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Radar-Gegner hoffen auf Obama

Tschechien: Wahl in USA könnte zum Aus für Stationierungsplan beitragen

Von Jindra Kolár, Prag *

Eine Hoffnungswelle geht nach der Wahl von Barack Obama zum neuen US-Präsidenten auch durch die tschechische Bevölkerung: Die umstrittene Radaranlage, die zu George W. Bushs Raketenabwehrsystem gegen die »Mächte des Bösen« auf dem tschechischen Truppenübungsplatz Brdy installiert werden sollte, könnte noch vor der Ratifizierung der Verträge abgesagt werden.

Zunächst aber ist erst einmal die Karriere des US-amerikanischen Botschafters Richard Graber in Prag beendet. Der republikanische Rechtsanwalt aus Wisconsin war einer der Vorreiter des Stationierungsplanes der Bush-Administration. Er hoffe, so äußerte er sich nach dem Wahlausgang in den USA, dass die weiteren Verhandlungen ohne Emotionen und im Interesse der Sicherheit der USA und Tschechiens geführt würden.

Allerdings dürfte sich das nicht ganz so komplikationslos darstellen, wie es sich Graber wünschte. Die Reihen der Regierung von Mirek Topolanek beginnen zu bröckeln. Die Koalition verfügt mit 100 Stimmen ohnehin nur über die Hälfte der Abgeordnetenmandate des tschechischen Parlaments. Aus den Reihen der Grünen Partei – einer der Koalitionspartner der Bürgerlichen Demokraten (ODS) Topolaneks – wandten sich die Abgeordneten Vera Jakubkova und Olga Zubova mit einem Offenen Brief an den künftigen US-Präsidenten Obama. Das Schreiben dürfte in Regierungskreisen auf keinen Applaus stoßen, denn die Grünen-Abgeordneten verlangten darin nichts weniger, als den Plan zur Installierung eines Radarsystems zu stornieren. In dem Brief, der eingeleitet ist mit den »besten Wünschen zur Wahl des Präsidenten der Vereinigten Staaten«, drückten die Abgeordneten ihre Besorgnis aus, eine Verschärfung der militärischen Konfrontation auf der Welt könnte den Frieden bedrohen. In dem Text hieß es dann auf das geplante Raketenabwehrsystem bezogen: »70 Prozent der tschechischen Bevölkerung wünschen kein Radarsystem auf dem Territorium unseres Landes.« Die Abgeordneten der Grünen Partei baten den designierten Präsidenten, das gesamte Vertragswerk nochmals zu überdenken und eine Lösung zu finden, die die Sicherheit und den Frieden der Tschechischen Republik garantiere.

Regierungschef Topolanek plant inzwischen, seine wegen des ODS-Debakels bei den Senatswahlen im Oktober verschobene Reise in die USA anzutreten. Dort will er sich von dem noch amtierenden Präsidenten Bush verabschieden, mit dem er seinerzeit das Stationierungsabkommen ausgehandelt hatte. Noch vor wenigen Tagen wollte Topolanek das Abkommen vom tschechischen Senat bestätigen lassen – da verfügte er noch über eine Stimmenmehrheit von 41 der 81 Senatoren. Nach den Teilsenatswahlen vom 25. Oktober kann die ODS inzwischen aber nur noch 35 Senatoren stellen. Auch im Parlament ist in der gegenwärtigen Situation eine Ratifizierung des Stationierungsabkommens nicht durchsetzbar.

Der Unwillen des tschechischen Volkes, US-Truppen mitsamt einer Radaranlage im Herzen der Republik zu haben, dürfte sich nach den jüngsten Ankündigungen des russischen Präsidenten Dmitri Medwedjew noch verstärkt haben. Dieser hatte in seiner Rede zur Lage der Nation dargelegt, dass die russischen Truppen Raketenabteilungen im Kaliningrader Gebiet stationieren werden. Deren Ziele könnten sehr wohl auch die Basen in Polen und Tschechien sein.

* Aus: Neues Deutschland, 10. November 2008

Weitere Meldungen

Pläne zum Raketenschild noch offen

Der künftige US-Präsident Barack Obama hält sich nach Angaben eines Sprechers seine Optionen bei dem geplanten Raketenabwehrsystem in Mitteleuropa entgegen anderslautenden Berichten offen. Der polnische Präsident Lech Kaczynski habe in einem Telefonat mit Obama das Thema angesprochen, jedoch habe sich der designierte Präsident »nicht festgelegt«, sagte ein Sprecher des Demokraten am Samstag. »Während seines Wahlkampfes war seine Position, dass er die Aufstellung eines Raketensystems unterstützt, wenn die Technologie funktioniert.«

Kaczynski hatte am Samstag (8. Nov.) in Warschau erklärt, Obama habe ihn in einem Telefongespräch am Freitag über sein Vorhaben informiert, das Projekt fortzuführen. Der designierte US-Präsident habe dabei auch die Bedeutung der strategischen Partnerschaft zwischen Polen und den USA hervorgehoben. Beide Länder hatten sich im August auf die Stationierung von zehn Abwehrraketen im Norden Polens geeinigt. Russland betrachtet den Raketenschild als Bedrohung.

Quelle: ND, 10.11.2008

Raketenstreit: Polens Außenminister will kein Pentagon-Lobbyist sein

MOSKAU, 10. November (RIA Novosti). Die Regierung in Polen soll nach Auffassung von Außenminister Radoslaw Sikorski jeder Entscheidung der Obama-Regierung über den geplanten Raketenschild in Osteuropa zustimmen. „Wir müssen jede Entscheidung der US-Regierung akzeptieren, anstatt als Lobbyisten einer Pentagon-Fraktion aufzutreten. Was der designierte US-Präsident nicht sagte, dürfen wir ihm nicht unterstellen… Das ist ein US-Projekt und wir sollten nicht so tun, als ob wir es kontrollieren“, sagte Sikorski in einem Interview für die Montagsausgabe der „Gazeta Wyborcza“.
Somit kommentierte er die mittlerweile dementierte Mitteilung der polnischen Präsidentenkanzlei, der designierte US-Präsident Barack Obama habe Lech Kaczynski in einem Telefongespräch versprochen, das Raketenschild-Projekt umzusetzen. Die USA wollen zehn Abfangraketen in Polen und eine Radaranlage in Tschechien stationieren.
„Die Chancen für die Fortsetzung des Programms sind aus meiner Sicht höher als 50 Prozent“, so Sikorski. Es sei aber nicht auszuschließen, dass Obama den Etat kürze, um etwa mehr Sozialprogramme von diesem Geld zu finanzieren.

Quelle: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 10.11.2008



Neue Chance für Raketengegner?

Obama legt sich bezüglich der Stationierung in Polen und Tschechien nicht fest

Von Tomasz Konicz, Poznan **


Am Samstag vormittag (8. Nov.) war für Lech Kaczynski die Welt noch in Ordnung. Da zog der polnische Staatschef das Resümee eines ersten Telefongesprächs mit dem designierten US-Präsidenten, das er Freitag nacht geführt hatte. »Barack Obama unterstrich die Bedeutung der strategischen Partnerschaft zwischen Polen und den Vereinigten Staaten«, erklärte Kaczynski, dabei habe der kommende Präsident der Vereinigten Staaten seine Bereitschaft zur Weiterführung der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit zwischen beiden Staaten Ausdruck verliehen: »Das Projekt der Raketenabwehr wird weitergeführt«, stellte Kaczynski zufrieden fest.

Das Dementi aus Washington folgte nur wenige Stunden später. Denis McDonough, außenpolitischer Berater Obamas, widersprach in einer offiziellen Erklärung dem polnischen Staatschef: »Präsident Kaczynski kam auf die Raketenabwehr zu sprechen, aber der designierte Präsident Obama ist keine Verpflichtung in dieser Frage eingegangen.« In der Presseerklärung wurde die Position Obamas zu diesem Thema präzisiert, derzufolge »er die Aufstellung der Raketenabwehr unterstützt, wenn die Technologie sich als zuverlässig erweist«.

Eine nüchternere Einschätzung der neuen Lage lieferte der polnische Premier Donald Tusk am Samstag in einem Interview mit der regierungsnahen Zeitung Gazeta Wyborcza: »Die amerikanische Administration ändert sich nun. Ob die amerikanische Entscheidung sich ändert, das wissen wir nicht.« Sollte Washington sich entscheiden, die Raketenabwehr nicht zu errichten, so Tusk weiter, beispielsweise aus finanziellen Gründen, so müsse man die Entscheidung akzeptieren. »Wir können es nicht selber bauen.«

In einem ersten Telefongespräch am Samstag vereinbarten Rußlands Präsident Dmitri Medwedew und Barack Obama ein baldiges Treffen, auf dem wohl insbesondere die von Rußland abgelehnte Raketenstationierung in Polen und Tschechien ein Thema sein dürfte. Solche bilateralen Konsultationen könnten schon am Rande des kommenden Finanzgipfels in Washington arrangiert werden. In einer ersten Stellungnahme ließ der Kreml verbreiten, beide Seiten stimmten darin überein, »konstruktive und positive Interaktionen« aufbauen, und »ernsthafte Probleme globaler Natur« gemeinsam bewältigen zu müssen – ein Dementi aus Washington blieb diesmal aus.

** Aus: junge Welt, 10. November 2008


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