Vollständige Abrüstung notwendig
Friedensbewegung fordert Abzug der US-Atombomben aus Fliegerhorst Büchel
Von Ralf Wurzbacher *
Mit vielfältigen Veranstaltungen im ganzen Bundesgebiet erinnert die
deutsche Friedenbewegung vom heutigen Mittwoch bis zum Wochenende an die
Opfer der Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki vor 63 Jahren.
Angesichts der aktuellen Bedrohung durch weltweit Tausende
einsatzbereiter Atomwaffen fordern der Bundessausschuß Friedenratschlag
sowie die Kampagne »unsere zukunft – atomwaffenfrei« die vollständige
Abrüstung und als ersten Schritt den Abzug aller auf deutschem Boden
lagernden Atomwaffen. In diesem Zusammenhang mobilisieren Aktivisten
seit Monaten zu einer Großdemonstration am 30. August nach Büchel in der
Eifel. Auf dem nahegelegenen Fliegerhorst der Bundeswehr verwahrt die US
Airforce vermutlich noch 20 Atombomben.
Nach neuesten Erhebungen umfassen die Arsenale der Atommächte heute rund
26000 nukleare Sprengköpfe, so Peter Strutynski vom Kasseler
Friedenratschlag. Dies stelle einen »eklatanten Verstoß« gegen den vor
40 Jahren unterzeichneten Atomwaffensperrvertrag dar, erklärte er
gegenüber jW. Man wolle den runden Jahrestag bei den anstehenden
Gedenkveranstaltungen deshalb zum Anlaß nehmen, die Diskrepanzen
zwischen Anspruch und Wirklichkeit herauszustreichen. Das 1968 von den
damals fünf Atommächten unterzeichnete und heute von knapp 190 Staaten
anerkannte Abkommen verpflichtet die Beteiligten zur schrittweisen
Reduzierung der Bestände und zur Nichtverbreitung der Technologie.
Der Vereinbarung zum Trotz sind die Kontingente größer, die Atommächte
mehr und die Techniken zerstörerischer geworden. Der Friedenratschlag
verweist insbesondere auf die Entwicklung sogenannter Mini-Nukes und
bunkerbrechender Atomwaffen, wie sie die USArmy im »Kampf gegen den
Terror« einsetzen will. Die kleinsten dieser Waffen hätten »immer noch
etwa so viel Sprengkraft wie die Hiroshima-Bombe«, heißt es in einer
Erklärung. Die Bombenabwürfe über Hiroshima am 6. und über Nagasaki am
9. August 1945 löschten in kurzer Zeit 200000 Menschenleben aus,
Unzählige erlitten grausame Verletzungen und noch heute sterben
Betroffene an den Spätfolgen der nuklearen Strahlung.
Strutynski warnte im jW-Gespräch vor einer »neuen atomaren
Aufrüstungsspirale«. Angesichts immer kleinerer, vermeintlich
hochpräzise wirkender Sprengkörper sinke die Hemmschwelle, die Waffen
einzusetzen. Außerdem strebten »atomare Habenichtse« verstärkt nach der
Bombe, je mehr vor allem die USA mit dem Ersteinsatz von Atomwaffen
liebäugeln. »Die Großmächte müssen endlich mit ernsthaften
Abrüstungsschritten beginnen, dann nehmen auch die Begehrlichkeiten der
Kleinen ab«, mahnte Strutynski.
Mit großer Sorge beobachtet Tobias Pflüger, Mitglied der Linksfraktion
im Europaparlament, die Renaissance der »zivilen« Atomenergie, »nicht
nur wegen der Unmengen an strahlendem Atommüll«. Damit wachse immer auch
die Gefahr einer militärischen Nutzung, äußerte er am Dienstag.
Atomwaffen seien zu einem »integralen Bestandteil der Militärplanung
insbesondere westlicher Staaten geworden«. Pflüger verwies auf
Äußerungen fünf hoher NATO-Generäle sowie des Briten Robert Cooper, der
den EU-Außenbeauftragten Javier Solana berät. Sie alle hätten den
Ersteinsatz von Atomwaffen auch gegen atomwaffenfreie Länder entweder
gefordert oder immerhin erwogen. Auch auf wiederholtes Nachfragen im
Auswärtigen Ausschuß und im EU-Plenum habe sich Solana nicht von dieser
Haltung distanziert.
Deutschland selbst mischt über die sogenannte »nukleare Teilhabe« in der
Atomwaffenpolitik der USA mit. Mit Einverständnis der Bundesregierung
bunkert die US-Armee im rheinland-pfälzischen Büchel wahrscheinlich 20
Atomsprengköpfe. Erst kürzlich waren Ergebnisse einer internen Studie
der US-Luftwaffe an die Öffentlichkeit gedrungen, wonach ihre
europäischen Atomwaffenlager nicht den minimalen
Sicherheitsanforderungen des Pentagon entsprechen.
Die von knapp 50 Initiativen und Verbänden unterstützte Kampagne »unsere
zukunft – atomwaffenfrei« warnt entsprechend auch vor einem »Atomkrieg
aus Versehen« und ruft für den 30. August unter dem Motto »Vor der
eigenen Türe kehren« zur Großdemo nach Büchel. Das Bündnis verlangt den
Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland bis 2010. Abgesehen von der Union
unterstützen alle der noch im Bundestag vertretenen Parteien diese
Forderung.
* Aus: junge Welt, 6. August 2008
Appell für eine Welt ohne Nuklearwaffen
Auch heute, im 21. Jahrhundert, werden Frieden und Sicherheit der Welt
von 26000 nuklearen Waffen bedroht. Wie die Tragödien von Hiroshima und
Nagasaki beweisen, vernichten nukleare Waffen blitzartig unzählige
Leben, foltern künftige Generationen und ruinieren Zivilisationen.
Die Hibakusha – die Überlebenden der Atombomben – werden nicht müde
darauf hinzuweisen, dass die Menschheit nicht gleichzeitig mit nuklearen
Waffen existieren kann. Wir dürfen nie wieder Opfer nuklearer Waffen
zulassen. Im Namen der Menschheit und für die Zukunft unserer Kinder:
Lasst uns durch unsere Aktionen und unsere Aktivität eine Welt ohne
nukleare Waffen schaffen!
Angesichts der für 2010 einberufenen NPT-Konferenz (Nuclear
Non-Proliferation Treaty – Atomwaffensperrvertrag) rufen wir die
Nuklearmächte auf, die einmütigen Erklärungen vom Mai 2000 zu beherzigen
und die nuklearen Waffen zu eliminieren.
Wir rufen die Staaten, die Nuklearwaffen besitzen, und alle anderen
Regierungen auf, sich zu Verhandlungen mit dem Ziel eines Vertrages zu
verpflichten, durch den ohne Verzögerung nukleare Waffen verbannt und
vernichtet werden.
Dieser Appell wurde am 6. August in Hiroshima offiziell verlesen mit
dem Ziel, darunter Millionen von Unterschriften zu sammeln, die im
Frühjahr 2010 in New York zu Beginn der Konferenz über den sogenannten
Atomwaffensperrvertrag überreicht werden sollen.
Atomares Inferno
Am 6. August 1945 zündeten die USA über Hiroshima die erste Atombombe.
Zum Jahrestag treffen sich in der japanischen Großstadt
Friedensaktivisten aus aller Welt
Von Manfred Sohn, Hiroshima *
Sonnig und schwül ist es im August in Hiroshima. Das war so 1945, als
die USA diese Stadt, die sie bis dahin als einzige japanische Großstadt
von Luftangriffen verschont hatten. Als dort am 6. August um 8.15 Uhr in
580 Meter Höhe die erste Atombombe gezündet wurde, verloren innerhalb
des Bruchteils einer Sekunde rund 100000 Menschen ihr Leben. Weitere
40000 starben unter fürchterlichen Qualen bis Ende jenes Jahres. Seitdem
kommen jedes Jahr 5000 bis 10000 Opfer hinzu, die an Leukämie oder Krebs
litten. Die Bombe, die damals gezündet wurde, tötet bis heute.
Seit 1954 ruft das japanische Friedenskomitee jeweils zum Jahrestag des
Atombombenabwurfs zu einer mehrtägigen Friedenskonferenz auf, die
zunächst in Hiroshima, dann in Nagasaki stattfindet, auf das die USA
drei Tage später, am 9. August 1945, eine zweite Bombe abgeworfen
hatten. Die Konferenz besteht aus drei Teilen. Zunächst versucht eine
internationale Versammlung, die wichtigsten Aufgaben abzustimmen, um
trotz aller Widerstände dem Ziel einer Welt ohne Atomwaffen
näherzukommen. In einem zweiten Schritt wird die Konferenz erweitert um
Vertreter von Friedensgruppen aus ganz Japan – dieses Jahr weit über
6000. Höhepunkt ist eine Großkundgebung am Morgen des 6. August.
Diese Tage von Hiroshima sind traditionell ein Jahrestreffen von
Abgesandten aus Friedensiniativen der ganzen Welt – dieses Jahr sind 32
Länder vertreten. Besonders herzlich begrüßt wurden Vertreter von sieben
Regierungen, die sich für eine atomwaffenfreie Welt stark nachen – unter
anderem aus Venezuela, Kuba, Ecuador, Ägypten und Norwegen.
Die gegenwärtige Situation wurde sowohl im Plenum als auch in den
Arbeitsgruppen als hoch widersprüchlich eingeschätzt. Einerseits breitet
sich nahezu weltweit die Erkenntnis aus, daß nukleare Waffen eliminiert
werden müssen. Die Zahl der Staaten, die sich für atomwaffenfrei
erklären, wächst. Gleichzeitig hat im letzten Jahrzehnt auch die Zahl
der Staaten zugenommen, die Atomwaffen besitzen. Und die USA haben sich
mehrfach öffentlich zu ihrem angeblichen Recht auf einen atomaren
Erstschlag bekannt – selbst gegenüber Staaten wie Iran, die gar keine
solche Waffen besitzen. Die reale Gefahr, daß ganze Städte wie Hiroshima
im atomaren Inferno untergehen, ist also seit dem Ende des Kalten
Krieges nicht geringer, sondern größer geworden.
Die Massenmobilisierung außerhalb Japans wird durch zwei Probleme
erschwert. Zum einen verschwinden die Zeitzeugen, die die Mahnungen der
Geschichte authentisch weitergeben können. Anders als in Japan, wo das
Andenken auch von offizieller Seite gepflegt wird, ohne das die
tausendfache Teilnahme an den jährlichen Hiroshima-Konferenzen schwer zu
erklären wäre, verlischt in vielen Ländern langsam die Erinnerung an das
Grauen von Hiroshima und Nagasaki. Zweitens konzentrieren sich – völlig
verständlich – die meisten Friedensgruppen auf die aktuellen Bedrohungen
des Friedens: In den USA ist es der Krieg im Irak, in Deutschland der
Krieg in Afghanistan.
Es besteht daher weltweit große Einigkeit: Es muß der Bewegung gegen
Atomwaffen gelingen, sich noch stärker als bisher mit anderen
humanistischen Initiativen zu verbinden. Das beschränkt sich nicht auf
die Friedensgruppen – große Hoffnung richtet sich hier in Hiroshima auf
die weltweite Gewerkschafts-, Frauen- und Ökologiebewegung. Es ist eine
Art verzweifelte Hoffnung. Jeder hier weiß: »Time is running out.« Eine
Welt, deren Bereitschaft zum Krieg wächst und gleichzeitig 26000
Atomwaffen besitzt, wird irgendwann eine von ihnen einsetzen. Wer
beharrlich Hiroshimas jährliche Warnung überhört, den wird Hiroshimas
Schicksal ereilen.
* Aus: junge Welt, 6. August 2008
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