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Globale Armutsbekämpfung – ein Trojanisches Pferd?

Auswege aus der Armutsspirale oder westliche Kriegsstrategien? Das neue Buch aus dem Friedensforschungszentrum Burg Schlaining

Im Folgenden dokumentieren wir Klappentext, Vorwort (von Thomas Roithner) und Inhaltsverzeichnis des neuen Buches des Österreichischen Studienzentrums für Frieden und Konfliktlösung (ÖSFK). Auch diesmal wieder eine Fundgrube - nicht nur für Friedenswissenschaftler/innen und Friedensbewegte.



Die Ziele der UN-Mitgliedstaaten, den Anteil der Menschen, die hungern und von weniger als einem US-Dollar täglich leben müssen, bis 2015 um die Hälfte zu reduzieren scheint aus heutiger Sicht nicht erreichbar. So sind aufgrund der gestiegenen Lebensmittelpreise Hungerrevolten anstatt ernstzunehmender Armutsbekämpfung festzustellen. Die Entwicklungshilfe „dient den Interessen der Geber“, so der bekannte Schauspieler und Kabarettist Josef Hader. Die politische Wegstrecke von EU-Soldaten im Kongo, Sudan, Tschad oder am Horn von Afrika im Sinne der „humanitären Hilfe“, der „Stabilisierung“ oder des US-amerikanisch geprägten Krieges gegen Terrorismus zur militärischen Wahrnehmung von Rohstoffinteressen oder neokolonialen Begehrlichkeiten ist mittlerweile sehr kurz geworden.

Zweifellos führt Krieg für viele Menschen zu Armut. Dargelegt wird in diesem Band aber zudem, dass Armut auch Kriege schafft, „nicht immer, aber fast überall“. Kritisch hinterfragt werden die EU-Rüstungsexporte und die damit im Zusammenhang stehenden „Kriege der Armen mit den Waffen der Reichen“. Globale ökonomische Strukturen, das Umgehen mit gescheiteren oder zum Scheitern gebrachten Staaten und zahlreiche Fallbeispiele prägen den vorliegenden Band. Im Zentrum stehen die vielfältigen internationalen, nationalen und nichtstaatlichen Zugänge und „Wege aus der Armut“ jenseits von neoimperialer Ordnung und Krieg.

Österreichisches Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (Hrsg.), Projektleitung: Roithner Thomas: Globale Armutsbekämpfung – ein Trojanisches Pferd? Auswege aus der Armutsspirale oder westliche Kriegsstrategien?
Dialog 56 – Beiträge zur Friedensforschung, ISBN 9783825817626, Lit-Verlag, Münster–Hamburg–London–Berlin–Wien 2009, 364 Seiten, € 9,80

Das Buch geht auf die 25. Internationale Sommerakademie zurück, die vom 6. – 11. Juli 2008 am Friedensforschungszentrum Burg Schlaining stattfand.

Vorwort

Von Thomas Roithner

„Armut ist die schrecklichste Form der Gewalt“
Mohandas K. Gandhi

Zum Thema

Die Vereinten Nationen und ihre 192 Mitgliedstaaten haben sich in ihren Millenniumszielen darauf geeinigt, den Anteil der hungernden Menschen und jener, die von weniger als einem US $ täglich leben müssen, bis ins Jahr 2015 auf die Hälfte zu reduzieren. Über 50 % der Menschheit lebt heute von weniger als 2 US $ pro Tag. Die Zwischenbilanzen zeigen, dass dies in weiten Teilen der Welt nicht erfüllt werden kann. Auch die ökonomischen Grenzen, unter denen ein Mensch als „absolut arm“ gilt, sind in Diskussion geraten. Der US-Ökonom Jeffrey Sachs hat errechnet, dass der Welthunger mit dem dreifachen Jahresbonus der Wall-Street-Banker auf 10 Jahre nachhaltig beseitigt werden könnte.

Schnee von gestern sind die Zeiten, in denen U2-Frontman Bono, Bob Geldof oder ein breites Netzwerk von Nichtregierungsorganisationen die Rolle als Ankläger von Politik und Wirtschaft in der Öffentlichkeit als Alleinanspruch innehatten. „Der Krieg gegen den Terror ist mit dem Krieg gegen die Armut verbunden“ , tönte auch General Colin Powell, ehemaliger US-Außenminister und seinerzeitige „Taube“ in der Administration von George W. Bush. Zweifellos führt Krieg für viele Menschen zu Armut. Wann, wo und warum führt Armut zu Krieg? Die unterschiedlichen Formen und Ausprägungen des „Krieges“ stellen sowohl Militärs wie auch die Friedens-, Konflikt- und Entwicklungsforschung vor enorme Herausforderungen.

Im Engagement gegen Armut setzt die westliche Staatengemeinschaft auf „die Integration aller Länder in die Weltwirtschaft“ . Sowohl EU als auch USA erkennen in den Finanzinstitutionen nicht zu hinterfragende Schlüsselinstitutionen der globalen Entwicklung. Der einflussreiche US-Stratege Thomas Barnett hat dargelegt: „Verliert ein Land gegen die Globalisierung oder weist es viele Globalisierungsschritte zurück, besteht eine ungleich größere Chance, dass die Vereinigten Staaten irgendwann Truppen dorthin entsenden werden.“ Jean Ziegler, bis 1.5.2008 UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, ortet im gegenwärtigen neoliberalen Weltwirtschaftssystem das Epizentrum dieses Problems: „Im Imperium der Schande, das vom organisierten Mangel regiert wird, ist der Krieg nicht mehr eine zeitweilige Erscheinung, sondern permanent.“

Die EU-Sicherheitsstrategie formuliert als Einbahnstraße, dass Sicherheit eine Vorbedingung für Entwicklung ist. Die politische Wegstrecke von EU-Soldaten im Kongo, Sudan, Tschad oder am Horn von Afrika im Sinne der „humanitären Hilfe“, der „Stabilisierung“ oder des US-amerikanisch geprägten Krieges gegen Terrorismus zur militärischen Wahrnehmung von Rohstoffinteressen oder neokolonialen Begehrlichkeiten ist mittlerweile sehr kurz geworden. Afrika wird zum Testgelände für EU-„battle groups“ und militärisch geprägten Auslandseinsätzen. Der Weg zur Halbierung der Armut gemäß den UN-Zielen scheint den „Umweg“ der Schaffung von Sicherheitsapparaten und Staatlichkeit zu nehmen, manchmal auch aus den Mitteln des Entwicklungsfonds. Die Grenzen zwischen „Nation Building“ und Imperialstrategien können leicht durchlässig werden. Eine „Versicherheitlichung“ der Entwicklungspolitik unter dem Leitbild westlicher Demokratie scheint ein zentrales Modell im Umgang mit gescheiterten oder zum Scheitern gebrachten Staaten zu sein. Dies mag so manchen Georg Büchners politische Flugschrift umdeuten lassen: „Krieg den Hütten, Friede den Palästen“ .

Die EU zählt in der Entwicklungszusammenarbeit als größter „global payer“ und die Bemühungen werden von einem sehr niedrigen Niveau – weit unter den vereinbarten 0,7 % des BSP – intensiviert, ohne jedoch die Wirtschaftsbeziehungen in Grundsätzen in Frage zu stellen. Im Zuge der Herausbildung eines „global player“ EU werden nicht nur Auslandseinsätze zur Interessendurchsetzung, sondern auch die Rüstungsagentur Teil der Union, die für die Weiterführung des Trends sorgt, dass die EU-Staaten seit 2005 mehr konventionelle Waffen verkauft haben als Russland oder die USA .

Zahlreiche alternative internationale, staatliche und nichtstaatliche Ansätze zur Armutsreduktion liegen vor. Sie schließen Aspekte wie Geschlechtergerechtigkeit, Ökologie, Menschenrechte, Verteilungsgerechtigkeit, Migration oder neue Formen politischer Beteiligung und Streitbeilegung sowie deren Erprobung in die Debatte ein. Wie und wo mit dem gegenwärtigen neoliberalen Wirtschaftssystem zu brechen ist, ist Gegenstand dieser Diskussion – Zur Politik der Armutsbekämpfung gibt es allerdings keine Alternative.

Lebensmittelpreise und Hungerrevolten

In den letzen Wochen und Monaten waren die globalen Folgen der gestiegenen Lebensmittelpreise im Zentrum der öffentlichen Berichterstattung. Die Food and Agriculture Organisation (FAO) der UNO warnt seit zwei Jahren vor den bereits seinerzeit prognostizierbaren Preissteigerungen. Abdolreza Abbassian von der FAO legt dar, dass afrikanische Länder heuer viermal so viel für Importe bezahlen wie im Vergleichsjahr 2000.

Jüngst konnten wir angesichts der gestiegenen Lebensmittelpreise Hungerrevolten in Mittel- und Südamerika oder Schlägereien in Ägypten vor Bäckereien mit subventioniertem Brot über die Medien mitverfolgen. In Haiti, Kamerun, Burkina Faso und Ägypten gab es Unruhen mit Todesopern und in mehr als einem Dutzend Ländern Ausschreitungen und Proteste wegen der gestiegenen Lebensmittelpreise, so die Weltbank. Die Ursachen sind – auch wenn die Debatte nunmehr rasch aus der Presse wieder verschwunden ist – vielfältig: u.a. Missernten durch den Klimawandel, Biotreibstoffe, Bevölkerungsentwicklungen, höhere Ölpreise, veränderte und gestiegene Konsumbedürfnisse in einigen asiatischen Staaten, Exportsubventionen aus USA und EU, Spekulationen, eine wenig an die Folgen denkende Liberalisierung, Rohstoffspekulationen oder die aggressive Einkaufspolitik der Industrieländer von Produkten aus dem globalen Süden. Weitestgehend außer Streit steht, dass es kein allgemeines Knappheitsproblem gibt, sondern ein globales Verteilungsproblem vorliegt. Jean Ziegler bezeichnet dies als „lautlosen Massenmord“. Die FAO rechnet damit, dass die Preise für Nahrungsmittel auf einem hohen Niveau bleiben werden. Der ehemalige EU-Agrarkommissar und derzeitige Präsident des Ökosozialen Forums Franz Fischler verlangt von Österreich, die vor der UNO getätigten Zusagen einzuhalten, „anstatt sich weiter in kreativer Buchführung zu üben.“ Mit „kreativer Buchführung“ meint Fischler, dass Österreich den Militäreinsatz im Tschad zu wesentlichen Teilen aus den Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit bezahlt. Franz Küberl, Präsident der Caritas Österreich und Autor in diesem Band, stellte angesichts einer Debatte über die Entwicklungszusammenarbeit fest: „Die Globalisierung hat einen unumkehrbaren Punkt: Die Armen wissen, wo die Reichen wohnen. Dagegen stehen die Abschottungsversuche der wohlhabenden Länder – auch Österreichs – und deren Sehnsucht nach einem ungestörten Fruchtgenuss des Reichtums.“

Dominique Strauss-Kahn, Chef des Internationalen Währungsfonds (International Monetary Fund, IMF) und Weltbank-Chef Robert Zoellick fordern die Welt zum Handeln auf. Der Chef der Welthandelsorganisation (World Trade Organisation, WTO) Pascal Lamy schlussfolgert aus der Lebensmittelkrise, wie dringend das Ende der Doha-Gespräche über die Liberalisierung des Welthandels sei. Das globalisierungskritische Netzwerk ATTAC fordert hingegen einen Paradigmenwechsel, denn „ein Weltmarkt von Lebensmitteln, auf dem nur die Lidls und Nestlés dieser Welt bestehen können, wird niemals die Hungerkrise lösen können.“ Die systematische Vernichtung kleinbäuerlicher Existenzen durch die Strukturanpassungspolitik des IWF, die Öffnung der Märkte für Billigimporte und die Ausrichtung der Landwirtschaft auf Export lässt ATTAC zum Schluss kommen: „Es ist an Zynismus kaum zu überbieten, wie sich hier zwei Sensenmänner [Anm. TR: IWF und Weltbank] über das gefallene Gras wundern und die gestiegenen Lebensmittelpreise bedauern.“ Die Berliner Ökonomin Birgit Mahnkopf spricht von der „Mär der zivilisierenden Macht der Märkte“ und kritisiert, dass der Mainstream der Ökonomie an der Wachstumsfixierung festhält.

Der österreichische Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister (WIFO) sieht in den „Spekulationen auf den Derivatmärkten die Hauptursache der Verteuerung von Nahrungsmittel“. Seit 2005 haben sich die Umsätze mit Rohstoffderivaten verdreifacht und der Handel mit Öl-Futures ist inzwischen sechsmal so hoch wie die globale Produktion von Erdöl. Schulmeister stellt den Glauben an das „Laisser-faire“ massiv in Frage, denn freie Märkte ohne den Eingriff der Politik bilden „systematisch falsche Preise“ und führen zu „manisch-depressiven Schwankungen“ von Rohstoffpreisen, Wechsel- und Aktienkursen.

Entwicklungspolitische wissenschaftliche Debatte in den USA

William Easterly, Professor für Ökonomie und Afrikastudien der New York University, plädiert in seinem vieldiskutierten und umstrittenen Buch „Wir retten die Welt zu Tode“ Entwicklungsgelder „konsequenter wie unternehmerische Investitionen“ zu behandeln und er warnt vor der Setzung utopischer Ziele, weil diese schwer realisierbar sein. Im Jahr 2005 haben die acht größten Industrieländer zugesichert, die Entwicklungshilfebudgets bis 2010 zu verdoppeln. Bereits im Jahr darauf sanken die Ausgaben dieser Industriestaaten , wenngleich auch vielfach die Erhöhung der Mittel für Entwicklungszusammenarbeit und die darauf folgenden Wachstumsimpulse („Big Push“) angezweifelt werden. Die Zweifel bestehen, weil der „Big Push“ nicht mit einer strukturellen Änderung der globalen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen einhergehen muss. William Easterly spricht angesichts der Versprechen der Industriestaaten von der „Legende vom Big Push“ . „Sich Ziele zu setzen, mag motivierend wirken, doch für die Umsetzung ist diese Methode kontraproduktiv. Die freie Markwirtschaft funktioniert ohne konkrete Vorgaben. Sie benötigt lediglich allgemeine Ziele“.

Easterly differenziert bei seiner Kritik an staatlicher Entwicklungshilfe durchaus zwischen Staat und Zivilgesellschaft: „Die Mitarbeiter der Hilfsorganisationen oder Nichtregierungsorganisationen (NGOs) auf Arbeitsebene sind eher Sucher als Planer. Bedauerlicherweise oktroyieren die politischen Sachzwänge der reichen Länder diesen Mitarbeitern große Pläne auf, die Geld, Zeit und Energie von durchführbaren Maßnahmen abziehen.“

Schwerwiegende Kritik übt Easterly an der Kreditvergabe und den damit verbundenen Auflagen der internationalen Finanzinstitutionen. „Es ist schwer, an einen spürbaren positiven Effekt der Kredite zu glauben. Jahr um Jahr wurden weitere Strukturanpassungshilfen gewährt, sodass sich die Frage stellt, warum der Patient nicht genas, obwohl der doch immer neue Dosen seiner Medizin erhielt.“ „Es wurde also in drei Regionen hoffnungsvoll auf Strukturanpassung und Schocktherapie gesetzt: in Afrika, in den vormals kommunistischen Staaten und in Lateinamerika. Und in allen drei Regionen zerplatzten diese Hoffnungen. Der Westen reagierte darauf mit immer neuen Dosen seiner wirkungslosen Medizin. IWF und Weltbank vergaben noch über zwanzig Jahre lang Strukturanpassungsdarlehen, und diese vergeben solche Kredite bis heute. Lediglich der Name wurde geändert, sie heißen nun ‚Kredite zur Armutsminderung’“ um gleich festzustellen, dass der freie Markt von universalem Nutzen ist und differenziert zwischen Finanzinstitutionen und freiem Markt.

Paul Collier, ehemaliger Leiter der Forschungsabteilung der Weltbank, heute tätig an der Universität Oxford, legt in seinem Buch „Die unterste Milliarde“ dar: „Abgesehen von eine paar wichtigen Ausnahmen kann Entwicklungshilfe, zumindest in der bisher praktizierten Form, diese Länder nicht wirklich voranbringen“. Die Problematik liegt nach Collier darin, dass die Gruppe am untersten Rand immer weiter zurückfällt. „Je weiter sich diese eine Milliarde von einer zunehmend komplexeren Weltwirtschaft abkoppelt, desto schwieriger wird es, sie noch zu integrieren“ . Collier meint, Jeffrey Sachs übertreibe in seinem Buch „Das Ende der Armut“ den Nutzen und William Easterly die Nachteile der Entwicklungshilfe.

Bei der Lösung der Probleme setzt Collier auf die öffentliche Meinung. Diese ist bei der Änderung und der Reform der Entwicklungshilfe von zentraler Bedeutung. Eine ähnliche große Bedeutung sieht er in der Öffentlichkeit bei der Mobilisierung von Veränderungen bei militärischen Interventionen. Die NGOs sind der zentrale Motor bei der Änderung der Gesetze und der Verbreitung internationaler Chartas. Collier sieht eine mangelnde Konzentration auf die unterste Milliarde. Die UN-Millenniumsziele betreffen viele Menschen und die Effizienz im obigen Sinne geht leicht „im allgemeinen Gerede“ unter. Der politischen Linken rät Collier „das Wachstum zu lieben“ und der Rechten, dass Entwicklungshilfe nicht Teil des Problems sei und lediglich „eine Sozialhilfe an Schmarotzer und Gauner“ sei.

Schlaininger Sommerakademie 2008

Es wird deutlich, dass der Streit um die ökonomischen Aspekte – ob man sich nun „utopische“ oder „unternehmerische“ Ziele setzt – wichtige Teile der Debatte bestimmt. Und daher auch bei der Sommerakademie und dem hier vorliegenden Band. Dieser geht auf die gleichnamige 25. Internationale Sommerakademie zurück, die vom 6. – 11. Juli 2008 am Friedensforschungszentrum Burg Schlaining stattfand.

Unsere Analysen möchten wir aber nicht anstellen, ohne konkrete Fallbeispiele unter die Lupe zu nehmen. Failed states in Afrika, Gewaltkonflikte am Horn von Afrika, dem Kongo oder der Zusammenhang Armut und Krieg im Nahen und Mittleren Osten haben wir als Beispielregionen ausgewählt. Alternative Ansätze aus der Staatenwelt und der Zivilgesellschaft werden u.a. unter dem Gesichtspunkt der „global governance“ diskutiert.

Ein besonderer Abend im Rahmen der Sommerakademie war ein Gespräch mit dem bekannten Kabarettisten und Schauspieler Josef Hader unter der Gesprächsleitung des „Furche“-Journalisten Wolfgang Machreich. Josef Hader betonte im Zusammenhang mit der globalen Armutsbekämpfung die Bedeutung der Landwirtschaft. Die hohen Exportsubventionen der reichen Länder des Nordens führen dazu, dass „die Bauern vor Ort nicht konkurrenzfähig sind und ihre Selbständigkeit verlieren“ , so Josef Hader. Er fügte hinzu, dass „strukturell und ständig eine Art Entwicklungshilfe geleistet wird, die in Wirklichkeit nur den Interessen der Geber dienen“. Hader betonte an Hand mehrerer Beispiele die wirtschaftliche Abhängigkeit der Länder des Südens vom Norden. Im Vergleich zu den vor Jahren informell und auf idealistischer Basis verkauften fair gehandelten Produkten (z.B. Kaffee, Tee, Schokolade) ist es aber heute ein großer Fortschritt, dass diese Produkte in großen Supermarktketten angeboten werden und nicht extra in spezifischen Geschäften gekauft werden müssen.

Rund 450 Menschen – viele davon mit einem enormen Vorwissen – fanden im Zuge dieser Arbeitswoche ihren Weg in die südburgenländische Ritterburg, darunter erfreulicherweise auch zahlreiche MedienvertreterInnen, die in Fernsehen, Radio, Zeitungen, Zeitschriften und Online über die Ergebnisse und Diskussionen der Sommerakademie eine breitere Öffentlichkeit informiert haben. Besonders viele junge Menschen und Studierende (Kultur- und Sozialanthropologie, Internationale Entwicklung, Politikwissenschaft, Soziologie, Kommunikationswissenschaft u.a.) beteiligten sich an der Akademie. Wichtige Institutionen aus dem bunten Spektrum der Zivilgesellschaft haben – beinahe traditionell – die Sommerakademie zu einem Zusammentreffen genützt. Das enorme Interesse von TeilnehmerInnen und Medien hat uns bestärkt, die Akademie durch Beiträge der Vortragenden in Form dieses Buches vorzulegen.

Wien – Stadtschlaining, 25. September 2008

Thomas Roithner, Inhaltlicher und organisatorischer Koordinator der Internationalen Sommerakademie


Inhalt

  • Globale Armutsbekämpfung – ein Trojanisches Pferd?, Vorwort
    Thomas Roithner (Friedenszentrum Burg Schlaining – Wien) [siehe oben!]
  • Eröffnungsrede zur Internationalen Sommerakademie
    Gerald Mader (Präsident des ÖSFK)
  • Wege aus der Armut. Entwicklungsgeschichtliche und aktuelle Lehren
    Dieter Senghaas (Universität Bremen)
Teil I: Armut Macht Krieg
Globale Armutsbekämpfung in des Kaisers neuen Kleidern
  • Parameter von Kriegen im 21. Jahrhundert oder die Unübersichtlichkeit sozialer Ordnungen unter Bedingungen von Schattenglobalisierung und neoliberalem Chaos
    Peter Lock (EART Hamburg)
  • Armut schafft Kriege – nicht immer, aber fast überall. Zum Zusammenhang zwischen Mangel und (bewaffneten) Konflikten
    Andreas Zumach (Journalist, Genf)
  • Die Kriege der Armen mit den Waffen der Reichen. Regionale Konflikte und ihre globalen Ursachen
    Elmar Altvater (Freie Universität Berlin)
Teil II: Armut und reiche Kriegskasse
Das Armutszeugnis der globalen Ökonomie
  • Globale soziale Ungleichheit versus Verteilungsgerechtigkeit. Zur Interdependenz von Armut und Krieg
    Ueli Mäder (Universität Basel)
  • Armut, Ressourcen und Konfliktdynamik
    Claudia Haydt (Soziologin und Religionswissenschafterin, Tübingen)
  • Armut – Reichtum – Krieg: Europa in einer globalisierten Welt
    Werner Ruf (Universität Kassel)
  • Die NATO – illegitimes Kind des Zweiten Weltkriegs
    Peter Strutynski (Universität Kassel)
Teil III: Gescheiterte oder zum Scheitern gebrachte Staaten?
Ansätze, Irrwege und Auswege von Staatlichkeit
  • Nation-Building als Strategie der Konfliktbearbeitung
    Claudia Derichs (Universität Hildesheim)
  • Failing States in Afrika: interne und externe Ursachen für Staatsversagen und Perspektiven für dessen Überwindung
    Rainer Tetzlaff (Universität Hamburg)
Teil IV: Die EU im Dienste der Armutsbekämpfung: Zwischen größter Entwicklungshelferin und Rüstungsexportweltmeisterin
  • Warum Entwicklungspolitik? Die Rolle der EU-Entwicklungshilfe und ihre Rüstungsexporte
    Carola Bielfeldt (Universität Innsbruck)
  • Die EU in der Pflicht: Wege aus der globalen Armutsfalle
    Franz Küberl (Präsident Caritas Österreich)
  • Die „Versicherheitlichung“ der Europäischen Entwicklungspolitik: Risiken und Nebenwirkungen
    Astrid Wein und Agnes Otzelberger (CARE Österreich)
  • Entwicklungshilfe und Rüstungsexport – ein europäischer Widerspruch?
    Gunther Hauser (Landesverteidigungsakademie Wien)
  • Von der militärischen Sicherheit zur Militarisierung der menschlichen Sicherheit? Der Sicherheits- und Friedensbegriff im Zeitalter der Globalisierung unter besonderer Berücksichtigung der EU
    Thomas Roithner (Friedensforschungszentrum Burg Schlaining, Wien)
Teil V: Unbekömmliche Gerichte vom globalen Konfliktherd?
Beispiele vom Horn von Afrika und dem Mittleren und Nahen Osten
  • Das Horn von Afrika: Gewaltkonflikte, Anti-Terror-Krieg und Friedensperspektiven in einer chronischen Krisenregion
    Volker Matthies (Universität Hamburg)
  • Der Teufelskreis von Krieg, Armut, Unterentwicklung und Diktatur Beispiel Mittlerer und Naher Osten
    Mohssen Massarrat (Universität Osnabrück)
Teil VI: Wege aus Armut und Krieg
Was kann die Zivilgesellschaft und die Staatenwelt tun?
  • Herrschaft und Befreiung. Global Governance und emanzipatorisches Handeln im sich globalisierenden Kapitalismus
    Ulrich Brand (Universität Wien)
  • Rhetorik und Praxis von Global Governance
    Franz Nuscheler (Universität Duisburg-Essen, INEF)
  • Krieg und Armut gewaltfrei überwinden. Das Beispiel Lumbumbashi/DR Kongo
    Hildegard Goss-Mayr, Pete Hämmerle (Internationaler Versöhnungsbund)
  • Neue Akteure in der humanitären Hilfe. Ein Schreckgespenst geht um
    Martina Schloffer (Rotes Kreuz)


Weiterer Literaturtipp zum kostenlosen Download:
Österreichisches Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (ÖSFK), Leitner Georg, Glavitza Rita, Roithner Thomas (Hrsg.): Krieg und Armut – Analysen und Perspektiven einer jungen ForscherInnengeneration.
SAFRAN – Schlaininger Arbeitspapiere für Friedensforschung, Abrüstung und nachhaltige Entwicklung, Paper 05, 100 Seiten, Wien – Stadtschlaining, Dezember 2008.
http://www.aspr.ac.at/sak2008/safran05.pdf




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