Friedensbewegungen seit 1945 in vergleichender Perspektive: / Peace Movements since 1945 in Comparative Perspective:
Symbolismus, Mobilisierungsmuster, politische Kultur / Symbolism, Patterns of Mobilization, Political Culture
Ein Bericht über die Tagung "Peace Movements since 1945 in Comparative Perspective: Symbolism, Patterns of Mobilization, Political Culture"
Veranstalter: Arbeitskreis Historische Friedensforschung
28.10.2005-30.10.2005, Bochum
Von Christian Scharnefsky*
Die Friedensbewegungen in Europa, den USA und Japan nach 1945 haben
schon seit Ende der 1980er-Jahre ein immer stärkeres Interesse der
Historiker gefunden. Zu Beginn standen die Entwicklung in den einzelnen
Ländern sowie die Frage nach »Erfolgen« und »Misserfolgen« der
Friedensbewegung im Kalten Krieg insgesamt im Vordergrund. In den
letzten Jahren hat sich der Akzent jedoch hin zu einer
transnational-vergleichenden Perspektive verschoben. Darüber hinaus wird
die Geschichte der Friedensbewegung heute vor allem als Geschichte einer
»sozialen Bewegung« betrachtet, deren Erforschung sich nicht allein auf
ihre vermeintlichen »Siege« und »Niederlagen« beschränken darf, sondern
in erster Linie ihre innere Struktur, ihre Symbole, ihre Sprache und
ihre Mobilisierungsstrategien in den Blick nehmen muss. Diesen Fragen
war auch die von Benjamin Ziemann (Sheffield) organisierte Jahrestagung
des Arbeitskreises Historische Friedensforschung »Peace Movements since
1945 in Comparative Perspective: Symbolism, Patterns of Mobilization,
Political Culture« gewidmet, die mit Unterstützung der
Fritz-Thyssen-Stiftung vom 28. bis 30. Oktober 2005 im Institut für
soziale Bewegungen in Bochum stattfand.
Benjamin Ziemann skizzierte in seiner Einleitung den Forschungsstand und
formulierte als eines der Ziele der Konferenz, weitere vergleichende
Studien zur Friedensbewegung nach 1945 anzuregen, von denen es immer
noch nur sehr wenige gebe. Darüber hinaus betonte er, wie unabdingbar
für die Historische Friedensforschung die kritische Auseinandersetzung
mit den empirischen Ergebnissen und theoretischen Modellen der neueren
sozialwissenschaftlichen Bewegungs- und Protestforschung sei. Vor diesem
Hintergrund schlug Ziemann vor, neben den Symbolen der Friedensbewegung
vor allem auch die Bedeutung moralischer oder moralisierender Sprache
(Appell an die persönliche Verantwortung jedes einzelnen, den Krieg zu
verhindern) für die Anziehungs- und Bindekraft von Friedensbewegungen zu
untersuchen. Nicht zuletzt sei auch der Begriff des Friedens als solcher
zu historisieren. Frieden sei kein über alle Zeiten hinweg unverändertes
Konzept, sondern ein Bündel von (oftmals widersprüchlichen) Erwartungen
und Hoffnungen der Zeitgenossen auf die Zukunft. Der Begriff Frieden sei
somit – wie die Friedensbewegung selbst – immer »in Bewegung«.
Die erste Sektion der Tagung (»Words and Deeds: Forms of Rhetoric and
Protest«) eröffnete Andrew Oppenheimer (Chicago) mit einem Beitrag über
die Deutsche Friedensgesellschaft 1945 bis 1968. Er zeigte zum einen,
wie die Wahrnehmung der Atombombe als Bedrohung für die ganze Menschheit
dazu beitrug, dass die westdeutschen Pazifisten Deutschland nach 1945
geistig sehr bald wieder in die Weltgemeinschaft eingliederten, die sie
vor allem als eine Gemeinschaft potentieller Opfer eines Atomkrieges
sahen. Zum anderen machte Oppenheimer deutlich, dass der Begriff
»Solidarität« in Bezug auf die nationalen Befreiungsbewegungen der
1950er und 1960er-Jahre für Teile der westdeutschen Pazifisten auch die
moralische Unterstützung des bewaffneten Kampfes einschließen konnte.
Volker Fuhrt (Hirosaki) gab dann einen Überblick über die Geschichte des
Pazifismus in Japan nach 1945. Er hob hervor, dass es erst im Rahmen der
Proteste gegen den Vietnamkrieg auch zu einer ersten vorsichtigen
Auseinandersetzung mit den japanischen Kriegsverbrechen in Asien kam,
die das bis dahin sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der
Friedensbewegung vorherrschende Bild Japans als unschuldiges Opfer des
Zweiten Weltkrieges und der Atombombe in Frage stellte. Zum Abschluss
der ersten Sektion richtete Michael S. Foley (New York) den Blick auf
die »Draft Resistance« in Boston und Puerto Rico während des
Vietnamkrieges. In Boston begannen junge Wehrpflichtige nach einer
langen Reihe frustrierender Erfahrungen mit legalen Mitteln des Protests
– allen voran den großen Anti-Kriegs-Demonstrationen, die die
US-Regierung offensichtlich nicht hatten beeindrucken können –, in
öffentlichkeitswirksamen Zeremonien ihre Wehrpässe zu verbrennen bzw.
gesammelt an die Musterungsbehörden zurückzuschicken. Da die »Draft
Resisters« mit ihren Aktionen das persönliche Risiko einer
Gefängnisstrafe eingingen, fanden sie bei der Bevölkerung mehr Respekt
als »gewöhnliche« Verweigerer. Im Vergleich zu Boston hatte die »Draft
Resistance« in Puerto Rico noch eine zweite Dimension: Der Widerstand
gegen die Einberufung war hier vor allem eine radikale Parteinahme für
die Unabhängigkeit Puerto Ricos von den USA. Welchen Einfluss die »Draft
Resistance« auf die Beendigung des Vietnamkriegs und die Autonomie
Puerto Ricos hatte, sei nicht exakt zu bestimmen, dennoch müsse dieses
Protestmittel – so Foley – stärker als bisher von der Forschung beachtet
werden.
Die zweite Sektion der Tagung (»Longing for Links? Thematic and
Transnational Interconnections«) leitete Robbie Lieberman (Carbondale)
mit Überlegungen zu den Beziehungen zwischen der Friedensbewegung und
der Bürgerrechtsbewegung in den USA von den 1940er bis zu den
1960er-Jahren ein. Der Kalte Krieg habe die bis dahin bestehende
Verbindung zwischen dem Kampf für Frieden und dem Kampf für soziale
Gerechtigkeit und Aufhebung der Rassentrennung aufgelöst, da von nun an
die Sowjetunion das Schlagwort »Frieden« und die USA das Schlagwort
»Freiheit« für sich beanspruchten. Die Friedensbewegung in den USA stand
jetzt unter dem Generalverdacht, Handlanger des Kommunismus zu sein. Das
veranlasste die Bürgerrechtsbewegung, möglichst nicht zu
außenpolitischen Fragen Stellung zu nehmen und sich von der
Friedensbewegung zu distanzieren, um ihre eigene Arbeit nicht zu
gefährden. Dagegen wandte sich die amerikanische Friedensbewegung umso
mehr den Fragen der Bürgerrechte zu und entdeckte für sich nicht zuletzt
auch die Möglichkeiten der »nonviolent direct action«. Caroline
Hoefferle (Wingate) stellte danach in ihrem Beitrag die zahlreichen
Kontakte zwischen der studentischen Friedensbewegung in Großbritannien
und in den USA von 1960 bis 1975 dar. Sie unterstrich auch die engen
Verbindungen zwischen studentischen und nicht-studentischen
Friedensgruppen, die gemeinsam innerhalb und außerhalb der Universitäten
agierten und Teil einer größeren sozialen Bewegung für Frieden, Freiheit
und soziale Gerechtigkeit waren. Transnationale Kontakte standen
ebenfalls im Mittelpunkt des Vortrags von Massimo de Giuseppe (Mailand)
über die Beziehungen zwischen Lateinamerika und dem Pazifismus in
Italien von 1955 bis 1980. Neben der Debatte um die Legitimität
revolutionärer Gewalt spielte für die italienische Friedensbewegung auch
der Konflikt zwischen den lateinamerikanischen Befreiungstheologen und
dem Vatikan eine besondere Rolle.
Die transnational-vergleichende Perspektive bestimmte auch noch den
ersten Beitrag der dritten Sektion der Konferenz (»The Symbolic Politics
of Peace Movements«), in dem Holger Nehring (Oxford) der Frage nachging,
welche Rolle »Respectability« für die britische und die westdeutsche
Protestbewegung gegen Atomwaffen der 1950er und 1960er-Jahre spielte:
Der britischen Ostermarschbewegung sei es vor allem wichtig gewesen,
durch diszipliniertes Auftreten und Gesetzestreue deutlich zu machen,
dass sie sich trotz ihres Protestes weiterhin als Teil der Gesellschaft
sah und sich der Vorstellung von Großbritannien als »Peaceable Kingdom«
verpflichtet fühlte, in deren Rahmen nur »zivilisierte« Formen
außerparlamentarischer Opposition erlaubt waren. Für die
Ostermarschbewegung in Westdeutschland dagegen musste es in erster Linie
darum gehen, jede kommunistische Unterwanderung bzw. nur den Verdacht
darauf zu vermeiden, um in der öffentlichen Wahrnehmung überhaupt eine
Chance auf Akzeptanz zu haben. Barbara Stambolis (Siegen) untersuchte
anschließend die christliche Friedensbewegung in Westdeutschland und
konnte zeigen, dass das Kreuz, Friedensgebete und Friedenswallfahrten
auch nach 1945 ihre zentralen Symbole und Praktiken geblieben waren.
Darüber hinaus fand aber zugleich eine Öffnung hin zu nicht-religiösen
Friedensinitiativen statt, die sich etwa in der Verbreitung des Symbols
der Friedenstaube zeigte. Mit dem Kampf um Symbole beschäftigte sich am
Ende der Sektion dann Fabian Virchow (Erfurt), der die
»Friedenspropaganda« der bundesdeutschen rechtsextremen Parteien und
»Kameradschaften« in den 1990er-Jahren analysierte. Er machte deutlich,
dass die Teilnahme rechtsextremer Gruppen an Protesten gegen den Kosovo-
oder Irakkrieg zwar einerseits als bewusste Täuschung und Provokation
der »linken« Friedensbewegung verstanden werden muss, andererseits aber
durchaus auch ihre Begründung in der Ideologie der Neonazis hat. Die
rechten Anti-Kriegs-Parolen sind dabei nicht Ausdruck pazifistischer
Überzeugungen, sondern richten sich allein gegen militärische
Interventionen des »US-Imperialismus« (und des »Judentums«), deren
Unterstützung durch die Bundeswehr nicht »im deutschen Interesse« sei.
Davon unberührt bleibt jedoch die rechtsextreme Vision einer starken
Militärmacht Deutschland und der gegebenenfalls gewaltsamen »Neuordnung
des europäischen Großraums« unter deutscher Führung.
Die vierte Sektion (»The Pictoral World of Peace Movements«) führte die
Diskussion um Symbole fort. Sabine Rousseau (Lyon) stellte am Beispiel
des der Kommunistischen Partei nahestehenden »Mouvement de la paix«
Plakate und Poster der französischen Friedensbewegung der 1950er bis
1980er-Jahre vor. Sie machte auf den Wandel von didaktisch-ernsthaften
Motiven hin zu mehr Humor in der Bildsprache aufmerksam und unterstrich
außerdem, dass die Plakate neben dem Appell an die weitere politische
Öffentlichkeit vor allem auch die Funktion der Wiedererkennung und
Selbstbestätigung für die Mitglieder des Mouvement de la paix selbst
hatten. Jeremy Varon (Madison) lenkte dann den Blick zurück auf Amerika
und zeigte in seinem Beitrag, welch ungeheure symbolische Provokation es
war, als bei Protesten gegen den Vietnamkrieg in den USA auch die Flagge
des Vietcong (National Liberation Front) gehisst wurde. Hier war nicht
nur für die Polizei, die Medien und die Bevölkerung ein Tabu gebrochen,
sondern auch für die meisten Friedensaktivisten: Bei aller möglichen
Sympathie für den Befreiungskampf des vietnamesischen Volkes bedeutete
das Hissen der Flagge des Vietcong doch vor allem, dass man den Sieg von
Amerikas Feind wünschte – und damit den Tod der eigenen Landsleute, der
US-Soldaten in Vietnam.
Die fünfte und letzte Sektion der Konferenz (»Outside and Inside. Peace
Movements as observed from Outside«) eröffnete Corinna Hauswedell (Bonn)
mit Betrachtungen zur Rolle der sogenannten »Gegenexperten« in der
westdeutschen Friedensbewegung der 1980er-Jahre. Als »Gegenexperten«
bezeichnete Hauswedell all jene Atomphysiker, Computerspezialisten,
Ärzte, Sozial- und Geisteswissenschaftler, die sich zur Zeit der Debatte
um den NATO-Doppelbeschluss und das amerikanische SDI-Projekt
(Strategische Verteidigung im Weltraum) in den Dienst der
Friedensbewegung stellten und ihr durch ihre wissenschaftliche Expertise
neue Glaubwürdigkeit und neuen Einfluss verschafften. Die
»Gegenexperten« beschränkten sich nicht auf »moralische« Argumente,
sondern vertraten einen »rationalen Pazifismus«, entwickelten
alternative Sicherheitskonzepte und wurden deshalb auch von Politik und
Militär als Gesprächspartner ernstgenommen. Im zweiten und
abschließenden Beitrag der Sektion schilderte Dimitrios Tsakiris
(Epirus) seinerseits den Blick des Staates auf die Friedensbewegung in
Griechenland nach 1945, der durch die Furcht vor einem kommunistischen
Umsturz geprägt war. Bekannteste Symbolfigur für die brutale
Unterdrückung des griechischen Pazifismus war der Parlamentsabgeordnete
Grigoris Lambrakis, der im Mai 1963 im Anschluss an eine
Friedenskundgebung von Mitgliedern einer staatsnahen paramilitärischen
Organisation ermordet wurde.
Dieter Rucht (Berlin) blieb es vorbehalten, im Abschlussplenum ein
erstes Resümee der Beiträge und der Diskussionen in den einzelnen
Sektionen zu ziehen. Als einer der führenden Experten der
sozialwissenschaftlichen Protest- und Bewegungsforschung nutzte er die
Gelegenheit, kritische Fragen an die Historische Friedensforschung zu
stellen und griff damit Benjamin Ziemanns am Eröffnungstag erhobene
Forderung nach dem Austausch zwischen den Disziplinen auf. Dieter Rucht
regte vor allem an, künftig noch stärker die Kontinuität und
Diskontinuität von Friedensbewegungen zu untersuchen, da die Aktivisten
von heute im Gegensatz zu früheren Zeiten nicht mehr jahrzehntelang in
der Friedensbewegung engagiert seien, sondern nur noch in bestimmten
Lebensphasen.
Wie die Abschlussdiskussion so zeichnete sich die Bochumer Tagung
insgesamt durch eine sehr offene und anregend-kritische Atmosphäre aus.
Zu den einzelnen Themen hätte man gern noch viel mehr gehört, und
natürlich konnten nicht alle Fragen der Teilnehmer besprochen oder gar
endgültig geklärt werden. Gerade deshalb waren aber auch eine
konsequente Moderation und eine strikte Zeitdisziplin bei den Referenten
und beim Publikum notwendig, die sehr wesentlich zum Gelingen der
Konferenz beigetragen haben.
* Christian Scharnefsky, Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften
(Friedrich-Meinecke-Institut), Freie Universität Berlin;
E-Mail:
christian.scharnefsky@gmx.de
Quelle: H-Soz-u-Kult - Kommunikation und Fachinformation für die Geschichtswissenschaften;
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de
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