Krieg stinkt zum Himmel: "Auch hier in Bremen wird der Krieg vorbereitet"
Antikriegstag 2012 in Bremen: Rede von Martin Warnecke, Pastor und Friedensbeauftragter der Bremischen Evangelischen Kirche
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
ein Song des US-amerikanischen Sängers Neil Young heißt „Living
with war“. „Ich lebe mit Krieg jeden Tag“, singt er, „ich lebe mit
Krieg in meinem Herzen und in meinem Bewusstsein jeden Tag, ich
lebe mit Krieg jetzt gerade.“ Er beschreibt, wie er im Fernsehen die
Bilder sieht von den Kriegen im Irak und in Afghanistan. „Und auf
dem Bildschirm töten wir und werden getötet.“ Er sieht die Raketen
und Bomben, die dafür sorgen, dass „unsere Fahne auch über Nacht
immer noch da ist.“ „Und wenn die Nacht kommt, dann bete ich für
Frieden, dann versuche ich Frieden zu erinnern.“
Neil Young leidet darunter, dass sein Land Krieg führt. Er engagiert
sich für den Frieden und erlebt gleichzeitig, dass der Krieg immer
weiter geht. Er verweigert es, sich an den Krieg zu gewöhnen. Das ist
ziemlich schwer, vor allem dann, wenn der Krieg weit weg ist. Die
Gewöhnung lässt einen abstumpfen.
So las ich vor längerer Zeit einen Artikel über die zukünftige Leiterin
einer Kläranlage in einer Kleinstadt. Darin erzählte sie von ihrer
Arbeit an den Sickergruben. Wie sie den ewigen Gestank aushält,
wurde sie gefragt. Sie antwortete: „Irgendwann riecht man nichts
mehr.“
Man gewöhnt sich an alles, auch an Gestank und an Krieg. Dabei
stinkt Krieg zum Himmel. Die Bundeswehr wurde zu einer
weltweiten Interventionsarmee umstrukturiert. Seit über 10 Jahren
führt unser Land Krieg in Afghanistan. Dieser Krieg wird auch in
unserem Namen geführt. In unserem Namen werden dort Menschen
umgebracht und verletzt an Leib und Seele. Das Massaker, dass der
deutsche Oberst Klein fast genau vor drei Jahren dort in der Nähe von
Kundus anrichten ließ, kostete bis zu 140 Menschen das Leben. Das
Angebot des Bomberkommandos schlug er aus, die
Menschenansammlung erst einmal durch Überfliegen ohne
Bombenabwurf zu warnen. Er befahl: „Vernichten!“ Bereits im Mai
2009 hatte er angekündigt: „Wir werden mit der Härte, die geboten
ist, zurückschlagen.“ Die Bundesanwaltschaft erklärte, sein Verhalten
sei »rechtmäßig« gewesen. Er wurde nie vor Gericht gestellt und
verblieb in der Bundeswehr ohne Disziplinarverfahren. In
Anerkennung seiner Leistungen wird er demnächst zum
Brigadegeneral befördert.
Der Kommandeur des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der
Bundeswehr in Calw, Brigadegeneral Hans-Christoph Ammon, sagte
vor zwei Jahren: „Unsere Soldaten müssen regelmäßig töten. Darum
herumzureden, erscheint mir verkehrt“. (20.5. 2010 in einem
Interview mit der Rheinischen Post online)
Wie sagte die Leiterin der Kläranlage: „Irgendwann riecht man nichts
mehr.“ Das ist ja vielleicht auch ein Schutzmechanismus unseres
Körpers und unseres Bewusstseins, weil wir den Gestank, auch im
symbolischen Sinne, auf die Dauer nicht aushalten. Wer will schon
genau wissen, was die Bundeswehr in Afghanistan tut? Wer betet
schon abends um Frieden? Viele Menschen in unserem Land haben
sich daran gewöhnt, mit dem Krieg zu leben.
Und gleichzeitig steigt uns doch von Zeit zu Zeit der Gestank aus den
„Jauchegruben“ in die Nase, weil immer neue „Jauchegruben“
eröffnet werden. Seit etlichen Jahren drängt die Bundeswehr immer
mehr in den öffentlichen Raum. Sie tritt auf Kirchentagen auf,
veranstaltet Militärkonzerte in Kirchen und geht in die Schulen.
Nach der Aussetzung der Wehrpflicht am 1. Juli 2011 verstärkte die
Bundeswehr ihre Aktivitäten zur Nachwuchsrekrutierung in vielen
gesellschaftlichen Bereichen. Ein Schwerpunkt liegt dabei in dem
Bereich von Bildung, Ausbildung und Berufsorientierung. Die
Bundeswehr versucht durch Kooperationsverträge mit den
Kultusministerien der Länder ihre Werbung in Schulen und
Lehrerbildungsinstituten fest zu verankern. Es soll die Akzeptanz
einer Sicherheitspolitik erreicht werden, die den Einsatz militärischer
Gewalt selbstverständlich vorsieht. Die Schüler und Schülerinnen
sollen sich daran gewöhnen, dass militärische Gewalt ein probates
Mittel ist, um Konflikte zu lösen. Sie sollen sich an den Gedanken
gewöhnen, dabei selbst einmal mitzuwirken.
Dazu brauchen sie natürlich Waffen und militärische Geräte. Unser
Land ist der weltweit drittgrößte Hersteller und Exporteur von
Waffen. Auch hier in Bremen wird der Krieg vorbereitet und das
Töten von Menschen immer mehr perfektioniert. Mit der Produktion
und dem Handel von Waffen wird sehr viel Geld verdient. Ungezählte
Menschen haben durch in Bremen hergestellte Produkte ihr Leben
verloren oder wurden beschädigt an Leib und Seele. Auch das stinkt
zum Himmel.
Damit wir uns besser an diesen ganzen „Gestank“ gewöhnen, werden
uns „Duftnoten“ gesetzt von den dafür Verantwortlichen und den
Medien. Sie sollen den „Gestank“ übertünchen und stattdessen einen
lieblichen „Geruch“ erzeugen.
Schon seit dem Krieg gegen Jugoslawien 1999 versucht man uns
einzureden, dass der Krieg nicht aus ökonomischen und
machtpolitischen Gründen geführt wird, sondern nur, um Gutes zu
tun. Auch der Krieg in Afghanistan wird vorgeblich geführt für den
Aufbau des Landes, für Menschenrechte, für Frauenrechte, für die
Demokratie und für den Weltfrieden. Der Krieg wird Friedensmission
genannt, oder eine humanitäre, das heißt menschenfreundliche,
Intervention. Es wird gelogen, wie in jedem Krieg. Heute vor 73
Jahren hieß das: „Ab 5.45 Uhr wird zurückgeschossen.“
Eine weitere „Duftnote“ ist der Nationalismus, der in unserem Land
immer stärker wird. Schon der Schriftsteller Hermann Hesse sah den
fatalen Hang der Deutschen zum Nationalismus als Grundübel, das zu
zwei Weltkriegen geführt hatte. Er glaubte nicht an einen wirklichen
Bruch mit dieser fatalen Linie in der deutschen Geschichte. Was hätte
er wohl dazu gesagt, wie dieser Nationalismus sich heute wieder
zeigt, zum Beispiel bei großen Sportereignissen.
Schwarz-Rot-Gold werden Autos, Häuser und Menschen dekoriert,
wie bei der Fußball-Europameisterschaft vor ein paar Monaten. Das
Singen der Nationalhymne wurde zur staatsbürgerlichen Pflicht der
Fußballspieler erklärt. Die Zeitung mit den vier großen Buchstaben
rief ein „Heimspiel“ in Danzig aus. Oliver Bierhoff, der Manager des
DFB, meldete gehorsamst aus Danzig: „Das Stadion ist in deutscher
Hand.“ Und der Co-Trainer der deutschen Mannschaft, Hans-Dieter
Flick, sagte vor dem Spiel gegen Portugal im ukrainischen Lwiw zu
den Spielern: „Da heißt es einfach Stahlhelm aufsetzen und
großmachen.“ Als Lwiw 1941 zu Lemberg geworden war, hatten die
Deutschen in der Stadt und ihrer Umgebung 400.000 Juden und
140.000 russische Gefangene ermordet.
Nationalistische Stimmungen sind in vielen Bereichen spürbar, auch
in Politik und Wirtschaft. So wie „wir“ die Griechen beim Fußball
geschlagen haben, so weigern sich mittlerweile viele Menschen in
unserem Land, für „die Griechen und die Spanier“ zu bezahlen. Der
Fraktionsvorsitzende der FDP, Rainer Brüderle, behauptet, dass
unsere europäischen Nachbarn uns Deutsche anzapfen wollen.
Originalton Brüderle: „Es ist nicht vermittelbar, dass die deutsche
Oma mit ihrem Sparbuch für die Schulden von Investmentbanken in
anderen Ländern haften soll.“ Nationalistischer kann man es wohl
kaum sagen.
Nationalistische Stimmungen – Deutschland den Deutschen – zeigen
sich schon lange auch als Rassismus. Schon vor 20 Jahren, bei dem
Pogrom in Rostock-Lichtenhagen, wurde deutlich, dass diese Haltung
auch Gewalt akzeptiert.
Krieg wird auch in den Köpfen und Herzen vorbereitet. Und zu dem
Nationalismus kommt oftmals mit dem Antisemitismus noch eine
weitere „Duftnote“ dazu. Wie sagte die Leiterin der Kläranlage:
„Irgendwann riecht man nichts mehr.“
Heute, am Antikriegstag, machen wir uns und anderen dies alles
bewusst. Wir unterbrechen die Normalität der Gewöhnung. Wir
schärfen unsere eigene Wahrnehmung für vieles, was zum Krieg
gehört.
Und wir helfen anderen, auch deren Wahrnehmung zu schärfen, zum
Beispiel durch eine Fahrradtour zu einigen der Bremer
Rüstungsbetriebe. Unterwegs wird es auch Informationen geben. Das
Friedensforum hat alles organisiert. Habt Dank dafür. Es geht darum,
die Gewöhnung an die militärische Gewalt, die auch immer mehr in
unseren Alltag drängt, zu unterbrechen, und bewusst zu machen, was
da stinkt. Dazu tragen auch Euer aktuelles Buch über die
Rüstungsproduktion in Bremen und die regelmäßigen Mahnwachen
vor Rüstungsbetrieben bei.
Je stärker wir die Gewöhnung an den Krieg unterbrechen, desto mehr
Energie wird für den Frieden frei. Dann wird der „Gestank“ nicht
mehr ertragen, sondern aktiv verändert. Dann protestieren wir, dann
reden wir darüber. Dann zeigen wir den Nationalisten und Rassisten
die bunte Karte menschlicher Vielfalt und üben uns in Solidarität.
Dann schauen wir genau hin, wer an Krieg und Wirtschaftskrise
verdient.
Dann tragen wir dazu bei, Frieden vorzubereiten, indem wir in die
Schulen gehen, und den Schülerinnen und Schülern dabei helfen, für
sich eine menschenfreundliche und liebevolle Haltung zu entwickeln.
Das Friedensforum bietet dafür kompetente Frauen und Männer an.
Und die Bremische Evangelische Kirche hat entschieden, dass sie sich
ebenfalls in dem Bereich der Friedensbildung an Schulen engagieren
wird. Und es wäre doch wunderbar, wenn Schülerinnen und Schüler
nach dem Unterricht sagen: „Ich habe gelernt, dass Frieden militärisch
nicht hergestellt werden kann. Ich habe gelernt, dass Krieg nicht sein
darf und dass unser Land trotzdem mit Waffen Geschäfte macht. Ich
habe für mich entschieden, dass ich keinen Menschen töten werde.“
Der Apostel Paulus bezeichnet ein Handeln, welches auf
Gemeinschaft, auch mit Fremden zielt, welches auf Verbundenheit
und Würde, auch der fernsten Menschen, zielt, welches auch darauf
zielt, die Armen und Leidenden wahrzunehmen und ihre Situation zu
verbessern, solch ein Handeln bezeichnet er als „einen lieblichen
Geruch“.
Ich danke Euch für Eure Aufmerksamkeit.
* Rede bei der Kundgebung anlässlich des Antikriegstags in Bremen, 1. September 2012.
Quelle: Website des Bremer Friedensforums: http://www.bremerfriedensforum.de
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