Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Ein Friedensforscher, der nicht resignierte

Der Politologe und Publizist Ekkehart Krippendorff wird 80

Von Karlen Vesper *

Seine früheste Erinnerung datiert er in die Vorkriegszeit. Er war viereinhalb Jahre alt und spazierte mit dem Vater am Hafen von Warnemünde, wo er erstmals U-Boote sah, die einen bedrohlichen, unheimlichen Eindruck auf ihn machten, zugleich eine dunkle Faszination ausübten. »Der Krieg warf seine Schatten voraus. Ich bin ein Kind dieses Krieges«, schreibt Ekkehart Krippendorff in seiner Autobiografie »Lebensfäden« (Verlag Graswurzelrevolution). Der Krieg schlich sich in die Spiele und Fantasien der Kinder, denen »Frieden« buchstäblich ein Fremdwort war. Anfang 1945 wird der Hitlerjunge für den »Volkssturm« rekrutiert, seine Kriegsbegeisterung erlahmt rasch. Die in das zerstörte Halberstadt einrollenden US-amerikanischen GIs, freundlich lächelnd und Schokolade verteilend, entsprachen so gar nicht dem anerzogenen Feindbild. Später wird Krippendorff zum engagierten Streiter gegen Aufrüstung und Krieg, wird Pionier der westdeutschen Friedensforschung.

Der am 22. März 1934 in Eisenach Geborene studierte Geschichte, Philosophie und Politikwissenschaft an den Universitäten Freiburg und Tübingen sowie an der FU Berlin und war anschließend Stipendiat an der Harvard, der Yale und der Columbia University. Aus den USA kehrte er mit einem in der miefigen Bundesrepublik wie im spießen Westberlin ungewohnt »ungekrümmten akademischen Rückgrat« sowie wertvollen Erfahrungen aus der Bürgerrechtsbewegung zurück. Er eckte im autoritären Universitätsgetriebe an und erhielt seine Entlassung – nicht nur ein Mal, nicht nur zwei Mal, sondern drei Mal. Anlass seines dritten Rauswurfes war eine Kolumne im »Spandauer Volksblatt«, in der er die Aufhebung der politisch-geistigen Zensur des Rektorats forderte. Vorangegangen war dem die schoflige Behandlung des streitbaren Publizisten Erich Kuby sowie des renommierten Philosophen Karl Jaspers durch die Universitätsleitung. Das Sommersemester 1965 ging als »Krippendorff-Semester« in die Annalen der FU ein. Die Studenten solidarisierten sich mit ihm, organisierten Versammlungen und Flugblattaktionen. Der Protest ging über Westberlin hinaus. Dass Krippendorff zu den Achtundsechzigern gehörte, versteht sich. Eine deutsche Universitätskarriere freilich wurde ihm darob verwehrt, dafür bekam er Gastprofessuren in Italien, in den USA und später auch in Japan.

Zur Friedensforschung gelangte Krippendorff dank einer Begegnung in Wien im Oktober 1963. Er lernte den Norweger Johan Galtung kennen, der vier Jahre zuvor das erste Friedensforschungsinstitut Europas gegründet hatte. Zurück in Westberlin, rief Krippendorff einen Arbeitskreis ins Leben. Es gab viel zu tun: Der Vietnamkrieg der USA, die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Mitteleuropa und schließlich »das amerikanische Wahnsinnsprojekt des gigantischen Raketenschutzschildes SDI ... trieb die beunruhigten Menschen auf die Straßen und ließ in kürzester Zeit jene Friedensbewegung entstehen, die für die nächsten zwanzig Jahre das politisch-kulturelle Klima nicht nur, aber vor allem der Bundesrepublik entscheidend geprägt hat«, so Krippendorff in seinen Memoiren. »Jetzt zahlte es sich aus, dass es eine Friedensforschung gab. Die kleine Gemeinde ihrer akademischen Pioniere war plötzlich gefragt.«

Die Friedensbewegung ist nicht mehr so mächtig wie ehedem, obwohl dies not täte. Krippendorff resignierte nicht, streitet unbeirrt weiter gegen Kriegsabenteuer und für Frieden, unter anderem in den Spalten des »neuen deutschland«.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 22. März 2014


Ausgewählte Beiträge von Krippendorff auf unserer Website:

Angst vor Amerika
"Der Mehltau des Totalitären liegt über den Vereinigten Staaten". Von Ekkehart Krippendorff (19. Februar 2002)
Good bye, America
Von Ekkehart Krippendorff (17. November 2004)
Über die Klugheit der Musik und die Dummheit der Politik
Daniel Barenboim dirigierte in der Staatsoper in Berlin sein israelisch-arabisches Orchester. Von Ekkehart Krippendorff (16. Januar 2009)
Palästinenser sind unerwünscht
Israelisches Menetekel: Arabische Ortsschilder werden entfernt. Von Ekkehart Krippendorff (23. Juli 2009)
Und Krippendorffs Beitrag auf dem Friedenspolitischen Ratschlag 2008:
Kritik und Hoffnung – Obama und wir. In: Ralph-M. Luedtke, Peter Strutynski (Hrsg.): Deutschland im Krieg. Transatlantischer Imperialismus, NATO und EU. Kassel: Jenior Verlag 2009, Kasseler Schriften zur Friedenspolitik Bd. 16, 275 Seiten, EUR 15,- (ISBN 978-3-934377-17-2)
[Restexemplare noch zu bestellen bei: webmaster@ag-friedensforschung.de]




Zurück zur Wissenschafts- und Hochschul-Seite

Zur Wissenschafts- und Hochschul-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage