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US-Atombomben: Modernisierung statt Abzug

Versprochen und schon gebrochen: Das Teufelszeug bleibt weiter in der Eifel stationiert *

Schon wieder ein Versprechen gebrochen: Die USA werden die in Deutschland lagernden Atomwaffen trotz eines Bundestagsbeschlusses und trotz einer Festlegung im Koalitionsvertrag nicht abziehen. Im Gegenteil: Die Massenvernichtungswaffen werden modernisiert. Die Bundesregierung habe sich im Rahmen der NATO damit einverstanden erklärt, daß die Waffen im Land blieben und mit hohem Aufwand auf den neuesten technischen Stand gebracht werden, berichtete die Berliner Zeitung am Mittwoch.

Die zitierten Experten verwiesen auf eine NATO-Gipfelerklärung vom Mai, die Aussagen zur Rolle von Atomwaffen enthält. Ein Sprecher des Außenministeriums sagte am Mittwoch in Berlin, die Regierung setze sich weiter für Fortschritte beim Abbau und Abzug sogenannter substrategischer Atomwaffen ein, sei aber mit der Entwicklung »nicht hundertprozentig zufrieden«.

Die Bundesregierung macht keine Angaben dazu, wo in Deutschland noch solche Waffen stationiert sind. Nach Informationen von Friedensforschern und Atomwaffengegnern sollen im deutschen Fliegerhorst Büchel in der Eifel bis zu 20 taktische US-Atombomben lagern. Die Waffen befinden sich im Besitz der USA, könnten aber auch von »Tornados« der Bundesluftwaffe abgeworfen werden.

Mit den Beschlüssen des NATO-Gipfels habe sich Außenminister Guido Westerwelles (FDP) Ankündigung, die Waffen sollten aus Deutschland verschwinden, als »Luftnummer« erwiesen, kommentierte der SPD-Außenpolitiker Gernot Erler in der Berliner Zeitung. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin erklärte, Westerwelle mache jetzt das Gegenteil von dem, was er angekündigt habe.

Aus Sicht des außenpolitischen Sprechers der Linksfraktion im Bundestag, Jan van Aken, ist es keine Modernisierung, sondern eine Neustationierung. Die Sprengkraft lasse sich nach der Modernisierung je nach militärischem Bedarf verändern. Das sei bisher nicht möglich gewesen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 06. September 2012

Abzug statt Modernisierung

Keine Lebensdauerverlängerung der Atomwaffen in Europa

Pressemitteilung der Kampagne „atomwaffenfrei.jetzt“, 13. September 2012


Die Kampagne „atomwaffenfrei.jetzt“ wendet sich gegen die Modernisierung und den weiteren Verbleib der US-Atomwaffen in Deutschland. In der heute veröffentlichten Studie „Atomwaffen-Modernisierung in Europa – Das Projekt B 61-12“ belegen die Autoren Otfried Nassauer und Gerhard Piper, dass die USA weit mehr planen als eine simple Lebensdauerverlängerung der atomaren Bomben. Die auch in Büchel stationierte B61-Bombe soll so weit modernisiert werden, dass sie neue Einsatzmöglichkeiten bietet. Sie wäre damit viel präziser und lenkfähiger als die alte. Ihr Einsatz soll weniger so genannte "Kollateralschäden" verursachen. Damit könnte die Hemmschwelle sinken, diese Waffen auch einzusetzen.

„Wir fordern alle politischen Parteien auf, noch vor der Bundestagswahl in ihren Wahlprogrammen zu erklären, dass die Fraktionen sich in der nächsten Legislaturperiode mit Nachdruck für eine vertragliche Ächtung aller Atomwaffen weltweit einsetzen werden,“ sagt Xanthe Hall, Sprecherin der Kampagne und Abrüstungsreferentin der IPPNW. „Als erster Schritt muss der sofortige Abzug der Atomwaffen aus Deutschland umgesetzt werden. Beide Vorhaben sollen im Koalitionsvertrag festgeschrieben werden.“ Darüber hinaus fordert Hall, dass weder Haushaltsmittel für die Aufrechterhaltung der Infrastruktur noch für eine Modernisierung der Trägerflugzeuge für Atomwaffen in Deutschland genehmigt und ausgegeben werden.

Die NATO hat beim Gipfel in Chicago im Mai 2012 keinen Konsens über den Abzug der Atomwaffen aus Büchel erzielen können. Schlimmer noch: Das Bündnis beschloss, eine nukleare Allianz zu bleiben, solange es Atomwaffen gibt. Es hat aber auch erklärt, dass es die Möglichkeit gibt, die Zahl der US-Waffen in Europa zu reduzieren und dass das Bündnis entschlossen ist, „eine sichere Welt für alle anzustreben und die Bedingungen für eine Welt ohne Kernwaffen zu schaffen“. Die NATO verschwieg die Absicht der USA, ihre B61-Bomben umfassend zu modernisieren, damit sie bis in die zweite Hälfte des 21. Jahrhunderts einsetzbar bleiben.

Der fehlende NATO-Konsens zum Abzug darf die Bundesregierung nicht daran hindern, konkret auf ein Verbot von Atomwaffen hinzuarbeiten und mit gutem Beispiel voran zu gehen. Im Gegensatz zur Behauptung der Bundesregierung kann Deutschland sehr wohl als Mitglied der NATO Einfluss auf die US-amerikanische Entscheidung nehmen, die B61-Bombe zu modernisieren. Die „nukleare Teilhabe“ gestattet es der Bundesregierung, sich in der nuklearen Planungsgruppe der NATO über die Atomwaffen auf ihrem Hoheitsgebiet zu äußern. Die Bundesregierung muss weiterhin gegenüber den USA mit Nachdruck deutlich machen, dass der deutsche Bundestag den Abzug der Atomwaffen beschlossen hat. Daher dürfen keine neuen Atomwaffen stationiert werden.

Die Studie von Otfried Nassauer &Gerhard Piper können Sie hier downloaden pdf-Datei[externer Link]




"Das wird ein komplett neues Waffensystem"

Atomwaffen der USA bleiben jetzt doch in Deutschland – und werden auf den neuesten Stand gebracht. Ein Gespräch mit Roland Blach **

Die Bundesregierung hat sich auf Druck der NATO klammheimlich von ihrem erklärten Ziel verabschiedet, den Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland auf den Weg zu bringen. War das nicht absehbar?

Im Kern hat sich das leider abgezeichnet. Aus diversen WikiLeaks-Veröffentlichungen wurde bereits ersichtlich, daß Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eigentlich nicht hinter dem Abzugsziel gestanden hat, von der NATO selbst ganz zu schweigen.

War es Außenminister Guido Westerwelle (FDP) jemals ernst damit?

Immerhin soll er das Projekt ja in den Koalitionsvertrag gehievt haben. Nach unseren Erkenntnissen war es Westerwelle wirklich eine Herzensangelegenheit, die Atombomben aus Deutschland bzw. Europa wegzubekommen. Und er hat wohl auch im Rahmen seiner Möglichkeiten versucht, das in der NATO durchzusetzen. Aber ohne die uneingeschränkte Rückendeckung der Kanzlerin und des gesamten Bundeskabinetts stand er damit offensichtlich auf verlorenem Posten.

Was sagt man dazu, daß der Beschluß zum Verbleib der Atomwaffen in Deutschland und Europa schon im Mai beim NATO-Gipfel im Mai gefallen ist und erst jetzt publik wurde?

Daran zeigt sich auch, daß dem Thema leider immer noch wenig Beachtung zukommt – obwohl es einen Bundestagsbeschluß zum Abzug gibt. Daß die »Neuigkeit« aber so spät erst die Runde macht, überrascht mich dann doch. Zumal es ja nicht nur um den Verbleib der Waffen, sondern um ihre milliardenschwere Modernisierung geht.

Aber wie kann es angehen, daß ein so weitreichender Gipfelbeschluß nicht umgehend offiziell publik gemacht wird?

Das ist eben eine hochsensible Materie. Alle Beteiligten eiern herum, weil man einerseits – zumindest nach außen hin – an der von US-Präsident Obama proklamierten Vision einer atomwaffenfreien Welt festhalten will. Andererseits will man aber auch der tatsächlichen US-Politik, die auf neue Konflikte und neue Gegner orientiert, nicht zuwider handeln. Dem großen Bruder USA will man nun mal nicht zu nahe treten.

Alle wettern jetzt gegen Westerwelle. Ist der nicht eigentlich nur Obama auf den Leim gegangen?

Der Außenminister war vielleicht zu naiv und hat Obamas Vision für bare Münze genommen. Ob Obama es selbst jemals ernst meinte, sei dahin gestellt. In jedem Fall stecken dahinter knallharte Machtinteressen. Im Lichte der neuesten Entwicklungen ist seine Prager Erklärung vor drei Jahren jedenfalls nur noch lächerlich. Es geht ja jetzt nicht nur um den Verbleib der Waffen in Europa, sondern um ihre umfassende Modernisierung. Allein die Kosten dafür belaufen sich nach unseren Informationen auf zehn Milliarden Dollar.

Es heißt, die Modernisierung solle die Bomben sicherer machen ...

Das ist natürlich Unsinn, der verbreitet wird, um die Bevölkerung zu beruhigen. Es geht tatsächlich um ein komplett neues Waffensystem, also darum, diese präzisionsgesteuerten Atombomben möglicherweise künftig zur weltweiten Kriegsführung einsetzen zu können. Wir haben es also mit einer ganz neuen Dimension der Gefahr und Bedrohung zu tun. Wir rücken Obamas Vision nicht nur kein Stückchen näher – im Gegenteil: Die Welt wird noch viel gefährlicher. Und Deutschland mischt kräftig dabei mit, schließlich will man die deutschen Tornado-Kampfjets mit Millionensummen weitere zehn Jahre einsatzbereit halten, um mit ihnen im Kriegsfall Atombomben abzuwerfen.

Was bedeutet die neue Lage für die deutsche Friedensbewegung?

Wir müssen mit Vehemenz weitermachen. Unser Vorteil ist der, daß wir mit unserer im Frühjahr gestarteten Kampagne »atomwaffenfrei.jetzt« die sich schon damals abzeichnende Entwicklung, die Atomwaffenbestände zu modernisieren, zum Thema gemacht haben. Wir sind also praktisch schon auf die neue Situation vorbereitet und müssen nicht bei Null anfangen. Jetzt heißt es, noch mehr Mitstreiter zu finden und den Druck auf die Politik weiter zu erhöhen. Wir wollen den Stopp der Modernisierung, die Umsetzung des Bundestagsbeschlusses zum Atomwaffenabzug und den Beginn von Verhandlungen zum Verbot von Atomwaffen.

Interview: Ralf Wurzbacher

*Roland Blach ist Landesgeschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG-VK) in Baden-Württemberg und Koordinator der Kampagne »atomwaffenfrei.jetzt« (www.atomwaffenfrei.de )

Aus: junge Welt, Donnerstag, 06. September 2012


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