"Ein Musterbeispiel an Härte, Zähigkeit und Widerstandskraft"
Medienresonanz auf einen friedensbewegten Friedensforscher, der mit 65 Jahren in den Ruhestand geht
Er selbst betrachtet seinen "zwangsläufigen" Rückzug aus dem formalen Dienstverhältnis mit der Universität Kassel als Nebensächlichkeit - gehe doch seine wissenschaftliche Arbeit an anderem Ort und sein Engagement in der Friedensbewegung weiter. Doch seine Umwelt bereitete ihm anlässlich seiner letzten offiziellen "Friedensvorlesung" einen bewegenden Abschied - und die interessierten Medien begleiteten das Event mit ein paar Artikeln, die wir im Folgenden dokumentieren.
Peter Strutynski: Friedensbewegt in Rente
Von Katja Schmidt *
Das Publikum für Peter Strutynskis Abschiedsvorlesung wird mit "liebe
Friedensfreundinnen und Friedensfreunde" begrüßt. Als wissenschaftlicher
Mitarbeiter der Universität Kassel geht der 65-Jährige nach 33 Jahren in
Pension. Als einer der bekanntesten Friedensaktivisten in Deutschland
bleibt er aktiv - nun jenseits des Hochschul-Büros.
Seit Jahren ist Strutynski Sprecher des Bundesausschuss
Friedensratschlag. Das macht ihn quasi zur Telefonnummer des Labels "die
Friedensbewegung". Wer die zitieren will, zitiert oft den schmalen
Kasseler. Allein in diesem Jahr hat er mehr als ein Dutzend
Pressemitteilungen verschickt: "Bundesregierung lügt weiter für den
Krieg" war dort zu lesen. Oder Gegenvorschläge zum Sparpaket der
Bundesregierung. Einer: "Afghanistan-Einsatz beenden = 1 Mrd. Euro pro
Jahr."
Hat er die Rolle des ständigen Mahners? "Das klingt zu abgeklärt und
aussichtslos", findet Strutynski. Und beschreibt dann, worin seiner
Meinung nach der Erfolg der Friedensbewegung besteht: Mit hartnäckiger
Aufklärungsarbeit habe sie dazu beigetragen, dass die einst so
militaristische deutsche Bevölkerung heute mehrheitlich Krieg ablehne.
"Das ist das Fundament, auf dem man aufbauen kann."
Friedensforschung
Peter Strutynski (65), Politikwissenschaftler, kam 1977 aus
München an die Kasseler Hochschule, zunächst mit Schwerpunkt Arbeitspolitik.
Seit Jahren leitet Strutynski die AG Friedensforschung in Kassel. Mit
seinem Weggang von der Uni zieht die AG in neue Räume. Die
Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützt die Arbeit. Der Friedensratschlag -
zugleich wissenschaftlicher Tagung und Aktivistenvernetzung - soll
weiter in Kassel stattfinden.
Die Homepage der AG muss ihre Adresse www./
demnächst aufgeben. Anfragen werden lange auf die neue Adresse
umgeleitet, versichert Strutynski. (kaj)
Der emeritierte Politikwissenschaftler Werner Ruf lobt den Freund und
Kollegen für das Bohren dicker Bretter: "Peter ist ein Musterbeispiel an
Härte, Zähigkeit und Widerstandskraft." Die beiden teilen künftig nicht
nur ein Büro - sie teilen auch den Anspruch an Politikwissenschaft als
"Politische Wissenschaft", die Einfluss nehmen will.
Andere im Fach haben andere Maßstäbe. Für die Hessische Stiftung
Friedens- und Konfliktforschung sei Strutynski kein wichtiger
Ansprechpartner, sagt etwa Professor Lothar Brock. Er habe aber sicher
dazu beigetragen, "die Idee der Friedensbewegung hinüberzuretten ins 21.
Jahrhundert".
Hochgradig "engagiert" ist eine Vokabel, die vielen zu Strutynski
einfällt. Einen Gegenpol bilden Sport, Musik sowie Theaterbesuche mit
seiner Frau. Man muss dem Vater eines Sohnes und einer Tochter diese
Infos etwas entlocken. "Hobby" ist kein Begriff, mit dem er etwas
anfangen kann. Von Musik, sagt er jedoch schließlich "kann ich nicht
genug bekommen".
* Aus: Frankfurter Rundschau, 1. Juli 2010
Friedensmann
Von René Heilig **
Peter Strutynski? Fragt man rechts, hört man so etwas wie »Nervensäge«.
Fragt man links, hört man: Peter, na klar, das ist der vom
Friedensratschlag. Der arbeitet an der Uni in Kassel. Der lässt keine
Debatte, keine Kundgebung gegen Krieg aus. Peter, der ist ... Ja, wer
denn?! Man findet nicht einmal im Internet eine Biografie von Dr. Peter
Strutynski. »Warum auch«, sagt der, »es geht doch bei all dem nicht um
mich.«
Doch ohne ihn geht auch nichts. Strutynski wurde sechs Tage nach dem
Ende des Zweiten Weltkrieges im Salzburger Land geboren. »Bei den
Krimmler Wasserfällen, den höchsten Europas.« Aufgewachsen ist er in
einem Flüchtlingslager in Ulm. Das war »eine Schule in Sachen sozialer
Gerechtigkeit«, sagt Strutynski. Wer ihn kennt, weiß, wie wichtig ihm
dieses Thema ist. Studiert hat er in München: Politik, Germanistik,
Geschichte. Ursprünglich wollte er Lehrer werden, bekam aber die
Gelegenheit, zu promovieren. Thema: »Die Auseinandersetzung von
Revisionisten und Marxisten in der deutschen Sozialdemokratie um die
Jahrhundertwende.« Kautsky, Bernstein, Luxemburg - die Erinnerung daran
verrät auch nach Jahrzehnten noch Begeisterungsfähigkeit. Da erübrigt
sich die Bemerkung, dass er bei den 68ern links stand und links
geblieben ist.
Dafür, dass er den Kampf gegen Krieg und für gerechten Frieden als
Antrieb seines Lebens gewählt hat, gibt es zwei Gründe. Er stellte sich
rational gegen den »verheerenden NATO-Doppelbeschluss«, der 1979 Europa
an den Abgrund geführt hat. Und: In dieser Zeit wurde sein Sohn geboren.
So hatte sein politisches Engagement zugleich ein sehr persönliches Motiv.
Nun ist Peter Strutynski 65 Jahre alt und - man glaubt es kaum -
Rentner. Die Folge: Die Arbeitsgemeinschaft Friedensforschung an der Uni
Kassel wird - nicht gerade zum Leidwesen der Uni-Leitung - auch
pensioniert. Doch damit ist noch lange nicht Schluss. Am Wochenende will
Strutynski die Website »umstellen«, damit er gemeinsam mit Kollegen
Werner Ruf die Friedensarbeit fortsetzen kann. Und er muss sich
vorbereiten auf die Abschiedsvorlesung. Thema: »Dem Krieg widerstehen -
Plädoyer für eine friedensorientierte Außen- und Sicherheitspolitik«.
Also, bis bald: Wir hören, sehen, lesen uns.
** Aus: Neues Deutschland, 26. Juni 2010
Stets im Dienst für den Frieden
Peter Strutynski von der Uni Kassel geht in den Ruhestand, wird aber weiter politisch aktiv sein
Von Beate Eder ***
„1979 ist mein Sohn geboren- das war das Jahr des Nato-Raketenbeschlusses. Und 1983 meine Tochter - da wurden die Raketen stationiert“, sagt Dr. Peter Strutynski. Der Linke und Friedenforscher denkt immer in politischen Dimensionen - sogar bei der Geburt seiner Kinder. „Gerade wegen meiner Kinder habe ich eine besondere Verantwortung empfunden“, sagt der 65-Jährige nachdenklich. Jetzt geht der verheiratete Mann, der seit 1977 an der Uni Kassel im Fachbereich Politik gearbeitet hat, in den Ruhestand.
Seine Friedensvorlesungen an der Hochschule, die viele Zuhörer gefunden hatten, sind nun zu Ende. Nicht aber Strutynskis Arbeit für den Frieden. Er, der Musik und Theater leidenschaftlich liebt, bleibt weiter Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag und engagiert sich für die AG Friedensforschung - allerdings nicht mehr auf dem Campus, sondern in einem Büro in der Stadt.
Seit Anfang der 1980er-Jahre kennt man den Mann mit dem Megafon auf der Rathaustreppe - ob bei Ostermärschen oder Antikriegsdemonstrationen. 1981 gründete er zusammen mit anderen das Kasseler Friedensforum. Der Alt-68-er, der nie in einer Partei war, ist sich treu geblieben: In seiner Kritik am Kapitalismus, der in seinen Augen nicht nachhaltig friedenfähig ist.
Strutynski verbrachte seine Kindheit im österreichischen Salzburg und teilte das Schicksal vieler Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg: Er wuchs in den erbärmlichen Verhältnissen der Flüchtlingslager auf. „Bis zum 13. Lebensjahr kannte ich nur das Lagerleben. Dennoch war meine Kindheit schön“, sagt er. Sein Vater, ein Deutsch-Ukrainer, und seine romänische Mutter, hatten drei Söhne.
Strutynski war ein aufgeweckter Schüler. Er studierte nach dem Abitur 1965 in München Politik, Germanistik und Geschichte - und war auf der Seite derjenigen zu finden, die den verkrusteten Strukturen ein Ende bereiteten. „Ich war nicht nur ein rebellischer, sondern auch ein guter Student“, sagt er. „Denn wir mussten unsere Professoren ja inhaltlich widerlegen.“
1977 kam Strutynski nach seiner Promotion als wissenschaftlicher Mitarbeiter an die damalige Gesamthochschule Kassel. Er war in einer Forschungsgruppe über die Produktivkraft Nordhessens tätig und sehr bald für seine kritische Sicht auf die Arbeitsbedingungen in der Industrie bekannt.
Seit Mitte der 1990-er-Jahre beschäftigte er sich mit internationaler Poltik - und vor allem mit Friedensforschung. „Ich will viel mehr als den Frieden: Ich will die Gesellschaft verändern“, sagt Strutynski. Denn Frieden sei die wichtigste Voraussetzung für Veränderung. Kriege hat die Friedensbewegung nicht verhindern können, räumt er ein. „Aber durch unser ständiges Wirken sind mittlerweile 70 Prozent gegen den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr.“
*** Aus: Hessische Allgemeine, 9. Juli 2010
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