Nazis wollen am Antikriegstag erneut den Überfall auf Polen feiern
Antifaschisten fordern ein Verbot der geplanten Provokation von Dortmund
Von Ulrich Sander
Am 4. September wollen Nazis in Dortmund erneut ein Treffen zur Würdigung
des Kriegsbeginns vom 1. September 1939 veranstalten. Der Polizeipräsident
von Dortmund, Hans Schulze, kann sich nicht entschließen, diese Provokation
zu verbieten. In einem Brief an die VVN-BdA verweist er auf „hohe Hürden“,
die das Bundesverfassungsgericht für ein solches Verbot aufgestellt habe.
Das BVerG habe nach dem Verbot der Naziprovokation zum 6. 9. 2009 konkrete
Belegen dafür verlangt, dass gerade die anstehende Versammlung einen
gewalttätigen Verlauf nehmen werde. Nur Prognosen reichten nicht aus.
Die VVN-BdA betonte hingegen bereits am 10. Juni, es komme nicht nur drauf
an, ob ein krimineller Charakter der Veranstalter des Nazi-Marsches
prognostiziert wird, sondern auch darauf, ob „zudem der kriminelle Inhalt
der Naziveranstaltung berücksichtigt“ wird, der zu erwarten ist. Vor dem
Hintergrund der „Antikriegstage“ der Nazis in den letzten fünf Jahren in
Dortmund sei ein krimineller Inhalt mit Sicherheit zu prognostizieren. „Denn
das Bundesverfassungsgericht entschied inzwischen: Wegen der besonderen
Geschichte Deutschlands gilt in der Frage der Meinungsfreiheit für Nazis
eine Ausnahme. ‚Angesichts des Unrechts und des Schreckens, den die
Naziherrschaft über Europa und weite Teile der Welt gebracht habe’, enthalte
das Grundgesetz in diesem Punkt eine Ausnahme vom Verbot, ein Sonderrecht
gegen bestimmte Propaganda zu schaffen. Denn ‚das Grundgesetz kann weithin
geradezu als Gegenentwurf zu dem Totalitarismus des national-sozialistischen
Regimes gedeutet werden’." (Zitiert nach dpa vom 17.11.09) (Az: 1 BvR
2150/08)
Der neue Paragraph 130 Absatz 4 des Strafgesetzbuches erlaubt mit Zustimmung
des Bundesverfassungsgerichts ein Versammlungsverbot, wenn Aggression und
Angriff auf die Opfer, Lobpreisung der Gewalt- und Willkürherrschaft gegeben
sind. Die Süddeutsche Zeitung schrieb dazu am 18.11.09: „Die
Freiheits-Grundrechte des Grundgesetzes verkörpern die Erinnerung an das
Menschheitsverbrechen. Diese Erinnerung darf nicht verwüstet werden durch
die militante Beleidigung der Opfer. Die Grundrechte sollen nicht
missbraucht werden, um das Gedenken derer zu verhöhnen, die sie verkörpern.“
Die VVN-BdA führte in einer Antwort an Schulze aus: „Unsere Organisation ist
eine Organisation der Opfer. Sie wurde in Dortmund 1947 von 2000
Überlebenden des Holocaust, von NS-Opfern und Teilnehmern am
Antinazi-Widerstandskampf gegründet. Die Volksverhetzung der Nazis in
Dortmund regelmäßig zum 1. September ist unerträglich und wird von uns
niemals hingenommen. Der erste September wird von den demokratischen Kräften
und den Opferverbänden regelmäßig als Gedenktag begangen, denn an diesen Tag
begann mit dem NS-Überfall auf Polen der II. Weltkrieg. Die Neonazis begehen
diesen Tag nicht als Tag gegen den Krieg, sondern als Tag der Würdigung des
Beginns des größten Menschheitsverbrechens. Das ist Jahr für Jahr
feststellbar.“
„Hitler bedeutet Krieg“, wurde 1933 von den Gründerinnen und Gründern der
VVN-BdA gewarnt. Daraus wurden 1945 die Lehren gezogen. Doch dagegen gehen
die Nazis an. Die Neonazis und die anderen Rechtsextremen treten für eine
starke aggressive Bundeswehr ein, sie sind gegen Abrüstung, für den „Kampf
um deutsche Interessen“. Sie drängen in die Bundeswehr, allein schon um das
„Waffenhandwerk“ zu erlernen. Sie sind zahlreich in den Reservistenverbänden
vertreten. Sie stehen in der Tradition der Hitler-Wehrmacht. Sie wollen die
Grenzen in Europa ändern und Land im Osten zurückholen. Der 1. September
1939 ist ihnen wichtig als Tag der Kriegshetze gegen Polen.
„Gegen eine von der extremen Rechten imaginierte Funktion der Einkreisung
als Mittel der Schwächung und Niederhaltung Deutschlands fordert sie
Deutschlands ‚Lebensrecht’ und Mission,“ schreibt Fabian Virchow in seiner
Studie über „Internationale Beziehungen und Militär in den politischen
Konzeptionen der extremen Rechten“, die der Mitarbeiter des Marburger
Universitätszentrum für Konfliktforschung unter dem Titel „Gegen den
Zivilismus“ herausbrachte (Wiesbaden 2006). Die mit der „kleinstdeutschen
Einheit vom Rhein zur Oder“ verbundenen Gebietsverluste werden beklagt: „Was
ist schon ein Deutschland ohne Schlesien, Ostpreußen, Österreich oder
Südtirol?“ (S. 112 bei Virchow) Die extreme Rechte, so Virchow, strebt mit
ihrer Friedensrhetorik die Durchsetzung eines völkisch-arrondierten und mit
umfassenden Gewaltmitteln ausgestatteten Groß-Deutschlands an. „Dieses soll
nach weitreichender Militarisierung von Militär und Gesellschaft als
imperiale europäische Ordnungsmacht und weltpolitisch als Gegenpol gegenüber
den USA auftreten.“
Seit Jahren begeht die rechte Szene in Dresden und anderswo ihr „Gedenken an
die deutschen Opfer“, wofür sie Revanche wollen. Und seit Jahren zelebriert
diese Szene in Dortmund am ersten Septemberwochenende – konträr zum
Antikriegstag der Friedens- und Gewerkschaftsbewegung – ihren bundesweiten
„nationalen Antikriegstag“, der sich als Pro-Krieg-Tag erweist. Die extrem
Rechten verlangen den weltweiten Sieg des „nationalen Sozialismus“, erst
dann könne Frieden sein. Im gelobten Land Israel brauche es keinen Sieg des
nationalen Sozialismus; „denn dann sind ja alle im Himmel“ (Siegfried
Borchardt, alter Neonazikader aus Dortmund, sagte dies auf den
Nazi-„Antikriegstagen“). Ein anderer Redner sagte dreist: Wir leugnen den
Holocaust nicht, wir gratulieren Euch Deutsche zu Eurer ganzen Geschichte,
wozu auch Auschwitz gehöre. (Ein Vertreter der niederländischen Naziszene
auf einem Meeting der Nazis in Dortmund-Dorstfeld)
Die Nazis befürworten Angriffskriege, obwohl diese zum Beispiel im Potsdamer
Abkommen und im Urteil von Nürnberg über die Hauptkriegsverbrecher als das
schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit, ja gegen die Menschheit
bewertet wurde. Die Vorbereitung, die Auslösung und Führung von
Angriffskriegen ist verfassungswidrig und steht unter Strafe. Davon zeugt
Artikel 26 des Grundgesetzes.
Erstmals haben sich ältere Überlebende des Krieges in den Jahren 2008 und
2009 diesem Treiben mit sowohl antifaschistischen als auch
antimilitaristischen Äußerungen entgegengestellt. Eine „Aktion 65 plus“
führte am 6. September 2008 in Dortmund einen 700köpfigen spontanen
Demonstrationszug an. Am 5. September 2009 war eine erneute derartige Aktion
erforderlich. Und so wird es wohl auch am 4. September 2010 sein, wenn die
Nazis erneut zum Nationalen Antikriegstag nach Dortmund aufrufen. Die
65plus-Erklärung lautete u.a.:
„Aktion 65 plus – Wir haben es erlebt. Nie wieder. Bombennächte. Ständige
Angst. Hausdurchsuchungen. Die Eltern im KZ. Verwandte sterben im Krieg.
Nachbarn mit dem gelben Stern werden abgeholt. Nachts träumen wir davon. Die
Nachfolger der Nazibande, die das verschuldete, erheben wieder ihr Haupt.
Jahr für Jahr kommen sie nach Dortmund. Sie rufen ‚Nie wieder Krieg’ und
fügen hinzu: ‚... nach unserem Sieg, dem Sieg des ‚nationalen Sozialismus’.
Das Maß ist voll. Sie reden von Frieden, Antikapitalismus, ja Sozialismus.
Das taten Hitler und Goebbels auch. Es kam zum furchtbarsten aller Kriege.
Zur schlimmsten Form des Kapitalismus: Nicht nur Ausbeutung durch Arbeit,
sondern Vernichtung durch Arbeit. Es kam zur Versklavung und zum Holocaust.“
Der Dortmunder Polizeipräsident wird aufgerufen: „Verweigern Sie die
Zustimmung zu dem Plan der Nazis und Neonazis, am 4. 9. in Dortmund
Volksverhetzung und Kriegshetze zu betreiben.“
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