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"Wir wollen nicht, dass Krieg ein Mittel der Politik ist!"

Rede von Lühr Henken beim Antikriegstag Berlin am 1. September 2013 am Brandenburger Tor *

Liebe Friedensfreundinnen, liebe Friedensfreunde,

den Weltkriegsbeginn am 1. September 1939 nehmen wir Jahr für Jahr zum Anlass, dafür zu demonstrieren, dass endlich die Lehren, die aus den beiden Weltkriegen mit zusammen 75 Millionen Toten gezogen wurden, in die Tat umgesetzt werden. Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg! Wir wollen keine Rüstungsexporte, wir wollen keine Kampfdrohnen, wir wollen nicht, dass die Bundeswehr zu einer weltweit einsetzbaren Interventionsarmee umgebaut wird! Wir wollen keine Auslandseinsätze der Bundeswehr! Wir wollen nicht, dass die Bundeswehr an Schulen und Hochschulen wirbt! Wir wollen nicht, dass Krieg ein Mittel der Politik ist!

In diesem Jahr wird der Antikriegstag überschattet vom Beschluss der US-Regierung unter der Leitung des Friedensnobelpreisträgers Obama, Syrien anzugreifen. Die Zeit dränge nicht, betonte Obama. Man könne morgen, nächste Woche oder in einem Monat angreifen. Wir lehnen diesen Angriff entschieden ab! Er würdw dem Leiden der syrischen Bevölkerung neues Leid hinzufügen. Allein schon die Angriffsdrohung hat zu einem Anschwellen des Flüchtlingsstroms geführt. Wohin führt das erst, wenn die Drohung wochenlang anhält? Allein schon die Androhung von Gewalt stellt einen Bruch der UN-Charta da. Würde der Angriff erfolgen, würde das nicht nur zur Destabilisierung Syriens, sondern seiner Nachbarländer, insbesondere des Libanons, des Iraks, Jordaniens und der Türkei beitragen. Mit 100.000 Toten und Millionen Menschen auf der Flucht hat dieser Krieg schon jetzt zu viele Opfer gefordert. Bomben werden die Bevölkerung weder vor neuen Giftgasanschlägen schützen noch vor der Repression und Kriminalität des Assad-Regimes. Es droht vielmehr eine weitere Eskalation, die einen verheerenden Flächenbrand in der Region hervorrufen kann. Nein zu einem Krieg gegen Syrien! Am 21. August wurde östlich von Damaskus als Teil der Kriegsführung in hohem Maße Giftgas eingesetzt. Bilder zeigen ausschließlich Zivilpersonen, darunter sehr viele Kinder. Chemische Waffen sind völkerrechtlich geächtet. Ihr Einsatz verstößt gegen das humanitäre Völkerrecht und ist inakzeptabel!

Es stellt sich die Frage nach den Tätern. Wer hat die Gasgranaten abgefeuert? Die US-Regierung sagt, dass sie klare und schlüssige Beweise dafür habe, dass der Angriff systematisch von Regierungsseite vorbereitet wurde. Sie wisse, dass die Raketen nur aus vom Regime kontrollierten Gebieten abgeschossen wurden. Klare und schlüssige Beweise? Das haben wir schon mal gehört. Unwiderlegbar sogar seien die Beweise dafür, dass Saddam Hussein über Massenvernichtungswaffen verfüge, behauptete Colin Powell Anfang Februar 2003 vor dem UN-Sicherheitsrat. Geglaubt haben wir diese Lüge nicht – später gab Powell zu, dass sein Auftritt dort der Schandfleck in seiner Karriere war. Warum sollen wir den angeblichen Beweisen heute Glauben schenken? Die US-Geschichte fabrizierter Vorwände, um einen Krieg zu beginnen, ist lang.

Schauen wir uns die Motivlage in Syrien an. Welchen Nutzen sollte die syrische Regierung davon haben, ausgerechnet dann massiv Giftgas einzusetzen, wenn Chemiewaffenexperten der UNO im Land sind, wo doch alle Welt weiß, dass der Nachweis ihrer Täterschaft das Überschreiten der von Obama ein Jahr zuvor gezogenen „roten Linie“ wäre. Das Regime würde damit förmlich den Angriff der Übermacht provozieren. Der militärische Nutzen des eigenen Vormarsches der letzten Wochen wäre damit dahin. Das macht keinen Sinn.

Welchen Nutzen könnten die Rebellenseite und ihre Verbündeten aus dem Westen und vom Golf von einem Giftgasangriff haben, der Assad zugeschrieben wird? Einen sehr viel größeren! Die Enttäuschung der Feinde Assads über die angebliche Zögerlichkeit Obamas, Flugverbotszonen und Flüchtlingskorridore militärisch abzusichern und massiv Waffen an die Rebellen zu liefern, füllt Bände. Die dazu notwendigen Beschlüsse scheiterten im UN-Sicherheitsrat am Widerstand Russlands und Chinas. Also, was tun, um die Legitimität für den Kriegseinsatz der NATO-Staaten am UN-Sicherheitsrat vorbei – somit unter Bruch des Völkerrechts – zu bekommen? Ein Giftgaseinsatz böte sich an, den man so aussehen ließe, als wäre es das Regime gewesen. Dieses Fanal müsste, mit Bildern unterlegt, so monströs erscheinen, dass die Empörung keine andere Wahl ließe, auch ohne UN-Mandat, mit der Luftwaffe auf Seiten der Rebellen einzugreifen. Der Vorteil dieser Taktik läge zudem darin, dass der Anschein erweckt wird, die Obama-Regierung sei unbeteiligt und nur widerwillig dazu bereit. Unbeteiligt ist die US-Regierung jedoch nicht. Sie fordert seit zwei Jahren den Rücktritt Assads, unterstützt die Opposition, rüstet die Assad-Gegner in der Region massiv auf und verfolgt das Ziel eines Regime-Changes im Iran, dem regionalen Hauptverbündeten Assads.

Momentan gibt es keine Beweise, wer für die Giftgasanschläge verantwortlich ist und vielleicht wird es sie nie geben. Aber selbst wenn das Assad-Regime verantwortlich ist, wäre ein Angriff auf Syrien ohne UN-Mandat völkerrechtswidrig. Strafsanktionen sieht die UN-Charta nicht vor. Für militärische Einsätze zum Schutz der Zivilbevölkerung (Responsibility to protect) ist ein Mandat des UN-Sicherheitsrats notwendig. Es besteht in Syrien wieder die Gefahr, wie in den Fällen Kosovo und Irak, dass NATO-Staaten das Völkerrecht mit Füßen treten. Das lehnen wir ab! Es gilt nicht das Recht des Stärkeren! Das Völkerrecht muss geachtet werden! Überhaupt weist das Völkerrecht den Weg, wie der Einsatz von Giftgas gesühnt werden kann! Es ist allein Aufgabe des Internationalen Strafgerichtshofs, die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen!

Und wie steht es mit der Bundesregierung? Sie will, dass sich der UN-Sicherheitsrat mit dem Untersuchungsbericht der Chemiewaffeninspekteure befasst und hat erklärt, dass sich die Bundeswehr an einem militärischen Vorgehen in Syrien nicht beteiligen wird. Das klingt gut, ist aber nicht die ganze Wahrheit, sondern eine Mogelpackung. Die Bundesregierung unterstützt den Krieg bereits direkt und indirekt. So trägt sie die Vorverurteilung Assads durch die NATO voll mit. Die Bundeswehr betreibt zwei Patriot-Flugabwehrbatterien unweit der syrischen Grenze in der Türkei. Greifen die USA völkerrechtswidrig an, ist sie unmittelbar Kriegspartei und macht sich mitschuldig am Krieg. Wir fordern den unverzüglichen Abzug der Patriots! Bundeswehrsoldaten bilden ein Drittel der Besatzungen der fliegenden NATO-Gefechtsführungsplattformen AWACS in der Südtürkei. Wir fordern den Rückzug der deutschen Soldaten aus den AWACS-Maschinen und des deutschen Spionageboots von der syrischen Küste. Wir fordern, dass die Bundesregierung ihrer Verpflichtung nachkommt, und den völkerrechtswidrigen Einsatz von US-Militär von deutschen Basen aus unterbindet!

Was Syrien braucht, ist kein Krieg, sondern einen Waffenstillstand und eine Einstellung sämtlicher Waffenlieferungen an alle Kriegsparteien. Die Bundesregierung muss sich konstruktiv für eine politische Verhandlungslösung einsetzen und auf Obama Druck ausüben. Der Schlüssel zur Lösung des Konflikts liegt in Washington. Nein zum Krieg gegen Syrien!

* Lühr Henken, Berliner Friedenskoordination; Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag.


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