"Der Welt den Frieden erklären" / "Krisen bekämpfen - die Weltwirtschaft neu ordnen"
Aufrufe des Bundesausschusses Friedensratschlag, des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der VVN-BdA zum Antikriegstag 2009
Im Folgenden dokumentieren wir drei programmatische Erklärungen zum Antikriegstag 2009: einmal die Erklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag, zum zweiten die Erklärung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und drittens den Aufruf der VVN-BdA.
70 Jahre Zweiter Weltkrieg
- Die Lehren für die Nachgeborenen -
Eine Erklärung aus der Friedensbewegung
Am 1. September 1939 begann mit dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen der
Zweite Weltkrieg. Dieser Krieg, in dessen Verlauf 55 Millionen Menschen getötet wurden,
darunter über 20 Millionen Bürger/innen der damaligen Sowjetunion und sechs Millionen
Juden, die auf bestialische Weise in den Konzentrationslagern der Nazis vernichtet wurden,
"brach" nicht einfach "aus", sondern wurde gewollt und geplant von den faschistischen
Machthabern des "Dritten Reiches", generalstabsmäßig vorbereitet von einer verbrecherischen
Wehrmachtsführung und geführt und unterstützt von Millionen Deutschen. Und auch
dies darf nicht vergessen werden: Er hatte Nutznießer und Interessenten vor allem auf der
Seite der großen Industrie, der Banken und der "deutschen" Handelshäuser, die im Inneren
jüdisches Eigentum an sich rissen und im Kriegsverlauf sich an der Ausbeutung von
Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen und an der Ausplünderung und Versklavung der
besetzten Länder insbesondere Osteuropas bereicherten.
Kriege brechen nicht aus, sie werden also gemacht. Deren Macher und Profiteure haben
Namen und Adressen. Das ist heute nicht anders. Eine wichtige Lehre aus der Geschichte
lautet daher: Da Kriege nicht schicksalhaft, wie ein Naturereignis über uns hereinbrechen,
können sie auch verhindert werden. In den frühen 30er Jahren hätten die Menschen in
Deutschland, die Demokraten, Gewerkschafter, die Anhänger der großen Arbeiterparteien,
die sozialdemokratischen, kommunistischen, christlichen und liberalen Antifaschisten den
drohenden Faschismus entschlossener und vor allem gemeinsam bekämpfen und besiegen
können. Das Ausland hätte zu den italienischen und deutschen "Eroberungen" in der
Vorkriegszeit ("Abessinien", Österreich, "Böhmen und Mähren") nicht schweigen dürfen.
Und die Anti-Hitler-Koalition hätte noch vor dem umstrittenen Molotow- Ribbentrop-Pakt
geschlossen und nach Beginn des Krieges früher aktiv werden sollen.
Die Welt nach 70 Jahren sieht anders aus. Sie hat den 40 Jahre dauernden Kalten Krieg (der
in der Dritten Welt häufig heiß geführt wurde) und die Blockkonfrontation hinter sich
gelassen. In Europa selbst wurde ein historischer Friedens- und Annäherungsprozess im
Rahmen der "Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit" (KSZE) durchgeführt, der auf
der Anerkennung der Nachkriegsgrenzen, den Prinzipien der friedlichen Koexistenz und der
Universalität der Menschenrechte beruhte. Nach dem Fall der Mauer, der Auflösung der
Sowjetunion sowie der Militärorganisation des Warschauer Pakts schien es eine Zeitlang, als
könnte die Menschheit nun eine grandiose "Friedensdividende" einstreichen, d.h. abrüsten
und die dadurch frei werdenden Mittel für die Beseitigung des Hungers, der
Unterentwicklung, der Massenarbeitslosigkeit und der Umweltschäden einsetzen. Dieser
Traum war spätestens geplatzt, als klar wurde, dass das Gegenstück zum Warschauer Pakt,
die NATO, keineswegs abdanken wollte und dass der inzwischen zur Maxime weltweiten
Wirtschaftens erhobene Neoliberalismus den Globus in eine einzige Sphäre der
Profitmaximierung und Rohstoffsicherung verwandelte.
Das Ende der Blockkonfrontation hat auch nicht den ersehnten Frieden in den internationalen
Beziehungen gebracht. Der Krieg der NATO gegen Jugoslawien 1999, der Afghanistankrieg
seit 2001, der Irakkrieg (seit 2003), zahlreiche Kriege und Gewaltkonflikte im Nahen
Osten und der Dritten Welt (z.B. Kongo, Ruanda, Somalia, Elfenbeinküste, Kaukasus, Indien,
Pakistan, Indonesien, um nur einige zu nennen) haben zwei Dinge gemeinsam: Sie beginnen
jeweils mit einer Lüge (von der "humanitären Katastrophe", die es zu verhindern gilt, bis zum
angeblichen Verteidigungskrieg oder der Beseitigung einer "Schurken"-Regierung); und sie
werden geführt zur Aneignung oder Sicherung von Energie- und anderen "lebensnotwendigen"
Rohstoffen. Kriege um Öl oder Erdgas, um Diamanten und Wasser, um Fischereigründe
oder andere Rohstoffreservoirs sind heute an der Tagesordnung - und alle anderslautenden
hehren Ziele von Seiten der Krieg Führenden sind legitimatorische Schutzbehauptungen.
Die Friedensbewegung kämpft heute nicht gegen einen drohenden Weltkrieg (der scheint
auf absehbare Zeit unwahrscheinlich) und in der Regel nicht mehr gegen eine einzelne
"Super"- oder Großmacht. Sie wendet sich vielmehr gegen jeden Krieg und gegen jede
Rüstung. Eine der größten Errungenschaften der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war die
Gründung der Vereinten Nationen und die Verabschiedung der UN-Charta 1945. Nach der
Charta ist jede Gewaltanwendung und Gewaltdrohung in den internationalen Beziehungen
verboten. Dem Geist der UN-Charta, dem absoluten Gewaltverbot des Völkerrechts
widersprechen nicht nur die zahlreichen Kriege, die heute weltweit geführt werden, sondern
auch die materielle Gewalt derjenigen Staaten, die z.B. mit der NATO am mächtigsten
Militärbündnis in der Geschichte der Menschheit festhalten, oder die sich in den Besitz
atomarer Massenvernichtungswaffen gebracht haben. 70 Prozent der weltweiten Rüstungsund
Militärausgaben gehen heute auf das Konto der NATO-Staaten. Ein Bruchteil der 1,3 Billionen US-Dollar, die heute Jahr für Jahr in die Rüstung fließen, würde ausreichen, die
wichtigsten Millenniums-Ziele der Vereinten Nationen, die Halbierung der Armut, die
Versorgung aller Menschen mit sauberem Wasser oder mit Gesundheitsdiensten und
Bildung zu erreichen. Nebenbei könnte damit der Ausbruch so mancher Gewaltkonflikte
verhindert werden.
Eine "neue Welt des Friedens und der Freiheit" haben sich die Menschen nach dem Zweiten
Weltkrieg erhofft. Sie ist möglich. Aber nur, wenn der zunehmenden Militarisierung der
internationalen Politik, dem skrupellosen Wettlauf um Ressourcen und der schamlosen Ausplünderung
der Dritten Welt ein Riegel vorgeschoben wird. Eine "neue Welt des Friedens
und der Freiheit" gedeiht nicht auf den Bajonetten der Soldaten; Demokratie und Menschenrechte
können nicht in fernen Weltgegenden herbei gebombt werden. Frieden wird es
nur geben, wenn wir die Kriege beenden, d.h. wenn wir die Soldaten aus Afghanistan
zurückziehen, wenn wir keine Waffen mehr an Kriegsparteien exportieren, wenn wir dafür
sorgen, dass die restlichen US-Atomwaffen aus Deutschland abgezogen werden, wenn wir
aus der NATO austreten, wenn wir die Militarisierung der Europäischen Union nicht zulassen
und wenn die deutsche Außenpolitik auf Militär und Gewalt gänzlich verzichtet.
70 Jahre nach Beginn des von Deutschland ausgehenden Zweiten Weltkrieges erklären wir
der Welt nicht mehr den Krieg, sondern den Frieden.
Bundesausschuss Friedensratschlag
Kassel, Frankfurt, Hamburg, Berlin, 1. September 2009
[Hier geht es zu einer pdf-Version dieser Erklärung.]
Kriege vermeiden - Krisen bekämpfen - die Weltwirtschaft neu ordnen
Erklärung des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum Antikriegstag - 1. September 2009
Am 1. September 1939 – vor 70 Jahren – begann mit dem deutschen Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg. 60 Millionen Opfer stehen für den schlimmsten Vernichtungskrieg in der Geschichte der Menschheit. Auch 70 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkrieges sind wir Tag für Tag mit Kriegen konfrontiert. Die Ansätze der Staatengemeinschaft, Konfliktursachen auszuräumen, Konflikte einzudämmen und Eskalationen zu vermeiden, sind vielerorts gescheitert. Das Leiden von Millionen Menschen auf allen Kontinenten dauert an.
In Afghanistan herrscht Krieg. Die Bundeswehr ist immer tiefer in ihn verstrickt. Der Krieg ist mit militärischen Mitteln nicht zu gewinnen. Wir fordern, den Bundeswehreinsatz schnellstmöglich zu beenden und Afghanistan beim Aufbau einer nachhaltigen Zivilgesellschaft zu unterstützen.
Die alte Forderung der Friedensbewegung ist unverändert aktuell: Frieden schaffen ohne Waffen! Denn die Gefahr durch die Verbreitung von Atomwaffen ist größer denn je. Atomwaffen in der Hand von Diktatoren oder undemokratischen Regimen sind genauso eine neue Qualität der Bedrohung wie Atomwaffen in Terroristenhänden. Die Menschheit muss sich endlich von der Geißel der Atomwaffen befreien. Wir fordern die künftige Bundesregierung auf, sich nachdrücklich für den Abzug der verbliebenen Atomwaffen aus Deutschland einzusetzen. Das wäre ein wichtiges Signal auch zur Unterstützung für Präsident Obama und seine Initiative für eine atomwaffenfreie Welt.
Mit Gewalt wird Gewalt nicht eingedämmt. Auch wenn die Ursachen für Konflikte sehr unterschiedlich sind, muss unsere Botschaft lauten: Nur Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit, der Kampf gegen Durst, Hunger und Ausbeutung sowie das Streiten für sozialen Fortschritt und gerechte Verteilung können dauerhaften Frieden schaffen. Sie sind die Grundlagen für eine friedlichere Welt und eine gerechtere Wirtschaftsordnung. Sie ist ferner denn je.
Die Auswirkungen der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise sind noch immer nicht absehbar. Sie öffnet die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter. Wenige bereichern sich aus Gier, während viele die Zeche für die Auswüchse des Casinokapitalismus zahlen. Sie verlieren ihre Arbeitsplätze und als engagierte GewerkschafterInnen mancherorts ihr Leben. Die Finanzkrise wird durch die Klima- und Nahrungsmittelkrise noch verschärft, Kämpfe um Rohstoffe und Energiereserven sind zu befürchten.
20 Jahre nach den friedlichen Umbrüchen von 1989 erleben wir wieder einen Epochenbruch. Zu unserer großen Sorge müssen wir jedoch feststellen, dass es heute kein Umdenken bei vielen Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft gibt. Ein Gegenlenken gegen den enthemmten Kapitalismus ist wichtiger denn je. Dazu fordern wir die wahlkämpfenden Parteien ausdrücklich auf. Denn Konflikte, Krisen und Kriege werden nur vermieden, wenn die Verteilung von Wohlstand in und zwischen Staaten gerechter wird.
Wer Frieden will, muss den Feinden der Freiheit und Demokratie entschlossen entgegentreten. Alte und neue Nazis haben keinen Platz in unserem Land. Der DGB fordert mit allem Nachdruck ein Verbot der NPD.
[Hier geht es zu einer pdf-Version dieser Erklärung.]
Nach dem Krieg ist vor dem Krieg? Ohne uns!
Erklärung zum Antikriegstag
BundessprecherInnenkreis der VVN-BdA
70 Jahre nach dem Überfall der Wehrmacht auf Polen, mit dem das faschistische Deutschland den 2. Weltkrieg begann, haben deutsche Soldaten wieder einen Schießbefehl, „Taschenkarte“ genannt, im Gepäck.
60 Jahre nach der Verabschiedung des Grundgesetzes, nach dem die Bundesrepublik Deutschland zunächst gar keine Armee haben sollte, und nach dem deutsche Soldaten bis heute nur zur Verteidigung eingesetzt werden dürfen, werden wieder „Tapferkeitsmedaillen“ verliehen. Gerade erst wurden mit den „Kriegsverrätern“ die letzten Opfer der Wehrmachtsjustiz rehabilitiert, und mit Scheungraber einer von 25 in Italien verurteilten deutschen Kriegsverbrechern endlich auch in der Bundesrepublik verurteilt, da stehen deutsche Soldaten schon wieder im Krieg.
Auch wenn es gelegentlich behauptet wird: Bei den neuen Kriegen geht es nicht um „eine neue Welt der Friedens und der Freiheit“, wie sie die Überlebenden, die Widerstandskämpfer, die Deportierten und Internierten 1945 wollten. Es geht allein um Rohstoffreserven und die Durchsetzung von Machtinteressen. Das Selbstbestimmungsrecht von Völkern wird dabei missachtet.
Auch an diesem 1. September werden Gewerkschaften und Friedensgruppen zum Antikriegstag gegen die heutigen Kriegseinsätze der Bundeswehr protestieren und entschiedenes Engagement auch der deutschen Politik für politische Konfliktlösung und zivile Konfliktbearbeitung einfordern.
Am 5. September wollen Neofaschisten aus ganz Europa durch Dortmund marschieren und versuchen, den Antikriegstag für sich zu vereinnahmen. Dagegen wehrt sich ein breites antifaschistisches Bündnis, denn: Sie rufen „Nie wieder Krieg“ und fügen hinzu „nach unserem Sieg“. Sie stellen noch immer die Grenze nach Polen in Frage. Sie verbreiten ihre braune Hetze bei der Bundeswehr, sie unterwandern die Reservistenverbände.
Die VVN-BdA unterstützt mit ihren Mitgliedern und Untergliederungen die Demonstrationen der Friedensbewegung zum Antikriegstag am 1. September und sie unterstützt die Dortmunder Antifaschisten, die sich dem Gespensterzug am 5. September dort entgegenstellen.
Es gilt, die eindeutige Lehre aus dem verbrecherischen Krieg Nazi-Deutschlands in unserer Gesellschaft wach zu halten:
Nie wieder Faschismus - nie wieder Krieg!
Quelle: Website der VVN-BdA; www.vvn-bda.de
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