Militär unerwünscht
Konferenz in Braunschweig: An den Hochschulen formiert sich Widerstand gegen die Rüstungsforschung
Von Claudia Wangerin *
An etwa 40 deutschen Hochschulen wird Rüstungsforschung betrieben, oftmals in Bereichen, in denen man es auf den ersten Blick nicht sieht und nicht einmal jeder Beteiligte davon weiß. Studierende und Wissenschaftler sehen das zunehmend kritisch: »Nein zur Militarisierung von Forschung und Lehre – Ja zur Zivilklausel« ist das Motto einer Konferenz von Studierenden, den Gewerkschaften ver.di und GEW sowie Organisationen der Friedensbewegung, die am heutigen Freitag (27. Mai) in der Technischen Universität Braunschweig beginnt.
Gemeint ist mit »Zivilklausel« die Verpflichtung der Hochschulen auf friedliche Forschung und Lehre. »Die einzelne Universität verankert per Beschluß ihres höchsten Gremiums in der Satzung, daß Forschung und Lehre ausschließlich zivil erfolgen sollen«, erläutert Reiner Braun von der Organisation IALANA (Internationale Juristen und Juristinnen gegen atomare, biologische und chemische Waffen).
Von Konzernen wie Daimler und der European Aeronautic Defence and Space Company (EADS) wird Rüstungsforschung natürlich erst einmal in eigenen Labors durchgeführt. Darüber hinaus beteiligen sich Institute und Fakultäten staatlich finanzierter Hochschulen an militärischen Forschungsprogrammen. Eine intensive Zusammenarbeit besteht in Deutschland zum Beispiel zwischen den Kasseler Rüstungsschmieden Krauss-Maffei/Wegmann sowie Rheinmetall Defence und der Universität Kassel, unter anderem durch einen Forschungsauftrag der Europäischen Verteidigungsagentur zur Entwicklung unbemannter, »kognitiver« Kampfmaschinen. Damit sollen im Kriegsfall die Verluste unter den eigenen Soldaten minimiert werden.
Eine Frage des Geldes
Reiner Braun sieht einen Grund für die enge Kooperation zwischen Rüstungsindustrie und Hochschulen in deren Unterfinanzierung: »Drittmittel sind in den neoliberal gewendeten Hochschulen für die Forschung überlebenswichtig und notwendig; sie werden ohne ethische Auswahl als Sachnotwendigkeit akzeptiert«, so Braun.
Zu den Veranstaltern der Konferenz in Braunschweig gehören auch Initiativen wie das Aktionsbündnis gegen Studiengebühren, die eine radikale Umverteilung von Geldern zugunsten der Bildung und zu Lasten der Rüstung fordern. Reiner Braun nimmt am Sonntag mit dem Vorsitzenden der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Ulrich Thöne, und der Maschinenbaustudentin Nadja Brachmann an der Podiumsdiskussion »Handeln für den Frieden« teil.
Erste Erfolge können bereits Friedensaktivisten im Hochschulbereich vorweisen: An den Universitäten Karlsruhe und Köln haben sich die Studierenden in Urabstimmungen für eine Zivilklausel ausgesprochen, in der Universität Tübingen wurde sie im Zuge des Bildungsstreiks 2009 durchgesetzt und im September 2010 rechtskräftig. In Bremen positionierte sich die Bürgerschaft im Mai 2011 mit breiter Mehrheit für eine Selbstverpflichtung der Hochschulen, die Forschung für militärische Zwecke ausschließen soll. Zwei Monate, nachdem die Fraktion Die Linke den Entschließungsantrag eingebracht hatte, reagierte Rot-Grün und zog mit einem eigenen Antrag nach, der mit den Stimmen von Koalition und der Linken verabschiedet wurde.
Kontrolle ist besser
Die Technische Universität Berlin hat schon seit 1991 eine Zivilklausel, auf deren Einhaltung jedoch immer wieder gepocht werden muß: Der akademische Senat beschloß damals »Maßnahmen zur Verhinderung von Rüstungsforschung an der TU Berlin«, der auf den alliierten Bestimmungen beruht. Er wurde einstimmig angenommen und ist unverändert gültig. Dennoch mußte der Allgemeine Studierendenausschuß im April 2009 gegen Forschungsprojekte in den Bereichen Sicherheit und Wehrmedizin protestieren, die vom Verteidigungsministerium finanziert und durch eine Bundestagsanfrage der Partei Die Linke bekannt geworden waren. Der AStA warf der sich ahnungslos gebenden Universitätsleitung Verstöße gegen die Zivilklausel und Verheimlichung vor.
Die Konferenz in Braunschweig soll dazu dienen, »Informationen zur Militarisierung der Hochschulen zusammenzutragen und den Erfahrungsaustausch über die vielfältigen Formen des Widerstands zu ermöglichen«, so die Veranstalter in ihrem Einladungstext.
An den Schulen richten sich die Begehrlichkeiten des Militärs unterdessen auf das noch nicht durch High-tech ersetzbare Menschenmaterial. Gegen die Nachwuchswerbung der Bundeswehr haben sich in den letzten Jahren bundesweit mehrere Initiativen von Schülern, Lehrern und Eltern gegründet
* Aus: junge Welt, 27. Mai 2011
Hintergrund: Zivilklausel gegen Rüstungsforschung
Eine Klausel im Rechtswesen ist eine genau definierte Einzelbestimmung in Vertragswerken oder Gesetzen, die aus einer Bedingung oder Option besteht. Im vorliegenden Fall geht es um die gesetzliche Bedingung, daß die Forschung ausschließlich friedlichen (zivilen) Zwecken dient und demzufolge militärische Forschung oder zivilmilitärische Forschung (dual use) ausgeschlossen ist.
An der Technischen Universität Braunschweig (Pockelsstraße 11, Haus der Wissenschaft) findet vom 27. bis 29. Mai die Konferenz »Nein zur Militarisierung von Forschung und Lehre– Ja zur Zivilklausel« statt. Weltweit arbeiten 1,1 bis 1,5 Millionen Menschen im Rüstungsforschungsbereich. 100 bis 120 Milliarden US-Dollar werden jährlich in Forschung und Entwicklung investiert, davon 25 Milliarden im »public sector« – in der BRD sind es fünf bis sieben Milliarden Euro. 90 Prozent der Ausgaben werden in den sogenannten entwickelten Ländern ausgegeben, zwei Drittel davon in den USA und Rußland. 50 Prozent der US-Ingenieure werden vom Pentagon finanziert. 61 Prozent aller US-Forschungsausgaben haben militärische Zwecke (dual use).
Beispiele für Rüstungsforschung an Universitäten in Deutschland:
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Die Universität Freiburg macht Werbung für die Freiburger Waffenfirma LITEF und läßt sich von ihr sponsern. Der zum US-Konzern Northrop Grumman gehörende Betrieb rüstet das Aufklärungsflugzeug Tornado ECR aus.
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An der Freien Universität Berlin gibt es den Sonderforschungsbereich 700: Im Auftrag des Bundesverteidigungsministeriums wurde hier eine Studie zu Afghanistan erstellt.
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An der Universität Karlsruhe konnte das Militärforschungsprogramm »Cognitive Radio« aufgedeckt werden. Es handelt sich um ein rechnergestütztes Breitbandkommunikationssystem für multinationale Interventionstruppen und für unbemannte »kognitive« Landfahrzeuge.
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Von 2001 bis 2004 wurde wehrmedizinische Forschung an der Uni Düsseldorf finanziert.
(jW)
** Aus: junge Welt, 27. Mai 2011
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