Hanau: Probleme wegkaufen? - Nicht zeichnen!
Die "FriedensTreiberAgentur" kritisiert 50-Millionen-Kampagne
Wenig Begeisterung hat die IPPNW-Aktion "Hanau selber kaufen" bei Wolfgang Kuhlmann ausgelöst, der seit geraumer Zeit den in der Regel täglich herausgegebenen Newsletter der "FriedensTreiberAgentur" (FTA) herausgibt und im Düsseldorfer Friedensforum mitarbeitet. Wir dokumentieren im Folgenden seinen Beitrag.
Atomkraft ist schädlich und verzichtbar: zivil und militärisch. Die
Hanauer Atomfabrik ist militärisch und zivil nutzbar. Die Hanauer
Atomfabrik ist deswegen auch ein Thema für FTA.
Einem Problem stellt man sich bei einem Einzelfall. Dann kommt die
Tücke vieler Probleme ins Spiel: man verliert seine generelle Linie
und seine eigenen Handlungsmöglichkeiten aus dem Auge. Was in der
Vergangenheit gelegentlich erfolgreich war, läßt sich nicht unbesehen
übertragen, weil die Voraussetzungen andere waren.
Das aktuelle Einzelproblem ist die Hanauer Atomfabrik, die für 50 Mio
EURO an China verkauft werden soll. Eine Initiative von IPPNW und
anderen will jetzt 50.000.001,0 EUR aufbringen um sie selbst zu
verkaufen und Umwelt sichernd zu entsorgen. Zahlreiche Promis
unterstützen die Kampagne bereits. Es ist zu unterstellen, das diese
Summe aufgebracht werden wird. Auf den ersten Blick sieht es sehr
bestechend aus. Doch dann...
Doch was passiert - streng lösungsimmanent - dann?
-
Variante 1:
China legt legt den symbolischen Cent drauf. Dann erhöhen "wir",
dann China ... Es ist auszurechnen, wann "uns" die Luft ausgeht,
selbst wenn es anfangs noch verfügbare Reserven durch vielleicht
Zusagen oder Bürgschaften gibt.
-
Variante 2:
Siemens pfeift drauf, wieviel Geld "wir" zahlen wollen. Es
verkauft für die geplanten 50 Mio EUR an China, auch wenn wir 100
Mio EUR bieten könnten. Es kann sich für Siemens
geschäftspolitisch durchaus rechnen, an China auch für einen
"Dumping-Preis" zu verkaufen. *Dadurch* kann es fette
Folgegeschäfte auf allen möglichen Sektoren geben. Mit solchen -
vielleicht vagen - Aussichten lassen sich auch Aktionäre ganz
bequem abfüttern. Sie vertrauen auch sonst darauf, daß andere für
sie den Mehrwert erschuften.
Ergebnis: China bekommt die Anlage und nutzt fleißig die Technologie.
Vorbild dieser Kampagne wird das Modell aus der Vergangenheit sein,
kritische Grundstücksparzellen zu kaufen, um dadurch ein für die
Umwelt schädliches Projekt zu verhindern. Dies ließ sich leicht
bewerkstelligen, weil die alten Eigentümer häufig Sympathisanten waren
(und nur keine Lust auf Streß mit allen möglichen Behörden hatten)
oder rechtzeitig "unerkannt" gekauft werden konnte. Dann kam es nur
darauf an, das günstig Erworbene schlicht zu behalten.
Doch hier gibt es einen unwilligen "Alteigentümer", der zudem kein
Sympathisant ist, sondern entsprechend den Marktgesetzen agiert.
Wenn wir uns auf dieses (Lösungs-)Spiel einlassen, sind wir im
wahrsten Sinne des Wortes selbst verkauft: es wäre eine Illusion zu
glauben, die Anti-AKW-Bewegung, die Friedens- oder eine sonstige
Bewegung könnte die ökonomische Macht eines Nation- oder gar
Global-Player übernehmen. Abgesehen davon, daß die Finanzreserven
nicht so satt sind: wer mit den Wölfen heult, muß sich hüten, selbst
einer von ihnen zu werden.
Es gibt bereits einen weiteren Ansatz marktökonomischer Art: den seit
einigen Jahren wegen anderer Problemfelder laufenden Siemens-Boykott:
www.siemens-boykott.de
Auch er ist letztlich als gescheitert zu betrachten. Auch er vermochte
dieses Hanau-Geschäft nicht zu behindern.
Zu loben bleibt dennoch die ausgezeichnete Informationspolitik, die der
IPPNW hiermit wie auch in vielen anderen Belangen betreibt!
Übersehen wird von IPPNW - aus welchen Gründen auch immer - daß es
eine ganz einfache Lösung für das Hanau-Problem gibt: die Politik.
Die Rüstungsexport-Richtlinien, die die Bundesregierung 2000 selbst
geschaffen hat, bieten ausreichend Möglichkeit, das Hanau-Geschäft zu
verhindern und Siemens wegen Unverkäuflichkeit selbst zum Verschrotten
zu bewegen. Es handelt sich bei der Atomanlage um ein Dual-Use-Objekt
(zivil und militärisch nutzbar) und so etwas darf nicht ohne einen
Blick auf die Menschenrechte exportiert werden. Zudem hat die EU
beispielsweise ein Rüstungsexport-Embargo bzgl China empfohlen.
Die Lösung liegt schlicht darin, der verkaufslüsternen Regierung, mit
dem Kanzler an der Spitze, mit aller Deutlichkeit klar zu machen, daß
sie für einen Verkauf an China einen derart hohen *politischen* Preis
zu zahlen hat, daß er sich politprofit-orientiert nicht lohnt.
Auf diesem Gebiet können die Verkaufsgegner, sprich: wir, auch
genügend bieten. Schließlich sind bei den Atomfabrik-Sponsoren sehr
viele Menschen und Organisationen mit politischem Gewicht dabei, sogar
MdBs, die in der Vergangenheit auf dem Feld der friedenserhaltenden
Politik versagt haben. Es wäre ihre Bewährungschance, eine Möglichkeit
für Hermann Scheer (SPD), Hans-Christian Ströbele (Grüne), Andrea
Nahles (SPD), Hans-Josef Fell u.a. Nichts fürchtet Schröder so sehr
wie den Verlust des Fetischs Macht.
Die Politik als mögliches Aktionsfeld erscheint bei IPPNW überhaupt
nicht, da dann die Sammelaktion nicht mehr als praxisrelevant zu
erkennen gewesen wäre. Die politische Lösung wird dafür als nicht mehr
erreichbar dargestellt.
Wenn nicht bekannt wäre, daß die IPPNW eine parteipolitisch
unabhängige und sich nicht bindende Organisation wäre, könnte man in
Versuchung kommen, die Aktion für einen Werbegag zugunsten im
Superwahljahr (14 Stück?) bedrohte Rot-Grüne zu halten.
Den Schwarzen Peter hätte in diesem Spiel nie die einmal mehr duldende
(ähnlich wie im Irak-Krieg) Bundesregierung, sondern stets der
böse-böse-böse Siemens-Konzern.
Jede Regierung sollte - das ist Recht und Pflicht zugleich - die
Verantwortung für ihr Handeln tragen. Geben wir also Schröder dieses
Recht und entlassen wir ihn nicht aus der Pflicht.
Deshalb: Nicht zeichnen!
Druck mit Politik und auch direkter Aktion machen!
Ebenfalls mit guten Gründen kritisch zur IPPNW-Aktion:
Peter Strutynski bei Bundesausschuß Friedensratschlag:
"Geld statt Politik? - Ein Kommentar zwischen Karneval und 1. April"
Unter gleicher URL findet man auch die Presse-Information aus der taz
sowie einen gewogenen Kommentar in gleicher Zeitung.
Die Rüstungsexport-Richtlinien sind hier:
Rüstungsexport-Richtlinien 2000
Die Site der IPPNW-Initiative hat ebenfalls einen eigenen
Netz-Auftritt:
www.hanauselberkaufen.de
Als boshafter Spötter könnte man natürlich empfehlen, das Angenehme
mit dem Nützlichen, die Kaufkampagne mit der Politik zu verbinden und
das gesammelte Vermögen in Beraterverträge für MdBs zu investieren.
Und wenn man noch ein Schüppchen drauf legt... 100 Mio könnten für
vielleicht 100 Lobbyisten reichen?
Aber MdBs gehorchen bekanntlich ja nur ihrem Gewissen und ihrem
Kanzler. Der letzte wird der erste sein.
Wolfgang Kuhlmann
Quelle: FTA Newsletter vom 28. Februar 2004
Siehe: http://friedenstreiberagentur.de
Zum selben Thema siehe auch:
"Wir kaufen Hanau"
Presseinformation der IPPNW - Und ein Kommentar: "Geld statt Politik?" (27. Februar 2004)
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