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"Deutschland ist Übungsplatz für US-Soldaten"

Juristen kritisierten in Berlin Missachtung des Völkerrechts und forderten nukleare Abrüstung

Von Nissrine Messaoudi *

Trotz zahlreicher Proteste sind in Rheinland-Pfalz immer noch US-amerikanische Atomwaffen stationiert. Während der Konferenz »Frieden durch Recht?« der Deutschen Sektion der IALANA am Freitag und Samstag (26./27. Juni) in Berlin, forderten Juristen die Abschaffung aller atomarer Waffen.

Sie sind eine existenzielle Bedrohung nicht nur für die Menschheit, sondern für das gesamte Leben auf der Erde. Die Rede ist von Atomwaffen. Neun Länder haben sie. Eine zunehmende Zahl von Staaten strebt nach atomarer Aufrüstung. Der Umgang mit dieser Gefahr ist eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Das weiss auch die International Association of Lawyers Against Nuclear Arms (IALANA) und diskutierte mit Juristen, Friedensaktivisten und Politikern am Freitag und Samstag in Berlin, wie Recht zum Frieden beitragen könnte.

Das Ziel, das die Juristinnen und Juristen verfolgen, ist die »weltweite wirksame Ächtung aller Massenvernichtungswaffen und eine kernwaffenfreie Welt«. Naiv sind die Juristen aber keineswegs. Dass Recht Frieden bewirken könne, glauben sie nicht, »aber es ist für Frieden unverzichtbar«, sagte der Vorsitzende der deutschen IALANA, Peter Becker am Freitagabend. Die geschaffene UNCharta nach dem zweiten Weltkrieg sei eine bedeutende Errungenschaft. Das darin enthaltene Völkerrecht beispielsweise trage dazu bei, Frieden zu erhalten und das Leid der Zivilbevölkerung bei Kriegseinsätzen auf ein Minimum zu reduzieren. Leider sehe die Realität aber ganz anders aus. Das Völkerrecht werde missachtet. Und zwar auch von Deutschland.

»150 Flugzeuge fliegen täglich von Rammstein ab. Deutschland ist nichts anderes als ein Truppenübungsplatz für US-Soldaten«, so Becker. Somit unterstütze die BRD den Krieg in Irak. Außerdem werde der Artikel VI von Deutschland und den Atommächten missachtet, der die Verpflichtung aller Staaten vorsieht, sich für eine nukleare Abrüstung einzusetzen. Der Atomwaffensperrvertrag - der 1970 in Kraft getreten ist - wurde von den fünf Atommächten USA, Russland, Frankreich, Großbritannien und Volksrepublik China und mittlerweile von 184 Staaten ohne Atomwaffen unterzeichnet. Lediglich vier Nationen sind derzeit nicht Mitglied: Indien, Israel, Nordkorea und Pakistan.

»Das Problem des Vertrages ist, dass er Ungleichheit zwischen den offiziellen Atommächten und den atomwaffenfreien Staaten schürt«, kritisierte der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Gregor Gysi, der zur Diskussionsrunde »Überlegungen politischer Köpfe« am Freitagabend geladen war. Während den atomwaffenfreien Staaten der Besitz atomarer Waffen verboten werde, seien die Atommächte nicht bestrebt, ihre Abrüstungsverpflichtung umzusetzen. Verstärkt werde diese Ungleichheit dadurch, dass die im Vertrag festgelegten Atomwaffenstaaten zugleich ständige Mitglieder im UNO-Sicherheitsrat sind, die ein Vetorecht haben. »Da stellt sich doch die Frage, wie glaubwürdig die Atommächte sind, anderen Staaten Vorschriften über ihre Bewaffnung zu machen«, so Gysi weiter. Auch der SPD-Abgeordneter Hermann Scheer sah das ähnlich. »In den letzten Jahren haben neben Deutschland die zwei Atommächte Frankreich und Großbritannien mit Iran Verhandlungen im Atomkonflikt geführt. Gleichzeitig bestehen sie aber selbst darauf, ihre Atomwaffen zu behalten. Das ist eine Doppelmoral«, monierte Scheer.

Einig waren sich alle Anwesenden darüber, dass die bestehenden Normen des Völkerrechts unverzichtbar seien. »Was wir brauchen ist ein moralischer Umgang mit dem Völkerrecht. Und auch einen neuen Umgang mit Atomwaffen«, erklärte Gysi.

Auch die Vorschläge der IALANA gingen in die gleiche Richtung. Die Organisation fordert nämlich alle Regierungen auf, sich dem Völkerrecht zu unterwerfen und angesichts der 2010 stattfindenden Konferenz zur Überprüfung des Atomwaffensperrvertrages »ernst zu machen und ihre eigenen Nuklearwaffen zu vernichten«, sagte Peter Becker.

Wie man die Ziele allerdings umsetzen könnte und wie künftig mit derartigen Verstößen umzugehen ist, konnte auch an diesem Abend nicht beantwortet werden.

* Aus: Neues Deutschland, 29. Juni 2009


"Neue Dynamik in Diskussion über atomare Abrüstung"

Kongreß in Berlin: Internationale Anwältevereinigung strebt Gründung eines Netzwerks an. Gespräch mit Reiner Braun **

Reiner Braun ist Geschäftsführer der Deutschen Sektion der »International Association of Lawyers Against Nuclear Arms« (IALANA) - auf deutsch: »Internationale Vereinigung von Anwälten gegen Nuklearwaffen«

Frieden durch Recht?« hieß eine internationale Tagung der internationalen Anwälte-Vereinigung IALANA am Wochenende in Berlin. Haben die Teilnehmer eine Antwort auf diese Frage gefunden?

Nein, wir haben aber überlegt, welche Rolle das internationale Recht bei der Friedenssicherung spielen und wie man dieses Thema stärker in die Öffentlichkeit bringen kann. Unser Ausgangspunkt dabei ist, daß die großen imperialen Mächte dieser Welt das Völkerrecht permanent verletzen - Stichworte: Jugoslawien, Irak, Afghanistan.

Gibt es ein konkretes Ergebnis dieser Tagung?

Ja, nämlich daß wir ein Netzwerk bilden wollen aus Organisationen der Friedensbewegung und -forschung, aus Institutionen der Zivilgesellschaft und der Universitäten. Zweitens wollen wir ein Curriculum für Universitäten zum Thema »Frieden durch Recht« entwickeln. Und drittens wollen wir uns weiter an der Friedensbewegung beteiligen. Wir hatten 180 Teilnehmer - das war der größte friedenspolitische Kongreß, den die IALANA und die mit ihr verbundenen Gruppen organisiert haben.

Gibt es dafür schon organisatorische Strukturen?

Die Federführung für das angestrebte Netzwerk liegt zur Zeit bei IALANA, die Gründungsveranstaltung wird nach der parlamentarischen Sommerpause stattfinden - entweder in Berlin oder in Bochum.

Welche politische Wirkung könnte es denn haben, wenn sich Rechtsexperten darüber austauschen, wie die Welt zum Besseren gewendet werden kann? Oder konkret: Interessiert es einen der politischen Entscheidungsträger überhaupt, was eine Handvoll Akademiker fordert?

Das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag zur Völkerrechtswidrigkeit von Atomwaffen hat sicher zu einer solchen Verbreiterung der Bewegung gegen die Atombewaffnung beigetragen, daß sich sogar der jetzige US-Präsident Barack Obama mit diesem Thema befaßt. Bei der IALANA ist es ähnlich wie bei anderen Nichtregierungsorganisationen: Ob ihre Aktivitäten wirksam sind, stellt sich nur langfristig heraus. Sie geben Impulse.

Was der US-Präsident sagt, hat immer ein propagandistisches Ziel - ist also mit Vorsicht zu genießen. Wie ernst meint er es Ihrer Ansicht nach?

Wir haben ein Kriterium entwickelt, mit dem sich die Ernsthaftigkeit solcher Vorstöße messen läßt. Die für das kommende Jahr angesetzte internationale Konferenz zum Atomwaffen-Sperrvertrag soll einen Arbeitsauftrag für den Beginn sofortiger Verhandlungen über eine Nuklearwaffenkonvention vergeben. Wenn Obama es ernst meint, muß er sich darauf einlassen.

»Atomare Abrüstung« klingt erst einmal gut. Da die USA aber in der konventionellen Rüstung weit überlegen sind, wären Staaten wie Rußland schutzlos, wenn sie auf Atomwaffen verzichten.

Der russische Präsident Dmitri Medwedew hat erklärt, daß sein Land am Ziel einer atomwaffenfreien Welt festhält - allerdings mit der Einschränkung, daß die USA auf ihre Raketenabwehrprogramme verzichten. Rußland hält außerdem daran fest, daß parallel Verhandlungen über die Abrüstung konventioneller Militärtechnik laufen müssen.

Jedenfalls hat die Diskussion über atomare Abrüstung durch Obamas Ankündigung eine neue Dynamik bekommen. Die müssen wir uns jetzt nutzbar machen, wir müssen sie einklagbar machen. Der allererste Schritt wäre natürlich der Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland. Das kann der US-Präsident sofort anordnen, ohne daß er die Zustimmung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) braucht. Ich glaube, daß Obama für eine kritische Diskussion über Atomwaffen offener ist als die deutschen Konservativen.

Wie schätzen Sie den parlamentarischen Widerstand gegen die weitere Stationierung von Atomwaffen in Deutschland ein? Die Ablehnung geht ja bis weit in die CDU/CSU hinein.

Es gibt eine formale, aber leider keine politische Parlamentsmehrheit. Das wird eine Aufgabe der nächsten Legislaturperiode sein, das zu ändern. Auf jeden Fall wollen wir die außerparlamentarischen Kräfte stärken, da müssen wir noch vieles aufholen - gerade in der Berufsgruppe der Juristen.

Interview: Peter Wolter

** Aus: junge Welt, 29. Juni 2009


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