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Außenpolitiker der CDU/CSU halten an "nuklearer Teilhabe" fest

Dokumentiert: Die Aktuelle Stunde im Bundestag: Ruf nach Abzug der Atomwaffen aus Büchel wird immer lauter

Am 25. Juni 2008 debattierte der Deutsche Bundetsag in einer Aktuellen Stunde über die Atomwaffenpolitik der Bundesregierung. Unmittelbarer Anlass war ein wenige Tage zuvor bekannt gewordener Bericht über die Sicherheitsmängel in den US-Atomwaffenlagern in Europa (siehe: USAF Report). Auch auf deutschem Boden, in Büchel, lagern schätzungsweise 20 US-Atomwaffen.
Wir dokumentieren im Folgenden die Debatte nach dem vorläufigen Plenarprotokoll des Bundestags.



Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht, 171. Sitzung
Berlin, Mittwoch, den 25. Juni 2008

Zusatztagesordnungspunkt 1:
Aktuelle Stunde: Haltung der Bundesregierung zu dem Bericht der US-Luftwaffe über Sicherheitslücken bei den US-Atomwaffenlagern in Deutschland und Europa

[Es sprachen in folgender Reihenfolge:]

Dr. Guido Westerwelle (FDP):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Berichte über eine Studie der Luftwaffe der Vereinigten Staaten von Amerika, wonach es an der Sicherheit der in Europa stationierten nuklearen Waffen Zweifel gebe, weil diese Mängel aufwiesen, sind beunruhigend. Wir gehen davon aus, dass die Bundesregierung alles tun wird, um die Zweifel auszuräumen. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie die Unsicherheiten, über die im Rahmen der amerikanischen Streitkräfte berichtet wird, nicht als amerikanische, sondern als eigene Angelegenheit betrachtet. Das sind wir den Menschen, die in der Eifel wohnen, schuldig. Das ist zuerst einmal das Wichtigste, was dazu zu sagen ist.

(Beifall bei der FDP)

Herr Kollege Geisen hat in dieser Richtung mehrfach Initiativen für die Eifel ergriffen und hat sich an die Bundesregierung gewandt. Die Fragen nach der Sicherheit, die seitens der Bundesregierung beantwortet wurden, sind nicht ausreichend geklärt. Die Zweifel finden neue Nahrung durch die Berichte der Luftwaffe der USA.

Diese Berichte der Luftwaffe über die Atomwaffen, die in Deutschland und Europa gelagert werden, sind bestenfalls der Anlass für diese Debatte und nicht der Grund. Der Grund ist, dass diese Atomwaffen, die es in Deutschland immer noch gibt, Relikte aus der Zeit des Kalten Krieges sind, dass sie aus unserer Sicht nicht in Deutschland bleiben sollten

(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Richtig!)

und dass wir sie, eingebettet und eingebunden in eine wirkliche Abrüstungsstrategie, aus Deutschland abziehen sollten. Das wäre der richtige Verhandlungsauftrag an die Bundesregierung in der NATO.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Holland und Belgien!)

– In dieser Debatte geht es zunächst einmal um Deutschland. Aber, Herr Kollege, Sie weisen zu Recht auf Europa hin.

Ich halte fest, dass sich der Außenminister in diese Richtung immer wieder direkt oder indirekt zu Wort gemeldet hat. Wir als freie demokratische Fraktion wollen dem Außenminister signalisieren, dass wir ihn ermuntern, sich in der Regierung bei dieser Frage durchzusetzen.

(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Sie können ihn auch stützen!)

– Wir stützen ihn dabei – Sie haben völlig Recht –, wobei ich überrascht bin, dass das Stützen des Außenministers aus der SPD-Fraktion verlangt wird.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, wir nehmen zur Kenntnis, dass es in diesem Hohen Hause eine große Mehrheit der Fraktionen und der Abgeordneten gibt, die dieses Relikt aus dem Kalten Krieg ebenfalls nicht mehr in Europa, in Deutschland sehen wollen. Die Union sagt, sie wolle an dieser Stationierung festhalten. Hierbei verwundert mich vor allem die Begründung. Der Generalsekretär der Union wird mit folgenden Worten zitiert – wir haben dieses Zitat aus einer Pressekonferenz selbst sehen können –:

Von einseitigen Schritten, glaube ich, sollte man Abstand nehmen. Abrüstung sollte insgesamt auf beiden Seiten stattfinden.

– Welche Seiten meinen Sie,

(Zuruf von der CDU/CSU: Alle!)

wenn Sie von „beiden Seiten“ sprechen? Das ist das Denken der Konfrontation von NATO gegen Warschauer Pakt. Dass Sie in diesem Denken noch verhaftet sind, ist ein Fehler, dient nicht dem Frieden und erst recht nicht der Abrüstung.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Das Beste, was wir mit diesen Waffen noch machen können, ist, sie dafür zu nutzen, der Abrüstungspolitik wieder neue Glaubwürdigkeit zu verschaffen.

(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])

Deswegen wollen wir – dies haben wir bereits in der Vergangenheit mit mehreren Anträgen im Deutschen Bundestag unterstrichen –, dass jetzt die Gelegenheit wahrgenommen wird, damit in der NATO selbstverständlich darauf hingewirkt wird, dass diese Waffen abgezogen werden können, einerseits, weil Sie in den Berichten über die Unsicherheit definitiv neue Gründe dafür finden, andererseits aber auch, weil wir Abrüstungssignale geben sollten, und darum geht es. Die Zeit des Kalten Krieges ist vorbei. Wir brauchen diese Waffen in Deutschland nicht. Wir wollen sie nicht. Sie sollten abgezogen werden. Diese Waffen dienen nicht der Sicherheit, sondern sie vergrößern eher die Unsicherheit. Wenn wir Vorbild für Abrüstung in der Welt sein wollen, dann können wir hier mit bestem Beispiel vorangehen. Das ist eigentlich die gute Kontinuität deutscher Außenpolitik. Abrüstungsinitiativen aus Deutschland – das ist das Beste, was wir aus der Geschichte lernen können.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)

Wir befinden uns – damit möchte ich schließen – in einer unerfreulichen Phase, wo das Recht des Stärkeren in der Welt wieder mehr und mehr an Bedeutung gewinnt. Wir sollten dem mit klaren deutschen Abrüstungsinitiativen entgegentreten, ausdrücklich natürlich in Europa und in der NATO. Es ist besorgniserregend, dass nicht nur in Russland, sondern auch durch die scheidende Administration in den Vereinigten Staaten von Amerika die Abrüstung mehr und mehr infrage gestellt wird, dass Abrüstungs- und Kontrollverträge gekündigt und in Zweifel gezogen werden. Das ist die falsche Richtung. Es muss eine neue politische Richtung initiiert werden. Deswegen appellieren wir an die Bundesregierung, jetzt, wie übrigens auch führende amerikanische Politiker, auf Abrüstung zu setzen. Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen von der Union: Seien Sie nicht die Letzten, die die Bush-Doktrin auf diesem Globus noch verteidigen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Quatschkopf!)

– Ich glaube, das, was Sie da rufen, ist etwas unflätig.– Herr McCain verabschiedet sich von diesem Weg, Herr Obama verabschiedet sich von diesem Weg, und es wäre sinnvoll, wenn Deutschland, das ein großes Interesse an Abrüstung und daran hat, dass keine neuen Aufrüstungsspiralen entstehen, jetzt vorangeht und auf einen Abzug dieser nuklearen Waffen setzt. In diese Richtung muss verhandelt werden. Wir wollen das, und ich hoffe auf große Zustimmung in diesem Hohen Hause.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Thomas Kossendey.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Thomas Kossendey, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Westerwelle, lassen Sie mich zunächst eingangs eines versichern: Der Bundesregierung liegt wie allen anderen NATO-Partnern daran, die größtmögliche Sicherheit der in Europa lagernden Nuklearsprengköpfe zu gewährleisten. Das, was wir diesem Bericht entnommen haben, und das, was wir im Bündnis in diesem Zu-sammenhang besprechen, zeigt uns, dass wir uns diesbezüglich keine Sorgen zu machen brauchen. Ich will darauf gleich zurückkommen.

Lassen Sie mich zu der generellen Frage der Atomsprengköpfe einiges sagen. Einige von Ihnen erinnern sich noch an das Weißbuch, das die Bundesregierung 2006 beschlossen hat.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

– Ich will Ihnen, Frau Kollegin Zapf, das gerne in Erinnerung rufen. – Dort steht:

Für die überschaubare Zukunft wird eine glaubhafte Abschreckungsfähigkeit des Bündnisses neben konventioneller weiterhin auch nuklearer Mittel bedürfen. Der grundlegende Zweck der nuklearen Streitkräfte der Bündnispartner ist politischer Art: Wahrung des Friedens, Verhinderung von Zwang und jeglicher Art von Krieg. So heißt es im Weißbuch zur Zukunft der Bundeswehr und zur Zukunft der Bundeswehr im Bündnis. Aus unserer Sicht gibt es keinen Anlass, an dieser Aussage zu rütteln.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Daran ändert übrigens auch nichts der Bericht, den wir aus Amerika von dem Wissenschaftler Kristensen bekommen haben, der die Unsicherheit bei uns über das eingepflanzt hat, was in den Lagern in Deutschland vor sich geht. Auslöser für diesen Bericht war eigentlich ein Vorgang in den Vereinigten Staaten, wo die Luftwaffe gegen Sicherheitsbestimmungen im Umgang mit Nukle-arwaffen verstoßen hat. Sie können davon ausgehen, dass die Sicherheit der Nuklearwaffenlager der NATO in Europa für die Allianz von höchster Bedeutung ist und in den entsprechenden Gremien fortlaufend erörtert wird. Ich will ergänzend hinzufügen: Vor drei Wochen sind die Verteidigungsminister in Brüssel zusammengekommen und haben dort den Bericht der Nuklearen Planungsgruppe entgegengenommen. In diesem Bericht wird – so geheim er auch sein mag – regelmäßig ein Aspekt darauf verwandt, wie sicher die Lager in Europa und somit auch in Deutschland sind. Unter amerikanischem Vorsitz und in Kenntnis dieses Berichts von Herrn Kristensen ist ausdrücklich festgehalten worden, dass die Lager, die sich in Deutschland befinden, sicher sind. Sie werden gut bewacht. Wir hatten gerade im Verteidigungsausschuss eine Diskussion darüber. Ich kann Ihnen sagen: Es ging auch darum, dass die Außengrenzen dieser Lager von der Bundeswehr bewacht werden – auch von Wehrpflichtigen, Frau Kollegin Hoff – und dass der innere Kreis von amerikanischen Fachleuten bewacht wird. Ich glaube, das ist auch richtig so.

Allerdings – da will ich auf Herrn Westerwelle eingehen – ist die Debatte, die sich anhand der Pressespekulationen entzündet hat, letztendlich eine Gespensterdebatte, die sich darum dreht, wer möglichst schnell alle nuklearen Sprengköpfe aus Deutschland und Europa abziehen will. Wer das im Augenblick einseitig von Deutschland verlangt, der stellt in Wirklichkeit einen Kernbestand der Atlantischen Allianz infrage, und er will letztendlich die Beziehungen zwischen Nordamerika und Europa dauerhaft schwächen.

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach nein! – Widerspruch bei der SPD und der LINKEN)

– Dass das bei Ihnen so ist, wundert mich nicht,

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gott sei Dank wurde auch bei der SPD gesagt: Unsinn!)

aber mich wundert, dass einige hier ihre Vergangenheit vergessen. –

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Allianz setzt seit jeher zum Schutz des Bündnisses auch auf die Wirkung der Abschreckung von Nuklearstreitkräften. Das steht im Einklang mit dem Völkerrecht und hat übrigens ganz wesentlich zur erfolgreichen Friedenssicherung durch das Nordatlantische Bündnis beigetragen. Das Nuklearpotenzial der NATO sorgt eben auch dafür, dass ein Angreifer im Ungewissen bleibt, wie Bündnispartner auf einen militärischen Angriff reagieren werden.

(Zuruf von der LINKEN)

So wird verdeutlicht, dass ein Angriff jedweder Art keine vernünftige Option ist. Die Bundesregierung geht wie die NATO-Partner in Europa und die NATO-Partner insgesamt davon aus, dass das für eine glaubwürdige Abschreckung auf Dauer vielleicht nicht sein muss; ich aber sehe im Augenblick keine Perspektive, die in absehbarer Zeit eine Änderung dieser Strategie möglich macht. Wir werden durch diese nukleare Abschreckung nicht nur ein Mehr an Sicherheit haben, sondern wir werden auch – das ist ein zweiter Punkt – die Möglichkeit haben, das Mitspracherecht über den Einsatz von nuklearen Waffen innerhalb der NATO auszuüben.

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht! Das trifft für Kanada und andere nicht zu!)

Das hängt miteinander zusammen. Alle Verteidigungsminister in den Gremien der NATO haben dies zuletzt bei dem Treffen in Brüssel, von dem ich sprach, noch einmal bekräftigt.

Auch in Zukunft muss die wirksame Abschreckungsfähigkeit aufrechterhalten werden. Deutschland gehört als Nichtnuklearmacht dazu und wird auch im Rahmen seiner vitalen Interessen die nukleare Teilhabe weiter verteidigen. Dazu gehören nicht nur die Bereitstellung von Trägern, zum Beispiel in Form von Flugzeugen, sondern auch das anhaltende Einverständnis zur Lagerung von Nuklearwaffen in Europa bzw. in Deutschland.

Das Bekenntnis zur nuklearen Abschreckung und unsere Anstrengungen zur weiteren Abrüstung, zur Stärkung der Rüstungskontrolle gehören untrennbar zusammen. Ich sage sehr deutlich: Wer nukleare Abschreckung im Augenblick für wichtig hält – wir tun das –, kann sich nicht von den Bemühungen freikaufen, Abrüstung und Rüstungskontrolle weiter voranzutreiben.

Auf dem Gebiet der Abrüstung haben wir in den zurückliegenden Jahren Bedeutendes erreicht. Die Bundesregierung hat dies unterstrichen, indem sie unlängst in der Allianz gestaltend an einer weithin beachteten Abrüstungsinitiative – Herr Westerwelle, möglicherweise ist Ihnen das entgangen – mitgewirkt hat. Die Diskussion um Abrüstung muss auch in der Allianz – da bin ich sicher – fortgesetzt werden. Wir wollen den Nichtverbreitungsvertrag weiter stärken, damit das im Vertrag formulierte Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt vorangebracht werden kann.

Dazu müssen wir in einem ersten Schritt die Weiterverbreitung der auf der Welt existierenden Nuklearwaffen verhindern. Wer den Abrüstungsbericht gelesen hat – ich empfehle ihn der FDP-Fraktion zur Lektüre –, wird darin ausdrücklich die wesentlichen Verpflichtungen des Vertrages zur Abrüstung und zur Nichtverbreitung bestätigt finden. Die Bundesregierung bekennt sich weiterhin nach wie vor zur Schaffung einer Dynamik bei der nuklearen Abrüstung – auch mit dem Ziel einer vertraglichen Reduzierung aller Nuklearwaffen bis hin zur vollständigen Abschaffung auf allen Seiten.

Wir sind uns natürlich dessen bewusst, dass die weltpolitischen Voraussetzungen für eine nuklearwaffenfreie und insgesamt massenvernichtungswaffenfreie Welt noch nicht gegeben sind und dass dieses Ziel auf absehbare Zeit nicht zu erreichen sein wird, auch nicht zum Beispiel durch einen Beschluss des Bundestages. Wir werden aber in unseren Anstrengungen nicht nachlassen, den Weg hin zu diesem Ziel kontinuierlich Schritt für Schritt weiterzugehen.

Deswegen unterstützen wir alle Maßnahmen der Nuklearmächte zu einer Reduzierung des Nuklearwaffenpotenzials. Wir sind schon einen weiten Weg gegangen, nämlich – lassen Sie mich das hier deutlich sagen – im Zuge der Reduzierung des substrategischen Nuklearpotenzials der NATO in Europa um rund 85 Prozent seit 1991 bzw. um rund 95 Prozent seit den Spitzenzeiten des Kalten Krieges. Insofern kann man hier nicht einfach behaupten, wir hätten nichts getan.

Parallel zur Absenkung des Potenzials sind auch die Bereitschaftsstufen aller Waffensysteme deutlich gesenkt worden. Während es früher um Minuten und Sekunden ging, ist die Einsatzbereitschaft heute eher in Wochen und Monaten zu messen. Die Bundesregierung steht in allen diesen Fragen in der Kontinuität ihrer Vorgängerin. Ende der 90er-Jahre gab es einmal einen Impetus, das anders zu machen; das hat sich dann wieder beruhigt.

Nukleare Teilhabe, Mitsprache im Bündnis und Initiativen für Abrüstung gehören zusammen. Wer ein einseitiges Ende der nuklearen Teilhabe unseres Landes verlangt, der muss sich darüber im Klaren sein, dass wir damit auch das Recht auf Mitsprache beim Einsatz von Atomwaffen in der NATO aufgeben. Deutschland wäre dann nicht mehr in den beschlussfassenden Gremien der NATO repräsentiert. Das Thema „Nukleare Abschreckung, nukleare Teilhabe und Sicherheit im Umgang mit Nuklearwaffen“ – lassen Sie mich das abschließend sagen – eignet sich nicht für politische Schnellschüsse und für den tagespolitischen Kleinkrieg.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir sollten uns gemeinsam bemühen, auf dem Weg zur Abrüstung, der letztendlich zur Reduzierung aller Nuklearwaffen führen soll, konsequent Schritt für Schritt weiterzugehen.

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wo ist der erste Schritt?)

Das scheint mir verlässlicher, sicherer und klüger zu sein.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Gerd Höfer [SPD])

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Die Kollegin Inge Höger hat jetzt das Wort für die Linke.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Inge Höger (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Warum ist erst eine Studie von US-Experten nötig, um das Thema Atomwaffenlager auf die politische Tagesordnung zu setzen?

(Uta Zapf [SPD]: Das hatten wir doch schon ein paar Mal!)

– Aber aktuell nicht, und es ist schon lange nicht mehr über die Frage der Beendigung der atomaren Abschreckung gesprochen worden.

(Uta Zapf [SPD]: 2005! 2006! 2007!)

Warum versteckt sich die Regierung hinter dem Argument, man müsse Rücksicht auf Bündnispartner nehmen? Warum verstecken Sie sich hinter Konzepten der nuklearen Abschreckung? Ein Mehr an Sicherheit kann durch Atomwaffen nie und nimmer erreicht werden, ganz im Gegenteil.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

In Büchel in der Eifel lagern immer noch 10 bis 20 Atomwaffen. Nach offiziellen Angaben sind diese nur unzulänglich gesichert. Es geht hier nicht um Zäune, es geht hier nicht um Beleuchtung und Sicherheitssysteme für ein Gartenhaus, es geht um die Bewachung der tödlichsten Waffen, die der Menschheit zur Verfügung stehen.

Meine Damen und Herren Regierungsvertreter, bitte schauen Sie nicht weg bei dem, was in den US-Militärbasen passiert. Das gilt übrigens genauso für andere Rechtsverstöße und Gefahren, die von diesen Basen ausgehen. Ich nenne hier nur beispielhaft die Verschleppung und Entführung von Menschen in Geheimgefängnisse oder die Unterstützung des Irak-Krieges.

Eines muss klar sein: Es gibt keine sicheren Atomwaffen, auch wenn alle bemängelten Sicherheitslücken in den Atomwaffenlagern geschlossen werden. Die reale Gefahr durch die Atomwaffen besteht neben ihrem Missbrauch mindestens gleichermaßen in ihrem Gebrauch.

(Beifall bei der LINKEN)

Am nächsten Dienstag, dem 1. Juli, wird der Atomwaffensperrvertrag 40 Jahre alt. Sein Ziel war und ist es, die Ausbreitung dieser tödlichen Technologie zu unterbinden. Der Vertrag beinhaltet die Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung für alle Staaten. In Art. 6 fordert er die vollständige Abrüstung. Es gibt kein Recht auf den Besitz für Atomwaffen, für niemanden.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Der Zeitraum, in dem die vollständige atomare Abrüstung stattfinden soll, ist im Atomwaffensperrvertrag leider nur vage formuliert. Doch 40 Jahre waren bei der Verfassung des Vertrages wohl nicht mit „naher Zukunft“ gemeint.

Nach wie vor ist die Welt weit entfernt von der geforderten „vollständigen Abrüstung“. Nach SIPRI-Angaben gibt es weltweit 10 200 gefechtsbereite atomare Sprengköpfe. Zusätzlich modernisieren die Atommächte ihre Arsenale; sie entwickeln neue Waffen und Trägersysteme. Das gilt übrigens nicht nur für die USA und Russland, auch unsere europäischen Nachbarn Frankreich und Großbritannien entwickeln ihr atomares Potenzial weiter. Die Weiterentwicklung der nuklearen Bewaffnung ist vertragswidrig; sie muss sofort beendet werden. Proteste dagegen hat die Linke bisher von der Bundesregierung und auch von der FDP nicht gehört. Wie wollen Sie denn so gegenüber dem Iran eine glaubwürdige Position einnehmen? Der Streit um das iranische Atompro-gramm lässt sich nur durch globale Abrüstungsanstrengungen und gegenseitige Sicherheitsgarantien lösen, nicht durch Sanktionen und nicht durch militärisches Säbelrasseln.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Wenn wir Abrüstung ernst meinen – ich hoffe, das tun hier alle –, dann gibt es noch viel zu tun, sowohl in der NATO als auch in der Europäischen Union und auch ganz direkt bei der Bundeswehr. Die US-Atomwaffen würden im Einsatzfall an die Tornados des Jagdbombengeschwaders 33 der Bundesluftwaffe angehängt. Sie würden dann von Bundeswehrsoldaten abgeworfen. Diese nukleare Teilhabe war und ist ein Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag. Er verbietet es, Atomwaffen Drittstaaten zu überlassen oder Atomwaffen anzunehmen. Beenden Sie diesen rechtswidrigen Zustand! Beenden Sie die nukleare Teilhabe!

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Wenn nun vonseiten der SPD zu hören ist, dass sie die atomare Abrüstung auch zu ihrer Sache macht, dann ist das sehr begrüßenswert. Doch den Worten müssen auch Taten folgen. Die Linke erwartet von Ihnen nicht zuletzt konkrete Initiativen in der Nuklearen Planungsgruppe der NATO.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt eine weitere gute Gelegenheit, bei der Sie Ihren Einsatz gegen die Atomwaffen auch außerhalb des Bundestages zeigen können. Kommen Sie am 30. August zur Großdemonstration nach Büchel. Unterstützen Sie dort diejenigen, die schon seit vielen Jahren darauf aufmerksam machen, welche gefährliche Altlast hier liegt.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Peter Bleser [CDU/CSU]: Mehr als 20 Leute habe ich da noch nie gesehen!)

Ich hoffe, Sie möglichst zahlreich in der Eifel zu sehen. Die Linke wird diese Proteste in Büchel unterstützen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das ist den Eifelern aber unangenehm!)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Der nächste Redner ist der Kollege Rolf Mützenich für die SPD-Fraktion, der heute ebenso wie die Kollegin Marieluise Beck Geburtstag hat. Ihnen beiden herzlichen Glückwunsch!

(Beifall)

Dr. Rolf Mützenich (SPD):

Danke schön. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Danke für die Glückwünsche! Danke für die Debatte! Ich finde, wir sollten uns noch einmal rückversichern, um was es bei dieser Debatte geht und worauf Hans Kristensen von der Vereinigung der amerikanischen Wissenschaftler hingewiesen hat.

Er hat auf einen Bericht der amerikanischen Luftwaffe hingewiesen, der Mängel in den europäischen Standorten feststellt, die über Nuklearwaffen verfügen. Es wird darüber berichtet, dass die Beleuchtung unzureichend ist, dass es Probleme bei der Umzäunung gibt und dass die Stabilität der Gebäude nicht gewährleistet ist. Ob es sich um Büchel handelt, wissen wir überhaupt nicht. Dennoch bin ich der Meinung, dass sich die Bundesregierung um diese Fragen kümmern muss, und ich glaube, das hat sie an dieser Stelle getan. Ich möchte die dort bestehenden Sicherheitsprobleme nicht unter den Teppich kehren, aber wir sollten sie gegenüber den Menschen nicht dramatisieren. Ich zitiere Kristensen, der vor Panikmache warnt und sagt: Das heißt ja nicht, dass diese Waffen sozusagen auf der Straße liegen und einfach gestohlen werden können. – Dennoch müssen wir diesen Dingen nachgehen, und insofern lohnt sich diese Debatte.

Allerdings bin ich der Meinung – deswegen wunderte ich mich eben ein bisschen –, dass wir diese Waffensysteme schon einmal in Ramstein hatten. Dort sind sie abgezogen worden. Es haben sich nicht diese Fragen ergeben, die die Bundesregierung eben angedeutet hat. Ich persönlich würde es begrüßen, wenn auch die restlichen Waffen aus Büchel abgezogen würden. Das wäre auch das richtige Signal an dieser Stelle.

(Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich meine nämlich, dass diese taktischen Atomwaffen heutzutage keinen strategischen Wert mehr haben und im Grunde genommen stellvertretend für die Vergangenheit sind. Das, was im Ost-West-Konflikt militärstrategisch möglicherweise richtig gewesen ist, kann es heute nicht mehr sein. Deshalb habe ich folgende Bitte an die Bundesregierung: Solange Sie – was Sie, Herr Parla-mentarischer Staatssekretär, unterstellen – innerhalb der NATO noch über eine angemessene Militärstrategie mitsprechen können, sollten Sie das tun; schließlich wird das diesbezügliche Dokument nächstes Jahr vorgelegt. Das tut die Bundesregierung mit ihrer Expertise.

Ich glaube, genau das ist der Punkt, auf den wir immer wieder aufmerksam machen müssen: Abrüstung und Weiterverbreitung sind zwei Seiten einer Medaille.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Wir können nicht auf der einen Seite über die Weiterverbreitung sprechen, wenn wir nicht auf der anderen Seite für Abrüstung einstehen. Das ist der entsprechende Punkt, und deshalb möchte ich darauf hinweisen: Wir können natürlich über die Deutschland betreffenden Fragen diskutieren; das ist diesem nationalen Parlament auch angemessen. Jedoch dürfen wir nicht verkennen, dass 200 Kilometer von Büchel entfernt in Belgien ähnliche Waffensysteme liegen; diese müssen wir in die Diskussion mit einbeziehen.

Noch viel wichtiger sind die russischen taktischen Atomwaffen. Wenn es im Hinblick auf Russland nur um die mangelnde Beleuchtung ginge, würde ich besser schlafen. Das ist aber nicht der Punkt. In Russland liegen 2 000 taktische Atomwaffen, die möglicherweise in fremde Hände kommen. Deswegen fordere ich die Bundesregierung, aber auch die NATO-Partner auf, mit Russland über dieses Thema zu sprechen. Da setze ich auch auf eine neue Administration, also entweder auf Obama oder auf McCain, die diese Abrüstungsfrage zu Recht wieder auf die Tagesordnung gesetzt haben.

Taktische Atomwaffen – ich glaube, das ist ein Problem, das wir in den 80er-Jahren eben nicht hatten – sind heute ein weltweites Phänomen. Man muss über Pakistan, man muss über Indien sprechen, und daher wäre es klug, auch über die Möglichkeiten der weltweiten Abrüstung und Rüstungskontrolle neu nachzudenken. Das bietet sich 2010 mit dem Atomwaffensperrvertrag an.

Es ist klug gewesen, dass der Bundesaußenminister dieses Thema der Abrüstungs- und Rüstungskontrolle zu einem Schwerpunkt seiner Arbeit gemacht hat, seitdem er dieses Amt ausübt. Er hat Vorschläge für die Internationalisierung des Brennstoffkreislaufs unterbreitet. Das könnte helfen, die iranische Atomkrise ein wenig auf einen anderen Pfad zu bringen. Er hat es auf dem Gipfel in Bukarest geschafft, Abrüstung und Rüstungskontrolle wieder zu Bestandteilen der Philosophie innerhalb der NATO zu machen.

Im Grunde genommen erinnert er dort an eine Diskussion der 60er- und 70er-Jahre, die sich aus dem Harmel-Bericht ergab. Man hat auf der einen Seite immer wieder über Sicherheit diskutiert und auf der anderen Seite über Abrüstung als Instrument für Kooperation. Ich kann Sie, die gesamte Bundesregierung, nur ermuntern, darüber auch weiterhin zu diskutieren. Für die einzelnen Ministerien würde sich das lohnen. Die Bundesregierung ist da insgesamt auf einem guten Weg.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir brauchen eine neue Abrüstungskultur. Wir, die Bundestagsabgeordneten, sind gemeinsam dieser Meinung, auch wenn es vielleicht die eine oder andere unterschiedliche Auffassung über den Weg gibt. Wir als Sozialdemokratische Partei stehen für diese gemeinsame Abrüstungskultur ein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Der Kollege Winfried Nachtwei hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute Morgen hat das Bundeskabinett die Antwort auf die Große Anfrage der Grünen zur nuklearen Abrüstung beschlossen. Üblich ist, dass man diese Antwort direkt zugestellt bekommt. Bis zur Minute haben wir sie nicht bekommen. Ich sage ausdrücklich: Dies ist ein parlamentsunfreundlicher Akt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Der Untersuchungsbericht der US-Luftwaffe ist im Hinblick auf die Sicherheitsmängel, die festgestellt wurden, in der Tat beunruhigend. Dieser Untersuchungsbericht hat daran erinnert, was der Auslöser war: Sechs Atomsprengköpfe waren im vorigen August 36 Stunden lang außer Kontrolle; sie waren sozusagen Irrläufer. Außerdem wird in diesem Bericht der Blick auf etliche an-dere Vorfälle gerichtet, die es in diesem Zusammenhang gegeben hat. Diese Sicherheitsfrage betrifft nicht nur die Amerikaner, sondern auch die Europäer und Deutschen. Wie bereits angesprochen worden ist, lagern in Büchel in der Eifel in der Nähe einer Rollbahn Atomwaffen. Über das Internet sind Informationen darüber mittlerweile leicht zu bekommen.

Ich habe mit der Frage der Atomwaffen seit inzwischen 40 Jahren zu tun. Anfangs war dies der Fall, als ich Soldat in einer deutschen Atomwaffeneinheit war; die Pershing-Ia war damals auf unseren heutigen Verbündeten Polen gerichtet. Man kann durchaus sagen: Es ist fantastisch, was sich seitdem geändert hat. Unser Mechanismus im Kopf damals war die totale Verdrängung, nach dem Motto: Wenn es losgeht, ist sowieso alles aus.

Ich muss sagen: Bei mir hat es erst ein paar Jahre später gefunkt; erst dann habe ich wahrgenommen, dass dieses Land mit Atomwaffenlagern und mit Atomwaffenträgern vollgestellt war. Da ist mir deutlich geworden, was für ein organisierter Wahnsinn das war. „Atomare Heimatverteidigung“ wurde vorbereitet und geplant.

Eine andere Erfahrung, die ich gemacht habe, betraf die systematische Verdrängung, die sich hinter der Geheimhaltung versteckte. Ich selbst habe in einem Feuerwehrausschuss mitbekommen, dass die Atomwaffenlager – im Umfeld von Münster gab es zwei – in den Katastrophenplanungen einfach kein Thema waren. Ist diese Haltung überwunden? Ich habe da große Zweifel.

Dass die großen Atomwaffenarsenale aus Westeuropa inzwischen zum größten Teil verschwunden sind, ist sehr erfreulich. Aber es hat sich einiges gehalten. Erstens: die gnadenlose Verdrängung. Ich habe wirklich den Eindruck: Mittlerweile wissen wir mehr über Atomwaffenlagerstätten in Russland – dort sind zum Teil Deutsche – als über Atomwaffenlagerstätten im eigenen Land. Es ist absurd.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Zweitens. Die Rechtfertigungen waren schon damals schwach und sehr problematisch; sie hatten – bei aller ethischen Fragwürdigkeit – aber immer noch eine gewisse Plausibilität. Heutzutage sind sie noch schwächer. Herr Staatssekretär, Sie haben hier von „glaubwürdiger Abschreckung“ geredet: Wen wollen Sie mit diesen taktischen Atomwaffen denn abschrecken?

(Uta Zapf [SPD]: Uns selbst!)

Das ist wirklich Unsinn. Gott sei Dank haben Sie diesen Teil Ihrer Rede vorgelesen. Wenn Sie an dieser Stelle frei gesprochen hätten, dann hätten Sie das niemals so gesagt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Stichwort „bündnispolitisch notwendig“: Seit 2005 ist das US-Atomwaffendepot Ramstein geräumt. Nach diesen Waffen kräht heute kein Hahn mehr. Man erinnere sich außerdem an die Signale aus der US-Administration, darauf könne schon längere Zeit verzichtet werden. Nicht einmal diese Signale werden aufgenommen. Ihre Haltung ist Unsinn. Ich erspare mir, einen deutlicheren Ausdruck zu verwenden.

In Wirklichkeit schadet dieses Festhalten an der nuklearen Teilhabe – das ist heute besonders wichtig festzuhalten –, dem deutschen Eintreten für eine glaubwürdige Nichtverbreitungspolitik.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Unsere Erfahrung im Unterausschuss „Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung“ ist, dass dieses Festhalten immer wieder einen Makel hinsichtlich eines glaubwürdigen Eintretens für die Nichtverbreitung darstellt. Hinzu kommen die ethische und die völkerrechtliche Ebene. Bundeswehrsoldaten dürfen selbstverständlich keine Waffen einsetzen, die unterschiedslos wirken und die vor allem Zivilsten treffen. Deshalb dürfen sie auch keine Antipersonenminen einsetzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

In der Taschenkarte „Humanitäres Völkerrecht“, die vom Bundesverteidigungsministerium herausgegeben wird – Herr Staatssekretär, Sie haben uns vor wenigen Tagen die Ausgabe 2008 zugesandt; vorher gab es nur die Ausgabe 2006 –, sind die verbotenen Kampfmittel aufgeführt. Dort steht drin, dass der Einsatz von Atomwaffen für Bundeswehrsoldaten verboten ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Was heißt das im Klartext? Diesen Einsatz zu üben, ist rechtswidrig. Wer solche Übungen anordnet, handelt noch rechtswidriger.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN)

Ich habe den Minister vor einer Woche aufgefordert, dazu Stellung zu nehmen: null. Er wird von Journalisten gefragt: null. Dies ist ein Kopf-in-den-Sand-Stecken vor eminent wichtigen rechtlichen Fragen. Im Rahmen der Inneren Führung verlangen wir von den Soldaten, dass sie sich rechtmäßig verhalten. So liederlich wie Sie mit dem Recht umzugehen, schadet der Inneren Führung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Herr Kollege, Sie müssten zum Schluss kommen.

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja, ich komme dann zum Schluss.

Es ist schon mehrfach gesagt worden: Die taktischen Atomwaffen sind ein Relikt des Kalten Krieges. Im Bereich der Chemiewaffen machen wir die Erfahrung, dass es dort erfolgversprechend weitergeht. Die Bundesrepublik unterstützt wirksam Chemiewaffenvernichtungsanlagen in Russland wie sonst kein anderer. Dies ist ein wirklich gutes Beispiel dafür, wie man bei den taktischen Atomwaffen weitermachen kann. Das wäre ein wichtiger Schritt zur weiteren nuklearen Abrüstung, um von uns aus wieder etwas mehr Schwung in die nukleare Nichtverbreitung hineinzubringen.

Wer dieser Position auf der Veranstaltung in Büchel am 30. August Rückhalt geben will, der sollte das tun. Das kann – nicht alle können physisch anwesend sein, aber möglichst viele – in der einen oder anderen Form geschehen.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Jetzt hat der Kollege Eckart von Klaeden das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Eckart von Klaeden (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Die Redner der geschätzten Opposition tun ja gerade so, als sei in Fragen der Abrüstungspolitik in den letzten Jahren, insbesondere seit dem Ende des Kalten Krieges, nichts geschehen. Ich will darauf hinweisen, dass wir in Deutschland und in Europa Abrüstungsschritte in einem erheblichen Umfang unternommen haben. Die Mitgliedstaaten der NATO haben seit Anfang der 90er-Jahre die Zahl der substrategischen Nuklearwaffen in Europa um mehr als 85 Prozent reduziert, gegenüber „Spitzenzeiten“ des Kalten Krieges sogar um 95 Prozent.

Was im Hinblick auf Ramstein vorhin angeführt worden ist, ist ein Zeichen dafür, dass die NATO-Allianz das, was an Nuklearwaffen notwendig ist, auf ein Mindestmaß reduziert; das unterstützen wir ausdrücklich. Dies folgt dem strategischen Konzept, das die Mitglieder des Bündnisses im Konsens beschlossen haben und zu dem sich auch die Bundesregierung im Weißbuch bekannt hat.

Ich hatte deswegen vom Kollegen Mützenich auch ein Bekenntnis zu dem Dreiklang unserer Sicherheitspolitik, unserer Nuklearpolitik erwartet: zum Ersten Abrüstung und Rüstungskontrolle, zum Zweiten Raketenabwehr – diesem Teil hat der Außenminister beim NATO-Gipfel zugestimmt – und zum Dritten die nukleare Teilhabe, die als ein nicht mehr so wichtiges, aber dennoch notwendiges Element unserer Sicherheitspolitik im Weißbuch bezeichnet wird. Es nützt der Glaubwürdigkeit des Außenministers und auch unseren gemeinsamen Abrüstungsinitiativen wenig, wenn im Bündnis der Eindruck entsteht, als habe der Außenminister in seiner Fraktion nicht die not-wendige Unterstützung für eine Politik, für die er im Bündnis eintritt.

Dass die Lagerung von Nuklearwaffen in Europa, mögen es auch noch so wenige sein, höchsten Sicherheitsstandards genügen muss, ist, so glaube ich, eine Selbstverständlichkeit. Denn wir müssen damit rechnen, dass auch Terroristen in Europa versuchen könnten, in den Besitz von Nuklearwaffen zu kommen oder Anschläge gegen deren Lagerstätten zu verüben.

Aber die eigentliche Frage ist doch – eine Antwort darauf habe ich nun wiederum bei der FDP vermisst –, ob man unter veränderten Umständen nach wie vor der Ansicht ist oder nicht mehr der Ansicht ist, dass wir am Grundsatz der nuklearen Teilhabe festhalten sollten. Wer wie Sie, Herr Kollege Westerwelle, den Abzug unterschiedslos aller Nuklearwaffen aus Deutschland fordert, stellt auch die nukleare Teilhabe und die gültige NATO-Strategie infrage. Das sollte man, wie ich finde, dann aber auch sagen.

(Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Das ist richtig so!)

– Von Ihnen wird dies konsequent vorgetragen. Aber wie gesagt, man muss dann die Frage beantworten, wie man zur gültigen Nuklearstrategie der NATO steht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich bin der Ansicht, dass wir, auch wenn die Notwendigkeit der Abschreckung in den letzten Jahrzehnten nach dem Ende des Kalten Krieges erfreulicherweise abgenommen hat, zur Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger nach wie vor auf eine nukleare Abschreckungskomponente angewiesen sind. Der offenkundigen Nuklearisierung Indiens und Pakistans ist weltweit eine beschleunigte Proliferation der Nukleartechnologie gefolgt. Wir haben – darüber diskutieren wir in diesem Hause immer wieder – mit Nordkorea und dem Iran zwei Staaten, die im Hinblick auf die Nukleartechnologie vor dem Überschreiten der Schwelle stehen oder diese bereits überschritten haben.

Der geografische Fokus der nuklearen Bedrohung hat sich für die NATO in Richtung Asien sowie Nah- und Mittelost verlagert. Vor diesem Hintergrund wurden bedeutende und von uns unterstützte Abrüstungsschritte möglich. Die Bedeutung der Nuklearwaffen hat sich in diesem neuen Sicherheitsumfeld geändert. Die Abhängigkeit der NATO von Nuklearwaffen hat sich erfreuli-cherweise weiter reduziert. Aber wir werden doch gerade vor dem Hintergrund dieser neuen Gefahren nicht darauf verzichten können, dem fundamentalen Zweck der Nuklearwaffen im Bündnis nachzukommen. Dieser ist ein eminent politischer, nämlich Frieden zu bewahren und Kriege zu verhindern sowie den politischen, strategischen, militärischen Erfolg – wie immer Sie es auch nennen wollen – von jemandem, der mit dem Einsatz von Nuklearwaffen rechnet oder sie in das Kalkül zieht, so weit zu minimieren, dass es dazu nicht kommt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir hören doch von Ihrer Fraktion, der FDP, immer wieder die nachvollziehbaren und von mir auch gar nicht infrage gestellten Bekenntnisse zum Existenzrecht Israels einerseits und die ablehnende Äußerung des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad andererseits. Jetzt zählen Sie doch einfach einmal die Fakten zusammen: das iranische Raketenprogramm, das iranische Nuklearprogramm und schließlich die ständigen Drohungen des iranischen Präsidenten gegen Israel.

(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Dafür sind die Atomwaffen da?)

– Ich erkläre es Ihnen, Herr Westerwelle.

Vor diesem Hintergrund ist ja leider das Szenario nicht unwahrscheinlich, dass der Iran irgendwann Israel mit Nuklearwaffen bedrohen könnte. Wenn wir in einer ähnlichen Situation wie im ersten Irak-Krieg, als Saddam Hussein Raketen auf Israel geschossen hat, Abwehrraketen an Israel liefern würden und der Iran daraufhin erklären würde, wir würden zur Kriegspartei, dann müssten wir eine Antwort auf eine solche strategische Bedrohung haben. Auf solche, leider nicht völlig unwahrscheinliche Gefahren müssen wir uns dann einrichten

(Dirk Niebel [FDP]: Eine sehr gewagte Theorie!)

und in unsere Sicherheitskalkulation mit einbeziehen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Dafür sind die Atomwaffen da?)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Elke Hoff spricht jetzt für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Elke Hoff (FDP):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Staatssekretär hat eben den Begriff „Gespensterdebatte“ benutzt.

(Beifall des Abg. Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE])

Wir diskutieren hier über ein Thema, das wirklich der Ernsthaftigkeit bedarf. Es ist gut und wichtig, dass wir hier und heute diese Aktuelle Stunde durchführen. Diese Diskussion zeigt nämlich, dass es im Deutschen Bundestag für die These von Herrn von Klaeden keine Mehrheiten mehr gibt.

(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab-geordneten der SPD und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Lieber Rolf, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Ich finde, du hast die Haltung deiner Fraktion mit sehr klaren Worten dargestellt. Die Unionskollegen sollten einmal innehalten und sich fragen, ob das, was sie hier argumentativ vortragen, wirklich den politischen Willen des Deutschen Bundestages widerspiegelt. Ich bin sehr gespannt darauf.

Herr von Klaeden, ich schätze Sie als außenpolitischen Fachmann wirklich sehr. Auch ich bedauere, dass der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung angesichts dieses Themas allein auftritt. Ich hätte mir gewünscht, dass auch ein Vertreter des Auswärtigen Amtes auf der Rednerliste gestanden hätte.

(Beifall bei der FDP)

Die Dinge sind nämlich eng miteinander verzahnt, und das Problem bedarf einer Antwort aus beiden Bereichen.

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vernetzt!)

– Die Dinge sind miteinander vernetzt; vielen Dank, Kollege Nachtwei.

Keiner der Redner hat in irgendeiner Form die Frage beantworten können – Herr von Klaeden, auch Sie nicht –, wer mit der nuklearen Teilhabe in der Bundesrepublik Deutschland abgeschreckt werden soll. Ich halte es geradezu für einen Affront gegenüber unseren Freunden in Israel, eine solche argumentative Hilfskonstruktion aufzubauen,

(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab-geordneten der SPD)

obwohl die nukleare Teilhabe aus einer Zeit stammt, in der sich die Bedrohung aus der Blockkonfrontation ergab. Selbstverständlich müssen wir über die strategische Ausrichtung unserer Sicherheitspolitik reden und uns immer wieder neu ausrichten. Mit dieser Verknüpfung haben Sie sich nach meiner Meinung aber einen Bärendienst erwiesen. Das überzeugt niemanden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Eckart von Klaeden [CDU/ CSU]: Sagen Sie doch einmal ein Argument dagegen!)

Solange die Frage, wer heute abgeschreckt werden soll, nicht beantwortet werden kann, müssen wir, die verantwortlichen Politiker im Deutschen Bundestag, uns fragen, ob wir es unseren Bürgerinnen und Bürgern weiterhin zumuten können, dass sich Atomwaffen auf unserem Territorium befinden.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Sehen Sie die neuen Gefahren nicht?)

Wir müssen uns doch fragen, ob es nicht viel besser ist, an dieser Stelle über ernsthafte Abrüstungsinitiativen zu reden.

Wir haben den Atomwaffensperrvertrag zwar gezeichnet, handeln zurzeit aber nicht vertragskonform. Es ist ja nicht so, dass auf NATO-Ebene keine Gesprächsbereitschaft vorhanden ist. Sowohl der NATO-Generalsekretär als auch Mitglieder der NATO, insbesondere die Vereinigten Staaten, haben gesagt: Es ist okay, wenn Deutschland das Thema auf die Tagesordnung setzen will. Wir können darüber diskutieren. Lieber Kollege Nachtwei, das war übrigens auch schon zu Zeiten der rot-grünen Bundesregierung der Fall. Wenn Deutschland seine Glaubwürdigkeit in Sachen Abrüstungspolitik bewahren will, wäre es doch ein Leichtes, dieses Thema auf die NATO-Tagesordnung zu setzen, um dann konstruktiv und mit Blick in die Zukunft darüber diskutieren zu können.

(Uta Zapf [SPD]: So einfach ist das nicht!)

Das erwarten wir von der Bundesregierung.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE])

Herr von Klaeden, Sie haben eben gesagt, wir würden Antworten schuldig bleiben. Ich hatte nicht den Eindruck, dass Sie uns als Teil der Bundesregierung gemeinsam mit Ihrem Koalitionspartner eine Antwort hätten geben können.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Ich bin nicht Teil der Bundesregierung!)

Sie sind zurzeit in der Regierungsverantwortung und müssen uns deswegen zeigen, dass Ihre Gründe schlüssig sind.

Noch einmal zurück zum Thema Sicherheit: Herr Staatssekretär, Sie haben eben behauptet, dass wir über dieses Thema im Ausschuss debattiert hätten. Wir haben es am Rande der Sitzung nur sehr kurz angesprochen. Ich hätte mir gewünscht, dass wir mehr Zeit gehabt hätten, um über diese Dinge zu diskutieren. Ich wünsche mir, dass unserer Bevölkerung glaubhaft versichert wird, dass die Lagerung, die zurzeit noch stattfindet, sicher ist und die Bundesregierung alles in ihrer Macht Stehende dazu beiträgt, die Sicherheit zu gewährleisten. Ich wünsche mir aber auch, dass die Regierung gleichzeitig das klare Signal gibt – hier ist der Bundesaußenminister gefordert –, dass wir bereit sind, uns in Sachen Abrüstung international an die Spitze zu stellen, und zwar außerhalb der Sonntagsreden und Konferenzen, mit ganz konkreten Maßnahmen innerhalb der NATO. Ich wünsche mir, dass wir unsere Auffassung auf den Tisch legen.

Ich sehe dafür eine Mehrheit in diesem Deutschen Bundestag. Werden Sie sich untereinander einig. Ich denke, dann kann man über alles reden.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Uta Zapf spricht jetzt für die SPD-Fraktion.

Uta Zapf (SPD):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe manchmal das Gefühl, dass wir an Gedächtnisschwund leiden.

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Genau!)

Im Jahre 2005 gab es schon einmal einen FDP-Antrag; das wissen Sie selbstverständlich.

(Dirk Niebel [FDP]: Er ist von Rot-Grün ausgesessen worden!)

Über ihn ist damals nicht abgestimmt worden, weil die Legislaturperiode zu Ende war. Sie haben dann wiederum einen Antrag eingebracht.

Am 25. Januar 2006 gab es einen Antrag der Linken. Über ihn haben wir hier und im Ausschuss mehrfach diskutiert. Am 7. März 2006 gab es einen Antrag der Grünen. Beide sind abgelehnt worden. Jetzt steht noch der Antrag von der FDP auf der Tagesordnung. Außer in dieser Aktuellen Stunde werden wir uns, denke ich, noch in einer anderen Plenardebatte damit auseinandersetzen müssen. Denn hier haben sich ganz viele dafür ausgesprochen, endlich einmal über die NATO-Strategie und über den Abzug der Atomwaffen aus Europa nachzudenken. In diesem Zusammenhang muss auch seriös über die Möglichkeiten der Abrüstung in der Welt insgesamt diskutiert werden.

Im Übrigen hat diese Koalition am 8. November 2006 in einem Antrag formuliert, dass „neue Impulse zur Reduzierung substrategischer Nuklearwaffen in Europa seitens der NATO sinnvoll“ sind. Über Waffen im Zusammenhang mit der NATO diskutieren wir doch im Moment. Der Dreiklang, der hier genannt wurde, Herr von Klaeden, wirkt auf mich im Moment wie ein Missklang. Darüber muss im Rahmen einer neuen Diskussion über die NATO-Strategie gesprochen werden. Diese steht an und wird unter Umständen bis 2009 auf der Tagesordnung gewesen sein. Das Europäische Parlament hat in 2006 den Abzug gefordert. Das belgische Parlament hat ebenfalls in 2006 eine Resolution dazu beschlossen. Es gibt ein europäisches Land, das erfolgreich war in der Forderung, diese Waffen von seinem Territorium zu entfernen: Griechenland.

Manchmal ist eine weitere historische Erinnerung ganz wichtig. Erinnern wir uns einmal daran, was die Bundesregierung 1989 gemacht hat. Sie hat von den Alliierten verlangt, die Kurzstreckenwaffen aus Europa abzuziehen. Wie wir wissen, war diese Forderung erfolglos. Liebe Freunde, wir haben – manchmal parteiübergreifend – im Deutschen Bundestag im Zusammenhang mit dem Nichtverbreitungsvertrag immer wieder dieselben Forderungen gemeinsam beschlossen.

Auch die NATO hat bis zum Jahre 2000 unterstützt, was die Überprüfungskonferenz in dem Jahr gefordert hat. Sie hat die 13 Schritte, die zur totalen Abrüstung führen sollen, begrüßt. Einer dieser 13 Schritte ist, diese taktischen Atomwaffen von der Welt zu entfernen. Herr Mützenich hat recht: Natürlich wird das ohne Russland überhaupt nicht möglich sein. Aber dazu muss eben auch ein Impuls gegeben werden; dieser darf nicht einseitig sein. Es hat immer wieder Impulse in der Diskussion über die NATO-Doktrin gegeben. Ich erinnere daran, wie viel Prügel Außenminister Fischer eingesteckt hat, als er versucht hat, „no first use“ in der NATO durchzusetzen. Er hat es nicht geschafft. Auch Herr Struck hat die Themen Waffen und nukleare Teilhabe eingebracht. Auch er ist nicht gerade freundlich empfangen worden.

Aber ich finde, wir haben angesichts der veränderten Lage eine große Verantwortung, unsere Strategien zu überdenken; offensichtlich steht Proliferation bzw. Nichtverbreitung im Moment im Vordergrund. Es kann doch nicht sein – so hat es sich hier jetzt angehört –, dass wir mit Atomwaffen gegen potenzielle Bedrohung durch Atomwaffen, Terroristen oder militärische Überlegenheiten angehen. Wir würden uns selber töten. Lassen Sie sich einmal von einem Wissenschaftler vorrechnen, welche Schäden für die gesamte Umwelt und Umgebung auch nur eine ganz unbedeutende Auseinandersetzung mit atomaren Waffen verursachen würde. Wir sind gut beraten, uns wieder mehr der Abrüstung zuzuwenden, um andere mitzunehmen oder davon abzuhalten, ihrerseits atomar aufzurüsten. Je länger wir auf der Abschreckung bestehen und je stärker sich unsere Strategien – wie die der Amerikaner – an präemptiven nuklearen Schlägen orientieren, desto reizvoller wird es für andere, wie Iran und Libyen – das haben wir gesehen –, sich diese Waffe auch zuzulegen, weil sie meinen, mit ihr besser geschützt zu sein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist auch an unseren Koalitionspartner ein starker Appell. Ich kann in keiner Weise das unterschreiben, was hier mit großer Selbstgewissheit über die NATO gesagt worden ist. Wir sind gut beraten, wenn wir eine internationale, aber auch eine nationale Initiative für weitere Abrüstung und für eine Veränderung der NATO-Strategie starten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Der Kollege Freiherr zu Guttenberg hat für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort.

Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CDU/ CSU):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Um mit einer sich anbahnenden Legendenbildung aufzuräumen: Wir alle, auch die CDU/CSU, teilen die Zielsetzung einer nuklearwaffenfreien Welt.

(Beifall bei der CDU/CSU – Uta Zapf [SPD]: Aber nicht so schnell!)

Nun schwappt einmal mehr eine friedensbewegte Welle durch unser Land. Herr Westerwelle, dabei schwappen Sie munter mit.

(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das ist das erste Mal in meinem Leben!)

Das kann man auch mit guten Gründen tun. Ich teile nicht alle Argumente, die unser Geburtstagskind Mützenich vorgetragen hat, aber sie liefern eine gute und intellektuell saubere Begründung. Damit begibt man sich nicht auf das gleiche Niveau wie die Linkspartei. Das ist auch unter Ihrer Würde, Herr Westerwelle. Man kann das auch anders machen.

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Auch da kann man Herrn Westerwelle in Schutz nehmen!)

Man sollte auch nicht auf der Welle des Populismus reiten. Ansonsten ist man irgendwann ebenso ungesichert wie die Waffen in Büchel.

Das ist die eigentliche Frage, der wir heute nachzugehen haben. Diese Sicherheitslücke ist tatsächlich mehr als bedauerlich. Sie muss abgestellt werden und wird wohl auch abgestellt. Vor diesem Hintergrund kann man auch über anderes sprechen. Aber die Frage ist, ob man diese Dinge in einer Weise miteinander vermengt, die dazu führt, dass die Frage des Wie, also wie wir zu dem gemeinsam geteilten Ziel einer nuklearfreien Welt kommen, im Grunde ad absurdum geführt wird. Gerade aber auf das Wie kommt es an.

Dazu kann ich nur sagen: Die nukleare Teilhabe ist Mittel zum Zweck. Dieser Konnex ist in der Tat wichtig. Nukleare Teilhabe sichert Mitsprache. Diese Mitsprache geht jedoch dahin, dass wir uns irgendwann in einer nuklearfreien Welt bewegen können. Und ohne wird es nicht funktionieren.

Es ist schon interessant, wie sich mancher profilbedachte Lautsprecher in diesen Tagen nicht mehr erinnert, wie er selbst in der Regierungsverantwortung gehandelt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich habe es möglicherweise aus dem Gedächtnis verloren, dass in den sieben Jahren der Vorgängerregierung auch nur einer oder eine einmal die nukleare Teilhabe infrage gestellt hätte.

(Uta Zapf [SPD]: Doch! – Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 2004/2005!)

– Wer hat denn bitte die nukleare Teilhabe öffentlich infrage gestellt? Wer von den FDP-Außenministern hat jemals die nukleare Teilhabe öffentlich infrage gestellt?

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! 2004/2005 – Dirk Niebel [FDP]: Das ist zu lange her!)

– Das ist möglicherweise für alle etwas zu lange her, das kann schon sein. Herr Westerwelle, Sie sind dann wahrscheinlich der Erste, der im ersehnten, angestrebten Amte sofort, unverzüglich und mit entsprechender Verve darangehen wird, diese Ziele unter plötzlicher Entdeckung des Unilateralismus – leider an der NATO vorbei – umzusetzen. Dazu kann ich nur sagen: Das ist pure Träumerei. Es ist ein unseriöser Ansatz, wenn wir uns mit dieser Frage so beschäftigen, wie Sie sich heute damit beschäftigen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es sind überhaupt jene, die sonst immer laut und zu Recht nach Multilateralismus rufen, die plötzlich den Unilateralismus neu für sich entdecken, weil in dieser Frage nichts erreicht werden kann, ohne die Strukturen der NATO zu nutzen. Es ist für uns schon eine wichtige Frage, ob man das Bündnis für diese gemeinsame Zielsetzung nutzen kann. Dann muss man aber auch ein Stück weit Bündnisverantwortung und Bündnissolidarität zeigen.

Natürlich ist die Frage berechtigt: Nutzen uns die Waffen in Büchel noch etwas? Weitere Fragen wären: Wohin müssten sie verbracht werden? Was ist mit ihrem Bedrohungspotenzial? Aber mit der Art und Weise, wie Sie Ihre Forderung vortragen, werden Sie bei unseren amerikanischen Bündnispartnern nichts, aber auch gar nichts erreichen. In den USA wird diese Debatte zwar noch schüchtern und für uns alle viel zu leise geführt, aber sie wird geführt.

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei uns aber viel stärker!)

Wenn man aber so auftritt und solche Gründe anführt wie Sie, dann wird sich auch der neue Präsident der USA bei diesem Thema nicht bewegen. Es ist auch eine Frage des Stils, wie man hier vorgeht.

(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Da sind Sie ja Experte!)

Glauben Sie denn, dass ein Abzug der Atomwaffen aus Deutschland allein unser Land sicherer machen würde? Wissen Sie, was passieren würde, wenn wir diese Waffen an einen anderen Ort, den wir eher als unsicherer erachten, verbringen würden? Ist das ein großartiger Erfolg?

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Glaubwürdigkeit ist auch nicht schlecht!)

Ist das ein Beitrag zu unserer Sicherheit? Ist das etwas, was unserer Zielsetzung entspricht? Ich glaube, nein. Das ist eher ein bemerkenswerter Beitrag zur immanenten Entsolidarisierung der NATO. Das ist ein „großartiger“ Beitrag, Herr Westerwelle, der ganz in der Tradition der Außenminister Ihrer Partei steht!

In meinen Augen müssen wir das Thema Abrüstung angehen, indem wir die NATO und die Strukturen der NATO nutzen. Dort müssen wir unser Gewicht deutlich machen; wir müssen es uns aber auch bewahren. Die NATO ist der Ort, an dem über Abrüstung gesprochen werden muss. Unsere Zielsetzung ist eine atomwaffenfreie Welt. Dieses Ziel werden wir aber nicht erreichen, wenn wir in der Art und Weise vorgehen, wie Sie es getan haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Sie sind der Erste, der mich in die Friedensbewegung gepackt hat!)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Jetzt spricht Gert Winkelmeier.

Gert Winkelmeier (fraktionslos):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir sprechen heute über die US-Atomwaffenlager, speziell über das im Fliegerhorst Büchel in Rheinland-Pfalz. In einer US-Studie ist von gravierenden Sicherheitsmängeln bei der Lagerung von Atomwaffen die Rede. Das eigentliche Problem sind aber die Atomwaffen selbst – und die werden in dieser Studie leider nicht erwähnt.

Ich freue mich, dass alle drei Oppositionsfraktionen den Abzug der Atomwaffen fordern. Ich freue mich auch, dass sogar die rheinland-pfälzische Landesregierung ihren Abzug fordert. Mich ärgert aber der billige Populismus, ja die Verhöhnung der Menschen, die bei diesem Thema vor allem bei der SPD, aber auch bei der FDP Einzug gehalten haben.

Wenn Herr Westerwelle und Herr Brüderle sagen, diese Waffen seien ein Überbleibsel aus dem Kalten Krieg, dann haben sie objektiv gesehen recht. In diesem Zusammenhang ist aber die Frage erlaubt: Wo waren Sie denn, als die Friedensbewegung diese Forderung bereits vor Jahrzehnten aufgestellt hat? Wo waren Sie damals?

(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Damals hatten wir ja noch einen Kalten Krieg!)

– Der Kalte Krieg ist seit mittlerweile 18 Jahren vorbei, Herr Westerwelle; das wissen Sie genauso gut wie ich. Wo waren Sie in den letzten zehn Jahren?

(Dirk Niebel [FDP]: Wie Sie in der Opposition! Das wissen Sie doch hoffentlich!)

In den letzten zehn Jahren haben Sie die Friedensinitiative in Büchel nicht ein einziges Mal unterstützt. Herr Brüderle war jahrelang stellvertretender Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz. Was hätte er in diesem Amt nicht alles für die Umsetzung dieser Forderung tun können! Nichts hat er in diesem Sinne getan. Er hat der Friedensbewegung immer die Auskünfte verweigert.

(Dirk Niebel [FDP]: Was hat Joseph Fischer eigentlich die ganze Zeit gemacht?)

Es ist erwähnt worden, dass Rheinland-Pfalz jahrzehntelang der Flugzeugträger der NATO war; das ist richtig. Das ist eine Formulierung der Friedensbewegung. Politiker von CDU und FDP waren in diesem Bundesland jahrzehntelang in Regierungsverantwortung. Sie haben dieses Bundesland hochgerüstet und militaristisch geprägt. Auch Kurt Beck lässt heute keine Gelegenheit aus, in den USA für den Erhalt der US-Standorte in Rheinland-Pfalz zu werben. Das macht seine jetzige Forderung nach Abzug der Atomwaffen schlicht und einfach unglaubwürdig.

Ich fordere einen Verzicht auf die nukleare Teilhabe. Folgen Sie den Beispielen Kanadas und Griechenlands! Diese beiden Länder haben den Verzicht auf die nukleare Teilhabe beschlossen und werden seit diesem Beschluss allerdings nicht atomar erpresst, wie es uns die Herren von Guttenberg und von Klaeden von der CDU/CSU weismachen wollen.

Vor zwei Jahren haben Sie alle, Kolleginnen und Kollegen, dem Weißbuch zur Sicherheitspolitik zugestimmt. Zu diesem Zeitpunkt hätten Sie die Frage des Atomwaffenabzugs ansprechen können, hätten Sie die Frage der nuklearen Teilhabe ansprechen können. Sie haben zugestimmt, dass es Atomwaffen auf deutschem Boden gibt, weil Sie die Tornadopiloten für den Einsatz, für den Abwurf der Atomwaffen, ausbilden wollten. Deshalb glaubt Ihnen von der Friedensbewegung niemand, dass Sie ehrlich für den Abzug dieser Waffen eintreten.

Einzig die Partei Die Linke und die Friedensbewegung sind glaubhaft in ihrer Forderung nach Verzicht auf Mitsprache bei der Verfügung über Atomwaffen, in ihrer Forderung nach dem Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland und in ihrer Forderung nach einer atomwaffenfreien Zone.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Gert Winkelmeier (fraktionslos):

Ich komme zum Ende. – Herr Westerwelle, wenn Sie es wirklich ernst meinen, dann lassen Sie sich am 30. August in Büchel blicken, wo die Friedensinitiative Westpfalz gegen diese Waffen demonstrieren will.

(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Mit Ihnen werde ich nicht Händchen halten!)

– Auf mich brauchen Sie keine Rücksicht zu nehmen. Aber ich wäre erfreut, wenn Sie sich dort sehen lassen würden. Das wäre ein Stück Glaubwürdigkeit.

Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo waren Sie denn letztes Jahr? Ach so, Sie waren nicht da!)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Der Kollege Rolf Kramer hat jetzt das Wort für die SPD.

Rolf Kramer (SPD):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden über bis zu 20 Atomwaffen, die möglicherweise noch in Büchel gelagert sind. Ich stelle mir vor, wir hätten diese Diskussion in den 60er-Jahren, in den 70er-Jahren, in den 80er-Jahren geführt: Wir alle wären vor lauter Hurra an die Decke gesprungen, wir hätten es als riesengroßen Erfolg gefeiert, dass nur noch so wenige Atomwaffen dort gelagert werden. – Man muss man sich immer wieder klarmachen, worüber man redet.

Wir haben in den fast 20 Jahren seit dem Ende des Kalten Krieges einen großen Weg zurückgelegt in Richtung weniger Atomwaffen, zumindest in Europa, in Deutschland. Wir alle sollten froh sein, dass ein Großteil der taktischen Atomwaffen nicht mehr in Europa gelagert wird.

Wir sprechen heute über Sicherheitsmängel bei der Lagerung der Atomwaffen. Jenseits jeder Diskussion muss klar sein, dass Sicherheitsmängel abgestellt werden müssen.

Herr Nachtwei hat darauf hingewiesen, dass er seinen Dienst als Soldat in einer Einheit versehen hat, die mit Atomwaffen ausgerüstet war. Ich selbst durfte in einer Fla-Rak-Einheit meinen Dienst ableisten. Wir haben geübt, die Städte im Umkreis von 100 bis 200 Kilometern mit Atomwaffen zu belegen. Einige wenige – ich gehörte dazu – haben damals darüber nachgedacht und gesagt: Es kann nicht der richtige Weg sein, das eigene Territorium mit Atomwaffen zu belegen, sprich: es zu zerstören.

Vor dem Hintergrund dessen, dass der Kalte Krieg seit etwa 20 Jahren vorbei ist, müssen wir immer wieder darüber nachdenken, ob die Nuklearstrategie der NATO so, wie sie angelegt ist, noch sinnvoll ist. Wer in das NATO-Handbuch aus dem Jahr 1999 schaut, sieht, dass in diesem Bereich große Fortschritte zu verzeichnen sind.

Ich glaube, es war Verteidigungsminister Volker Rühe, der nach dem Ende des Kalten Krieges ausgeführt hat, dass Deutschland „von Freunden umzingelt“ ist und dass wir natürlich unsere Strategie ändern müssen. Wir haben, obwohl uns der Feind abhandengekommen ist, noch immer Tornadoflugzeuge in Büchel, die üben, wie man Atomwaffen abwirft.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die militärische Notwendigkeit, den Einsatz solcher Waffen zu üben, ist nicht mehr gegeben. Auch erschließt sich mir und den Mitgliedern meiner Fraktion die politische Sinnfälligkeit dessen nicht. Deshalb müssen wir unsere Strategie ändern. Wir sind für einen weiteren drastischen Abbau der vorhandenen Atomwaffen. Diese Diskussion – darauf ist hingewiesen worden – ist überhaupt nicht neu. Bei der Diskussion über das Weißbuch haben wir schon darüber gesprochen. Ein wichtiges Ar-gument, das auch hier immer wieder gebracht wurde, ist, dass die Teilhabe an Planungsprozessen hinsichtlich der Atomwaffen davon abhängig ist, ob wir in Deutschland über Atomwaffenträger verfügen und mit ihnen üben.

Mein Kollege Hans-Peter Bartels hat im Februar letzten Jahres eine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet, die in diese Richtung ging. Er fragte nämlich danach, wie viele Staaten der NATO Trägersysteme zur Verfügung stellen. Die Antwort lautete: Es sind acht. – Die nächste Frage war, wie viele Länder der NATO an den Planungsprozessen teilnehmen. Die Antwort war: Bis auf Frankreich alle. – Frankreich ist im NATO-Russland-Rat und nimmt vor diesem Hintergrund auch an den Planungen teil.

Mir scheint das Argument, dass wir nur durch die Trägersysteme unser Gewicht in den NATO-Gremien einbringen können, also sehr schwach zu sein.

(Beifall bei der SPD)

Andere NATO-Länder verfügen nicht über Trägersysteme und nehmen trotzdem an den Planungsprozessen teil.

Man sollte die Diskussion vielleicht auch ein wenig gelassen führen; denn ab dem Jahre 2013 werden die Tornados ausgephast. Es gibt dann kein Nachfolgesystem; denn die Eurofighter, die eingeführt werden, sind dafür nicht gedacht. Es wird auch nicht mehr geübt werden. Dieses Problem löst sich also mit der Zeit. Uns wäre es aber lieb, wenn man dieses Problem ganz schnell lösen könnte.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Der Kollege Ernst-Reinhard Beck spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gleich vorneweg: Sollten die Ergebnisse in der amerikanischen Studie tatsächlich richtig sein, dann müssten die dort aufgeführten Mängel von den Amerikanern umgehend und schnell beseitigt werden. Ich glaube, darüber sind wir uns völlig einig.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es kann nicht sein, dass in Deutschland stationierte Nuklearwaffen nur unzulänglich gesichert sind. Es wäre in der Tat fatal und nicht erträglich, wenn davon aufgrund mangelhaften Schutzes keine Gefahr für irgendwelche Gegner, sondern für unsere eigene Bevölkerung ausginge.

In diesem Bericht steht, dass die Anlagen durch Wehrpflichtige, die nur neun Monate lang ausgebildet wurden, gesichert seien. Wir haben eine Wehrpflicht von neun Monaten; das scheint den Verfassern bekannt zu sein. Ich möchte jetzt nicht über Qualität reden, aber ich möchte unsere Wehrpflichtigen in Schutz nehmen; denn nach ihrer Grundausbildung können sie in der Tat Wach-dienst leisten. Den Verweis auf eine Wehrpflicht, die dafür vielleicht generell nicht geeignet ist, halte ich schlichtweg für eine Zumutung. Unsere Soldaten leisten hier einen guten Dienst, und sie sichern den äußeren Bereich ab.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Für den inneren Bereich sind die Amerikaner zuständig. Das ist so. Herr Kollege Kramer, ich gebe Ihnen recht, dass wir das in aller Ruhe diskutieren sollten. Ich kann Ihnen aber die Sicherheit nicht ganz geben. Auch nach 2013 halten wir Tornados vor, die nuklearwaffenfähig sind. Von daher läuft das 2013 nicht aus.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es kann einfach nicht sein, dass wir aufgrund eines Mängelberichts den Abzug der Nuklearwaffen durch die Amerikaner fordern, weil die Waffen angeblich unsicher bei uns gelagert sind. Wenn wir zu dieser Forderung kommen und der Auffassung sind, dass wir auf amerikanische und sonstige Nuklearwaffen auf unserem Boden verzichten wollen, weil sich die Dinge geändert haben, dann kann dies doch nur das Ergebnis einer sicherheitspolitischen und einer NATO-strategischen Diskussion sein, an deren Ende wir sagen: Ja, das gesamte Szenario hat sich geändert. Deshalb brauchen wir weder die nukleare Teilhabe noch – im Bereich der Abschreckung – die taktischen Atomwaffen, die mit Flugzeugen transportiert werden. – Diese Diskussion vermisse ich. Die Diskussion jetzt ist im Grunde sehr punktuell auf die Sicherheitsfragen statt auf das Grundsätzliche abgestellt.

Ich meine trotzdem, feststellen zu müssen, dass die NATO-Strategie der Abschreckung nach wie vor Gültigkeit hat, liebe Frau Kollegin Hoff. Sie haben gefragt, wen wir eigentlich abschrecken. Abschreckung ist zunächst einmal ein abstrakter Begriff. Ich kann jemanden abschrecken, der direkt vor mir steht, aber ich kann auch gegenüber potenziellen Gefahren abschreckend wirken. Es gibt eine riesige Menge an Literatur über die Strategie der Abschreckung.

Wenn Sie dieses Thema vereinfachen, wie es auch der Kollege Westerwelle getan hat – er hat sich darüber lustig gemacht und gesagt, dass wir noch im Ost-West-Konflikt seien und keine Ahnung hätten, was eigentlich passiert ist –, dann blenden Sie aus, welche tatsächlichen Gefährdungen bestehen. Sind die iranische Nuklearrüstung, die Atombombe von Nordkorea und der Reaktor in Syrien etwa nicht real?

Richtig ist aber – ich glaube, das hat der Kollege Mützenich vorhin im richtigen Kontext getan –, dass wir über all diese Gefährdungen sprechen und sie in den richtigen Zusammenhang stellen müssen. Das gilt übrigens auch für die russischen Nuklearwaffen und Nuklearreaktoren, die noch ungesichert irgendwo im Eismeer liegen. Diese ganzen Bereiche müssen wir mit einbeziehen, statt uns punktuell auf Büchel zu konzentrieren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Peter Danckert [SPD] – Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie sieht es mit der Rechtswidrigkeit aus?)

Wir sind – um das ganz klar zu sagen – für Abrüstung. Wir sind für eine Politik der nuklearen Abrüstung und der Nichtverbreitung. Die Kollegin Zapf hat zu Recht gesagt, dies seien zwei Seiten derselben Medaille. Ziel muss aber nicht nur die weltweite Abschaffung der Nuklearwaffen, sondern die weltweite Ächtung und Abschaffung aller Massenvernichtungswaffen sein. Dies müsste, glaube ich, das Fernziel sein. Wir sind leider noch nicht so weit.

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man darf aber die ersten Schritte nicht vergessen!)

– Richtig. Wir haben schon erste Schritte unternommen. Auch darauf ist bereits hingewiesen worden. 95 Prozent der Nuklearwaffen sind bereits aus Deutschland abgezogen worden, lieber Kollege Nachtwei.

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber jetzt treten Sie auf der Stelle!)

Ich meine, der Abzug der US-Atomwaffen wäre zum jetzigen Zeitpunkt falsch. Denn im Kern geht es um die Mitsprache Deutschlands im Bündnis auf gleicher Augenhöhe. Deshalb können wir jetzt noch nicht darauf verzichten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür müssen die Soldaten etwas Rechtswidriges tun!)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Der Kollege Gerd Höfer spricht jetzt für die SPD-Fraktion.

Gerd Höfer (SPD):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Aktuellste an der heutigen Debatte ist die Meldung in der Memminger Zeitung vom gestrigen Tage, die den Spiegel-Online-Bericht über Sicherheitsmängel bei der Lagerung von Atomwaffen aufgegriffen hat. Es war mir durchaus klar, dass sich daraus eine Aktuelle Stunde entwickeln kann, die nichts mehr mit der Sicherheit der Lagerung zu tun hat, sondern sich mit den politischen Dimensionen von Atomwaffen insgesamt beschäftigt.

In meinem Wahlkreis gab es ein Atomwaffenlager. Es befand sich auf einer Wiese; es verfügte über Wachturm und Scheinwerfer. Das friedliche Bild wurde durch Schafherden ergänzt, die dort das Gras abgeweidet haben. Die Menschen in einer benachbarten Kleinstadt haben sich immer gewundert, warum dort nur 30 Amerikaner stationiert gewesen sind. Der äußere Ring wurde durch Deutsche bewacht; der innere sah ganz anders aus. Insofern kann mit Sicherheit bezweifelt werden, dass dort Sicherheitsrisiken bei der Lagerung bestanden haben.

Es ist aber schon fast ein Pawlow’scher Reflex: Wenn von Atomwaffen die Rede ist, dann stehen für die Menschen zunächst die Dimension und der Schrecken der militärischen Möglichkeiten von Atomwaffen im Vordergrund. Es wird aber übersehen, dass die Atomwaffen – über die militärische Bedeutung hinaus – heute auch eine politische Stärke – in Anführungszeichen – bewirken. Das hängt damit zusammen, dass Staaten, die über Atomwaffen oder Trägerraketen verfügen – auch wenn es nur eine einzige ist –, in ihrem politischen Gewicht plötzlich anders beurteilt werden.

Das wurde deutlich, als sich abzeichnete, dass der eine oder andere Staat – sei es Südafrika, Israel, Pakistan oder Indien – im internationalen Kontext und in der Frage, wie man mit diesen Staaten umgehen bzw. verhandeln soll, einen Bedeutungszuwachs erlebte. Das ist ebenso pervers wie die Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen.

Als letzter Redner hat man es natürlich am schwersten. Dennoch wage ich eine Zusammenfassung: Es ist klar, dass kein Mitglied des Bundestages für Atomwaffen als Ultima Ratio eintritt, im Gegenteil. Wir streiten darüber, auf welchem Weg wir das, was bislang bei der Abrüstung erreicht wurde, fortführen können. Die spannende Frage ist, ob die nukleare Teilhabe, wie sie hier beschrieben wurde – ich will das nicht wiederholen –, einen Weg weist oder ob der Verzicht auf die nukleare Teilhabe in der Bundesrepublik Deutschland den Weg, den wir gemeinsamen gehen wollen, verstärkt oder schwächt. Das ist nicht nur eine akademische Frage, sondern eine Frage der Chemie. Wir haben viel erlebt und hatten große Hoffnungen. Als die Administration Clinton kam, herrschte eine hoffnungsvolle Stimmung im Deutschen Bundestag. Viele waren der Meinung, dass sich die amerikanische Außenpolitik ändern wird. Tatsächlich hat sie sich nicht so viel geändert. Nur der Ton wurde angenehmer.

Ich wage vorauszusagen: Egal wie die kommende Wahl in den USA ausgeht, an bestimmten Dingen wird sich nichts ändern. Daher schlussfolgere ich, dass man über die Mitgliedschaft in der NATO und die nukleare Teilhabe versuchen sollte, die Dinge auf einen Weg zu bringen, den die NATO-Partner gemeinsamen gehen können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Viele verkennen: Die zur Verfügung stehenden Trägerflugzeuge stehen unter NATO-Kommando und nicht unter dem Kommando des Inspekteurs der Luftwaffe. Das erleichtert zwar die ganze Sache nicht, hindert uns aber in keiner Weise daran, den Verhandlungsweg zu beschreiten.

Wir brauchen ein wirksameres Kontrollregime als bislang. Denn wie ist es möglich, dass unter Beobachtung aller, die für die Nichtverbreitung sind, auf einmal Staaten demonstrativ zeigen, dass sie Atomwaffen haben? Wie haben diese Staaten es geschafft, die Technologie zu erwerben, zum Erstaunen aller Völker Atombombentests durchzuführen und schließlich Mittelstreckenraketen erfolgreich zu testen? Das Kontrollregime, das dies eigentlich verhindern sollte, ist also nicht ausreichend. Die Rolle der Wirtschaft, die das ermöglicht hat, muss in diesem Zusammenhang ebenfalls geklärt werden.

Fazit: Die heutige Debatte hat sich gelohnt. Wir sollten weiterhin über den Weg streiten, und zwar nicht übermorgen, sondern morgen, so bald wie möglich. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.


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