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Atomwaffengegner verklagen Bundesregierung

IALANA will per Gerichtsverfahren Abzug der letzten Nuklearsprengköpfe auf deutschem Boden erzwingen

Von Johannes Schulten *

In der 1100-Seelengemeinde Büchel in der Eifel liegen die letzten Atomwaffen auf deutschem Boden. Nach offiziell nicht bestätigten Schätzungen soll es sich um zehn bis 20 US-Sprengköpfe des Typs B-61 handeln. Zwar befinden sie sich im Besitz der US-Army. Im Rahmen der sogenannten »Nuklearen Teilhabe« der NATO sind deutsche Soldaten jedoch für die Beladung und die Beförderung zuständig – im Kriegsfall würden sie sogar den Abwurf besorgen. Für Elke Koller ist das verfassungswidrig. Die Apothekerin lebt nur knapp vier Kilometer von Büchel entfernt. Am Dienstag morgen (13. April) reichte sie Klage beim Berliner Verwaltungsgericht gegen die Bundesregierung und das Verteidigungsministerium ein. Sie fordert, die Regierung müsse für den Abzug der Atomwaffen sorgen.

Unterstützt wird sie von den Juristen gegen atomare Waffen (IALANA). Deren Geschäftsführer Rainer Braun erläuterte auf einer am selben Tag abgehaltenen Pressekonferenz, daß Deutschland sich mit der Unterzeichnung des 1970 in Kraft getretenen Atomwaffensperrvertrags (NPT) zum Verzicht auf Nuklearwaffen verpflichtet habe. Nach Artikel 25 des Grundgesetzes seien die Regeln des Völkerrechts, zu der auch der NPT gehört, auch Bestandteil des Bundesrechts. Die in der »Nuklearen Teilhabe« vorgesehene Miteinbeziehung der Bundesregierung in die Planung und Durchführung von Nukleareinsätzen innerhalb der NATO verstoße damit klar gegen das Grundgesetz, so Braun weiter.

Damit sei die Regierung nicht nur verpflichtet, sich bei den USA »ernsthaft« dafür einzusetzen, daß die auf dem Fliegerhorst Büchel gelagerten Atomwaffen abgezogen werden«. Sie müsse auch »alle auf die sogenannte ›Nukleare Teilhabe‹ gerichteten Handlungen innerhalb des Bundesministeriums der Verteidigung, innerhalb der Bundeswehr und innerhalb der einschlägigen Stäbe der NATO einstellen«, heißt es in der Klageschrift.

Warum bisher niemand auf die Idee gekommen war, dagegen gerichtlich vorzugehen, hat für Peter Becker, der Frau Koller bei ihrer Klage vertritt, einen einfachen Grund. »Bis vor kurzem hatten wir keine Ahnung, daß das Grundgesetz bei Verstößen gegen Artikel 25 die Möglichkeit der Individualklage bietet«. Darauf sei man vor etwa zwei Jahren in einem völlig anderem Kontext gestoßen. Nachfragen bei führenden Staatsrechtlern hätten jedoch ergeben, daß diese Interpretation der »herrschenden Lehrmeinung entspräche«.

Die Chancen, daß das Verwaltungsgericht im Sinne der Kläger entscheide, schätzt Becker als »relativ gut« ein. Im Unterschied zum Bundesverfassungsgesetz hätten Verwaltungsgerichte nicht die Möglichkeit, Klagen abweisen. Außerdem seien hier die Richter in der Regel eher bereit, politisch heikle Entscheidungen zu treffen. Mit etwas Glück könne es schon im Herbst zu einer mündlichen Verhandlung kommen.

* Aus: junge Welt, 15. April 2010


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