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Good bye, America

Von Ekkehart Krippendorff*

"Man kann gar nicht so viel essen, wie man kotzen möchte" soll Max Liebermann gesagt haben, als er am 30.Januar 1933 die begeisterten Fackelträger-Massen durchs Brandenburger Tor ziehen sah, um ihren Führer zu feiern. So etwa ist es vielen ergangen am Morgen des 3.November 2004: Deutschen, Engländern, Franzosen - Europäern, Lateinamerikanern, Arabern und nicht zuletzt US-Amerikanern, denen noch vor wenigen Tagen die anfangs gar nicht so Bush- und Irakkritische New York Times aus der Seele gesprochen hatte mit ihrem vernichtenden Urteil über diese Präsidentschaft: Eine Tragödie für die USA, eine Katastrophe für die Welt, der Gedanke an noch vier Bush-Jahre ein Alptraum. Die Letzteren konnten wenigstens etwas dafür - oder eben dagegen - tun, nämlich wählen; 120 Millionen haben Bush ihre Stimme gegeben - aber sechseinhalb Milliarden Menschen (zu denen auch wir in Europa gehören) werden, ungefragt, darunter zu leiden haben.

Die Katastrophe hat viele Gesichter. Vor allem ist es eine Katastrophe der Demokratie. Die Wiederwahl Bushs hat bewiesen, daß man ein großes Volk mit einer langen demokratischen Tradition, einer großen Presse, einer revolutionären und aufklärerischen Geschichte verdummen, einschüchtern, folgenlos belügen und betrügen kann, daß man ihm seine historischen Ideale der Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte austreiben kann, daß man seine besten Köpfe zwar kritisch reden und schreiben lassen, aber sie gleichzeitig einfach ignorieren kann, indem man die primitivsten Masseninstinkte gegen die geistige Elite mobilisiert. In diesem Falle hieß das: Angst. Angst vor Terrorismus offensichtlich, aber auch Angst vor allem Unamerikanischen, vor dem Islam, Angst vor einer Welt von Feinden, Angst vor der eigenen Schwäche, Angst vor Homosexualität, Angst vor jedem und allem - und eben auch vor einem unbekannten Präsidentschaftskandidaten. Es hat in demokratisch regierten Staaten wohl keine Wahlkampagne gegeben, die wie diese mit offensichtlich durchschlagendem Erfolg die politische Konkurrenz so systematisch vergiftet, verleumdet, denunziert, unter jede Gürtellinie geschlagen hat, wie es die Bush-Leute mit den Demokraten gemacht haben; daß die Wahl Kerrys den Terrorismus begünstigt, war noch die harmloseste Drohung. Europäische Wahlstrategen haben bekanntlich schon lange erkannt, daß man von amerikanischen Wahltechniken etwas lernen kann: man muß dringend hoffen und darüber wachen, daß unsere öffentliche Meinung, daß die Selbstdisziplin unserer politischen Klassen wenigstens das verhindern wird.

Es wird einem schwindelig bei dem Gedanken, was die unbestreitbare Mehrheit der amerikanischen Wähler da alles abgesegnet hat: mehr als 100.000 Tote in einem völkerrechtswidrigen Krieg; die regierungsgebilligte Folter und Erniedrigung von Gefangenen (Abu Ghraib); die partielle Aufhebung der Rechtsstaatlichkeit (Guantanamo); die Suspension zentraler Bürgerrechte (US Patriot-Act); die rücksichtslose Fortsetzung von Umweltzerstörung und Klimakatastrophe im Interesse der US-amerikanischen Konzerne; einen permanenten Welt-Kriegszustand, dessen nächste Schauplätze bereits offen benannt wurden (Iran und Nordkorea)... Alles das geschieht am hellichten Tage und wer will, konnte es wissen.

Quo Vadis Amerika? Gegen den Rest der Welt - das kann nicht gut gehen und wir sind alle von diesem Gang in Richtung Abgrund Mitbetroffene. Es ist darum mehr denn je an der Zeit, daß wir die Europäer werden, als die viele sich schon jetzt fühlen, ohne daß Europa zu seiner politischen Identität gefunden hat. Diese kann und darf nicht in der Richtung liegen, die die amerikanische Regierung uns führen will und wozu unsere Schröders, Blairs und Berlusconis bereits ihre Mitläuferschaft signalisiert haben. Wen die Götter verderben wollen, den strafen sie mit Blindheit und Hybris.

* Ekkehart Krippendorff, emeritierter Professor für Politikwissenschaften, Schwerpunkt: Internationale Beziehungen.
Dieser Kommentar zu den US-Präsidentschaftswahlen erschien am 8. November im "Neuen Deutschland". Wenige Tage später (11. Nov.) erschien ein ähnlicher Kommentar in der "Frankfurter Rundschau".



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