidender Faktor.
    c. Die Mehrheit der Staaten, die am meisten in die nukleare Teilhabe eingebunden sind, wollen die Aufstellung taktischer Atomwaffen beenden.
  3. Die Redundanz der Waffen, der Wunsch nach einer pragmatischerer Lastenverteilung sowie sichtbarer Zeichen von Bündnissolidarität sind die Gründe dafür, dass die meisten NATOStaaten die Stationierung taktischer Atomwaffen beenden wollen.
    a. Die Hälfte der 28 Mitglieder glauben, dass taktische Atomwaffen militärisch und politisch überflüssig sind.
    b. Viele Staaten erkennen an, dass taktische Atomwaffen historisch betrachtet der „Kitt des Bündnisses“ waren. Viele erklären nun, dass sie „nützlichere“ Formen der Lastenverteilung oder „besser sichtbare“ Arten der Bündnissolidarität bevorzugen würden.
    c. Laut etwa der Hälfte der NATO-Staaten wäre ein pragmatischer und nützlicher Weg, die Lastenverteilung innerhalb des Bündnisses zu verändern, die taktischen Nuklearwaffen durch eine Raketenabwehr zu ersetzen. Die andere Hälfte widerspricht dieser Haltung.
    d. Die zuweilen in der Fachliteratur erwähnten Bedenken, das Ende der Stationierung taktischer Atomwaffen in Europa könne die Sicherheitslage beeinflussen, werden von den NATO-Mitgliedern nicht geteilt.
  4. Der Zusammenhalt innerhalb des Bündnisses, das Verhältnis zu Russland und der Widerstand Frankreichs sind die drei hauptsächlichen Problembereiche, die laut den NATO-Staaten der Klärung bedürfen, bevor die taktischen Nuklearwaffen ganz aus Europa entfernt werden können.
    a. Die Abschaffung der nuklearen Teilhabe darf nicht zu einer Schwächung der transatlantischen Beziehungen führen. Sie muss durch andere Formen der Lastenverteilung und sichtbarer Bündnissolidarität ersetzt werden.
    b. Nur sechs Staaten halten Maßnahmen seitens Russlands für eine nötige Bedingung eines eigenen Abzuges der taktischen Atomwaffen. Weitere elf Staaten sagten, sie würde Gegenseitigkeit „bevorzugen“ oder „begrüßen“. Ein Staat hat die Verbindung, die zu russischen taktischen Atomwaffen hergestellt wurde, bedauert.
    c. Zehn Staaten halten eine Blockade durch Frankreich für das größte Hindernis. In den Gesprächen wurde uns keinen klaren Vorschlag präsentiert, wie dieser Widerstand überwunden werden könnte.
  5. Der Prozess der Entscheidungsfindung bezüglich der Zukunft taktischer Atomwaffen steckt momentan in einer Sackgasse. Das strategische Konzept der NATO gibt vor, dass das Bündnis zuerst „darauf abzielen“ muss, eine Einigung mit Russland über beiderseitige Schritte hin zu einem atomwaffenfreien Europa „zu finden“. Russland allerdings weigert sich, über die eigenen taktischen Atomwaffen zu verhandeln, ehe nicht die USA alle taktischen Atomwaffen zurück in die USA verlagert haben. Aus dieser Sackgasse herauszukommen bedarf sorgfältiger Planung verschiedener Akteure in verschiedenen Bereichen.
Empfehlungen an die NATO-Staaten:
  1. Um den gegenseitigen Stillstand mit Russland zu durchbrechen, sollte die NATO die USA damit beauftragen, Russland anzubieten, alle taktischen Nuklearwaffen der USA zurück auf eigenes Gebiet zu verlagern, sofern Russland bereit ist, die Frage der russischen taktischen Atomwaffen in die umfassenden Abrüstungsgespräche in den Jahren 2011 und 2012 mit einzubeziehen. Wir sind der Auffassung, dass es die Nuclear Planning Group (NPG) sein sollte, die die USA damit beauftragt.
  2. Bei den Beratungen der NATO-Mitglieder vor dem Verfassen des Standpunktpapiers der NATO zu Verteidigung und Abschreckung sollte eine besondere Beratungsrunde eingeplant werden. Im Rahmen dieser sollen alle Mitgliedsstaaten die Möglichkeit haben, ihre Bedenken und Vorschläge bezüglich der Bündnissolidarität und transatlantischen Beziehungen miteinander zu teilen.
  3. Es sollte gegenüber Frankreich betont werden, dass dessen besonderer Status als Atomwaffenstaat im Rahmen der Beendigung der Stationierung taktischer Atomwaffen in Europa unangetastet bleibt.



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