Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Enttäuscht nach Gerichtsurteil?

Elke Koller zieht mit ihrer Klage gegen Atomwaffen in die nächste Instanz *


Die 68-jährige Apothekerin im Ruhestand wohnt in der Nähe des NATO-Fliegerhorsts im rheinland-pfälzischen Büchel.

ND: Das Verwaltungsgericht Köln hat Ihre Klage gegen die Lagerung amerikanischer Atomwaffen auf einer Militärbasis in der Eifel abgewiesen. Sind Sie sehr enttäuscht oder steckt man das weg, wenn man seit 15 Jahren protestiert?

Koller: Natürlich bin ich ein bisschen enttäuscht. Zumal die Richter wichtige Gründe für unsere Klage offensichtlich nicht beachtet haben. Aber es war auch nicht sehr wahrscheinlich, dass die unterste Instanz die Bundesregierung verurteilt.

Dafür hat sich das Gericht inhaltlich überraschend deutlich positioniert.

In der Tat hätte ich damit gerechnet, dass das Gericht die Zulässigkeit meiner Klage dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorlegt. Aber es hat die Berufung zugelassen und damit diese Option eröffnet.

Das Verwaltungsgericht widerspricht Ihrem wichtigsten Punkt, wenn es urteilt, die Strategie der nuklearen Abschreckung sei völkerrechtlich zulässig.

Das sehe ich entschieden anders. Der Internationale Gerichtshof hat 1996 erklärt, dass die Anwendung von Atomwaffen, aber auch schon die Abschreckung dem Völkerrecht widerspricht. Wie das Gericht zu seiner Einschätzung kommt, ist aus der Verhandlung jedenfalls nicht hervorgegangen.

Die Kölner Richter meinen auch, beim Thema Atomwaffen hätten normale Bürger nicht mitzureden, dies sei Sache der zuständigen Bundesorgane.

Nach Artikel 25 des Grundgesetzes hat jeder einzelne Bürger das Recht, Völkerrecht einzuklagen. Das Gericht bezieht sich auf uralte Urteile aus den 70er Jahren zu Chemiewaffen und zur Stationierung von Atomraketen. Die stammen aber aus einer Zeit, als die Bundesrepublik ein besetztes Land war. Seit 1990 ist sie aber ein eigenständiger Staat.

Dass US-Atombomben in Büchel lagern, ist bis heute offiziell nicht bestätigt. Warum ist das geheim?

Darüber kann man nur spekulieren, denn in den USA wird über die Atomwaffen in Europa ganz offen informiert.

Die Bundesregierung habe sich vielfach für atomare Abrüstung eingesetzt, loben die Richter. Sie scheinen der Ansicht zu sein, dass die Atomwaffengegner in ihr eher einen Partner als Gegner haben.

Das will ich gar nicht in Abrede stellen. Aber das reicht mir natürlich nicht. Ruhe geben kann man ja erst, wenn die Dinger weg sind.

Ist die Frage der Atomwaffen juristisch überhaupt sinnvoll zu klären? Ist es nicht doch eher eine politische?

Ich will der Bundesregierung die Handlungsfreiheit gar nicht absprechen. Aber sie endet, wo gegen Recht verstoßen wird, und die Lagerung von Atomsprengköpfen in Büchel widerspricht dem 2+4-Vertrag und dem Atomwaffensperrvertrag.

Wie geht es nach dem Urteil jetzt weiter?

Ich habe einen Monat Zeit. Bis August muss unser Berufungsantrag beim Oberverwaltungsgericht Münster eingehen. Wenn nötig, gehe ich bis zum Bundesverfasssungsgericht.

Mit einer Entscheidung ist also nicht so bald zu rechnen.

Die juristische Auseinandersetzung wird sicher ein paar Jahre dauern. Ich hoffe aber, dass die Entscheidung vor 2017 fällt, wenn das Pentagon alle in Europa gelagerten Atomwaffen modernisieren will.

Fragen: Ines Wallrodt

* Aus: Neues Deutschland, 21. Juli 2011


Recht haben und recht bekommen

Überblick: Verfassungsrecht, Klage und Kern der Urteilsbegründung im Atomwaffen-Rechtsstreit

Grundgesetz, Artikel 25:

Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.

Grundgesetz, Artikel 26:

(1) Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.

(2) Zur Kriegsführung bestimmte Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

Dr. Elke Koller klagte auf dieser Grundlage gegen die Bundesrepublik Deutschland und beantragte:
  1. Die Beklagte zu verurteilen, gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika darauf hinzuwirken, daß die auf dem Fliegerhorst Büchel gelagerten amerikanischen Atomwaffen abgezogen werden;
  2. die Beklagte zu verurteilen, alle auf die sogenannte »nukleare Teilhabe« gerichteten Handlungen innerhalb des Bundesministeriums der Verteidigung, innerhalb der Bundeswehr und innerhalb der einschlägigen Stäbe der NATO einzustellen;
  3. hilfsweise zu Antrag 2., die Beklagte zu verurteilen, innerhalb der sogenannten »nuklearen Teilhabe« darauf hinzuwirken, daß die NATO-Strategie zukünftig auf den Einsatz von Atomwaffen – und insbesondere auf den Ersteinsatz von Atomwaffen – verzichtet.

Aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln, das die Klage abwies:

(...) Im Hinblick auf die dramatischen, die weltpolitische Lage bestimmenden Konflikte sowie darauf, daß neben den fünf offiziellen Atommächten USA, Rußland, Frankreich, Großbritannien und China, zugleich die fünf Ständigen Mitglieder im Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen, auch Pakistan, Indien sowie der Iran Atomprogramme betreiben, inzwischen Saudi-Arabien erklärte, an eine Aufrüstung zu denken, und Nordkorea 2003 von der Ratifizierung des Atomwaffensperrvertrages zurücktrat, das nach eigenen Angaben zwei Kernwaffen erfolgreich testete, vermag die Kammer sich dem klägerischen Ansatz, für Deutschland sei eine extreme Selbstverteidigungssituation überhaupt nicht denkbar, nicht anzuschließen.

(2.) Die Klägerin kann sich jedenfalls nicht auf einklagbare subjektive Rechte berufen. Solche sind nicht aus Art. 25 oder 26 GG herzuleiten.

Gemäß Art. 25 GG sind die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebiets. Die hier in Rede stehenden allgemeinen Regeln des Völkerrechts wirken allerdings ausschließlich zwischen den Völkerrechtssubjekten (Außenwirkung). Sie sind nicht, wie etwa das Folterverbot oder das Verbot rassistischer Diskriminierung, individualgerichtet und erzeugen damit nicht über Art. 25 Satz 2 GG einklagbare Rechte für in der Bundesrepublik Deutschland wohnende Einzelpersonen. Der subjektiv-rechtlichen Umformung entziehen sich diejenigen Regeln, die gerade Staaten als Inhaber von Hoheitsgewalt verpflichten. (...)

** Aus: junge Welt, 22. Juli 2011




Zurück zur Seite "Atomwaffen"

Zur Seite "Militärstützpunkte, Standorte von Militäreinrichtungen"

Zur Seite "Friedensbewegung"

Zurück zur Homepage