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Umzingelung und "Die-in"

Auch in Biblis wollen am 24. April Tausende gegen Atomkraft protestieren

Von Reimar Paul *

Die Aktions- und Menschenkette von Brunsbüttel nach Krümmel ist nicht die einzige Großaktion gegen Atomkraft am 24. April. Mit einer Umzingelung des Atomkraftwerks Biblis in Südhessen wollen Gruppen aus dem Süden Deutschlands dem Atomausstieg auf die Beine helfen. Auch zu dieser Demonstration erwarten die Veranstalter– ein Bündnis aus Antiatom­initiativen, Umweltverbänden, Gewerkschaften und Parteien – mehrere tausend Teilnehmer. Ein Sonderzug aus Südwestdeutschland wird allein mehr als 1000 Akw-Gegner nach Biblis bringen.

Der Aktionstag beginnt am frühen Nachmittag mit einer Kundgebung vor dem Atomkraftwerk. Gegen 15 Uhr soll das Gelände umzingelt werden, natürlich darf auch ein werbewirksames »Die-in« (Leute stellen sich massenweise demonstrativ tot) nicht fehlen. Anschließend gibt es noch ein Kulturprogramm und Konzerte.

Die beiden Reaktoren in Biblis zählen zu den ältesten der Republik. Block A ging 1974 ans Netz, Block B folgte zwei Jahre später. Planungen für einen dritten und vierten Reaktorblock mußten nach massiven Protesten aufgegeben werden. Beide Reaktoren sind extrem störanfällig und standen nach teilweise schweren Pannen immer wieder Monate lang still. Nach dem sogenannten Atomkonsens müßte Biblis A in diesem Jahr abgeschaltet werden. Durch Stillstände und Reduzierung der Leistung will der Betreiber RWE den Block aber so lange am Netz lassen, bis die Bundesregierung– voraussichtlich im Herbst – endgültig verlängerte AKW-Laufzeiten beschlossen hat.

»Wir müssen jetzt die Suppe auslöffeln, die uns die SPD-Grünen-Regierung eingebrockt hat«, sagt der Notfallmediziner Michael Wilk vom Arbeitskreis Umwelt Wiesbaden, einer der Organisatoren der Umzingelung. SPD und Grüne hätten mit den Betreibern längere Laufzeiten ausgekungelt, statt die Reaktoren einfach abzuschalten. »Dadurch haben die Energiekonzerne Zeit gewonnen und können jetzt mit der neuen Bundesregierung gemeinsam daran basteln, die Laufzeiten noch weiter auszudehnen.«

Matthias Weyland, Geschäftsführer beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in Heidelberg und ebenfalls einer der Sprecher der Aktion ergänzt: »Wir rufen die Bevölkerung auf, die unerträgliche Diskussion der Bundesregierung laut und deutlich zu quittieren. Druck von der Straße scheint die einzige Antwort zu sein, den die nuklearen Geisterfahrer verstehen.«

Auch für den Ausbau der erneuerbaren Energien sind die atompolitischen Pläne der Bundesregierung ein Desaster. Erhard Renz, Initiator der ehemals weltgrößten Aufdach-Solaranlage in Bürstadt, sagte, den Stromkonzernen RWE, EnBW, E.on und Vattenfall würden »Milliardengewinne zugeschustert – auf Kosten von Hunderttausenden Arbeitsplätzen in klein- und mittelständischen Erneuerbare-Energien-Unternehmen.«

Auf große Unterstützung der örtlichen Bevölkerung können die Demonstranten in Biblis kaum zählen. »Biblis lebt vor allem vom AKW«, räumt Wilk ein. »Die Steuerabgaben fließen in die Stadtkasse. Dort haben wir wenig Unterstützung, weil die Leute ökonomisch von RWE abhängig sind.« Außerhalb der Gemeindegrenzen gebe es eine starke Gegnerschaft.

* Aus: junge Welt, 9. April 2010


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