Atomwaffen sind nach dem Völkerrecht zu verbieten
"Ein ausdrücklicher Atomwaffenverzicht im Grundgesetz hätte eine klarstellende Wirkung"
Von Bernd Hahnfeld, IALANA*
No justice without peace
no peace without justice
Die Frage nach den Atomwaffen ist nicht nur eine politische,
ökonomische oder militärische Angelegenheit. Sie hat auch eine
rechtliche Seite. Die Frage, die sich Politiker leider viel zu selten stellen: "Dürfen
wir das überhaupt?" ist eindeutig zu beantworten: Nein, sie dürfen
nicht!
Sie dürfen Atomwaffen weder stationieren noch einer Stationierung
zustimmen oder sie dulden, sie dürfen deutsche Soldaten den
Atomwaffeneinsatz nicht üben lassen, sie dürfen nicht an
Einsatzbefehlen mitwirken und sie dürfen deutsche Soldaten nicht an
Einsätzen beteiligen. Sie dürfen noch nicht einmal im Rahmen der NATO
an der Nuklearstrategie mitwirken.
Woraus ergibt sich das? Aus dem Völkerrecht und aus dem deutschen Recht.
Völkerrecht ist Völkergewohnheitsrecht und Völkervertragsrecht.
Das zugrundeliegende Völkergewohnheitsrecht ist nach Art. 25 GG
vorrangiges Bundesrecht. Art. 25 GG hat folgenden Wortlaut:
„Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des
Bundesrechts. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und
Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.“
Die zugrundeliegenden völkerrechtlichen Verträge sind durch
Ratifizierungen innerstaatliches Recht geworden.
Das Völkergewohnheitsrecht verbietet im humanitären Kriegsvölkerrecht
zwingend die Verwendung von Waffen,
-
die nicht unterscheiden zwischen kämpfender Truppe (Kombattanten) und
der Zivilbevölkerung,
- die unnötige Grausamkeiten und Leiden verursachen und
- die unbeteiligte und neutrale Staaten in Mitleidenschaft ziehen.
Das können die existierenden Atomwaffen nicht, auch nicht die
biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen.
Für die Atomwaffen hat das der Internationale Gerichtshof in Den Haag
in seinem auf Ersuchen der UN-Generalversammlung erstatteten Gutachten
vom 8.7.1996 unzweideutig festgestellt: ... die Androhung und der
Einsatz von Atomwaffen verstößt generell/grundsätzlich gegen die
Prinzipien und Regeln des humanitären Kriegs-Völkerrechts.
Offengelassen hat der IGH lediglich die Völkerrechtswidrigkeit im Falle
einer existenzgefährdenden extremen Notwehrsituation. Aus der IGH-Entscheidung ergibt sich jedoch, dass selbst im Falle einer extremen Notwehrsituation, in der das Überleben eines Staates auf dem
Spiel steht, ein etwaiger Atomwaffeneinsatz allenfalls dann
völkerrechtsgemäß sein könnte, wenn er die zitierten Prinzipien und
Regeln des humanitären Kriegsvölkerrechts beachten könnte:
-
die Unterscheidung zwischen Soldaten und Zivilbevölkerung,
- keine Verursachung unnötiger Leiden und
- keine Mitleidenschaft unbeteiligter und neutraler Staaten.
Der IGH hat in dem Gutachten erklärt, dass keiner der Staaten, die in
dem Verfahren für die Rechtmäßigkeit des Atomwaffeneinsatzes
eingetreten sind, Bedingungen dargelegt hat, unter denen ein Einsatz
gerechtfertigt sein könnte.
Wenn der Einsatz und die Drohung mit dem Einsatz rechtswidrig sind,
sind auch Herstellung, Transport und Stationierung dieser Atomwaffen
nicht zu rechtfertigen. Denn all das dient der Vorbereitung des
Einsatzes und der Drohung damit.
Hingewiesen sei noch darauf, dass die „nukleare Teilhabe“ Deutschlands,
d.h. die Beteiligung deutscher Soldaten und Flugzeuge an einem etwaigen
Atomwaffeneinsatz, gegen den Atomwaffensperrvertrag und gegen den
2+4-Vertrag verstößt, weil damit deutsche Hoheitsträger die
Verfügungsgewalt über Atomwaffen erhielten.
Vielleicht haben Sie eine Antwort darauf, was unsere Politiker dazu
treibt, sich offen gegen das Recht zu stellen, indem sie die
Stationierung us-amerikanischer Atomwaffen in Büchel und Ramstein
dulden oder ihr sogar ausdrücklich zustimmen und indem sie deutsche
Soldaten und Flugzeuge für den Atomwaffeneinsatz bereithalten?
Sie selbst haben mit Ihren Entscheidungen, eine Initiative zu gründen,
die für eine atomwaffenfreie Welt eintritt, politische Zeichen gesetzt.
Gibt es darüber hinaus eine Möglichkeit, die Atomwaffenfreiheit
rechtlich so zu gestalten, dass ein Verstoß dagegen nicht mehr
vorstellbar wird?
Es gibt sie:
Der bisherige Verzicht Deutschlands auf Atomwaffen steht auf rechtlich
schwachen Füßen. Er beruht auf drei Grundlagen:
-
der Erklärung Adenauers vom 23.10.1954 im Rahmen der Pariser
Verträge, dass die Bundesrepublik sich verpflichtet, Atomwaffen,
chemische und biologische Waffen auf ihrem Gebiet nicht herzustellen,
- auf dem 1970 in Kraft getretenen Atomwaffensperrvertrag, mit dem
Deutschland sich verpflichtet hat, Atomwaffen oder die Verfügungsgewalt
darüber von niemanden anzunehmen, sie nicht herzustellen oder sonstwie
zu erwerben, und
- auf dem 2+4-Vertrag vom 12.9.1990, in dem Deutschland seinen
Verzicht auf Herstellung und Besitz von und auf Verfügungsgewalt über
atomare, biologische und chemische Waffen bekräftigt hat.
Auf schwachen rechtlichen Füßen steht der deutsche Atomwaffenverzicht
deshalb, weil in allen drei Regelungen Einschränkungen oder Vorbehalte
enthalten sind, die deutlich werden lassen, dass die politischen Kräfte
in Deutschland sich die Option auf eigene Atomwaffen stets
offengehalten haben:
-
Adenauer Erklärung aus dem Jahr 1954 betraf nur die Herstellung in
Deutschland. Sie wurde zudem durch den damaligen US-Außenminister
ausdrücklich unter den Vorbehalt der „clausula rebus sic stantibus“
gestellt, d.h. der Verzicht sollte nur gelten, solange die
zugrundeliegenden Verhältnisse sich nicht ändern.
- Der deutsche Verzicht im Atomwaffensperrvertrag sollte unter dem
Vorbehalt einer europäischen Lösung und außerdem unter einem
Kriegsvorbehalt stehen, beides zwar unwirksame Einschränkungen, aber
Versuche, die Wirksamkeit zu begrenzen.
Zudem ist der Atomwaffensperrvertrag kündbar. Eine Kündigung hätte zur
Folge, dass der Verzicht nur noch auf der - eingeschränkten - Erklärung
Adenauers aus dem Jahre 1954 beruhte.
- Im 2+4-Vertrag wird lediglich der frühere Verzicht „bekräftigt“,
d.h. nur der Verzicht Adenauers und der Verzicht im
Atomwaffensperrvertrag wiederholt. Deren Grenzen habe ich bereits
aufgezeigt.
Wenn Deutschland ernsthaft auf eigene Massenvernichtungswaffen und auf
die Teilhabe an den Massenvernichtungswaffen anderer Staaten verzichten
will, so ist eine verfassungsrechtliche Regelung überfällig. Ein
ausdrücklicher Verzicht im Grundgesetz hätte eine klarstellende
Wirkung. Er wäre nur unter erschwerten Bedingungen abänderbar und würde
vor allem deutsche Politiker unmittelbar verpflichten ohne ihnen
Schlupflöcher zu lassen. Künftig hieße es unmissverständlich: Hände weg
von ABC-Waffen!
Wir erlauben uns, Sie anzuregen, die Fraktionen des Bundestages, den
Bundesrat und die Bundesregierung aufzufordern das Grundgesetz wie
folgt zu ergänzen:
Art. 26 a (Verzicht auf Massenvernichtungswaffen)
(1) Deutschland verzichtet auf Entwicklung, Herstellung und Besitz von
und auf Verfügungsgewalt über atomare, biologische und chemische
Waffen.
(2) Diese Waffen dürfen weder durch noch über Deutschland
transportiert, noch auf dem Staatsgebiet gelagert oder bereit gehalten
werden.
(3) Deutschland setzt sich mit Nachdruck dafür ein, dass es zur
Aufnahme von Verhandlungen der Atomwaffenstaaten und ihrer jeweiligen
Verbündeten kommt, die in redlicher Absicht geführt werden und darauf
gerichtet sind, wirksame Maßnahmen zur weltweiten vollständigen
nuklearen Abrüstung in naher Zukunft unter strenger und wirksamer
internationaler Kontrolle zu erreichen.
(4) Deutschland wird sich künftig in keiner Form an einem Einsatz
atomarer, biologischer oder chemischer Waffen beteiligen, und zwar
weder durch Bereitstellung von Trägersystemen oder durch sonstige
Formen der Unterstützung noch durch Mitarbeit in bilateralen oder
multilateralen Gremien, die sich mit dem Einsatz solcher Waffen oder
dessen Vorbereitung befassen.
Abs. 1 entspricht im wesentlichen der Formulierung in Art. 3 des
2+4-Vertrages, ergänzt um den Begriff der "Entwicklung", um sowohl
Arbeiten an derartige Waffenprogrammen als auch einen
Technologietransfer in andere Staaten zu verhindern.
Die im Verzicht Adenauers und im 2+4-Vertrag enthaltenen biologischen
und chemischen Waffen sind den Atomwaffen vergleichbare
Massenvernichtungswaffen und deshalb in die Regelung einzubeziehen. Das
Genfer Protokoll vom 17.6.1925 über das Verbot der Verwendung von
erstickenden, giftigen und ähnlichen Gasen sowie von bakteriologischen
Mitteln im Kriege verbietet lückenlos den Einsatz chemischer und
biologischer Kampfmittel jeglicher Art gegen jegliches Ziel.
Die Einbeziehung von chemischen Waffen ist auch geboten im Hinblick
auf das Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung,
Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung
solcher Waffen vom 13.1.1993.
Die Regelung des Abs.2 ist geboten, um die bundes- und
völkerrechtswidrige Stationierung derartiger Massenvernichtungswaffen
in Deutschland und ihren Transport verfassungsrechtlich zu erfassen,
ihren Abzug einzuleiten und künftige Stationierungen zu verhindern.
Abs. 3 knüpft an die Verpflichtung aus Art. VI Atomwaffensperrvertrag
an und gibt der vom IGH nochmals ausdrücklich betonten Rechtspflicht
zur zügigen atomaren Abrüstung Verfassungsrang.
Mit Abs. 4 wird Deutschland verboten, sich im Rahmen von Bündnissen an
der Verfügungsgewalt über und dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen
zu beteiligen. Damit wird hervorgehoben, dass Bündnisverpflichtungen
niemals eine Rechtfertigung für die Drohung mit oder die Anwendung von
ABC-Waffen sein können.
Deutschland stände mit einer verfassungsrechtlichen Regelung nicht
allein. Der Nationalrat der Bundesrepublik Österreich hat 1999 ein
Bundesverfassungsgesetz für ein atomfreies Österreich beschlossen, das
hinsichtlich der Atomwaffen folgenden Wortlaut hat:
§ 1. In Österreich dürfen Atomwaffen nicht hergestellt, gelagert,
transportiert, getestet oder verwendet werden. Einrichtungen für die
Stationierung von Atomwaffen dürfen nicht geschaffen werden.
§ 5. Die Vollziehung dieses Bundesverfassungsgesetzes obliegt der
Bundesregierung.
Die Verfassungen der Staaten Brasilien, Philippinen und Palau verbieten
ebenfalls Atomwaffen. Neuseeland ist kraft Gesetzes atomwaffenfrei.
Der us-amerikanische Verteidigungsminister Rumsfeld hat vor kurzem in
einem Interview den Weg zu einem atomwaffenfreien Deutschland
aufgezeigt. Er hat erklärt, es sei Sache der Deutschen, ob weiter
Atomwaffen in Deutschland stationiert seien.
Köln, im März 2006
* Bei dem Text handelt es sich um einen Beitrag, den der Autor anlässlich des Treffens der "Mayors for Peace" in Hannover am 24. März 2006 gehalten hat.
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